Protokoll der Sitzung vom 18.12.2013

Das lässt sich sehr genau festmachen. Ich finde das hochgradig bedauerlich. Herr Mann, dann sollten Sie auch die Ehrlichkeit haben und sagen: Wir als sächsische SPD sind in einer Minderheitsposition. Aber Sie sollten nicht so tun, als sei es ein Herzensanliegen der deutschen Sozialdemokratie insgesamt, dafür zu sorgen, dass in deren eigene Gründungsstadt Leipzig ein europäisches Patentgericht kommt.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Die Festlegung auf Standorte allein in westdeutschen Bundesländern kann auch aus Gründen eines lebendigen Föderalismus nicht überzeugen. Ostdeutschland ist eine dynamische Wirtschaftsregion. In Sachsen wird eine beachtliche Anzahl von Patenten angemeldet. Dass es nicht mehr sind, liegt auch daran, dass in Sachsen zwar viele Erfindungen gemacht werden, diese aber oftmals am Stammsitz von Unternehmen, und dann in der Regel in westdeutschen Bundesländern, zum Patent angemeldet werden.

(Johannes Lichdi, GRÜNE, steht am Mikrofon.)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Minister?

Ich gestatte eine Zwischenfrage des Kollegen Lichdi.

Bitte, Herr Lichdi.

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, welche Position der Freistaat Bayern, der von einem Unionsministerpräsidenten geführt wird, einnimmt; denn offensichtlich hat ja Bayern – ich weiß es nicht; vielleicht klären Sie mich auf – keine Probleme damit, auch Sachsen und Thüringen gleich „mit zu versorgen“? Wie ist dazu die Position des Freistaates Bayern und der anderen unionsregierten Länder?

Die Position, man könne von Bayern aus Thüringen und Sachsen sozusagen mit erledigen, ist ein Vorschlag von Schleswig-Holstein. Das ist nicht die Position der Bayerischen Staatsregierung. Im Übrigen hat sich Bayern auch auf unsere Nachfrage hin zusammen mit dem dortigen Wirtschaftsminister noch im Sommer – das war die mir zuletzt bekannte Stellungnahme Bayerns – dafür ausgesprochen, dass Leipzig in Betracht gezogen werden soll.

Übrigens hat die letzte Bundesjustizministerin, die bis vorgestern im Amt war, ausdrücklich ihre Unterstützung für den Standort Leipzig signalisiert. Ich bin mal ge

spannt, was der neue Justizminister in Berlin zu diesem Thema zu sagen hat, meine Damen und Herren.

Wir jedenfalls sind in unserer Position klar, und das betrifft nicht nur die Sachsen, sondern auch die Thüringer, die Brandenburger, die Mecklenburg-Vorpommern und die Berliner. Das sollte man immer wieder deutlich sagen. Es geht hier nicht um die Frage, welcher Farbe im Osten die jeweiligen Protagonisten zuzuordnen sind, sondern das ist eine Auseinandersetzung, die leider von einer Seite offensichtlich als ganz klassische Ost-West-Auseinandersetzung geführt und bei der der Osten bewusst benachteiligt werden soll. Das Ganze wird auch noch parteipolitisch gekoppelt. Ich finde das nicht in Ordnung, meine Damen und Herren.

(Beifall des Abg. Marko Schiemann, CDU)

Ich finde es durchaus berechtigt, dass der Sächsische Landtag mit diesem Antrag noch einmal Flagge zeigt und seinen Willen zum Ausdruck bringt, einen – wie ich festgestellt habe – durchgängigen Willen des gesamten Sächsischen Landtages. Diesen Antrag kann ich im Auftrag der Staatsregierung ausdrücklich unterstützen.

(Beifall des Abg. Prof. Dr. Günther Schneider, CDU)

Auch wenn wir gegenwärtig noch keine endgültige Entscheidung haben, so können Sie versichert sein, dass sich diese Staatsregierung und dieser Staatsminister der Justiz mit Nachdruck und Eifer dafür einsetzen werden, dass diese Patentkammer nach Leipzig kommt. Leipzig als Rechtsstandort hat dies verdient.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Holger Mann, SPD, steht am Mikrofon.)

Eine Kurzintervention, Herr Mann?

Eine Kurzintervention, Frau Präsidentin; vielen Dank. – Da mich der Herr Staatsminister persönlich angesprochen hat, will ich noch einmal sagen: Sie haben Ihrem Berufsstand wieder alle Ehre gemacht. Ich habe hier nicht behauptet, dass die gesamte deutsche Sozialdemokratie hinter dem Standort Leipzig steht, sondern ich habe deutlich herausgestellt, dass es die ostdeutschen Sozialdemokraten sind, die in dieser Sache in einem Dissens zu den Kollegen in den alten Bundesländern stehen.

Das mag den einen verwundern. Die anderen werden sagen: Jeder nimmt die Interessen seines Landes wahr. Das nehmen Sie für sich ja auch in Anspruch. Deshalb finde ich es schwierig, dass Sie hier versuchen, einen Stachel hereinzutragen. Wenn Sie darauf verweisen, dass sich die Bundesjustizministerin deutlich für den Standort Leipzig ausgesprochen hat, dann will ich zumindest kurz aus einer Antwort vom Oktober zitieren, in der die Bundesjustizministerin zu dieser Frage geantwortet hat: „Die Bundesregierung wird zu gegebenem Zeitpunkt über die Standortfragen entscheiden. Dabei werden fachliche

Gesichtspunkte wie die Zahl der an den Gerichten der in Betracht kommenden Städte geführten patentgerichtlichen Verfahren und die dort vorhandene spezialisierte Anwaltschaft, aber auch die Meinungsbildung der Bundesländer eine wichtige Rolle spielen.“

(Dr. Johannes Müller, NPD, steht am Mikrofon.)

So liest sich für mich keine deutliche Unterstützung. Anhand der Kriterien, die wir zu debattieren haben, sind das auch nicht unbedingt Kriterien, die Sachsen helfen würden, deshalb mein sachlich durchaus deutlicher Beitrag hier im Plenum. In der Sache – ich betone es noch einmal – unterstützen wir den Antrag ausdrücklich.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Herr Minister, wollen Sie darauf antworten? – Nein. Herr Dr. Müller, eine Kurzintervention; bitte schön.

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Staatsminister, Sie sind zwar nicht direkt auf meine Frage von vorhin eingegangen und haben sich nicht zu den Kosten geäußert – was ich bedauere –, aber damit die Unterstützung ein recht klares und eindeutiges Votum wird, werden wir dem Antrag zustimmen.

Das Schlusswort ist noch offen. Wird es gewünscht? – Es wird nicht mehr

gewünscht. Damit kommen wir zur Abstimmung. Ich stelle die Drucksache 5/13305 zur Abstimmung. Wer seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Ich sehe Einstimmigkeit. Damit ist der Antrag einstimmig beschlossen und der Tagesordnungspunkt ist beendet.

(Beifall des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Ich darf darauf hinweisen, dass der Tagesordnungspunkt 9 durch die SPD-Fraktion für heute abgesetzt worden ist.

(Die Präsidentin berät sich mit dem Juristischen Dienst der Landtagsverwaltung.)

Entschuldigung, ich muss darüber abstimmen lassen. Es ist ein Antrag der SPD, diesen Tagesordnungspunkt abzusetzen. Da wir heute Morgen die Tagesordnung schon beschlossen haben, ist eine Abstimmung erforderlich. Wer der Absetzung des Tagesordnungspunktes 9 zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Eine Stimmenthaltung gibt es.

(Unruhe im Saal)

Es gibt eine Stimme dagegen und eine Stimmenthaltung. Die Absetzung ist damit mehrheitlich beschlossen.

Wir kommen zu

Tagesordnungspunkt 8

Antrag gemäß Artikel 74 Abs. 3 Satz 1 der Verfassung des Freistaates

Sachsen über einen Volksentscheid zur Änderung der Verfassung

Drucksache 5/13108, Antrag der Fraktion DIE LINKE

Auch hierzu können die Fraktionen wieder Stellung nehmen. Es beginnt die Fraktion DIE LINKE mit Frau Abg. Roth. Danach folgen die Fraktionen CDU, SPD, FDP, GRÜNE, NPD und die Staatsregierung, wenn sie es wünscht. – Bitte, Frau Abg. Roth.

Danke, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als im Sommer dieses Jahres hier im Hohen Haus die Sächsische Verfassung im Zusammenhang mit der sogenannten Schuldenbremse geändert wurde, erinnerte sich manche und mancher daran, dass Diskussionen über eine Verfassungsänderung schon seit über einem Jahrzehnt nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch in den Fraktionen und beim Präsidenten des Sächsischen Landtages geführt wurden.

Ich meine die Debatte zur Reform der Volksgesetzgebung. Ich meine die Lösung des Problems der viel zu hohen Hürden und bürokratischen Hindernisse, die den Erfolg eines Volksgesetzgebungsverfahrens in Sachsen fast unmöglich machen.

Dass dem so ist, beweist sehr klar die Statistik der Häufigkeit von Volksanträgen, Volksbegehren und Volksentscheiden im Freistaat. Ich komme später auf die Statistik zurück. Das Volk kann sein in der Verfassung garantiertes Recht auf Ausübung der gesetzgebenden Gewalt praktisch nicht anwenden. Nicht nur für mich ist das eine tiefe Kluft von Verfassungstext und Verfassungspraxis.

In der Sächsischen Verfassung vom 27. Mai 1992 sind Parlament und Volk bewusst als gleichberechtigte Träger der gesetzgebenden Gewalt genannt, die ohnehin vom Volk ausgeht. – So Artikel 3 Abs. 1 Satz 1.

Ich kann die Parlamentarier nicht verstehen, die der direkten Demokratie mit Ängstlichkeit begegnen, weil diese die parlamentarische Demokratie aushöhlen und untergraben könnte. Die Praxis nicht nur in Europa, sondern auch in den USA zeigt doch, dass direkte Demokratie die parlamentarische ergänzt, vervollkommnet und belebt.

Meine Damen und Herren, es spricht nicht für eine gute demokratische Verfasstheit des Freistaates Sachsen, wenn er im „Volksentscheid-Ranking 2013“ von Mehr Demokratie! im Vergleich zu den anderen Bundesländern kontinuierlich fällt: vom dritten Platz im Jahre 2003 über den fünften/sechsten Platz im Jahre 2007 auf den siebten Platz im Jahre 2010. Die aktuelle Studie von 2013 zeigt, dass Sachsen auf Platz 8 rutschte, mit der Note 3,65, also gerade einmal „ausreichend“. Das sollte uns zu denken geben, wir müssen handeln.

Das Handeln beim Verfassungsgegenstand Volksgesetzgebung hat die CDU/FDP-Mehrheit bei der ersten Änderung der Sächsischen Verfassung in diesem Jahr bewusst verhindert. In den Absprachen der Fraktionen versteiften sie sich nur auf die Schuldenbremse und verweigerten sich strikt anderen Themen. Es ist aber höchste Zeit, dass das Volk eine echte Chance bekommt, gleichberechtigt neben dem Parlament Gesetze zu beschließen. Es ist höchste Zeit, dass das Volk seine Rechte auch anwenden kann.

Mit konkreten Zahlen, mit der Statistik zu der sächsischen Verfassungspraxis werde ich beweisen, dass die Hürden für die Volksgesetzgebung so hoch gesetzt sind, dass sie praktisch nicht überwindbar waren. Von Juli 1992 bis Oktober 2001 gab es in Sachsen acht Volksanträge, die das Unterschriftenquorum erreichten. Drei davon wurden wegen formaler Fehler nicht angenommen. Ein Volksantrag wurde nicht zum Volksbegehren weitergeführt, das war der Volksantrag von „BISS“.

Das bedeutet, dass überhaupt nur vier Volksbegehren im Freistaat durchgeführt wurden. Drei von den vier Volksbegehren scheiterten wegen Nichterfüllung des Quorums. Ein einziger Volksentscheid konnte in all den zurückliegenden Jahren stattfinden – ein Volksentscheid in 21 Jahren!

Meine Damen und Herren, seit 2001 gibt es keinen Volksantrag mehr. Über zwölf Jahre sind vergangen, ohne dass ein weiterer Volksantrag vorgelegt wurde. Das ist eine traurige Bilanz. Sie belegt die Chancenungleichheit von parlamentarischer und direkter Demokratie.

Ich kann deshalb nur noch einmal wiederholen: Es ist höchste Zeit, dass das Volk eine echte Chance bekommt, gleichberechtigt – ebenso wie das Parlament – Gesetze zu beschließen.