Protokoll der Sitzung vom 10.06.2015

Die Koalitionspartner bekennen sich zu einer inklusiven Gesellschaft. Wir streben an, Menschen mit und ohne Behinderung gleichwertige Teilhabechancen zu ermöglichen.“

Und weiter: „Gemäß der UN-Behindertenrechtskonvention wird die Staatsregierung im Jahr 2015 unter Beteili

gung der Akteure der Behindertenhilfe und Selbsthilfe, der Ressorts und kommunalen Spitzenverbände einen Landesaktionsplan zur Umsetzung der UN-Konvention erarbeiten.“

Federführend ist das Sozialministerium, und die Belange der schulischen Inklusion sind Teil dieses Landesaktionsplanes. Sie werden in geeigneter Form dort berücksichtigt, ebenso wie die Empfehlungen der Expertenkommission. Der Landesaktionsplan wird Aussagen treffen über strategische Ziele, konkrete Handlungsmaßnahmen, den Zeitraum der Umsetzung, Verantwortlichkeiten und notwendige Kosten.

Die Ressorts haben die in ihrer Verantwortung liegenden relevanten rechtlichen Grundlagen entsprechend anzupassen oder neu zu schaffen.

Für den Bereich der schulischen Inklusion sind dafür Anpassungen im Schulgesetz notwendig, und – die Schulpolitiker wissen das – die Schulgesetznovelle ist das, was als Nächstes auf unserer Tagesordnung steht. Das ist ein großes Vorhaben, und Inklusion wird dabei eine sehr wichtige Rolle spielen. Bei der Ausgestaltung des Wie bei der Inklusion gibt es sicher einige Unterschiede zwischen den Vorstellungen Ihrer Fraktion und unserer.

Wir wollen mit Vernunft und Augenmaß handeln. Das heißt, dass wir uns in erster Linie an den Bedürfnissen des jeweiligen einzelnen betroffenen Menschen orientieren wollen. Es ist nicht vernünftig, wenn die Wahlfreiheit der Eltern und Kinder bezüglich des Lern– und Förderortes über dem steht. Bei allem Verständnis dafür, sie sollten nicht das alleinige Kriterium sein, an dem sich ausrichtet, an welcher Schule das Kind die beste Förderung erfährt.

Eine fachlich fundierte Diagnostik und Beratung sind hier von enormer Bedeutung. Diese Bereiche müssen gestärkt und weiter professionalisiert werden, ebenso wie die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Kita in Vorbereitung auf die Einschulung. Nur auf der Basis einer fundierten Diagnostik kann die richtige Empfehlung für den geeignetsten Förderort gegeben werden. Das kann die inklusive Beschulung in einer Regelschule sein oder der Besuch eines unserer ganz hervorragend ausgestatteten Förderschulzentren.

Eine qualifizierte Beratung der Eltern ist unbedingt notwendig, um die Begründung der Empfehlung zu erklären, Fragen zu beantworten und Ängste zu nehmen. Für die Feststellung, ob bei einem Kind sonderpädagogischer Förderbedarf besteht, gibt es in Sachsen ein geregeltes Verfahren, das im Schulgesetz verankert ist. Wird dieses Verfahren zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs durchgeführt, ist jeder Verfahrensschritt und jede Beteiligung klar geregelt. Das Verfahren ist deshalb sehr umfangreich, und es ergibt in der Regel ein sehr objektives Ergebnis hinsichtlich des individuellen Förderbedarfs des Kindes.

Für den Fall, dass es nicht zu einer einvernehmlichen Lösung kommt, steht den Eltern neben der SBA auch der

Beauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Herr Stephan Pöhler, als Ansprechpartner zur Verfügung. Eine einvernehmliche Lösung gemeinsam mit den Eltern ist aber die beste Lösung.

In den vergangenen Jahren hat die Zahl der durchzuführenden Förderverfahren stark zugenommen. Deshalb dauern diese Verfahren lange – viel zu lange, meine ich. Hier wünsche ich mir eine personelle Verstärkung, um diese Verfahrensdauer zu verkürzen, aber keine zusätzlichen Beratungsstellen.

Inklusiver Unterricht braucht aber noch weit mehr als Wahlfreiheit der Eltern. Es braucht entsprechende Voraussetzungen. Die müssen geschaffen werden: Barrierefreiheit, besondere, auf die Art der Behinderung zugeschnittene Ausstattung, qualifiziertes Lehrpersonal, Unterstützungspersonal. Vor allem aber braucht es Akzeptanz, nicht nur bei den Lehrern, sondern auch bei den Mitschülern und den Eltern.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Ich wünsche mir, dass wir in unseren Schulen mehr Mut haben, Inklusion zu machen und diesen Weg zu gehen. Akzeptanz wächst mit dem Grad, wie es uns gelingt, Möglichkeiten zur Teilhabe in allen Bereichen der Gesellschaft zu schaffen und zur Selbstverständlichkeit werden zu lassen. Den Weg dahin soll dieser Landesaktionsplan weisen. Der Aktions- und Maßnahmenplan zur schulischen Inklusion aus dem Jahr 2012 sowie dessen Fortschreibung werden darin einfließen. Für die Umsetzung im Alltag bedarf es nicht zuerst zusätzlicher Arbeitsgruppen, sondern kontinuierlicher Arbeit jeden Tag, Schritt für Schritt.

Bei der Umsetzung der Ziele sind wir schon ein ganzes Stück vorangekommen. Die Lehrerausbildung wurde verändert. Dort gehören Integration und Inklusion zum Lehrstoff der Lehramtsstudenten. Auch innerhalb des Referendariats ist das ein wichtiges Thema. Für die Lehrerfortbildung bietet die Hochschule Zittau-Görlitz einen Zertifikatskurs „Integrativer Unterricht“ – kurz „ZINT“ genannt – an. Auch das SBI hält eine Reihe von Fortbildungsangeboten bereit. An der TU Chemnitz kann man einen Bachelor- und Masterstudiengang „Integrative Lerntherapie“ berufsbegleitend studieren. Das ist ein sehr interessantes Studium, vor allem für Beratungslehrer.

Wir haben im laufenden Doppelhaushalt das Budget für die Umsetzung der Ziele des Landesaktionsplans Integration und Inklusion deutlich aufgestockt – von

650 000 Euro im Jahr 2014 auf eine Million Euro in diesem Jahr und im kommenden Jahr auf 5,7 Millionen Euro. Wir werden zusätzliches Personal, sogenannte Inklusionsassistenten, zur Unterstützung der Lehrer an den Schulen einsetzen. Wir werden 2016 ein Projekt „Präventionsklassen“ starten. Das sind Regelgrundschulklassen, an denen Kinder mit Förderbedarf unterrichtet werden, und seit 2012 läuft in vier Modellregionen in Sachsen der Schulversuch „ERINA“, an dem sich 26 Schulen beteiligen. Dieser Versuch wird durch die Uni

Leipzig wissenschaftlich begleitet und hat das Ziel, wichtige Erfahrungen über lernzieldifferente Bildungsangebote in der Sekundarstufe I zu sammeln sowie regionale Kooperationsstrukturen von Bildungs-, Beratungs- und Unterstützungsstrukturen aufzubauen. 2016 wird es eine Auswertung und einen Abschlussbericht geben.

Dass unter den 26 teilnehmenden Schulen keine freie Schule ist, ist schade. Der Versuch ist auf vier Jahre angelegt und wird nach dem kommenden Schuljahr enden. Deshalb hat es keinen Sinn, jetzt noch freie Schulen in diesen Schulversuch einzubinden. Ihr Ansinnen dahinter teile ich jedoch; denn ich weiß, dass es eine Reihe freier Schulen gibt, die auf dem Weg zur Integration und Inklusion vorangehen und deren Kompetenz und wertvolle Erfahrungen dem gesamten sächsischen Schulsystem nützen können. Die sollten wir nicht verschenken.

Ich erwarte – und darin bin ich auch ganz zuversichtlich –, dass sich in Zukunft eine engere und vertrauensvollere Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und freien Schulen zum gegenseitigen Nutzen entwickeln wird.

Bei der schulischen Inklusion gibt es bereits vorzeigbare Ergebnisse, aber auch einige Baustellen und noch einen langen Weg vor uns. Zu den Baustellen gehört die Umsetzung der Integrationsverordnung. Die Zahl der Klassen mit Integrationsschülern und einer Klassenstärke von mehr als 25 hat leider weiter zugenommen. Die Situation ist uns bekannt und stellt uns nicht zufrieden. Die Ursachen liegen zum einen in der Zunahme der integrativ unterrichteteten Schülerinnen und Schüler, zum anderen im Anstieg der Schülerzahlen allgemein, vor allem aber in den großen Städten, wodurch große Klassen gebildet werden müssen. Natürlich ist auch die Zahl der Lehrkräfte begrenzt. Das sind Begleiterscheinungen eines Kompromisses zwischen dem Erhalt kleiner Schulen im ländlichen Raum und der Absicherung des Unterrichts in den Schulen der Ballungsräume unter dem Aspekt begrenzter Ressourcen.

Auch bei der Ausreichung zusätzlicher Förderschullehrerstunden zum spezifischen Fördern von Integrationsschülern wäre ein Mehr wünschenswert, natürlich. Die in Ihrem Antrag genannten fünf Stunden beschreiben das Maximum an Stunden, die gewährt werden können. Der individuelle Bedarf wird in dem genannten Verfahren ermittelt. Doch auch hier müssen wir feststellen, dass die steigende Zahl integrativ bzw. inklusiv unterrichteter Schüler neue Herausforderungen mit sich bringt. Durch die Verteilung der Schüler auf viele Schulen in der Region fahren die Förderschullehrer zu den Kindern. In der Zeit, in der sie im Auto unterwegs sind, können sie nicht für die Kinder da sein. In einer Förderschule mit kleinen Gruppen lässt sich da effizienter arbeiten. Auch das gehört zur Wahrheit. Diese Baustellen kennen wir, und wir werden daran arbeiten, das zu verbessern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seien Sie versichert, Inklusion ist auch für uns ein zentrales Zukunftsthema, das weit über den Bildungsbereich hinausreicht. Schon in Anbetracht des demografischen Wandels und der vielen

Menschen, die als Flüchtlinge aus aller Welt zu uns kommen, müssen und werden wir uns damit intensiv beschäftigen.

Das zuständige Sozialministerium hat am 2. Juni eine interministerielle Arbeitsgruppe gegründet, die den Landesaktionsplan erarbeiten wird. Frau Staatsministerin Klepsch, ich bin mir sicher, Sie werden uns auf dem Laufenden halten.

Den Antrag der GRÜNEN braucht es also nicht, und deshalb können wir auch nicht zustimmen.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Meine Damen und Herren! Nun die Fraktion DIE LINKE, Frau Abg. Falken. Frau Falken, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit dem 26. März 2009 gilt die UN-Konvention für die Rechte der Menschen mit Behinderungen für die Bundesrepublik Deutschland, dazu gehört auch Sachsen, als rechtlich verbindlich. Für den Freistaat Sachsen bedeutet das, ein inklusives Bildungswesen im Sinne von Artikel 24 Abs. 1 und Artikel 4 der Behindertenrechtskonvention einzuführen, auszubauen und langfristig zu sichern. Wir sind noch nicht einmal beim Einführen.

Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention bedeutet, dass alle Kinder in ihrer Unterschiedlichkeit in einem gemeinsamen Bildungssystem von Anfang an und nicht irgendwann zwischendurch aufgenommen werden sollen. Damit schließt eigentlich eine historische Epoche ab. Es ist nun so, dass Kinder mit Behinderungen und besonderem Förderbedarf nicht mehr getrennt, gesondert beschult werden, sondern bei ihren gleichaltrigen Schulkameraden beschult werden müssen.

Das sächsische Kultusministerium blieb bisher bei dieser Aktion sehr passiv. Erst der gemeinsame Beschluss des Sächsischen Landtags vom 5. September 2011 – die daran beteiligt waren, werden sich sehr gut daran erinnern, wie schwer diese Geburt gewesen ist – brachte es dazu, einen Aktions- und Maßnahmenplan im März 2012 vorzustellen. Allerdings harrt er seiner Umsetzung.

Als uns dieser Aktions- und Maßnahmenplan im Schulausschuss vorgestellt worden ist, erklärten uns die Vertreter des Kultusministeriums, dass sie leider mit den Maßnahmen nicht weiter gehen können, da sie als Verwaltung nur die Gesetze umsetzen können und nicht über die Gesetze hinaus Maßnahmenpläne erstellen können. Von der Logik her ist das für mich sogar nachvollziehbar. Das heißt, wir als Gesetzgeber müssen erst einmal ein neues Schulgesetz erstellen, bevor die Verwaltung, sprich das Kultusministerium, einen Aktions- und Maßnahmenplan nach diesem Gesetz erstellen kann. Heißt das jetzt wirklich – bitte machen Sie sich das einmal bewusst –, dass wir für einen weiteren umfangreichen, gut ausgebauten Aktions- und Maßnahmenplan noch mindestens bis zum

Jahr 2017 warten müssen? Denn viel früher werden wir das neue Schulgesetz nicht auf dem Tisch haben. Das kann aber in diesem Hohen Haus nicht wirklich unser Ziel sein.

Man mag über den Aktions- und Maßnahmenplan und natürlich über die Expertenkommission und deren Empfehlungen denken, wie man will, aber beide Papiere liegen weit über dem, was zurzeit von der Staatsregierung und dem Kultusministerium in diesem Bereich umgesetzt wird.

Meiner Fraktion wäre es am liebsten, wenn wir das Minderheitenvotum der Expertenkommission in den Maßnahmenplan zu 100 % übernehmen würden. Das wäre doch einmal ein weiter vorangehender Schritt, den wir bisher nicht gehabt haben.

(Beifall bei den LINKEN)

Die Staatsregierung ist aufgefordert zu handeln. Einzelmaßnahmen – so gut ich es finde, dass die SPD Einzelmaßnahmen einbringt – werden nicht ausreichen, um zügig und schnell bei diesem Thema weiter voranzukommen.

Die Inklusion in den allgemeinbildenden Schulen soll die vorrangige Form, die Norm und nicht die Ausnahme sein. Wir sind aber nach wie vor in der Ausnahme. Die meisten Eltern, die ihre Kinder in der inklusiven Beschulung haben, erreichten das in der Regel über ein Klageverfahren.

Natürlich muss ein lerndifferenzierter Unterricht stattfinden, um auch die Ansprüche der Schülerinnen und Schüler, und zwar sowohl in der Integration und Inklusion als auch der anderen, wirklich zu gewährleisten. Sachsen kann im Interesse der Kinder und Jugendlichen, aber auch der Eltern den Prozess nicht weiter verzögern und muss in deren Interesse schnellstens reagieren.

Ich möchte zum Schluss meines Redebeitrages gern ein Beispiel nennen. Nun ist leider die Kultusministerin nicht da. Eigentlich müsste ich sie herrufen lassen. Vielleicht hört sie mich auch.

(Christian Piwarz, CDU: Sie ist bei der Kultusministerkonferenz!)

Na gut, dann lasse ich sie nicht herrufen.

(Patrick Schreiber, CDU: Sie hört Sie auch nicht auf der Autobahn!)

Ich würde Sie bitten, ihr das zu übermitteln. Das wäre sehr schön. Außerdem kann man sie auch von der Autobahn zurückrufen.

(Patrick Schreiber, CDU: Schlechter Empfang!)

Das System der Förderung aller Schüler muss für die individuelle Förderung ausgebaut werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir brauchen eine schulinterne Fortbildung. Es reicht überhaupt nicht, wenn ich an jeder dritten Schule einen Lehrer fortbilde. Wir wollen Integration und Inklusion in den Schulen. Wir

haben sie ja schon. Sie haben vorhin die steigenden Zahlen genannt. Wir brauchen alle Lehrer in einer Qualifikation für die Integration und Inklusion. Wir brauchen schulinterne Fortbildung. Da habe ich alle in den Einrichtungen. Sie müssen nirgendwo hinfahren, und es kostet auch viel weniger Geld.