Den Fraktionen wird das Wort zur allgemeinen Aussprache erteilt. Die Reihenfolge in der ersten Runde lautet CDU, DIE LINKE, SPD, FDP, GRÜNE, NPD und die Staatsregierung, wenn gewünscht. Ich erteile Herrn Schiemann als Redner der CDU-Fraktion das Wort; bitte schön.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sachsen steht in einer über 900-jährigen Staatstradition und hat sich veränderten Herausforderungen immer stellen müssen. Dies trifft selbstverständlich auch auf die Archive im heutigen Freistaat Sachsen zu.
Das hier in der Landeshauptstadt 1834 gegründete Hauptstaatsarchiv geht mit seinen Wurzeln wohl auf das in der Mitte des 13. Jahrhunderts gegründete Urkundendepot der markmeißnischen Kanzlei zurück. Die älteste Urkunde wird hier mit dem Jahr 948 datiert. Somit sind die sächsischen Archive das Gedächtnis des sächsischen Volkes.
Die Mitarbeiter der Archive verdienen deshalb ganz besonders das Prädikat der Nachhaltigkeit – immer darum bemüht, das Wissen aus der jeweiligen Epoche zu sammeln, zu erhalten und damit entstehende Geschichte für nachfolgende Generationen erlebbar zu machen. Dafür sind wir allen in den Archiven Tätigen zu besonderem Dank verpflichtet. Jede Epoche war mit besonderen Herausforderungen der Archivare verbunden. Kreativität und ein hohes Maß an Eigenverantwortung sind dabei prägend.
Heute beraten wir das Gesetz zur Änderung des Archivgesetzes für den Freistaat Sachsen in 2. Lesung. Nach nunmehr 20 Jahren hat sich für das im Jahr 1993 hier im Hohen Haus verabschiedete Sächsische Archivgesetz Änderungs- und Anpassungsbedarf ergeben. Galt es 1993 erstmalig nach der friedlichen Revolution, rechtliche Grundlagen für die Archive im Freistaat Sachsen zu schaffen, so reagiert die Staatsregierung – Sie, Herr Staatsminister Ulbig – mit dem Gesetzentwurf auf einen enormen Anstieg der zu archivierenden elektronischen Unterlagen.
Waren es in weiter Vergangenheit Urkunden aus Pergament, später aus Papier, Plaste als maschinell lesbare Datenträger, so wird die Zahl der elektronischen Unterlagen künftig enorm zunehmen. Dies stellt nicht nur eine Herausforderung für die Verwaltungen des Freistaates Sachsen dar. Es wird auch zu einer Herausforderung für die Mitarbeiter der Archive. Themen wie Fachpersonal, Ausbildung der Fachkräfte, Weiterbildung, Erhalt und Nutzung des elektronischen Archivgutes, um nur einige
Wir haben vor den Beratungen im Innenausschuss eine sehr umfangreiche, ich glaube, hoch qualitative Anhörung erlebt. In dieser fachlich vorzüglichen und hochrangigen Beratung wurde der Gesetzentwurf der Staatsregierung begrüßt, als dringend notwendig bezeichnet und mit einigen Änderungsvorschlägen bedacht. Diese haben wir bewertet und nach Abwägung in der Beratung des Innenausschusses als Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen eingebracht.
Nun zum Einzelnen. Im Gesetzentwurf wird klargestellt, dass zur Umwidmung der Verwaltungsunterlagen zu Archivgut neben der Feststellung der Archivwürdigkeit auch die Übernahme in ein öffentliches Archiv erforderlich ist. Gleichzeitig wird der Begriff der Speichermedien erweitert und auf eine stärkere Entwicklung der elektronischen Medien ausgerichtet. Die Fragen der standardisierten Aussonderung, der Anbietung und der Übernahme werden neu geordnet. Auch Unterlagen, die ausschließlich elektronisch geführt werden, sind von diesem Archivgesetz umfasst. Damit keine Lücken in der Überlieferung entstehen, sind insbesondere elektronische Register und Datenbanken davon betroffen. Sie sind anzubieten und zu übernehmen.
Wir wollen einen erleichterten Zugang zum Archivgut schaffen, wissen aber gleichzeitig, dass der Datenschutz, der Schutz der Daten betroffener Personen, entsprechend zu wahren ist. Dies wird natürlich eine schwierige Abwägung in jedem Einzelfall nach sich ziehen. Deshalb kann diese Abwägung nur vom Fachpersonal vorgenommen werden.
Eine zentrale Änderung stellt die Stärkung der kommunalen Archive dar. Künftig ist für die Tätigkeit in einem kommunalen Archiv eine archivfachliche Ausbildung erforderlich. Wichtig ist und bleibt der Beratungsauftrag des Sächsischen Staatsarchivs für die kommunalen Archive. Hier darf es keine Abstriche geben.
Ich möchte auf ein besonderes Problem aufmerksam machen, mit dem die Kommunen, aber auch die Archive klarkommen müssen. Mit Inkrafttreten des Personenstandsänderungsgesetzes zum 1. Januar 2009 wurde das Familienbuch an sich abgeschafft. Das Familienbuch galt als eine Sammelurkunde mit den Geburtsurkunden der Eheleute, dem Heiratsantrag, den Geburtsurkunden der Kinder und späteren Veränderungen. Die Familienbücher wurden geschlossen und zu Eheregistern umgewidmet.
Die in Archiven verwalteten Unterlagen sind Quellen aus der Arbeit der Verwaltung, des Staates, der Gesellschaft und von Einzelpersonen. Zugleich sichern diese Unterlagen rechtsstaatlich gebotene Kontinuität der Verwaltungen des Freistaates und seiner Kommunen und sichern die entsprechende Nachprüfung für Personen. Archive sind nicht nur Orte geschichtlicher Erinnerungen; schließlich leisten sie dem Bürger durch die Bereitstellung wichtiger Daten für Renten, Pensions-, Wiedergutmachungs- oder Eigentumsansprüche wertvolle Hilfe. Dies ist mehr als eine Dienstleistung.
Lassen Sie mich zum Abschluss kommen. Ich danke ganz herzlich dem Staatsministerium des Innern für diesen Gesetzentwurf. Ich begrüße es außerordentlich, dass das Innenministerium sich sehr viel Zeit genommen, aber auch viel Arbeit gemacht hat und viele Fachleute im Freistaat Sachsen in diese Arbeit einbezogen hat. Danken möchte ich allen Frauen und Männern für ihre Arbeit in allen Archiven des Freistaates Sachsen. Respekt und Dank gelten aber auch dem Landesverband Sachsen im VDA für die immer aktuellen Impulse und Anregungen. Die Vorsitzende, Frau Grit Richter-Laugwitz, hat die Herausforderungen der Archive auf dem 20. Sächsischen Archivtag – es war eine der größten Konferenzen aller deutschen Länder – am 23. Mai 2013 in Zwickau in ihrer Eröffnungsrede so beschrieben und wies zum Beispiel darauf hin, dass ohne die klassischen Kernaufgaben wie zum Beispiel die Erschließung der Archivbestände mit qualifiziertem Personal eine Präsentation von digitalisiertem Archivgut im Netz nicht möglich ist, die Mitgestaltung aber von Archiven in der Wissens- und Informationsgesellschaft geradezu auf diese Kernarbeit angewiesen ist, um letztendlich auch in der Wissens- und Informationsgesellschaft Schritt halten zu können.
Eingangs hatte ich davon gesprochen, dass sich Sachsen stets veränderten Herausforderungen stellen musste. Der Freistaat Sachsen hat jetzt die Weichen für ebendiese Herausforderungen gestellt. Am 26.02.2013 ist das elektronische Staatsarchiv im Hauptstaatsarchiv Dresden durch den Innenminister und den Staatssekretär aus dem Staatsministerium der Justiz und für Europa eröffnet worden.
Ich gehe einmal davon aus, dass dieser Startschuss in eine Richtung geht, die für uns als Laien noch nicht bekannt ist und die enorme Herausforderungen nicht nur für die Verwaltung bringen wird, dieses Archivgut entsprechend anzubieten. Auch für die Archivierung der Zukunft wird es Herausforderungen bringen, wenn sich technische Systeme in kürzeren Abständen verändern werden, und es wird auch eine neue Herausforderung für die Nutzer des Archivgutes geben. Ich glaube aber, dass der Schritt richtig ist. Der Freistaat Sachsen hat hier die Nase vorn. Deshalb bitte ich Sie ganz herzlich, dass Sie diesen Gesetzentwurf unterstützen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der Staatsregierung zur Änderung des Archivgesetzes wurde auf Antrag unserer Fraktion Anfang September angehört. Die Anhörung ist schon gelobt worden. Aber zum damaligen Zeitpunkt, als wir die Anhörung beantragten, hat mit Sicherheit so mancher gedacht, wir hätten nichts Besseres zu tun. Aber das Archivwesen wird eben häufig unterschätzt.
Ein grundlegender Gedanke aus der Anhörung sollte unseres Erachtens in das Stammbuch aller Politiker gehören. Dr. Clemens Rehm vom Berufsverband der deutschen Archivarinnen und Archivare leitete seine Ausführungen bei der Anhörung mit dem Verweis ein, dass Archivgesetze die Überschneidung von drei Bereichen regeln. Er formulierte konkret:
Zweitens geht es um die Herstellung der Transparenz von Verwaltungshandeln der Bürger. Der Bürger soll hinterher mit gebührendem Abstand kontrollieren können, was geschehen ist. Das ist die Demokratiefunktion, die Archive haben.
Meine Damen und Herren! Auch aus Sicht der LINKEN stellt dieser Gesetzentwurf eine Modernisierung dar: Anpassungen an das elektronische Zeitalter, klare Definition von Unterlagen, Schutzfristen, Klärung im kommunalen Bereich. Besonders betonen möchten wir dabei, dass es sehr gut ist, dass die Archivierung von Unterlagen nun unabhängig von ihrer Speicherungsform klar geregelt ist; Herr Schiemann hat dazu bereits vieles erläutert.
Ein Aspekt hat dabei in der Anhörung und in der anschließenden Beratung im Innenausschuss eine besondere Rolle gespielt: der Umgang mit digitalen Unterlagen, wenn diese unzulässig erfasst und gespeichert wurden. Das Datenschutzgesetz sah bisher in diesen Fällen die Löschung vor, und so steht es auch in der Gesetzesbegründung. Das hieße aus Sicht des bereits zitierten Sachverständigen Clemens Rehm, „dass der Beamte dann weiß, er kann ruhig illegal vorgehen, denn der Film kommt nie in das Archiv“; bzw. andersherum formulierte er an späterer Stelle: „Dass wir damit jeder Mitarbeiterin und jedem Mitarbeiter klar machen: Auch wenn du rechtswidrig handelst, wird das dokumentiert und in 30 oder 40 Jahren öffentlich zugänglich. Überlege dir bitte, ob du das machst.“
Dies gilt natürlich für alle Unterlagen; das ist eben die eingangs beschriebene Demokratiefunktion von Archiven.
Ich bin sehr froh, dass wir im Ausschuss das Missverständnis zwischen Gesetzestext und seiner Begründung
zugunsten des Gesetzestextes und somit der Archivierung auch digitaler Unterlagen bzw. Daten, die unzulässig erworben und gespeichert wurden, geklärt haben. Leider ist dies in der Beschlussempfehlung und im Bericht des Innenausschusses nicht nachzuvollziehen. Das ist sehr schade.
Meine Damen und Herren, das Archivgesetz geht jetzt über das derzeitige Datenschutzgesetz hinaus. Das möchte ich an dieser Stelle nochmals deutlich betonen. Es bleibt nun nur zu hoffen, dass die entsprechenden Unterlagen auch wirklich angeboten und übernommen werden. So manches ist ja in der Vergangenheit geschreddert worden; da fragt man sich, warum das nicht in Archiven gelandet ist. Vielleicht hätten dann Generationen nach uns mehr Erfolg bei der Aufklärung der Zusammenhänge zum neonazistischen Terrornetzwerk NSU.
Die Fraktion DIE LINKE wird den Gesetzentwurf heute aber trotzdem nicht ablehnen. Wir können ihm aber auch nicht zustimmen. In der Erstellung wurde aus unserer Sicht geschlampt. Ein Beispiel hatte ich gerade genannt, ein anderes können Sie anhand der Unterlagen des Innenausschusses nachvollziehen.
Die Fragen ehrenamtlicher Archivarbeit spielten eine Rolle. Sie wären es mit Sicherheit wert, intensiver betrachtet zu werden. Ob der Verweis auf qualifiziertes Personal zur Archivbetreuung ausreichend ist, wenn nicht geklärt ist, wie viel Zeit dafür bereitsteht, ist für uns sehr fraglich. Mit einem entsprechenden Änderungsantrag hatten wir im Ausschuss keinen Erfolg. Dass man wirklich glaubt, dass es nicht notwendig ist, bei der Übergabe des Landtagsarchivs an das Staatsarchiv auch die entsprechende finanzielle Mittelzuweisung zu regeln, weil diesen Übergang doch derzeit niemand will, scheint uns mehr als blauäugig. Schließlich hätte man dann den ganzen Übergang gar nicht erst ins Gesetz schreiben brauchen.
Meine Damen und Herren, auch wir als Fraktion DIE LINKE möchten allen im Archivwesen Engagierten – egal ob haupt- oder ehrenamtlich – recht herzlich für ihre Arbeit danken. Beim Gesetzentwurf werden wir uns enthalten.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der von der Staatsregierung vorgelegte Gesetzentwurf greift eine Aufgabe des Staates auf, die zu seinen Pflichtaufgaben gehört, denn das Archivwesen hat eine große Relevanz für uns alle. Es konserviert nicht nur trockene Fakten in staubigen Aktenordnern, sondern erhält uns Urkunden, Karten, aber auch Bilder und Videos für künftige Generationen und bewahrt damit ein Stück der Identität des Freistaates Sachsen.
Archive schützen davor, dass die Vergangenheit im Nachhinein verfälscht dargestellt wird – sei es beim Grundstückskauf, im Geschichtsunterricht oder auch in der Medizin.
Damit dies auch künftig so bleibt, ist eine Modernisierung des Archivgesetzes notwendig geworden. So wurden zum einen unklare Details beim aktuell geltenden Rechtsstand genauer definiert und zum anderen notwendige Schritte unternommen, um das Archivwesen ins Zeitalter der Digitalisierung zu bringen. Außerdem werden künftig insbesondere die kommunalen Archive gestärkt.
Im Einzelnen bedeutet das, dass die IT-gestützte Vorgangsbearbeitung auf dem sehr hohen Niveau der bisher analogen Verarbeitung Einzug hält. Auch bei kommunalen Archiven wird hierzu eine archivfachliche Ausbildung nötig. Archive der Kreise werden künftig eine Auffangfunktion übernehmen, falls Städte oder Gemeinden kein eigenes Archiv mehr unterhalten können.
Ein Punkt ist mir besonders im Gesetzgebungsverfahren wichtig gewesen; es kommt eine ganz neue Aufgabe auf das Archivwesen zu: Viele Dokumente – bald werden es fast alle sein – sind nicht mehr auf Papier zu finden, sondern werden nur noch elektronisch erstellt. Wir können heute noch Dokumente lesen, die viele Hundert Jahre alt sind, weil sie auf Papier gedruckt wurden. Aber wenn man heute ein elektronisches Dokument lesen möchte, das nur 15 oder 20 Jahre alt ist, dann gibt es keine Software mehr, die das kann. Wer ein Word-/DOS-Dokument heute noch zu Hause auf einer Diskette hat, wird kaum noch die Möglichkeit haben, dieses Dokument mit Word 2010 zu öffnen.
Hier müssen wir aufpassen, dass wir unser elektronisches Wissen so archivieren, dass es künftigen Generationen zur Verfügung steht. Stellen Sie sich eines vor: Wäre das Grundbuch in der Weimarer Republik elektronisch geführt worden, hätten wir nach der Wiederherstellung der deutschen Einheit Restitutionsverfahren durchführen können? Ich glaube, das wäre schwierig geworden.
Es freut mich sehr, dass der vorliegende Gesetzentwurf von einer breiten Mehrheit der angehörten Sachverständigen in der Anhörung befürwortet wurde. Das galt auch – das war mir besonders wichtig – für die Lesbarkeit und die Nachvollziehbarkeit von elektronischen Dateien.
Ferner wurde hervorgehoben, dass die Wissenschafts- und Forschungsfreiheit erhalten bleibt und die Möglichkeiten zur Forschung erheblich verbessert wurden.
Die anfänglichen Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes konnten über einen Änderungsantrag der CDU/FDPKoalition ausgeräumt werden. Ein ordentlicher Datenschutz ist für mich als Liberaler eine Herzensangelegenheit, denn die Möglichkeiten der Archivierung – insbesondere der digitalen – setzen natürlich auch einen verantwortungsvollen Umgang mit den Daten der Bürger voraus.
Ich glaube, die schwarz-gelbe Staatsregierung hat hier eine Pflichtaufgabe sehr gut erfüllt; es liegt eine sehr gute
Modernisierung des Archivwesens vor. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem Gesetzesvorhaben.