Protokoll der Sitzung vom 10.03.2010

(Beifall bei der Linksfraktion)

Wir stehen nicht allein. Es gibt genügend Lehrerinnen und Lehrer, Eltern und auch Schüler im Freistaat, die sich das nicht gefallen lassen werden.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Das war die einbringende Fraktion, Frau Abg. Falken. Wir kommen jetzt in der weiteren Reihenfolge zur CDU-Fraktion. Herr Kollege Rohwer wird sprechen; bitte.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Überschrift dieser Debatte müsste eigentlich lauten: „Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.“

(Zurufe von der Linksfraktion: Oh!)

Wir haben bereits einen Tarifvertrag mit Verlängerungen im Grundschulbereich erlebt. Hier sind wir bereits den Weg gegangen, über eine Lehrerbefragung Informationen zu erhalten, wie viele Kollegen in Teilzeit bleiben und wie viele in Vollzeit zurückkehren wollen. Es ist heute ebenfalls schon angesprochen worden, dass wir im Bereich der Mittelschulen und Gymnasien dem Bezirkstarifvertrag noch nicht wieder in die Vollzeit zurückkehren können. Die Gründe liegen in der Demografie und natürlich in den Haushaltssparzwängen.

Der Lehrerberuf soll wieder ein Vollzeitberuf werden. So hat es auch mein Fraktionsvorsitzender Steffen Flath an diesem Pult schon ausgesprochen. Aber wir können es jetzt noch nicht schaffen. Wir müssen mit den knappen Ressourcen haushalten. Deswegen ist es richtig, dass die Regierung besonnen und verantwortungsvoll agiert, indem sie alle Möglichkeiten auslotet. Im Moment befindet sie sich in Sondierungsgesprächen. Jeder hier im Hause kennt die wirtschaftliche und finanzielle Lage. Deshalb wäre es fehl am Platze, nichts zu tun, und unvernünftig handeln ist ebenfalls fehl am Platze.

Frau Dr. Stange hat vorhin ihre Sicht auf die Dinge dargelegt. Einen wichtigen Punkt haben Sie vergessen, sehr geehrte Frau Kollegin, nämlich die Demografie. Die Demografie habe ich gerade auch bei Frau Falken vermisst, da sie nur vom Lehrerabbau gesprochen hat. Wir müssen das Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern in einer Schule im Verhältnis halten. Wir können nicht nur eine Seite, sondern wir müssen beide Seiten betrachten. So ist es oft in der Politik, dass wir gegensätzliche Pole haben: Alt gegen Jung, zu viele Lehrer gegen zu wenige Schüler oder, oder, oder. Deswegen ist es richtig, dass wir im Moment in Sondierungsgesprächen sind, und wir sollten diese abwarten.

Einen weiteren Punkt, der meiner Fraktion wichtig erscheint, möchte ich ansprechen – Thomas Colditz hat bereits darauf hingewiesen: Wir brauchen auch neue junge Lehrer. Das bedeutet, wir brauchen einen Einstellungskorridor. Wenn wir jetzt nur so weitermachen, indem wir 1 000 Stellen mehr benötigen und den Bezirkstarifvertrag auslaufen lassen, bekommen wir keinen einzigen jungen Lehrer ins Schulsystem. Deswegen ist es auch aus dieser Sicht wichtig, jetzt darüber zu sprechen; denn langfristig werden wir den Lehrerbedarf im Freistaat Sachsen nur sichern können, wenn wir jetzt jungen Leuten die Möglichkeit geben, ins Schulwesen einzusteigen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Natürlich handeln die Gewerkschaften zuallererst für ihre jetzigen Mitglieder. Ich denke, wir alle miteinander haben eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung – die Ge

werkschaften genauso wie wir im Hohen Hause –, der wir uns nicht entziehen können. Deswegen muss es möglich sein, diese Gespräche zu führen. Ich finde, dass wir eine sehr sachliche, ausgewogene Debatte geführt haben, und in diesem Sinne sollten die Gespräche weitergeführt werden. Von „Versprochen – gebrochen?“ kann keine Rede sein. Wir sind lediglich dabei, die Verhältnisse an die Gegebenheiten anzupassen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Das war Kollege Rohwer für die CDU-Fraktion. – Als Nächstes rufe ich für die SPD-Fraktion Frau Dr. Stange auf.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Rohwer, gesamtgesellschaftliche Verantwortung bedeutet aber auch gesamtgesellschaftliche Verantwortung und nicht nur Verantwortung der Lehrerinnen und Lehrer oder gar der Gewerkschaften allein. Insofern erwarte ich schon, dass wir nach 18 Jahren endlich Klarheit darüber schaffen, dass es sich um einen Vollzeitberuf und nicht um einen Teilzeitberuf handelt. Ich betone noch einmal: Es gibt keine Berufsgruppe, die bundesweit so lange auf einen Vollzeitjob wartet wie die Lehrerinnen und Lehrer in Sachsen. Das bedeutet für mich gesamtgesellschaftliche Verantwortung.

Ich will einen Punkt anfügen, der hier noch keine Rolle gespielt hat. Wir haben heute nicht zu viele, sondern zu wenige Lehrkräfte an den Schulen. Auch an den Mittelschulen, aber vor allem wenn wir uns die Besetzung an den berufsbildenden Schulen und an den Förderschulen ansehen, haben wir heute nach der Statistik des Kultusministeriums in Dresden und Leipzig gar keinen Ergänzungsbereich mehr. Das heißt, bei ausfallenden Lehrkräften gibt es keinen Ersatz, weder an den Förderschulen noch an den Berufsschulen. Wer mir unter diesen Bedingungen erklären will, wie er Kündigungen bei Lehrerinnen und Lehrern durchsetzen will, soll mir diese Quadratur zeigen, Herr Unland. Ich hoffe, dass diese Drohungen bald aus dem Raum sind, denn das ist nicht motivierend für die Kolleginnen und Kollegen, die in die Verhandlungen gehen sollen.

(Beifall bei der SPD und der Linksfraktion)

Das war Frau Kollegin Dr. Stange für die SPD-Fraktion.

Gibt es jetzt von den Fraktionen weitere Wortmeldungen? – Bitte, Frau Kollegin Falken von der Linksfraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Ich habe noch sieben Minuten. Das ist viel Zeit.

Herr Rohwer, von der Verantwortung der Gewerkschaften und Verbände zu sprechen finde ich eigentlich fast schon unverschämt. Die Gewerkschaften und Verbände haben

über diese lange Zeit von 18 Jahren so viel Verantwortung bewiesen und ihre Beschäftigten dazu gebracht, diese Tarifverträge anzuerkennen, dass es eine Leistung ist, die man einmal entsprechend würdigen sollte.

(Beifall bei der Linksfraktion und der SPD)

Eine Würdigung wäre für mich nicht, dass man sich hier hinstellt und sich bei ihnen bedankt, sondern dass man jetzt endlich mal sagt: Die Befragung hat ergeben, dass bei den Mittelschul- und Gymnasiallehrern 49 % der Beschäftigten von sich aus darauf verzichten, in Vollzeit zu arbeiten, obwohl sie eigentlich Vollzeit arbeiten könnten. Da könnte doch der Freistaat mal sagen: Ganz toll, sie können in dem Arbeitsvolumen arbeiten, das sie sich vorstellen. Das wäre aus meiner Sicht ein Dankeschön an die Gewerkschaften und Verbände für ihre Mitarbeit an Tarifverträgen und Vereinbarungen, und es wäre ein klares, sichtbares Zeichen für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst, dass eine Vertrauensbasis existiert. Nach meiner Auffassung ist 49 % eine extrem hohe Zahl von Beschäftigten, die sagen, wir wollen weiter in Teilzeit arbeiten.

Frau Stange hat es schon gesagt und ich will es wiederholen: Die Äußerungen des Finanzministers, der jetzt mit Änderungskündigungen droht, wenn es keine Verlängerung des Tarifvertrages oder einen neuen gibt, ist die absolute Katastrophe, nicht nur von der moralischen Seite her oder bezogen auf die Motivation von Lehrern, sondern vor allem bezogen auf die Neueinstellungen. Wenn Sie die erste Kündigung ausgesprochen haben, werden Sie im Freistaat Sachsen gar keinen Lehrer mehr einstellen können. Dann wird es im Freistaat Sachsen keine Neueinstellungen mehr geben. Sie können das natürlich tun, aber die Klageverfahren, die dann auf Sie zurollen, werden viel teurer, als wenn Sie 978 Stellen zusätzlich besetzen. Dass wir Bedarf an den Schulen haben, ist nicht strittig. Ich weiß nicht, an welche Schulen Sie gehen, wenn Sie mit den Lehrerinnen und Lehrern, Eltern und Schülern sprechen, wo alles hervorragend funktioniert. Ich erlebe das ganz, ganz selten einmal.

Ich wollte noch einmal deutlich machen, auch für die Kolleginnen und Kollegen der CDU-Fraktion: Wenn das passiert, haben wir gar keine Neueinstellungen, und das kann ja wohl nicht Ihr Ziel sein!

(Beifall bei der Linksfraktion)

Für die Fraktion DIE LINKE sprach Frau Falken. – Gibt es aus den Fraktionen weitere Wortmeldungen? – Das ist nicht der Fall. Somit hat die Staatsregierung das Wort. Bitte, Herr Staatsminister Prof. Wöller.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Diskussion über Schule und Bildungspolitik kann nicht geführt werden, ohne zugleich auf die Demografie einzugehen.

(Stöhnen bei der Linksfraktion.)

Das Hohe Haus hat schon mehrere Male über Demografie diskutiert, ja mehr noch, eine Demografiekommission eingesetzt genauso wie die Sächsische Staatsregierung, die im Ergebnis zum gleichen Resultat gekommen sind. Wenn wir über Demografie reden, ist das abstrakt. Demografie ist aber auch persönlich. Über Demografie zu sprechen ist nicht nur allgemein, sondern es ist konkret. Über Demografie zu entscheiden heißt nicht nur, über eine ferne Zukunft zu diskutieren, sondern diese Zukunft hat begonnen, sie ist Gegenwart.

In wohl kaum einem anderen Politikbereich in diesem Land spielt Demografie eine so herausragende Rolle wie für den Bildungsbereich. Bei Demografie im Bildungsbereich reden wir über eine zwanzigjährige Vergangenheit. Nehmen wir die Schule. Sie ist eine Veranstaltung in allererster Linie für Schüler. Wir müssen uns darüber unterhalten, wie sich die Schülerzahlen in der Vergangenheit entwickelt haben. Anfang der Neunzigerjahre betrug die Schülerzahl noch etwa 760 000, heute beträgt sie etwa 390 000. Wir haben also nahezu eine Halbierung der Schülerzahlen mit allen Konsequenzen, die wir in der Vergangenheit schon diskutiert haben, und mit allen schmerzhaften Einschnitten, beispielsweise was das Schulnetz betrifft.

Lassen Sie eine Zwischenfrage zu, Herr Staatsminister?

Bitte sehr.

Herr Wöller, stimmen Sie mir zu, dass sich die Stellenzahl bei den Lehrkräften seit 1990 ebenfalls halbiert hat?

(Volker Bandmann, CDU: Das wollte er gerade darstellen!)

Frau Kollegin Dr. Stange, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, dass die Zahl der Stellen im Haushalt nicht mit der Zahl der Lehrer identisch ist, die an unseren Schulen beschäftigt sind. Sie können mir sicherlich zustimmen, wenn ich sage: Entscheidend ist das Arbeitsvermögen, also das, was zur Absicherung des Stundenplanes zur Verfügung steht. Insofern ist die Diskussion über Stellen nur bedingt hilfreich, wenn es darum geht, wie sich die Situation an den Schulen darstellt.

Meine Damen und Herren, der Rückgang der Schülerzahlen hat Konsequenzen. Aber wenn wir über Stellenzahlen reden, muss man deutlich sagen, dass wir weniger Lehrerarbeitsvermögen abgebaut haben, als es dem Rückgang der Schülerzahlen entsprochen hat. Wir haben klug gehandelt – auch dank des Sächsischen Landtages. Wir haben in die Qualität investiert. Sonst stünden wir nicht da, wo wir jetzt stehen.

Meine Damen und Herren, ein großes Ziel, welches bislang erreicht werden konnte und weiterhin wichtig ist, ist die Beschäftigungssicherung derer, die an unseren Schulen unterrichten. Das ist ein großes Ziel, das wir gemeinsam erreicht haben. Das ist in der Debatte, die sachlich war und wofür ich mich ausdrücklich bedanke, zum Ausdruck gekommen. Dieses Ziel wäre ohne die Solidarität der Lehrer, deren Stundenzahl teilweise – ich spreche gleichwohl den Grundschulbereich an – auf 57 % heruntergegangen und mit einschneidendem persönlichem Verzicht verbunden ist, nicht möglich gewesen. Dafür möchte ich mich heute noch einmal herzlich bedanken.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Zur Vollzeitperspektive kann ich sagen: Wir haben sie noch nicht erreicht, sie ist aber auf jeden Fall im Bereich der Grundschule vorhanden. Das ist ein hohes Gut. Das ist ein klarer Schritt, den wir auch mit diesem Doppelhaushalt unternommen haben. Meinen herzlichen Dank dafür.

Meine Damen und Herren, wir haben dafür einen Preis zu entrichten. Dieser Preis wird jetzt fällig und muss bezahlt werden. Der Preis dafür ist, dass wir vielen jungen und gut ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern, die sehr gerne in unseren Schuldienst übernommen worden wären, diese Möglichkeit nicht geben konnten. Diese jungen Menschen haben sich teilweise in anderen Bundesländern eine Beschäftigung gesucht. Wir wissen alle – der Lehrerbereich macht auch keine Ausnahme –: Wenn sie einmal woanders heimisch geworden sind, kommen sie in den seltensten Fällen zurück. Wir haben einen Aderlass zu verzeichnen. Das ist der Preis, der bezahlt werden musste.

Meine Damen und Herren, sehen Sie mir bitte nach, dass sich der Kultusminister Sorgen darüber macht, wie es in Zukunft mit jungen Lehrern in diesem Lande weitergeht. Wir haben einen Paradigmenwechsel. Während wir in der Vergangenheit darüber diskutiert haben, wie wir Beschäftigung sichern, müssen wir uns mit Blick auf die Zukunft darüber unterhalten, wie es uns gemeinsam gelingt, den zukünftigen Lehrerbedarf zu sichern. Wir müssen eine Möglichkeit für junge Lehrer schaffen, in den Schuldienst zu kommen. Darum geht es.

Der Bezirkstarifvertrag, der am 31.07.2010 ausläuft, steht in Rede. Wir haben, wenn nichts passiert, auf einen Schlag 2 004 Stellen mehr zur Verfügung.

Lassen Sie eine Zwischenfrage zu, Herr Staatsminister?

Bitte schön, Frau Kollegin Giegengack.

Herr Prof. Wöller, ich würde gern wissen: Wie viele Jahre im Voraus können Sie in Ihrem Ministerium seriös den Lehrerbedarf in unserem Schulsystem planen?