Protokoll der Sitzung vom 17.09.2015

Wie kommt man eigentlich auf den Hartz-IV-Satz? Wie wird dieser ermittelt? Dies wissen die wenigsten.

(Susanne Schaper, DIE LINKE: Doch!)

Nein, Sie haben es leider doch nicht verstanden.

Man schaut sich die Teilgruppe der Menschen an, die geringe Einkommen haben, die täglich arbeiten gehen. Das sind die unteren 10 %. Was diese bekommen, das soll bei uns ein Hartz-IV-Empfänger bekommen. Ich finde, dass das in Ordnung ist. Es gibt Leute, die früh aufstehen und für das gleiche Geld arbeiten gehen, was ein HartzIV-Empfänger – das war ja die Systematik – hat. Ich finde – das ist dann eher das Problem –, dass jemand, der 40 Stunden arbeitet, morgens um 6 Uhr aufsteht, seine Kinder anzieht und in den Kindergarten bringt, immer noch ein bisschen mehr Geld haben sollte als jemand, der den ganzen Tag zu Hause ist.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von den LINKEN)

Dass dieses System bleibt, dafür kämpfe ich. Ich möchte, dass die Krankenschwester mehr hat als jemand, der keine Arbeit hat – aus welchen Gründen auch immer.

(Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. Klaus Tischendorf, DIE LINKE)

Lassen Sie mich langsam aber sicher zum Ende kommen. Hartz IV hat Sachsen genutzt. Es hat Menschen in Arbeit gebracht, das Fordern und Fördern funktioniert. Ich würde mir wünschen, dass DIE LINKE mit ihrer kleinkarierten Kritik aufhört, dass sie selber Vorschläge macht, wie wir noch mehr Menschen in Arbeit bringen können. Sie haben keine Antworten gegeben. Sie haben nichts gebracht.

(Zurufe von den LINKEN)

Ich bin dankbar, dass unser Wirtschaftsminister gestern das ESF-Programm „Jobperspektive Sachsen“ vorgestellt hat, in dem es darum geht, 8 300 dieser Menschen, die es wirklich schwer haben, in Arbeit zu bringen. Wir sollten uns die Gruppen noch einmal anschauen, die ich vorhin nannte, die es besonders schwer haben und von denen wir sagen, sie haben Vermittlungshemmnisse. Daran werden wir als Koalition arbeiten, und ich glaube, dass wir erfolgreich sein werden.

Wenn wir uns die letzten zehn Jahre anschauen, haben wir großen Grund zur Dankbarkeit, wie sich die wirtschaftli

che Situation bei uns entwickelt hat. Die letzten zehn Jahre sollten auch Ansporn für eine vernünftige Arbeitsmarktpolitik sein, die niemanden in unserem Land aus dem Blick lässt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Eine Kurzintervention sicher?

Ja. Ich finde es bedauerlich, dass Herr Abg. Krauß der Staatsregierung unterstellt, dass sie nicht googeln könne und dass es deshalb die Abgeordneten selber machen müssen. Das ist sehr schade.

Herr Krauß, wollen Sie darauf antworten?

(Zuruf von der CDU: Das ist zu banal!)

Dann rufe ich jetzt die SPD-Fraktion auf. Frau Abg. Neukirch, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie bereits in der Debatte 2010 mit dem Titel „Fünf Jahre Hartz IV“ finde ich es nach wie vor sinnvoll, dass man sich immer wieder trifft und über Entwicklungen und Analysen zu bestimmten Themenfeldern debattiert; denn wer zurückschaut, kann eine ganze Menge lernen. Das sollte auch für die heutige Debatte das Grundanliegen sein, nicht nur etwas kategorisch abzulehnen oder zu beschönigen, sondern weiterzuentwickeln und auf die bestehenden Probleme einzugehen. Genau das ist eine der Sozialpolitik immanente Aufgabe; denn Gesellschaft entwickelt sich stetig weiter, Lebensweisen verändern sich und die sozialen Sicherungssysteme müssen sich dem anpassen. Schon beim letzten Mal im Landtag vor fünf Jahren bin ich auf einige aus meiner Sicht grundlegende Probleme eingegangen, die die sogenannten Hartz-IV-Reformen, insbesondere die Hilfe zum Lebensunterhalt im SGB II, mit sich gebracht haben.

Grundsätzlich war es aus heutiger Sicht richtig, die beiden Systeme Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammenzulegen. So wurde beispielsweise vielen Menschen im Sozialhilfebezug eine Chance gegeben, wieder an den Arbeitsmarktmaßnahmen teilzunehmen und gefördert zu werden. Ein Fehler war – das habe ich damals gesagt und das sage ich auch heute –, dass die Reform nicht mit einer Lohnuntergrenze abgesichert wurde. Belegen kann man das heute – das ist in der Statistik nachzulesen – durch den Effekt, dass die Beschäftigung zwar gestiegen, aber der Hilfebedarf leider nicht adäquat zurückgegangen ist. Das heißt, wir haben viele Aufstocker, die einen Lohn erhalten, von dem sie nicht leben können und die deshalb auf Hilfe angewiesen sind.

Der Mindestlohn hätte verhindern können, dass sich der Niedriglohnsektor so enorm ausweitet. Der Mindestlohn, den wir jetzt eingeführt haben, ist deshalb ein enorm

wichtiger Anfang, um den mittlerweile weit ausgebreiteten Niedriglohnsektor und damit auch der Armut in Beschäftigung zu begegnen.

(Beifall bei der SPD)

Daneben brauchen wir nach wie vor einen sozialen Arbeitsmarkt, einen öffentlich geförderten Beschäftigungsbereich. Die Ansätze dazu in Sachsen vor einigen Jahren, ihn abzuschaffen, kann man getrost als Fehler bezeichnen; denn die Statistiken zeigen heute, dass neben dem Rückgang an Arbeitslosigkeit dennoch ein großer Sockel an Menschen bleibt, die zu lange im SGB II verharren und Sozialleistungen in Anspruch nehmen müssen. Bei diesen Menschen wirken sich leider weder Fachkräftemangel noch Sanktionen beschäftigungsfördernd aus. Das heißt, hier brauchen wir zielgerichtete Qualifikation, unterstützte Beschäftigung und Motivation und geeignete Rahmenbedingungen, die wieder ganz oben auf der arbeitsmarktpolitischen Agenda stehen müssen, damit auch diese Menschen wieder Teilhabechancen in unserer Gesellschaft bekommen.

(Beifall bei der SPD)

Ein weiterer Kritikpunkt damals wie heute sind die abgeleiteten Regelsätze für Kinder. Das hat auch das Bundesverfassungsgericht bemängelt. Dazu muss man feststellen, dass das eingeführte Bürokratiemonster des Bildungs- und Teilhabepaketes nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann. Daran wird auf Bundesebene gearbeitet. Ministerin Schwesig hat dazu Schritte vorgelegt, die unternommen werden. Aber darauf wird mein Kollege Henning Homann in der zweiten Runde noch detaillierter eingehen.

Ein letzter Punkt, den ich immer bemängelt habe und den hoffentlich alle Menschen mit einem gewissen volkswirtschaftlichen Verständnis teilen, war die Abschaffung der einmaligen Leistungen; denn die Sparquote bei einem Einkommen von circa 400 Euro im Monat kann sich jeder vorstellen. Daher ist es absurd zu verlangen, für Anschaffungen in Größenordnungen, wie Waschmaschinen oder Elektrogeräte, selbst vorsorgen zu müssen.

(Beifall bei den LINKEN)

Wir haben im Koalitionsvertrag und im Haushalt die Grundlagen für eine Sozialberichterstattung hier in Sachsen gelegt. Diese wird uns hoffentlich im nächsten Jahr die Gelegenheit geben, anhand konkreter sächsischer Daten die sozialen Lebenslagen in Sachsen zu analysieren und daraus sozialpolitische Maßnahmen abzuleiten.

(Beifall bei der SPD)

Aus heutiger Sicht lassen sich bestimmte Wirkungen besser hinterfragen. Die Reform des SGB II stellte für viele Menschen nach einer langen Zeit sozialpolitischer Untätigkeit in der Bundesrepublik eine enorme Herausforderung dar. Gerade hier in den neuen Bundesländern wurde mit dieser Reform zum zweiten Mal in kurzer Zeit eine grundlegende Orientierung für das eigene Leben komplett auf den Kopf gestellt. Gleichzeitig waren nicht

genügend Arbeitsplätze vorhanden, die das Fordern und Fördern hätten ausreichend untersetzen können. Viele Arbeitslosenhilfeempfänger wurden plötzlich zu Sozialhilfeempfängern, und diese Sozialleistung wurde dann auch noch abwertend mit „Hartz IV“ bezeichnet.

An dieser Stelle möchte ich allen Kritikern dieser Reform sagen: Mit der ständigen Wiederholung dieser sprachlichen Abwertung tragen wir alle zu der Diskriminierungserfahrung von Menschen bei, die auf Sozialleistungen angewiesen sind. Dadurch ist viel Vertrauen in den Sozialstaat verloren gegangen, und mit dieser Sprache pflanzt sich das Misstrauen in die sozialen Sicherungssysteme leider weiter fort – und das zu Unrecht. Denn der deutsche Sozialstaat – bei allen Mängeln und Problemen im Detail – ist ein sehr guter und leistungsfähiger. In der Finanzkrise konnte er sich beweisen, und auch den demografischen Wandel und die Aufnahme von vielen Flüchtlingen werden wir bewältigen. Und warum? Weil das solidarische Sicherungssystem, die solidarische Übernahme von Verantwortung und individueller Risiken nach wie vor das leistungsfähigste und überzeugendste System ist und zudem ein äußerst gesellschaftsintegratives Sicherungssystem.

Aber wir müssen es schaffen, wieder Vertrauen in dieses System herzustellen. Hier haben wir noch einen weiten Weg vor uns, weil es viele Ängste gibt, nicht nur die Ängste von wenigen, sondern hier in Sachsen besonders von weiten Teilen der Mittelschicht. Das sind übrigens Ängste und Befürchtungen, die wir ernst nehmen müssen. Dazu trägt diese Debatte bei – ich muss leider sagen, der Entschließungsantrag der LINKEN nicht, weshalb wir ihn ablehnen werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Und die AfDFraktion, bitte. Herr Abg. Beger.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn ich mir die Antworten auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE in der Drucksache 6/1093 ansehe, stehen mir die Haare zu Berge. Die Landesregierung hält es nicht für nötig, eigene Nachforschungen anzustellen, um Auswirkungen auf einen nicht unerheblichen Anteil der Bevölkerung in Sachsen zu ermitteln.

Man schiebt die Verantwortung auf die Bundesebene, antwortet ausweichend, und es entsteht der Eindruck, die Landesregierung will sich der Kontrolle durch den Landtag entziehen, indem sie angibt, Bewertungen nicht abgeben zu müssen. Wie aber wollen Sie dazu beitragen, Gesetze und Verordnungen zur Sicherstellung der Existenz zu ändern, wenn Sie sich nicht einmal einen Überblick über die Auswirkungen verschaffen?

Aber, liebe Kollegen, kein Sozialsystem der Welt ist so gut wie das deutsche. Und das ist gut so. Allerdings – und auch das gilt es zu beachten – muss jedes System auch hin

und wieder reformiert werden. So auch die jetzigen Rahmenbedingungen des sogenannten Hartz IV. Es benötigt durchaus mehr Einzelfallentscheidungen, gerade wenn es um Sanktionen geht; denn jeder Mensch ist individuell, und es kann nun mal nicht immer per Paragrafen über Sanktionen entschieden werden.

Ihre Forderung, den Hartz-IV-Regelsatz auf 500 Euro pro Monat anzuheben, liebe Kollegen von den LINKEN, den Sie in Ihrem Entschließungsantrag erhoben haben, ist mehr als überzogen. Ich hoffe, Sie meinen dies nicht ernst, und es ist ein vorgezogener Aprilscherz.

(Frank Kupfer, CDU: Die meinen das ernst, das ist das Schlimme!)

Wenn nicht, ist dies ein Schlag ins Gesicht eines jeden Arbeitnehmers in unserem Land, welcher Monat für Monat einen großen Teil seines hart erarbeiteten Geldes nicht sieht, da es direkt an den Fiskus und die Sozialkassen geht. Für ein Leben in Würde, wie Sie es begründen, sollten wir nicht beginnen, das Zuhausebleiben so zu subventionieren, dass Arbeiten ein Minusgeschäft ist, sondern wir sollten zusehen, diese Menschen wieder in Arbeit zu bringen.

(Beifall bei der AfD – Zuruf des Abg. Enrico Stange, DIE LINKE)

Es gibt derzeit auch in Sachsen so viele offene Stellen wie noch nie, egal, ob in der Pflege und im sozialen Bereich, im Handel oder im Handwerk. Lassen Sie uns gemeinsam den Kraftakt bewerkstelligen, diese Menschen in Arbeit zu bringen. Es wäre ein Gewinn für alle Akteure auf dem Arbeitsmarkt.

(Susanne Schaper, DIE LINKE: Was machen wir in der Zwischenzeit?)

Ich komme jetzt auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE und die Antworten zu sprechen.

Liebe Staatsregierung, würde ein Hartz-IV-Empfänger so seinen Pflichten nachgehen, wie Sie teilweise Kleine und Große Anfragen bearbeiten, hätte man diesem bereits seit Monaten alle Zuwendungen wegsanktioniert.

(Beifall bei der AfD)