Zu den Regeln gehört, dass es für den, der keinen Anspruch hat, schnelle Verfahren geben muss, um Klarheit zu schaffen. Es darf keine Leistungsanreize geben. Es muss aber eine angemessene Unterbringung und Versorgung und letztendlich eine schnelle und konsequente Rückführung gewährleistet werden. Das muss – das sei für all jene, die diese Diskussion führen, gesagt – gesetzeskonform und rechtsstaatlich erfolgen.
Wir brauchen Strukturen für den Abbau von Verfahrenshindernissen, sowohl bei der Ablehnung von Asylbewerbern als auch bei der Frage der Anerkennung und der Integration.
Wir brauchen die Solidarität in unserem Land, in den Landkreisen mit und zwischen ihren Kommunen, im Freistaat mit und zwischen den Landkreisen und den kreisfreien Städten. Sachsen sind wir alle gemeinsam. Die Probleme der Kommunen sind die Probleme des Freistaates. Die Probleme des Freistaates sind die Probleme der Kommunen. Es geht nur gemeinsam. Deswegen ist es auch zu kurz gesprungen, wenn man sagt, dass man aus den Erstaufnahmeeinrichtungen in die Kommunen und Landkreise verlagert. Die Herausforderung bleibt für uns als politische Verantwortungsträger an jeder Stelle gleich.
Wir brauchen die Verantwortung des Bundes. Die Grenzschließung – das will ich kritisch anmerken – ist eine kurzfristige Maßnahme, um den Prozess wieder zu strukturieren. Sie ist sicherlich durch das Handeln der Bundesregierung mit verursacht worden. Aber der Blick muss nach vorn gerichtet werden. Die Frage ist jetzt: Wie unterstützt der Bund die Länder und die Kommunen über die Länder und wie gestalten wir diesen Prozess erfolgreich?
Das wollte ich als Impuls in diese Debatte einbringen. In der zweiten Runde wird für uns Marko Schiemann etwas zur Frage der europäischen Herausforderungen sagen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die letzten Tage waren geprägt von einer großen Dynamik bei der Anzahl der Flüchtlinge, die die Europäische Union erreicht haben. Dabei möchte ich feststellen, dass nicht die Anzahl für die Europäische Union, Deutschland oder Sachsen das eigentliche Problem darstellt. Das Problem war hier die Zeit.
In der Reaktion auf diese Entwicklung haben die Bundesverwaltung und die Bundespolitik die Grenzkontrollen an den deutsch-österreichischen und deutsch-tschechischen Grenzen wieder eingeführt. Das ist natürlich für alle Europäer ein schmerzlicher Schritt. Aber man muss zur Kenntnis nehmen, dass die Verwaltungen in Deutschland und unser Aufnahmesystem in den Ländern in dem Moment einfach überlastet waren. Wenn innerhalb von 24 Stunden 30 000 Menschen nach München kommen, dann führt uns das an unsere Grenzen. In diesem Kontext kann ich diese Maßnahme zumindest nachvollziehen.
Auf der anderen Seite gibt das Schengener Durchführungsübereinkommen die Möglichkeit, bei bestimmten Notsituationen Grenzkontrollen für einen beschränkten Zeitraum wieder einzuführen. Aber – auch das müssen
wir zur Kenntnis nehmen – das hat konkrete Folgen, wie man an den kaskadenartigen Wirkungen sieht. Man sieht die Folgen an den Grenzen in Ungarn, Österreich und Serbien. Das ist umso schmerzlicher.
Es sollte deshalb für uns alle eine Verpflichtung sein, umso mehr diese Atempause zu nutzen, um unsere Aufnahmesysteme zu verbessern, damit wir die Grenzen, so schnell wie es irgend geht, wieder komplett öffnen können.
Das Problem ist eigentlich nicht Schengen und damit der freie Personenverkehr. Das Problem liegt bei dem fehlenden Verteilungsmechanismus von Flüchtlingen zwischen den europäischen Mitgliedsstaaten. Da müssen wir eine Lösung finden, und zwar eine Lösung, die für die nach Europa kommenden Menschen humanitär ist, eine Lösung, die für die europäischen Mitgliedsstaaten akzeptabel ist und niemanden überfordert. Derzeit haben wir leider etwas anderes. Wir haben einen Abwehrkampf einiger EU-Mitgliedsstaaten gegen die Aufnahme von Flüchtlingen. Es kann aber nicht sein, dass viele Staaten auf der einen Seite Strukturhilfe der Europäischen Union gern entgegennehmen, auf der anderen Seite aber der Union nicht helfen wollen, eine große Herausforderung zu lösen. Das ist keine europäische Solidarität, meine Damen und Herren.
Die EU muss jetzt Verantwortung übernehmen und sich zu ihren Werten bekennen. Wir brauchen eine grundhafte Neuregelung der Verteilung von Flüchtlingen auf die europäischen Mitgliedsstaaten. Deshalb müssen wir Dublin und nicht Schengen weiterentwickeln.
Klar ist aber auch, dass das nicht alles sein kann. Wir müssen natürlich immer noch die Flüchtlinge im Blick behalten und vor Ort Hilfe leisten.
Das gilt sowohl für die Heimatländer und für die Fluchtrouten, als auch für die Situationen an den Grenzen der Europäischen Union.
Bei der notwendigen Diskussion darüber und über die Migrationspolitik in der Europäischen Union dürfen wir eines nicht vergessen: Es gibt nach wie vor eine sehr, sehr große Hilfsbereitschaft der Menschen in Deutschland, in Sachsen, in unseren Städten und auf dem Land. Sehr viele Institutionen und Einzelpersonen übernehmen derzeit konkrete Verantwortung für die Menschen, die als Flüchtlinge zu uns kommen, und wir werden und können weitere Unterstützung bekommen, wenn diese Wertschätzung und Hilfe an die Hand bekommen.
Das will auch die Regierungskoalition aus CDU und SPD, und wir tun es bereits. Nur beispielhaft möchte ich die Förderrichtlinien für integrative Maßnahmen oder die Ehrenamtsförderung des Integrationsministeriums anführen, für die der Sächsische Landtag, insbesondere die Regierungsfraktionen, die notwendigen Mittel im Rahmen des Haushalts bereitgestellt haben. Das zielt genau auf die Stärkung der haupt- und ehrenamtlichen Integrationsarbeit ab, die wir so dringend brauchen.
Aber auch wir Politiker, wir alle können und müssen mehr machen. Wir müssen noch stärker öffentlich für humanitäre Hilfe und gelingende Integration eintreten. Wir müssen mit den Menschen im Dialog bleiben. Wir müssen vor Ort die Aktiven in der Flüchtlings- und Integrationsarbeit politisch, aber auch persönlich unterstützen. Ich weiß, viele von Ihnen machen das bereits, aber hier und da geht dabei noch etwas mehr.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns gemeinsam dafür eintreten, dass wir die derzeitigen Herausforderungen meistern. Lassen Sie uns für mehr Solidarität in der Europäischen Union genauso kämpfen wie für einen fairen und nachhaltigen Verteilungsmechanismus in der Union. Lassen Sie uns die Atempause nutzen, um unser Aufnahmesystem zu ordnen, damit die Grenzen wieder vollständig geöffnet werden. Lassen Sie uns weiterhin alles dafür tun, die große Hilfsbereitschaft aufrechtzuerhalten und weiter zu steigern; denn dann schaffen wir das, meine Damen und Herren!
Frau Präsidentin! Sehr geehrten Damen und Herren! Das Thema der Aktuellen Debatte lautet: „Nationale Aufgabe Asyl gemeinsam meistern – Europäische Migrationsagenda voranbringen“. Ging es nicht eine Nummer kleiner, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition – zum Beispiel die Chaoswochen beim Asyl in Sachsen beenden?
Wenn es um Waren geht, dann heißt das Motto „Grenzen auf!“ – egal, ob es um europäischen – wie damals unter Helmut Kohl – oder jetzt – unter Angela Merkel – um transatlantischen Freihandel geht. Für TTIP-Fans ist klar: Jegliche regionale Regulierung ist Teufelszeug. Auch innerhalb der EU herrscht seit Langem das Dogma: Alles, was dem völlig freien Markt bis in den letzten Winkel des Kontinentes nützt und ihn garantiert, muss benutzt werden.
Wenn es aber um Menschen geht, heißt es plötzlich: Grenzen zu! Die sogenannte Arbeitnehmerfreizügigkeit, die wir in der EU bereits eine ganze Weile diskutiert hatten, wurde erst nach jahrelangem Gezerre Realität. Bis zum heutigen Tag wird Freizügigkeit von Bürgerinnen und Bürgern immer wieder infrage gestellt, wenn diese Bevölkerungsgruppen angehören, die für uns unerwünscht sind.
Doch plötzlich fordert die Bundesregierung – gerade habe ich es auch von der Koalition gehört – Solidarität von den anderen europäischen Ländern. Nur, liebe Kolleginnen
und Kollegen: Die Europäische Union wurde nicht aus Solidarität oder aus sozialer und kultureller Verantwortung, sondern als Wirtschaftsunion gegründet, und darin kommen Menschen eben nur als Kunden vor.
Ja, das Heute ist aber Ihr Problem, weil Sie in dieser Europäischen Union niemals für Solidarität gesorgt haben.
„Der Mensch steht im Mittelpunkt aller Bemühungen. Viele Menschen sind weltweit auf der Flucht. Die große Herausforderung besteht darin, jedem Einzelnen gerecht zu werden. Die wirksamsten Maßnahmen gegen die Gefahren auf der Flucht bestehen in legalen Zugangswegen nach Europa. Wir fordern deshalb legale Wege für Schutzsuchende“ – das ist nicht etwa aus dem Beschluss des Landesparteitages der LINKEN vom Wochenende, sondern das haben die leitenden Geistlichen der Evangelischen Landeskirchen Deutschlands gerade veröffentlicht. Auch der Landesbischof, Herr Rentzing, hat dafür meinen Respekt verdient.
Das Motto des 25. Jahrestages der Deutschen Einheit heißt richtigerweise „Grenzen überwinden“. Es ist also eine Kampfansage an alle Versuche, Menschen einzumauern. Wie zum Hohn führt aber Deutschland nun – gerade im Jahr nach dem 25. Jahrestag des Mauerfalls – genau diese Grenzkontrollen wieder ein.
Ich als Kind der DDR glaube nicht mehr an Mauern. Millionen Menschen haben vor dem Mauerbau, trotz verschärftem Grenzregime, das Land verlassen. Zwischen 1961 und 1988 haben 600 000 Menschen die DDR verlassen, seit 1989 waren es Millionen, die gen Westen gezogen sind. Der Westen jubelte, als Ungarn 1989 den Eisernen Vorhang öffnete. Derselbe Westen jubelt wieder, weil die Ungarn einen neuen europäischen Vorhang geschaffen haben. Ich nenne so etwas zynisch.
Es wird Ihnen nichts helfen, wenn Sie jetzt eine Verteilungsquote für Geflüchtete wollen oder davon träumen und andere Länder auffordern, das zu tun. Menschen werden sich auf Knopfdruck nicht dort hinbewegen, wohin es sich irgendwelche Bürokraten ausdenken. Wir unterstützen, dass es eine finanzielle Beteiligung aller europäischen Länder gibt, wenn es um die Kosten der Unterbringung der Geflüchteten in Europa geht.
Eines aber dürfen wir nie vergessen: Deutschland ist das mit Abstand bevölkerungs- und wirtschaftsstärkste Land in Europa. Auch deshalb sollte unser Beitrag zur Solidarität mit Flüchtlingen selbstverständlich sein. Wir liegen nun einmal in der Mitte von Europa. Deswegen darf es nie wieder Grenzen mit Grenzkontrollen geben. Sie
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kollegen Abgeordnete! Einmal mehr beschäftigt uns am heutige Tag das Asylthema. Meine Damen und Herren, die Geschichte der Bewältigung der aktuellen Flüchtlingskrise ist eine Aneinanderreihung des Versagens und von Fehlentscheidungen der verantwortlichen Politiker auf allen Ebenen.
Schauen wir zunächst nach Europa, auf die europäische Migrationsagenda: Diese kann man getrost als gescheitert betrachten. Anreize zur illegalen Einwanderung sind bisher nicht abgebaut worden. EURODAC funktioniert auch nicht mehr vollumfänglich. Das Dublin-IIIAbkommen ist de facto ausgehöhlt, weil nach diesem Abkommen – streng genommen – eigentlich nur ganz wenige Flüchtlinge in Deutschland einen Asylantrag stellen könnten, weil Deutschland von sicheren Drittstaaten umgeben ist.
Dieser Umgang mit europäischem Recht ist auf europäischer Ebene ganz typisch. Zuerst schafft man rechtliche Grundlagen, und bei der erstbesten Gelegenheit werden diese aufgestellten Regeln wieder gebrochen – so bereits geschehen mit der sogenannten No-Bailout-Klausel in der Eurofrage und nunmehr auch bei den Regelungen in europäischen Flüchtlingsfragen.
Herr Gebhardt hatte gesagt, das Wichtigste in der Asylfrage sei, legale Einwanderungswege nach Europa zu schaffen. Herr Gebhardt, ich sage: Das absolut Wichtigste ist es, Hilfe vor Ort zu schaffen. Dafür möchte ich Ihnen ein Beispiel nennen.