Protokoll der Sitzung vom 01.09.2015

(Zuruf des Abg. Sebastian Scheel, DIE LINKE)

Doch, das muss man sagen, weil es die Ehrlichkeit der Diskussion in sich gebietet.

Eine völlig andere Frage – und die können Sie davon trennen – ist die Frage von Arbeitsmarktmigration und die Möglichkeit von Zuwanderung in unseren Arbeitsmarkt einschließlich der Frage, was wir als Gesellschaft dazu beitragen können, mit Qualifizierung und entsprechenden Integrationsmaßnahmen unterstützend tätig zu werden. Aber das sind zwei völlig getrennte Paar Schuhe, die Sie bitte auch so diskutieren müssen, statt so zu tun, als ob jeder Asylbewerber, der zu uns kommt, eine Bereicherung

unserer Gesellschaft sei. Es ist eine Herausforderung für unser Land, der wir uns stellen müssen und bei der wir Chancen und Risiken abwägen sollten und müssen.

(Sebastian Scheel, DIE LINKE: Mit welchem Ergebnis denn?)

Diesen Prozess zu initiieren und zu steuern ist Aufgabe des politischen Handelns. Wir stehen vor einer großen Herausforderung – man kann auch sagen: vor einer gesellschaftlichen Veränderung. Diese ist nur zu bewältigen, wenn der Bund, die Staatsregierung, die Kommunen, die Parlamente, aber auch die Wohlfahrtsverbände und Initiativen, die Zivilgesellschaft sowie die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes zusammenarbeiten und sich insbesondere auch der Diskussion stellen, wie das im Kontext einer gemeinsamen europäischen Politik möglich ist.

Insbesondere die vielen ehrenamtlich engagierten Menschen und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Verwaltung und in den Hilfsorganisationen, die sich schon bisher engagiert haben, müssen wir in der weiteren Arbeit und in der Zukunft noch zielgerichteter und stärker unterstützen.

Aus unserer Sicht geht es um einen Gleichklang der europäischen Lösung einer Flüchtlings- und Asylpolitik bis hin zu der Frage der Umsetzung von Schengen und Dublin III. Das muss offen und ehrlich diskutiert werden. Dazu gehört die Formulierung einheitlicher europäischer Flüchtlings- und Asylstrategien und die Diskussion über mögliche einheitliche europäische Standards. Es gehört auf der Bundesebene eine Verantwortung der Verfahrensbeschleunigung dazu, um Anspruchsberechtigte und Nichtanspruchsberechtigte sehr schnell zu klären und darüber hinaus zu steuern, welche entsprechenden Möglichkeiten für eine Integration bis hin zur Befähigung auf dem Arbeitsmarkt gegeben sind. Es gehört auch ganz klar eine Kostenbeteiligung des Bundes dazu.

Wir als Freistaat werden uns verstärkt der Unterbringung, der Steuerung der Prozesse und der Integrationsmaßnahmen gemeinsam mit den Kommunen widmen müssen.

Letzten Endes kann ich nur einfordern: eine Beendigung einer pauschal geführten Debatte – sowohl was die Frage der Zuständigkeit von Ebenen als auch die Differenzierung der Asylsuchenden bis hin zur Zielformulierung der Integration betrifft. Pauschalisierungen werden uns in der Diskussion nicht weiterführen, sondern eine offene, transparente Diskussion, die die Facetten darstellt. Es entzieht auch den Extremisten die argumentative Grundlage, wenn wir die anstehenden Herausforderungen in einer offenen, transparenten Diskussion lösen wollen.

Mit dem gemeinsamen Entschließungsantrag „Gesamtaufgabe Asyl – gemeinsam für Unterbringung, Sicherheit und Integration“ von CDU- und SPD-Fraktion wollen wir umfassende Informationen zur aktualisierten Lage einholen, um den nun anstehenden Umsetzungs- und Weiterentwicklungsprozess in der Asylpolitik intensiv parlamentarisch begleiten und unterstützen zu können. Dieser

Antrag hat in einem Kompromiss zwischen zwei politischen Partnern die Ziele formuliert, die aus unserer Sicht für beide Seiten der Medaille wichtig sind und die einen Forderungskatalog erster Maßnahmen formulieren und mit den Fragestellungen erweiterte Informationen einholen sollen, aus denen sich auch weitere Maßnahmen ableiten können.

Es wird uns darum gehen, gemeinsam in der Koalition, gemeinsam mit der Staatsregierung, gemeinsam mit den Ebenen die anstehenden Herausforderungen zu diskutieren und Lösungen zu erarbeiten. Dazu muss man sich auch etwas Zeit nehmen, um tragfähige Konzepte und Lösungen zu entwickeln. Gleichwohl laden wir auch Sie ein, sich diesem Prozess anzuschließen.

Gemeinsames Ziel muss es sein, für alle Asylsuchenden eine menschenwürdige Unterbringung zu gewährleisten, die Verfahrensdauer deutlich zu verkürzen, die Integration auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Zusammenlebens zu verbessern, aber eben auch den, der keinen Anspruch hat, konsequent zurückzuführen.

Ich schließe mit der Feststellung: Verantwortung wahrnehmen, beide Seiten der gleichen Medaille gleichermaßen berücksichtigen und konsequent handeln. Ich lade Sie ein: Tun Sie mit!

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Für die SPD Herr Pallas, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde es ausdrücklich gut und wichtig, dass sich der Sächsische Landtag heute zu einer Sondersitzung ausschließlich mit den Themen Asyl und Integration befasst. Das Hohe Haus unterstreicht damit einmal mehr, wie wichtig dieses Thema ist.

Bereits im Juli haben wir uns im Rahmen einer Aktuellen Debatte dazu intensiv ausgetauscht; doch die letzten ereignisreichen Wochen waren eben unter anderem von der höheren Prognose des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge gekennzeichnet, von den Eröffnungen von Notunterkünften in Zelten und Turnhallen und zuletzt von den rechtsmotivierten Gewaltexzessen gegen die Asylunterkunft und Polizeibeamte in Heidenau.

Wir können heute ein wichtiges und notwendiges Signal in das Land senden: Die Herausforderungen der Aufnahme und Integration von Asylsuchenden sind eine gemeinsame Aufgabe aller staatlichen und nicht staatlichen, aller haupt- und ehrenamtlichen Akteure. Wir alle, die gesamte Gesellschaft, stehen in der gemeinsamen Verantwortung, diese große und wichtige Aufgabe zu meistern. Und, meine Damen und Herren, das wichtigste Signal heute muss es sein: Wir schaffen das, wir werden die Herausforderungen meistern.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU und den GRÜNEN)

Zur Diskussion beim Thema Asyl gehört aber auch, die reale Entwicklung der Zahlen anzuerkennen. Leider konnte in den letzten Monaten in Sachsen nur auf die jeweilige Erhöhung reagiert werden. Klar ist aber auch: Insbesondere bei der Aufnahme und Unterbringung von Asylsuchenden ist dabei nicht alles rundgelaufen; andernfalls wären Zeltunterkünfte gar nicht erst notwendig gewesen.

Die Regierung und die Koalitionsfraktionen haben aber erkannt, dass hier weiterer Handlungsbedarf besteht – und wir werden handeln. Unser gemeinsames Ziel muss sein: Die Regierung, das Parlament, die Verwaltung, aber auch die Gesellschaft dürfen nicht nur reagieren; wir müssen und wir werden agieren.

Deshalb ist es auch richtig und wichtig, dass das Kabinett anlässlich der Präsentation der erhöhten Prognose des BAMF zu einer Sondersitzung zusammenkam und ein Maßnahmenpaket geschnürt hat. Das war ein erster wichtiger Schritt, dem weitere Schritte folgen müssen. Einer dieser weiteren Schritte ist der heute von CDU- und SPD-Fraktion vorgelegte Entschließungsantrag zu den beiden Fachregierungserklärungen. Wir setzen dabei an dem Kabinettsbeschluss von Mitte August an. Es ist wichtig, dass dieses Maßnahmenpaket schnell konkretisiert und vervollständigt wird.

Uns sind aber auch weitere Maßnahmen wichtig, bei denen die Koalitionsfraktionen die Regierung parlamentarisch unterstützen werden. Deshalb fordern wir umfassende Informationen ein.

Schließlich zeigen wir mit konkreten Handlungsaufträgen an die Regierung, welche Maßnahmen in Sachsen, im Bund oder in der Europäischen Union notwendig sind, um für alle Asylsuchenden eine menschenwürdige Unterbringung zu gewährleisten, die Verfahrensdauer zu verkürzen und die Integration auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Zusammenlebens zu verbessern.

Dazu gehört eine weitere Untersetzung des Unterbringungskonzepts. Das Wichtigste dabei ist, dass wir einen „zeltfreien“ Winter haben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Darüber hinaus müssen mittelfristig auch alle anderen Notunterkünfte zurückgefahren werden können. Insgesamt werden – das wurde heute schon angesprochen – 13 500 Plätze in den Erstaufnahmeeinrichtungen geschaffen. Die Erfahrung der letzten Monate zeigt auch: Es ist wichtig, frühzeitig – so zeitig, wie es nur möglich ist – die jeweiligen Kommunen und die Bürgerinnen und Bürger darüber zu informieren, wo genau die jeweiligen Außenstellen der drei Hauptstandorte – Dresden, Chemnitz, Leipzig – sein werden, damit sich alle darauf einstellen können.

Dazu gehört aber auch, dass die jeweiligen Einrichtungen – auch wenn es Notunterkünfte sind – menschenwürdig

ausgestattet sind, das heißt, dass dort menschenwürdige Bedingungen herrschen. Dazu zählen funktionierende Sanitäranlagen in ausreichender Zahl genauso wie die Beachtung der besonderen Situation von Familien mit Kindern in diesen Einrichtungen. Aber nicht nur Kinder, sondern alle Personen sind bereits während der Erstaufnahmezeit zu betreuen. Auch dafür ist es wichtig, die ehrenamtlichen Initiativen, die schon in fast allen Orten Sachsens existieren, weiter zu stärken. Diese zarten Pflänzchen sind zu hegen und zu pflegen. Es ist dafür zu sorgen, dass sie in die Betreibung der Erstaufnahmeeinrichtungen und – später – in die Betreuung der kommunal untergebrachten Flüchtlinge besser eingebunden werden.

(Beifall bei der SPD)

Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass die in den Erstaufnahmeeinrichtungen lebenden Menschen spätestens nach drei Monaten alle in die Kommunen gehen. Nicht ohne Grund haben CDU und SPD bereits in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, die Pro-Kopf-Pauschale für die Unterbringung und Betreuung der Flüchtlinge regelmäßig auf Auskömmlichkeit hin zu überprüfen. Das Kabinett hat eine solche Untersuchung in Auftrag gegeben.

(Sebastian Scheel, DIE LINKE: Eine Anpassung wäre schön!)

Uns ist es besonders wichtig, dass wir die Zwischenergebnisse und die Endergebnisse so schnell wie möglich zur Kenntnis bekommen, damit wir gegebenenfalls reagieren können, Herr Scheel.

(Sebastian Scheel, DIE LINKE: Eine Anpassung – so schnell wie möglich!)

Wir müssen erst die Ergebnisse kennen; dann können wir gegebenenfalls anpassen, Herr Scheel.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Beschleunigung der Asylverfahren. Vor wenigen Wochen wurde festgestellt, dass in Sachsen die Verfahren im bundesweiten Vergleich am drittlängsten dauern. Dafür gibt es Gründe, die nicht nur beim Bundesamt liegen. Natürlich ist das BAMF für die Asylverfahren zuständig. Aber offenkundig gibt es auf Landesebene Möglichkeiten, das Amt bei seiner Arbeit zu unterstützen. Das geht bei der Unterstützung durch Landespersonal los, geht mit dem Einfordern einer schnelleren Eröffnung der beiden weiteren Außenstellen des BAMF weiter und hört beim Abbau von Doppelstrukturen zwischen dem Bundesamt und der Zentralen Ausländerbehörde nicht auf.

Das wichtigste Ziel ist, dass insbesondere bei Nationalitäten mit besonders hoher oder besonders niedriger Chance auf ein Bleiberecht die Verfahrensdauer auf längstens einen Monat verkürzt wird. Einerseits hilft uns das bei der Aufnahmekapazität; andererseits bringt es den Betroffenen schnell Klarheit über ihre Perspektive.

Klar ist dabei auch: Der gesetzliche Rahmen für unsere Asylpolitik wird weitgehend von der Bundesebene und der Europäischen Union bestimmt. Auch insoweit gibt es durchaus großen Diskussionsbedarf. Dabei geht es bei

spielsweise um die Frage der Übernahme von Unterkunftskosten durch den Bund. Dabei geht es um eine einheitliche europäische Migrations- und Asylpolitik, die wir dringend brauchen. Es geht aber auch darum, die Asylsuchenden fair zwischen den europäischen Mitgliedsstaaten zu verteilen. Dazu muss europäisches Recht weiterentwickelt werden, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Auch wenn es lange dauert – wir müssen das tun.

Die Entwicklung in den vergangenen Monaten hat aber auch gezeigt, dass wir insbesondere für Nationalitäten mit besonders geringen Chancen auf ein Bleiberecht über legale Zuwanderungsmöglichkeiten reden müssen.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Uta-Verena Meiwald, DIE LINKE)

Das geht aus der Sicht der SPD nur über die Schaffung eines Zuwanderungsgesetzes. Bis dahin gilt aber, meine Damen und Herren: Jeder Mensch darf in Deutschland einen Asylantrag stellen. Jeder hat das Recht auf ein faires und rechtsstaatlich einwandfreies Verfahren. Das ist kein Asylmissbrauch!

(Beifall bei der SPD und des Abg. Thomas Colditz, CDU)

Dieser Begriff leitet in die Irre und schürt Angst und Hass bei einem Teil der sächsischen Bevölkerung. Das gilt ebenso für das Gerede von „guten Flüchtlingen“ und „schlechten Flüchtlingen“. Es gibt Menschen, die vor der trostlosen wirtschaftlichen Situation in ihrem Heimatland und aus Armut fliehen. Das sind Armutsflüchtlinge. Gerade ihnen würde ein modernes Zuwanderungsgesetz helfen, in dem Anreize realistisch gesetzt werden.

Was das Thema „Anreize“ angeht, so möchte ich noch ganz kurz auf Frau Petry reagieren. Sie hat sich heute Vormittag auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Sachleistungsprinzip bezogen. Um eines klarzustellen: Das Bundesverfassungsgericht trifft keine politischen Entscheidungen, Frau Petry.