Protokoll der Sitzung vom 19.06.2014

Dass es kein abgeschlossener Prozess ist, können wir auch an der aktuellen Diskussion um das Ob und Wieviel der Anrechnung der psychiatrischen Institutsambulanzen ablesen, die zur vertragsärztlichen Tätigkeit ermächtigt sind. Erst gestern hat die „Freie Presse“ darüber berichtet. Es ist gut, dass sich der unparteiische Vorsitzende, Josef Hecken, zur bundesweit geäußerten Kritik ausführlich zu Wort gemeldet hat. In seinem Brief an die Bundespsychotherapeutenkammer hat er ausführlich erläutert: Die Vertreter der Leistungserbringer und der Kostenträger sowie die mitberatenden Patientenvertreter und die Ländervertreter haben eine gerechte und vor allem passende Lösung gefunden. Das war wirklich kompliziert und auch anstrengend; denn hier geht es um Menschen, um Patientinnen und Patienten, die letzten Endes diese Konsultationen, auch diese Therapien brauchen. Wir können das aus unserer mitberatenden Sicht nur bestätigen.

Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, eine neue Bedarfsplanung bringt noch keine neuen Ärztinnen und Ärzte in die Städte und in unsere ländlichen Regionen. Allein die Feststellung, wo noch Niederlassungsmöglichkeiten sind, reicht nicht aus, um vermeintlich unattraktive Gebiete aufzuwerten. Hier stehen wir gemeinsam mit den Verantwortlichen im Gesundheitswesen und den Kommunen vor Ort vor der Aufgabe, die Anreize richtig zu setzen. Wir alle sind gefordert, entsprechende Anreize zu entwickeln, zu kommunizieren und auch umzusetzen – und das ist das Gegenteil einer Bankrotterklärung.

Hierzu gibt es in Sachsen bereits umfangreiche Aktivitäten in Form von Förderungen, um Ärzte für eine Niederlassung in weniger gut versorgten Gebieten zu gewinnen. Besonders das Interesse der Medizinstudenten für eine spätere Berufstätigkeit in den ländlichen Regionen in Sachsen muss frühzeitig geweckt werden. Sie müssen frühzeitig das Signal bekommen, dass sie dort gebraucht werden und auch willkommen sind. Dabei geht es nicht nur um den spezifischen Beruf, sondern auch um das ganze Umfeld einer Familie, die sich dort niederlässt: Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Freizeit, Kultur und vieles andere mehr.

Sachsen hat hier frühzeitig Maßnahmen ergriffen, und wir waren auch oftmals Vorreiter mit unseren Projekten. Ich nenne hier immer wieder gern unser neues Programm „Ausbildungsbeihilfe“. Seit dem 1. Oktober können sich jährlich jeweils 20 Medizinstudenten vertraglich verpflichten, nach ihrem Studium eine Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin zu absolvieren und für mindestens sechs Jahre im ländlichen Raum tätig zu werden. Im Gegenzug erhalten diese Studenten eine monatliche Beihilfe von 1 000 Euro, und zwar für die gesamte Studienzeit. Das heißt, für die ländlichen Regionen in Sachsen haben wir damit schon 20 Nachfolger für Hausarztpraxen gewonnen, und wir werden das Programm im nächsten Studienjahr für weitere 20 Studenten fortsetzen.

Mit der Vorgängerstudienbeihilfe haben wir seit 2008 50 zukünftige Hausärzte gewinnen können. Die ersten befinden sich bereits in der Weiterbildung. Wir hätten es auch nicht machen müssen. Andere haben gewartet. Wir haben es getan. Wir gehen die Schritte, und weitere werden folgen.

Wir setzen auf das erfolgreiche Zusammenwirken aller Mitglieder im Netzwerk „Ärzte für Sachsen“, die gemeinsam durch die Mitglieder des Netzwerkes initiierten zahlreichen Maßnahmen. Auch die Filme „Ärzte in Sachsen“, „Hausarzt in Sachsen“ sowie „Facharzt in Sachsen“ sollen unterstützend wirken.

Frau Staatsministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ja, bitte.

Frau Giegengack, bitte.

Vielen Dank. Frau Staatsministerin, über diese Maßnahmen haben wir schon häufig gesprochen, wo der Freistaat auch sehr aktiv ist zu werben, Programme auflegt usw. Wie sehen Sie das? Ist das tatsächliche Problem der Nachwuchs selbst oder vielmehr die Problematik, dass wir zum Teil keine freien Arztsitze haben? Wenn ich mir einmal ein Planblatt dieser Bedarfsplanung nehme und den Versorgungsgrad bei den Hautärzten anschaue, nur allein im Bereich des Planungsbezirkes Chemnitz: Wir haben überall weit über 100 % Versorgungsgrad, bis zu 150, 160 %. Das heißt, selbst

wenn Stellen frei werden – ich nehme jetzt auch das Beispiel von Annaberg, die Ärztin, die nur noch privat behandelt –, wird nicht nachbesetzt, weil der Versorgungsgrad so hoch ist. Ist da nicht eher das Problem, dass wir, selbst wenn wir Ärzte hätten, die dort nicht hinschicken können, weil sie keinen Arztsitz bekommen, weil die Planungsbereiche dicht sind?

Alle Programme, die wir mit Studienbeihilfe fördern, beziehen sich auf die Hausärzte und nicht auf die anderen Fachärzte. Wir sind dabei, sektorenübergreifend mit unseren Kliniken neue Konzepte zu erarbeiten. Das haben wir auch im aktuellen Koalitionsvertrag mit aufgenommen. Aber unterstützt werden Allgemeinmediziner und Hausärzte. Dort setzen die Studienprogramme an und bei den anderen Fachrichtungen nicht.

Ich möchte das trotzdem noch einmal nennen, zum Beispiel das Programm der KVS aus ihrem Strukturfonds, das hier auch aufgenommen wurde: „Bienvenido in Sachsen“ – dort war ich auch vor Ort – oder die spanischen Ärzte, um sie in den ländlichen Raum zu holen: „Studieren in Europa“. Ich betone es gern, weil hier auch so viele Gäste sind, weil uns das ein Anliegen ist, das uns umtreibt, aber auch antreibt.

Was das Landesgremium 90a anbelangt: Im Freistaat Sachsen arbeitet es bereits. Zurzeit befasst es sich mit einer Gesamtschau der Notfallversorgung. Wir haben dazu eigens eine Arbeitsgruppe Datenstruktur beauftragt, die von Ihnen, Frau Abg. Neukirch, angesprochene Datenflut mit regionalem Bezug durchschaubarer zu machen. Nur so kann das Landesgremium letzten Endes auch Empfehlungen erarbeiten. – Ich sehe Sie gerade nicht, Frau Kollegin. Okay, dann kann sie es im Protokoll gern nachlesen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mir ist es wichtig, unseren Patientinnen und Patienten trotz der Herausforderungen – vor allem außerhalb der großen Städte Sachsens – die Sicherheit zu geben, ganz gleich, ob sie in der Stadt oder im ländlichen Raum leben, dass sie gut betreut, sicher gepflegt und ärztlich wohlversorgt werden. Das ist unsere Verantwortung, und dieser stellen wir uns, gerade im letzten Herbst bei den Koalitionsverhandlungen, bei denen auch das Wartezeitenmanagement explizit aufgenommen wurde.

Frau Kollegin Giegengack, zu dem, was Sie mit Ihrer Hautärztin ansprachen, bei der Sie keinen Termin bekommen, weil sie zu viel privat behandelt: Wir haben die Rechtsaufsicht. Der Sache werden wir nachgehen, und Sie bekommen Informationen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der Staatsregierung)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ihnen liegt als Drucksache 5/14665 ein Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE vor.

Den beraten wir jetzt und bringen ihn zur Abstimmung. Frau Abg. Lauterbach, Sie möchten ihn noch einbringen und haben dazu jetzt die Gelegenheit. Bitte, Sie haben das Wort.

Danke, Herr Präsident. Vielen Dank für die sachliche Debatte hier am Donnerstagnachmittag. Sie war sehr weiblich geprägt. Ich muss es einmal so sagen: Der Demografiefaktor, Frau Clauß, muss sicherlich auf Bundesebene noch einmal besprochen werden. Er ist jetzt im Interesse der Städte und nicht im Interesse des ländlichen Raumes. Der erscheint zurzeit sehr kontraproduktiv. Dort läuft irgendetwas schief.

(Staatsministerin Christine Clauß: Das haben wir doch gerade angesprochen!)

Dort müssen wir noch etwas tun.

Das Empfinden der Menschen in Sachsen ist ein anderes, als die Statistik zeigt. Wenn ich einen Termin beim Orthopäden brauche und im nächsten Dreivierteljahr keinen bekomme, ist mir die gute Statistik der Orthopäden natürlich nicht sehr hilfreich.

Nun zum Entschließungsantrag. Wir haben einige Feststellungen getroffen, auf die ich in meiner Rede bereits eingegangen bin. Wir fordern die Staatsregierung auf, ihre Verantwortung für die gesundheitliche Daseinsvorsorge umfassend wahrzunehmen. Auch wenn die KV den Auftrag hat, müssen wir trotzdem als Regierung hier immer wachsam sein.

Es fehlt meiner Ansicht nach an einer Gesamtkonzeption: Wo wollen wir hin? Was ist im Moment da, um die integrierte Versorgung mit einer hohen Qualität auch weiterhin zu sichern und dem zunehmenden Ärztemangel im ländlichen Raum offensiv zu begegnen? Fördermaßnahmen müssen evaluiert werden. Es sind viele Fördermaßnahmen da, die Frage ist jedoch, wie diese angenommen werden. Außerdem müssen sie in der nächsten Haushaltsdiskussion Berücksichtigung finden. In der Haushaltsplanung 2015/2016 müssen auch die Investitionen im Bereich der Krankenhäuser und die Mittel für die Universitätskliniken Dresden und Leipzig viel mehr Berücksichtigung finden, denn auch hier wird sehr viel ambulante Versorgung geleistet.

Nicht zuletzt muss die Finanzierung dieser Aufgaben auf breite Schultern verteilt werden. Das heißt, eine paritätische Finanzierung und nicht eine Mehrbelastung der Versicherten muss hier festgeschrieben werden, so wie Frau Neukirch das schon andeutete: Eine Bürgerversicherung muss her! Das ist natürlich in Berlin zu klären.

Damit ist mein Entschließungsantrag eingebracht und ich bitte um Zustimmung.

(Beifall bei den LINKEN)

Vielen Dank, Frau Lauterbach. Meine Damen und Herren, gibt es hierzu

Wortmeldungen? – Frau Strempel, bitte. Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Frau Lauterbach, jetzt haben Sie es moderat ausgedrückt. Trotzdem möchte ich meinen Kollegen nochmals den Hinweis geben, dass der Entschließungsantrag einige Dinge enthält, die meiner Worte bedürfen.

Mit Ihrem Entschließungsantrag ein nachhaltig gestörtes Arzt-Patienten-Verhältnis zu dokumentieren, halte ich für eine wirklich völlig falsche Formulierung, die nicht gerechtfertigt ist und die der tatsächlichen Situation widerspricht. Es gibt keine Berufsgruppe, die höher angesehen ist als die der Ärzte. So etwas in einen Antrag zu schreiben halte ich schlichtweg für nicht angebracht.

Außerdem ist Ihr Entschließungsantrag nicht notwendig. Sie schreiben, die Staatsregierung wirke nicht ernsthaft dagegen. Welche Aussagen wollen Sie denn noch hören, wenn nicht die heute von der Staatsministerin, was in den letzten Jahren alles schon geleistet wurde? Sachsen war das allererste Land, das auf die Problematik der demografischen Entwicklung und die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung hingewiesen hat. Es war auch das allererste Land, das darauf reagiert hat. Viele andere Bundesländer weisen auf Sachsen hin und sagen: So, wie ihr es angepackt habt, möchten wir es auch tun. Selbst unser 20-Punkte-Programm, das beschlossen wurde, dient als gutes Beispiel in Berlin.

Ich möchte noch zwei Dinge nennen. Das Erste ist die Berufsausübungsfreiheit. Die haben wir uns gewünscht und jetzt gibt es sie. Deshalb kann man Ärzte und Medizinstudenten auch nicht zwingen, dorthin zu gehen, wo wir sie eigentlich brauchen. Wenn Sie selber schreiben – und Sie machen sich deshalb auch Sorgen –, dass 55 % der Absolventen Sachsen verlassen und nicht dort ankommen, wo wir sie haben wollen, nämlich am Patienten, dann ist das eine Entscheidung der Studenten, der Absolventen. Richtig ist, dass die Staatsregierung mit allen verantwortlichen Gremien schon Maßnahmen ergreift, um den Beruf Arzt so zu dokumentieren und so zu untersetzen, dass er attraktiv ist. In welchem anderen Beruf passiert denn das auf diese Weise? Welcher andere Beruf wird so unterstützt?

Also, ich muss für unsere Fraktion ganz klar sagen: Die Aktivitäten bedürfen nicht Ihres Entschließungsantrags. Sie sind seit Jahren nachweisbar. Die Staatsregierung und die Fraktion werden weiterhin die erforderlichen Maßnahmen ergreifen und auch evaluieren, damit die medizinische Sicherstellung hier in Sachsen erfolgt. Deshalb brauchen wir Ihren Entschließungsantrag nicht.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, die zweite Wortmeldung: Frau Jonas.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kollegen Abgeordneten! Ich möchte eines ganz klar und deutlich machen: Für unsere Fraktion gilt,

dass wir immer auf den niedergelassenen freiberuflichen Arzt als das Versorgungselement im ambulanten Bereich setzen, aber dass der Begriff der Versorgungssicherheit natürlich auch auf alle weiteren Formen ausgeweitet werden muss.

Was den Entschließungsantrag anbelangt, so ist auch aus unserer Sicht eine Erhöhung der Studentenzahlen nicht zielführend, weil wir eben nicht gewährleisten können, dass bei höheren Zahlen alle in Sachsen bleiben und die Versorgung in den Strukturen gewährleisten und aufnehmen. Die in dem Entschließungsantrag aufgemachten Forderungen tangieren massiv die Selbstverwaltung mit den verschiedenen Strukturen und den Zuständigkeiten, die gerade auch in Berlin so verschieden sind. Deswegen ist es aus unserer Sicht für uns heute notwendig, den Antrag abzulehnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Das war Frau Jonas. Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht.

Meine Damen und Herren, ich lasse abstimmen über die Drucksache 5/14665. Wer zustimmen möchte, zeige das jetzt bitte an. – Wer ist dagegen? – Will sich jemand enthalten? – Bei zahlreichen Stimmenthaltungen und Stimmen dafür hat die Drucksache dennoch nicht die erforderliche Mehrheit gefunden.

Meine Damen und Herren, die Behandlung der Großen Anfrage ist abgeschlossen und der Tagesordnungspunkt damit beendet.

Wir kommen zum

Tagesordnungspunkt 5

Tourismusstrategie 2020 – Zwischenbilanz und Ausblick

Drucksache 5/14385, Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP,

mit Stellungnahme der Staatsregierung