Protokoll der Sitzung vom 12.03.2015

Über eine Neufassung des Artikels 72 soll viertens künftig geregelt werden, dass über ein vom Landtag bereits beschlossenes Gesetz durch Volksentscheid abzustimmen ist, wenn der Landtag dies auf Antrag von einem Drittel seiner Mitglieder oder mit Mehrheit der Abgeordneten beschließt.

So viel sage ich dazu vonseiten unserer Fraktion. Dies setzt nun Frau Jähnigen fort.

(Beifall bei den LINKEN und der AfD)

Frau Jähnigen, bitte.

Verehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Zu oft hören wir von Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land, dass die Politik, die „oben“ im Landtag gemacht wird, sie nichts angehe und an ihnen vorbei gehe. Wir möchten mit dem Gesetzentwurf natürlich auch zeigen, welche Möglichkeiten es bereits jetzt in der Sächsischen Verfassung gibt. Die Leute können und sollen die Möglichkeiten der direkten Demokratie nutzen. Deshalb möchten wir die Hürden senken.

Eine Einmischung von unten, nicht nur bei Wahlen, sondern eben auch bei der Gesetzgebung ist uns wichtig. Die direkte Demokratie ist gerade im 21. Jahrhundert eine Säule der Demokratie. Wir brauchen auch eine starke Volksvertretung, staatliche Transparenz und gute Bürgerbeteiligung, um die Zivilgesellschaft gerade vor Ort zu stärken. Mit Blick auf die regionale Demokratie sind das Punkte, die wir in Sachsen besonders brauchen. Es ist noch viel zu tun, damit wir das haben.

Dies ist ein erster wichtiger Schritt. Umso wichtiger ist es, dass wir ihn angehen. Die Mütter und Väter unserer Sächsischen Verfassung haben sich im Jahr 1992 klar für diesen Weg der direkten Demokratie entschieden. Sie konnten damals aber noch nicht wissen, dass sich durch die Bevölkerungsverluste Sachsens das 10-%-Quorum nun langsam auf 12 % zubewegt. Sie wussten auch noch nicht, dass 25 Jahre später der Trend zu einstelligen Unterschriftenquoren geht. Alle Länder, die sich modernere Verfassungen geben und die Volksgesetzgebung noch einmal neu betrachten, senken die Quoren. Es gibt Länder, beispielsweise Schleswig-Holstein, Berlin oder Brandenburg, mit Quoren in Höhe von 4 oder 5 %. Die Anzahl der Länder mit zweistelligen Quoren sinkt ab. Wenn wir die Verfassung anfassen und modernisieren, handeln wir im Sinne derjenigen, die sie 1992 gemacht haben. Wir tun etwas Gutes für Sachsen, wenn wir Sachsen zu einer Vorreiterregion für Demokratie und Bürgerbeteiligung machen. Das ist dringend nötig.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir möchten zu diesem Gesetzentwurf eine Anhörung beantragen. Wir möchten uns Zeit zu seiner Beratung nehmen. Wir meinen, dass wir dieses Thema genau im Sinne Ihres Koalitionsvertrags gestellt haben, in welchem Sie unter dem Thema Politikstil selbst sagen, dass Politik von Mitwirkung lebt. Deshalb ist die direkte Demokratie wichtig. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und der CDU, haben sich vorgenommen, die Möglichkeiten der direkten Demokratie zu prüfen. Genau in diesem Sinne haben wir Ihnen als GRÜNE-Fraktion bei einem der ersten Kontakte nach der Konstitution das Gespräch angeboten. Herr Kupfer hat als Fraktionsvorsitzender der CDU zurückgeschrieben, dass er dies nicht für notwendig hält. Herr Kupfer, wir halten unser Angebot ausdrücklich aufrecht, ergebnisoffen darüber zu sprechen.

Jede Verbesserung dient der Demokratie. Wir glauben, dass Demokratie keine Zeit hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, aber auch von der CDU, die anders als Herr Kupfer denken, ich glaube, dass Demo

kratie nicht auf die nächste Legislaturperiode des nächsten Sächsischen Landtages nach dem Jahr 2019 warten kann. Deshalb diskutieren Sie bitte unseren Entwurf. Machen Sie Gegenvorschläge. Lassen Sie uns die Möglichkeiten der direkten Demokratie und der politischen Einwirkung verbessern. Daher sage ich: auf eine gute Beratung.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Meine Damen und Herren! Das Präsidium schlägt Ihnen vor, den Entwurf Gesetz zur Stärkung der Demokratie im Freistaat Sachsen an den Verfassungs- und Rechtsausschuss zu überweisen. Wer diesem Vorschlag zustimmen möchte, hebt bitte die Hand. – Vielen Dank. Gibt es Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Damit ist das so beschlossen. Der Gesetzentwurf wird an den genannten Ausschuss überwiesen. Dieser Tagesordnungspunkt ist beendet.

Meine Damen und Herren! Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 5

1. Lesung des Entwurfs

Gesetz zur Einführung eines Gedenktages zum

Tag der Befreiung vom deutschen Faschismus am 8. Mai 1945

Drucksache 6/1094, Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE

Es liegt keine Empfehlung des Präsidiums vor, eine allgemeine Aussprache durchzuführen. Es spricht daher nur die Einreicherin, die Fraktion DIE LINKE. Für die Fraktion spricht der Abg. Sodann. Bitte.

Sehr verehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! „Der Tag, an dem das Unmögliche möglich wurde. Das ist der besagte Tag, Jungs. Er ist angebrochen für alle von Newburyport, USA, bis Wladiwostok, Sowjetunion.“ Die sich überschlagende Stimme des amerikanischen Soldaten schrie diese Worte in der Radiosendung des CBS in der Nacht des 8. Mai 1945. Das war der wichtige Tag, der überragende Tag, der Tag des Sieges in Europa.

Das Fest begann schon Ende April in den kleinen Städten und Dörfern an beiden Ufern der Elbe. Das Herz lenkte den Verstand der amerikanischen Soldaten, als sie ihren Befehl brachen und die ihnen als Patrouille zugewiesene Fünf-Meilen-Zone auf der Suche nach den Russen verließen. „Nie im Leben habe ich so viele Menschen geküsst“, erinnert sich der US-Soldat Ben Cashmere. „Wir tranken auf das Treffen. Gitarren wurden hervorgeholt. Die Russen sangen amerikanische Lieder. Mit uns feierten befreite Insassen eines Zwangsarbeiterlagers.“ Das war 1945.

Als am 8. Mai endlich die Waffen schwiegen, war die erschreckende Bilanz folgende: 60 bis 70 Millionen Tote. Sie sind auf den Schlachtfeldern, in Arbeitslagern, Luft

schutzbunkern und Gaskammern umgekommen. Sie wurden verfolgt, ermordet und vertrieben. Es gab unzählige tote Widerstandskämpfer, Sinti und Roma, Kommunisten, Christen, Katholiken, Sozialdemokraten, Homosexuelle und Behinderte. Sechs Millionen Juden sind der Schoah zum Opfer gefallen. Großbritannien verzeichnete 388 000 tote Soldaten und Zivilisten, Frankreich 810 000, die USA 259 000, die Sowjetunion 25 Millionen, davon 16 Millionen Zivilisten, Polen sechs Millionen, die Niederlande 210 000, Italien 410 000 und Deutschland und Österreich sieben Millionen. Viele der 14 Millionen Zwangs-, Fremd- und Gastarbeiter starben. Von zwölf Millionen Vertriebenen und Verfolgten starben

2,3 Millionen. Hinzu kommen entsetzliche Schicksale, zerstörte und zerrissene Familien, tote Kinder, Mütter und Väter.

Das ist ein schweres Erbe unserer Vorfahren, welches nicht wieder gutzumachen ist. Keiner erwartet von uns, dass wir auf ewig ein Büßerhemd tragen. Doch meine Generation und die folgenden müssen mit dieser Vergangenheit leben und ihr in die Augen schauen, um nicht blind für Gegenwart und Zukunft zu sein.

Doch gestaltet sich der Umgang mit dem historischen Datum in Deutschland bis heute schwierig. In der rechten Szene wird der Tag für Aufmärsche genutzt, die häufig mit der Verhöhnung der Opfer des NS-Regimes einhergehen und einer faschistischen Mythenbildung dienen. Neonazis, Burschenschaften und andere konservative

Kräfte verbinden den Tag nicht mit dem Gedanken an Befreiung, sondern mit der deutschen Niederlage und all ihren Folgen: Vertreibung, Besatzung, deutsche Teilung, Verlust von Heimat. Das alles hätte es jedoch nicht gegeben, wenn es den 1. September 1939 nicht gegeben hätte. Der 8. Mai ist nicht vom 1. September zu trennen. In ihm lagen die Grundlagen des Werdegangs der folgenden Geschichtsschreibung.

Erich Kästner schrieb: „Die Erinnerung ist eine mysteriöse Macht und bildet die Menschen um. Wer das, was schön war, vergisst, wird böse. Wer das, was schlimm war, vergisst, wird dumm!“

Jedoch ein Teil der deutschen Bevölkerung will sich nicht erinnern, will nicht von Faschismus und starker Führung, sondern von der Schande und von der Erinnerung daran befreit sein. Wie aber soll diese Befreiung möglich sein, wenn die Erinnerung erst gar nicht zugelassen wird?

70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges äußert in einer Umfrage jeder zweite Bundesbürger, er sei es leid, immer wieder von den deutschen Verbrechen an den Juden zu hören. Der Rassismus der NS-Diktatur richtete seine menschenvernichtende Ideologie gegen viele Gruppen: Arme, Arbeitslose, gleichgeschlechtlich Liebende, behinderte Menschen, Ausländer, Sinti und Roma und politische Gegner des Systems, und heute finden wir wieder eben jene Ressentiments. „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“ – Bert Brecht. Gerade darum sind wir verantwortlich, die Erinnerung an die Verbrechen der Vergangenheit wachzuhalten und der Nachwelt aufzuzeigen, wie es damals gewesen ist, wie es dazu gekommen ist, damit künftige Generationen daraus lernen können und begreifen, dass Hass und Gewalt Hass und Gewalt nach sich ziehen.

Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Es ist ein langer Weg, den die Deutschen zurücklegen mussten, um begreifen zu können, dass die deutsche Niederlage ein Tag der Befreiung war. Der 8. Mai ist noch immer die wichtigste Probe für unsere Fähigkeit und die Bereitschaft, sich mit unserer Geschichte auseinanderzusetzen, sie anzunehmen.

Ich bitte Sie 70 Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation, 45 Jahre nach dem Kniefall Willy Brandts, 30 Jahre nach der Rede von Richard von Weizsäcker, 25 Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands, 20 Jahre nach der gemeinsamen Aktion der Repräsentanten der europäischen Staaten und der USA in London, Paris und Moskau, elf Jahre nach der Bitte der UNO, den 8. und 9. Mai gebührend zu begehen. Alle über Partei- und Ländergrenzen hinweg sind sich einig über die Bedeutung dieses Tages, diese befreiende Zäsur in der Geschichte, ganz

besonders der deutschen Geschichte. Wir müssen endlich und auch offiziell dazu stehen und die Verantwortung dafür übernehmen, dass nie wieder solch unermessliches Leiden von unserem Land, von keinem Land ausgeht.

In den zurückliegenden Wochen habe ich vielen die Frage gestellt, welches Bild sie sich von der Zukunft machen. Erschreckend viele junge Menschen, die in unserer friedlichen Demokratie leben, gehen davon aus, dass sie einen Krieg erleben werden. Wie kommen sie darauf? Auch sie brauchen den 8. Mai, der Erinnerung ermöglicht, die sie, uns und andere schützt auch vor dem Hintergrund, dass bald keine Zeitzeugen mehr leben – einen Tag gegen das Aufblühen rechter Gesinnung und Kräfte, gegen die Ängste vor neuen Kriegen, einen Tag für Erinnerung, für Aufklärung, für Geschichtskenntnis, Ursache und Folgen, einen Tag für den Frieden.

Lassen Sie uns bitte ein Zeichen aus und für Sachsen, dem Beispiel Mecklenburg-Vorpommerns folgend, setzen und stimmen Sie unserem Antrag zu. Falls Sie die Tatsache, dass dieser Gesetzentwurf, den unsere Partei in ähnlicher Form schon des Öfteren eingebracht hat, ausgerechnet von den LINKEN kommt, von Ihrer Zustimmung abhalten sollte, dann bitte ich Sie sich zu fragen, warum keine andere Fraktion in diesem Hohen Haus einen solchen Entwurf eingebracht hat, wo wir uns doch im Grunde alle einig sind.

Ich hoffe deutlich gemacht zu haben, dass wir uns keinen ritualisierten Tag sowjetischer Heldenverehrung wünschen. Das ist der besagte Tag, Jungs! Er ist angebrochen für alle, von Newburyport, USA, bis Wladiwostok.

Ich beantrage die Verweisung unseres Gesetzentwurfs an den Innenausschuss sowie den Ausschuss für Wissenschaft und Hochschule, Kultur und Medien.

Haben Sie vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den LINKEN)

Meine Damen und Herren! Das Präsidium schlägt Ihnen vor, den Entwurf Gesetz zur Einführung eines Gedenktages zum Tag der Befreiung vom deutschen Faschismus am 8. Mai 1945, wie angeregt, an den Innenausschuss – federführend – und an den Ausschuss für Wissenschaft und Hochschule, Kultur und Medien zu überweisen.

Wer seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Meine Damen und Herren, bei zahlreichen Stimmenthaltungen ist die Überweisung beschlossen, und dieser Tagesordnungspunkt ist beendet.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 6

Medizinische Versorgung in Pflegeeinrichtungen

Drucksache 6/1070, Antrag der Fraktionen CDU und SPD

Medizinische Versorgung Pflegebedürftiger im Heim verbessern

Drucksache 6/527, Antrag der Fraktion DIE LINKE, mit Stellungnahme der Staatsregierung

Die Fraktionen nehmen wie folgt Stellung. Zunächst die Fraktionen CDU und SPD, dann DIE LINKE, AfD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die Staatsregierung, wenn gewünscht.

Meine Damen und Herren! Wir beginnen mit der Aussprache. Für die Fraktion CDU Herr Abg. Schreiber, bitte. Sie haben das Wort.