Dagmar Neukirch
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Ende der Legislaturperiode, in der letzten Plenarsitzung als Prioritätenantrag zu einem sozialpolitischen Thema reden zu dürfen, dafür danke ich der Linksfraktion gleich zu Beginn meines Beitrags, weil die Sozialpolitik aus meiner Sicht nicht oft genug und gerade im letzten Plenum auch sehr würdig diskutiert werden sollte.
Der Sächsische Sozialbericht, den es durch diese Koalition in dieser Legislaturperiode wieder gab – und ich hoffe auch in den folgenden wieder geben wird –, gibt uns die wichtigsten Aufgaben weiter vor. Ich nehme einmal zwei Ergebnisse heraus: Die zwei großen Herausforderungen, die aus meiner Sicht erst einmal Daueraufgabe bleiben und auf der Agenda weiter stehen müssen, sind vor allem folgende: erstens den Blick stärker auf Kinder und insbesondere Kinder von Alleinerziehenden zu richten, weil
diese nach wie vor überproportional einem Armutsrisiko unterliegen. Auch wenn das leicht besser geworden ist, ist das nicht hinzunehmen, und zweitens die große Herausforderung der Sorge und Versorgung in der alternden Gesellschaft.
Diese zwei Aufgaben – Chancengleichheit und Armutsbekämpfung am Lebensbeginn für Kinder und Familien, aber auch gute Versorgung, Fürsorge für Menschen, die Hilfe am Lebensende benötigen – müssen in der nächsten Legislaturperiode im Bereich fest verankert werden. Darüber werden wir auch noch häufig diskutieren.
Wir als SPD haben in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten Sozialpolitik maßgeblich mitgeprägt. Wer schuld an welchen Entwicklungen ist, wurde bereits gesagt. Deshalb möchte ich kurz darauf eingehen. Wir als SPD haben in den Jahrzehnten vieles errungen, aber wir mussten auch viele Kompromisse schließen. Der größte Einschnitt – bis heute für uns sehr prägend – war die Agenda 2010. Es ist schon paradox, dass die Partei, deren großes Verdienst insbesondere die stetige Steigerung des sozialen Wohlstands für alle gewesen ist, diesen Sozialstaat mit dieser Agenda für viele sehr schmerzhaft reformieren musste. Die Zusammenlegung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe war übrigens keine Idee der SPD. Die Forderung stammt von den Wohlfahrtsverbänden schon aus den Neunzigerjahren. Beispielsweise hat die Charitas das bereits 1992 empfohlen.
Fest steht jedoch, dass der Sozialstaat ohne Reform damals an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit geraten wäre. Rekordarbeitslosigkeit, Finanzkrise, erstmalig nach Jahrzehnten gesunkenes Wirtschaftsprodukt und die Bewältigung der deutschen Wiedervereinigung, insbesondere über die sozialen Sicherungssysteme, waren die Herausforderungen der damaligen Zeit. Kurzum: Um den Sozialstaat insgesamt leistungsfähig zu halten, haben SPD und GRÜNE damals gehandelt. Was jedoch in der Folgezeit fehlte – und das ist bis heute schwer zu korrigieren –, ist eine Wiederanpassung an bessere Wirtschaftsdaten gewesen, auch weil CDU und FDP damals im Bund die Vorlage nur zu gern nutzten, um über den Bundesrat noch weiter zu verschärfen und in der Folgezeit bis heute wichtige Anpassungen zu verhindern.
Wir als SPD sind seit einiger Zeit in einem Arbeitsprozess, um den Sozialstaat weiterzuentwickeln und dabei aus den Erfahrungen der Agenda 2010 zu lernen. Dafür stehen nicht nur das Konzept des Bürgergeldes und die Vorschläge für einen Übergang von Arbeitslosengeld in den Bürgergeld- und den Hilfegeldbezug. Es geht nicht mehr nur um die Frage Hartz IV. Im Mittelpunkt steht für uns als SPD, dass das Versprechen des Sozialstaates, das Versprechen von Arbeit, Solidarität und Mitmenschlichkeit erhalten bleiben kann, obwohl der gesellschaftliche Wertewandel gerade im Bereich der Arbeit extrem voranschreitet. Die Erwartungen an Arbeitsform, Arbeitszeiten, Vereinbarkeit mit familiären Verpflichtungen, übrigens von Frauen und Männern, verändern sich und steigen. Vor diesem Hintergrund müssen auch noch Inklusion, Teilha
be und Gleichberechtigung beachtet werden. In der Großen Koalition im Bund verfolgt die SPD genau diese Ziele und hat bereits einiges erreicht.
Da der Antrag viel auf bundespolitische Themen abstellt, möchte ich kurz auf diese Punkte eingehen, also auf ein paar andere als mein Vorredner. Die SPD steht, glaube ich, wie keine andere Partei für eine stetige Erhöhung und konsequente Durchsetzung des Mindestlohns. Sie steht für eine Stärkung der Tarifbindung, wie gerade erst die Initiativen für den Bereich der Pflege belegen. Die SPD hat für die Einbeziehung neuer Erwerbsformen in die soziale Sicherung gekämpft und diese durchgesetzt, zum Beispiel die Absicherung der Selbstständigen in der Alterssicherung und die Halbierung des Mindestbeitrags zur Krankenversicherung, also Maßnahmen, die insbesondere den vielen kleinen Soloselbstständigen in diesem Land, auch in Sachsen, zugutekommen und vor allem auch Scheinselbstständigkeit verhindern.
Mit der Brückenteilzeit wurde eine langjährige Forderung der Gleichstellungsbewegung erfüllt, da diese insbesondere den Frauen zugutekommt, die bisher durch familiär bedingte Arbeitszeitverkürzung in bestimmten Lebensphasen in der beruflichen Sackgasse gelandet waren. Auch das wurde erreicht.
Die SPD steht weiterhin in dieser zu verändernden Arbeitswelt für ein Recht auf mobiles Arbeiten, für partnerschaftliche Verteilung von Familienarbeitszeiten sowie für persönliche Zeitkonten und einen Rechtsanspruch auf Weiterbildung. Ich bin sehr überzeugt davon, dass das die Stichpunkte für die Weichenstellung für die Zukunft sind, damit der Sozialstaat mit diesem Versprechen an Arbeitssolidarität und Mitmenschlichkeit erhalten bleiben kann.
Zum Punkt Kindergrundsicherung hat bereits mein Vorredner, Herr Kiesewetter, Ausführungen gemacht. Mit dem Starke-Familien-Gesetz, das jetzt in Berlin verabschiedet wird, werden Eltern mit kleinen Einkommen im Kinderzuschlag sogar jetzt schon ab 408 Euro Existenzminimum pro Kind freigestellt. Das ist auch die Grundlage für das weitergehende Konzept der Kindergrundsicherung in der SPD. Das Konzept zur Grundrente liegt ebenfalls entscheidungs- und umsetzungsreif auf dem Tisch.
Die SPD hat damit bewiesen, dass mit diesen beiden Konzepten sowohl Chancengleichheit am Anfang des Lebens als auch die Anerkennung von Lebensleistungen am Ende von Biografien wichtig sind und in Politik umgesetzt werden können. Beides – Grundrente und Kindergrundsicherung – sind Reformen, die nicht nur überzeugen, sondern auch längst überfällig sind. Sie sehen, dass die SPD eine klare, eigenständige, moderne sozialpolitische Agenda hat und diese in Regierungsverantwortung im Rahmen der Möglichkeiten der Großen Koalition für die Menschen in diesem Land bereits aktiv umsetzt.
Einige Hinweise zu den landespolitischen Punkten im Antrag: Mit dem Azubi- und SchülerFreizeitTicket sind wir bereits einiges aus Punkt 3 angegangen und haben das
auch erledigt. Zu Punkt 2 möchte ich anmerken: Ein Pflegegeld á la Bayern von 100 Euro im Monat für jeden Pflegebedürftigen würde Pi mal Daumen nach derzeitigen Schätzungen bei knapp 200 Millionen Euro im Jahr liegen. Ich bin davon überzeugt, dass wir derzeit vor der Herausforderung der Sicherstellung von Versorgung eher in Entlastungsangebote, in Unterstützungsangebote
investieren müssen, damit die Menschen, die dann eventuell Pflegegeld bekommen können, auch jemanden haben, der Entlastungsleistungen anbietet. Ich finde, hierbei muss man wirklich mit Augenmaß schauen, wo wir investieren müssen, beispielsweise in Quartierskonzepte, in Versorgungskonzepte, in Menschen, die wir hier brauchen, um sie zu versorgen, als jetzt mit der Gießkanne ein sehr teures Instrument auszugießen.
Zur Entlastung von pflegebedürftigen Menschen, gerade bei den steigenden Eigenanteilen, wäre ein landespolitisch gestaltetes Pflegewohngeld denkbar, wie es die EnqueteKommission auch vorgeschlagen hat.
Da meine jetzige Rede die letzte in dieser Legislaturperiode ist, möchte ich die Gelegenheit nutzen, mich noch einmal zu bedanken, und zwar bei allen, die für sozialpolitische Themen brennen – was sich nicht immer so emotional äußern muss wie bei Kollegin Schaper. Aber, liebe Susanne, genau dafür, für dieses Brennen, das an diesem Pult so offensichtlich ist, möchte ich dir ganz großen Dank sagen, weil das die sozialpolitische Debatte hier in diesem Landtag wirklich sehr mitgeprägt und vorangebracht hat.
Aber viele brennen für Sozialpolitik auch im Stillen, und dies nicht nur hier im Hause und bei den Vereinen und Verbänden, sondern auch in den Ministerien, den Behörden und in der Verwaltung. Sie sind nicht minder wichtig für ein Vorankommen der Sozialpolitik in diesem Land. Deswegen möchte ich mich auch bei ihnen bedanken, weil viele Personen die Belange von Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen in Notlagen geraten sind, im Blick haben müssen. Man muss daran – ob im Lauten oder im Stillen – gemeinsam arbeiten. Ich glaube, da sind wir in dieser Legislaturperiode auch gut vorangekommen.
Ich möchte mich aber auch noch bei zwei Personen bedanken, die zwar jetzt leider nicht hier sind, aber ich mache es trotzdem. Ich will mich bei Horst Wehner noch einmal bedanken. Horst Wehner kenne ich jetzt schon seit sehr vielen Jahren, auch schon als Mitarbeiterin in diesem Haus. Ich erinnere mich an eine Ausschussreise nach Finnland, und seine dort auf Finnisch gehaltene Rede zur Arbeit des Sozialausschusses motiviert mich bis heute, diese Arbeit, die wir hier tun, mit großer Ernsthaftigkeit, mit Stil und mit Humor zu erledigen. Dafür wollte ich dem Horst auch noch einmal an dieser Stelle danken. Ihr könnt ihm das überbringen, oder er kann es nachlesen.
Zudem will ich mich aber auch bei Patrick Schreiber bedanken, auch wenn er nicht da ist. Wir haben zusammen den Koalitionsvertrag verhandelt. Ihn bei allen sozialpolitischen Umsetzungen in dieser Legislaturperiode an meiner Seite zu haben war nicht immer so spaßig
und oft anstrengend. Aber ich muss sagen: Jemanden an der Seite zu haben, der genauso für die Sachen brennt, von denen er überzeugt ist, um sie umzusetzen, war für mich immer sehr anregend und wohltuend und für die sozialpolitischen Aktivitäten in dieser Koalition meines Erachtens unverzichtbar. Deshalb danke ich Patrick Schreiber dafür und wünsche ihm für seine Zukunft auch ein bisschen mehr Gelassenheit, auch im Sinne seiner Gesundheit; aber er soll so streitbar bleiben. Das würde ich ihm gern mit auf den Weg geben.
Ansonsten bedanke ich mich jetzt noch für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch die SPD-Fraktion wird den vorliegenden Antrag ablehnen. Ich schließe mich meinen zwei Vorrednern in der Begründung für die Ablehnung des Antrages an. Zu den Zielstellungen der Pflegeversicherung der SPD-Fraktion habe ich in meinem gestrigen Redebeitrag bereits viel gesagt. Deswegen gebe ich den Rest meiner Rede zu Protokoll.
Vielen Dank.
In den vergangenen Jahren wurden die Leistungen der Pflegeversicherung, insbesondere für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen, deutlich verbessert. Vor allem ist der Personenkreis größer geworden, der auf Leistungen der Pflegeversicherung vertrauen kann. Zugleich erhalten die Menschen früher Leistungen aus der Pflegeversicherung und können länger zu Hause bleiben.
In seiner jetzigen Struktur kann die Pflegeversicherung die Herausforderungen, die auf uns zukommen, nicht mehr ausreichend bewältigen, wenn die Zahl der Hochaltrigen und der Pflegebedürftigen steigt.
Wir müssen deshalb neue Wege gehen, damit die Menschen die Hilfe bekommen, die sie brauchen. Die finanziellen Lasten müssen stärker gemeinsam getragen werden. Arbeit in der Pflege muss endlich Wert und Wertschätzung erfahren.
Wir als SPD wollen bessere Qualität, bessere Arbeitsbedingungen und bessere Löhne in der Pflege. Die Bezahlung in der Pflege ist nicht gerecht. Beschäftigte in der Altenpflege sind durch eine mehrjährige, anspruchsvolle Ausbildung hoch qualifiziert, sie haben einen Beruf, der geistig und körperlich fordernd ist. Sie tragen viel Verantwortung für das Wohlergehen von Menschen. Aber ihr Einkommen liegt gerade auch in Sachsen weit unter dem Durchschnittslohn für eine Vollzeitbeschäftigung in Deutschland.
Ein Grund auch für die großen Gehaltsunterschiede in Deutschland sind fehlende Tarifverträge. Besonders niedrig ist die Bezahlung im Bereich der ambulanten Altenpflege, wo besonders selten nach Tarif gezahlt wird.
Wir werden künftig deutlich mehr Pflegepersonal und eine bedarfsgerechte Personalbemessung brauchen, wenn wir in Zukunft eine hochwertige und würdevolle pflegerische Versorgung sicherstellen wollen.
Wir wollen für die steigende Zahl von Hochaltrigen und Pflegebedürftigen gerüstet sein und zugleich die Berufe in der Pflege nachhaltig aufwerten. Dazu müssen wir für die Pflege vor allem bessere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen durchsetzen. Denn Pflegeberufe werden nur attraktiver, wenn sie besser bezahlt und die Arbeitsbedingungen verbessert werden. Dazu zählt an erster Stelle,
dass es für Arbeit in der Pflege einen Tarifvertrag gibt, der für alle gilt.
Wir unterstützen alle Anstrengungen, gemeinsam mit den Sozialpartnern tarifliche Mindestbedingungen für alle in der Pflege Beschäftigten zu erreichen. Es ist ein gutes Signal, dass freigemeinnützige Träger und kirchliche Träger der Altenpflege gemeinsam mit der Politik und den Gewerkschaften einen Weg zu angemessenen Lohnbedingungen in der Pflege finden.
Dafür soll im SGB XI eine Regelung geschaffen werden, die die Refinanzierung von Pflegeleistungen an die Geltung von Tarifverträgen bindet. Nur ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag sichert der Arbeit in der Pflege ihren angemessenen Wert.
Mehr Personal, bessere Bezahlung und gute Arbeitsbedingungen in der Pflege bedeuten, dass wir mehr Geld für eine bessere Pflege brauchen. Die Pflege muss in Zukunft anders und stärker solidarisch finanziert werden. Wir brauchen mehr Pflegepersonal und bessere Leistungen. Aber höhere Kosten dürfen nicht zulasten der Pflegebedürftigen und ihrer Familien gehen, weil deren Eigenanteil ständig wächst.
Pflegebedürftige und ihre Angehörige können ihren Eigenanteil für pflegebedingte Kosten nicht beeinflussen. Pflegebedürftigkeit ist mit einem hohen Risiko verbunden, am Ende des Lebens Sozialhilfe in Anspruch nehmen zu müssen. Die Eigenanteile zu den eigentlichen Pflegekosten im Pflegeheim sind regional sehr unterschiedlich und liegen derzeit deutschlandweit durchschnittlich bei 618 Euro monatlich.
Bisher gilt, dass die Höhe des Eigenanteils nach oben offen ist und der von der Pflegeversicherung finanzierte Anteil festgelegt ist. Betroffene müssten befürchten, bedürftig zu werden, wenn ihre Ersparnisse aufgebraucht sind. Wir wollen einen grundlegenden Wechsel einleiten: Nicht die Leistungen der Pflegeversicherung werden begrenzt, sondern die Eigenanteile der Pflegebedürftigen. Zukünftige Kostensteigerungen werden solidarisch über einen Mix aus moderat steigenden Beiträgen und einem dynamischen Bundeszuschuss finanziert. Die Länderinitiative von Hamburg, Berlin, Bremen und SchleswigHolstein im Bundesrat setzt hier das richtige Signal.
Weitergehendes Ziel ist die Pflegevollversicherung, wie ich es gestern bereits in der Debatte zum LINKEN-Antrag ausführte.
Zum Antrag der AfD-Fraktion:
Punkt 1 möchte ein Investitionsprogramm analog zur Krankenhausinvestitionsverantwortung der Länder. Ich weiß nicht, ob Ihnen klar ist, was das bedeutet. Für 78 Krankenhäuser in Sachsen werden jährlich 130 Millionen Euro an Investitionsunterstützung gezahlt. Grundlage ist ein Krankenhausplan, der gesetzlich fixiert ist und der eine strenge Bettenbedarfsplanung vornimmt.
Im Bereich der Pflege reden wir von 970 Einrichtungen und 1 120 ambulanten Pflegediensten. Nicht nur der
finanzielle, sondern auch der Planungsaufwand, der hinter einer solchen Landesinvestitionsförderung steht, wäre also in der Pflege um einiges größer als bei den Krankenhäusern. Zudem stellt sich die Frage, wie dann Pflege zu Hause unterstützt werden soll – oder soll sie aus einer solchen Landesförderung herausfallen?
Weiter ist die Frage, ob sie dann tatsächlich eine Pflegeplatzplanung im Detail aufbauen und haben wollen. Das Ganze wäre mit einem enormen bürokratischen Aufwand verbunden und hilft ganz sicher nicht kurzfristig den Pflegebedürftigen. Deshalb lehnen wir den Antrag ab.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei allen Problemen, die wir derzeit haben, möchte ich eine Lanze für die Pflegeversicherung brechen. Die Pflegeversicherung ist aus meiner Sicht eine absolute Erfolgsgeschichte. Bevor die Pflegeversicherung eingeführt wurde, bedeutete
Pflege nicht nur ein Armutsrisiko, sondern auch ein Lebensrisiko. Mit der Versicherung wurde ein riesengroßer, wichtiger Bestandteil in unseren Sozialstaat eingefügt.
Die Pflegeversicherung wurde extra als Teilversicherung angelegt, weil sie noch eine andere Funktion hatte: Sie hatte die Funktion, ein Versorgungssystem, Versorgungsstrukturen aufzubauen. Dies in kurzer Zeit hinzubekommen ging nur, indem man die Pflegeversicherung als Teilversicherung gestaltete und einen Teil dieses Prozesses dem Markt übergab. Das ist damals so entschieden worden.
Es hat dazu geführt, dass in Sachsen innerhalb von zehn Jahren 1,4 Milliarden Euro in die Versorgungsstruktur geflossen sind und über 20 000 Pflegeheimplätze zur Versorgung pflegebedürftiger Menschen geschaffen
werden konnten. Die Anlage als Teilversicherung war also auch Grundlage für die gute Pflege in Sachsen.
Zwar war die Pflegeversicherung in den ersten Jahren der Motor für den Versorgungsstrukturaufbau, inzwischen ist sie aber nicht mehr auf der Höhe der Zeit und der Notwendigkeiten, die wir jetzt haben;
denn dass sie als Teilversicherung ausgestaltet ist, behindert seit Jahren genau das, was Frau Schaper eben angesprochen hat: dass wir die Rahmen- und Arbeitsbedingungen in der Pflege verbessern können.
Das ist aber tatsächlich erst durch die vielen Pflegestärkungsgesetze der letzten Jahren aufgefallen, weil dadurch die lange überfällige Leistungsdynamisierung, Leistungsverbesserung und auch Lohnverbesserung für die Pflegekräfte vonstatten gehen konnte.
Teilversicherung bedeutet Eigenanteile. Eigenanteile steigen bei jeder Dynamisierung und bei jeder Leistungsverbesserung. Sie sind für die Pflegebedürftigen letzten Endes nicht beeinflussbar oder vorausberechenbar. Das ist der große Nachteil. Durch diese Leistungsverbesserung musste der Eigenanteil – nach der Gesetzeslogik, in der die Pflegeversicherung angelegt ist – also steigen.
Im Ergebnis müssen wir jetzt feststellen, dass dies eine Armutsfalle für pflegebedürftige Menschen auch in Sachsen bedeutet. Das aktuelle System führt also erneut zu Ungerechtigkeiten. Eigenanteile sind zu erbringen, egal ob die Menschen sich das leisten können oder nicht. Sie sind darauf angewiesen, das Geld irgendwie aufzubringen.
Gleichzeitig – auch das ist ein wichtiger Punkt, der heute noch keine Erwähnung gefunden hat – kann dadurch eben nur unzureichend gesteuert werden, ob tatsächlich alle Pflegebedürftigen die Leistungen erhalten, die sie auch benötigen, weil Eigenanteile natürlich auch dazu führen, dass Leistungen vielleicht gar nicht in Anspruch genommen werden, da man befürchtet, sich den dafür anfallenden Eigenanteil nicht mehr leisten zu können.
Aus diesen zwei Gründen – einerseits die Finanzierung, andererseits aber auch die Qualität und die Versorgungssicherheit für pflegebedürftige Menschen – wird ersichtlich, welch große Aufgabe die Weiterentwicklung der Pflegeversicherung ist. Dass wir eine Weiterentwicklung der Pflegeversicherung brauchen, darüber besteht mittlerweile großer Konsens.
Ziel muss natürlich sein, dass es nicht nur für die Pflegebedürftigen zu kalkulierbaren Belastungen kommt, sondern dass diese Belastungen auch für den Staat und für diejenigen, die die Pflegeversicherung organisieren, kalkulierbar bleiben. Auch das ist ganz wichtig. Uns nutzt keine Pflegeversicherung, die die Leistungen nicht mehr erbringen kann. Wir brauchen die Pflegeversicherung, um die Leistungen für pflegebedürftige Menschen sicherzustellen, das heißt, die Leistungsfähigkeit dieses Systems ist enorm wichtig.
Wir sprechen hier über ein System, das allein durch die gesetzliche Pflegeversicherung 40 Milliarden Euro in Leistungen umsetzt. Dazu kommen noch die Eigenanteile und die private Pflegeversicherung. Das ist ein enorm großes System, das man nicht von heute auf morgen mal eben umbauen kann. Es geht bei dieser Reform – das finde ich ebenfalls sehr wichtig – auch nicht nur um einen Umbau der Finanzierung. Es geht gerade auch darum, die Qualität sicherzustellen.
Wir wissen aus dem Klie-Gutachten, dass die Pflegeversicherung es nicht mehr schafft, eine gleichbleibend gute Versorgung in Stadt und Land sicherzustellen. Das ist ein riesengroßer Punkt, weshalb wir die Pflegeversicherung weiterentwickeln müssen. Wir müssen die Leistungen sicherstellen, egal wo ein Mensch lebt und in welcher Versorgungsform er sich befindet. Das heißt, auch die Sektorengrenzen müssen überwunden werden. Das bedeutet eben mehr als nur die Finanzlogik der Pflegeversicherung umzubauen oder einfach mehr Geld in die Pflege zu bringen.
Deshalb brauchen wir verschiedene Maßnahmen. Ich bin davon überzeugt, dass wir kurzfristige Maßnahmen brauchen, die relativ schnell zu einer Entlastung von Menschen in Pflegeeinrichtungen führen. Daneben brauchen wir aber mittel- und langfristige Lösungen, die das System der Pflegeversicherung leistungsfähig erhalten.
Als kurzfristige Maßnahme schlagen wir als SPD einen Wechsel der Finanzierungssystematik vor: Die Eigenanteile sind zu deckeln; der Zuschuss über die Pflegeversicherung ist offenzuhalten. Das muss durch Steuerzuschüsse ausgeglichen werden.
Die krankheitsbedingte Pflege beispielsweise sollte, egal ob sie im Pflegeheim geleistet wird oder zu Hause, aus der Krankenversicherung bezahlt werden. Das sind ganz konkrete Vorschläge, die umgesetzt werden können.
Die Initiative im Bundesrat, die Herr Schreiber schon erwähnt hat, geht genau in diese Richtung und wird auch
von uns sehr unterstützt. Es sind nicht zuletzt SPDLänder, die diese Initiative eingebracht haben.
Das Pflegewohngeld ist kein Wahlkampfgetöse. Wir haben uns damit in der Enquete-Kommission relativ lange beschäftigt. Das Pflegewohngeld kann genau hier ein kurzfristig wirkendes Instrument auf Landesebene sein, das zur Entlastung der Pflegebedürftigen beiträgt.
Wir haben uns in der Enquete-Kommission damit beschäftigt. Wenn dann innerhalb von zwei Wochen Konzepte vorliegen sollen, ist das, glaube ich, aber auch ein bisschen Wahlkampfgetöse von Ihrer Seite, Frau Schaper.
Ich will auch sagen, dass die von mir genannten Punkte – –
Vielleicht wollen Sie noch wissen, welche Gründe ich dafür habe, diesen Antrag abzulehnen? Dazu komme ich nämlich noch. Ich wollte jetzt eigentlich ausführen, warum wir aus meiner Sicht mittelfristig nicht um eine Weiterentwicklung zur Pflegevollversicherung mit solidarischer Finanzierung herumkommen – gerne auch in Form einer Bürgerversicherung.
Wir müssen auch nicht bei null anfangen. Ver.di hat glücklicherweise schon 2014 ein Machbarkeitsgutachten in Auftrag gegeben. Wir haben das 2015 am Runden Tisch Pflege diskutiert.
Wenn man diese Gutachten allerdings liest, Frau Schaper – das muss man vielleicht auch einmal tun –, stellt man fest, dass darin steht, welcher Aufgabenkatalog zu erledigen ist, um diese Reform überhaupt durchführen zu können. Das ist nicht mit einem Fingerschnipp getan. Wir sind ja auch ein Stück weiter. Ich empfehle das Gutachten von Herrn Rothgang zur Weiterentwicklung der Pflegeversicherung zur Vollversicherung.
Das gibt es erst seit diesem Jahr.
Zu Alternativen: Wir sprechen hier über die Umstellung eines Milliardensystems. Ich möchte das nicht auf Zuruf zwischen Tür und Angel und in Form eines Antrags, in dem steht, wir sollten uns jetzt für eine Pflegevollversicherung einsetzen, diskutieren. Entweder wir diskutieren das hier in einer gewissen Tiefe und können auch einmal Argumente austauschen, oder Sie wollen das nicht. Dann gehe ich und setze mich wieder hin und lehne den Antrag ab. Ich verstehe Ihre Zwischenrufe überhaupt nicht.
Das ist wirklich keine Art und Weise, hier Debatten zu führen.
Kommen wir jetzt zu Ihrem Antrag, Frau Schaper. Sie sagen, die Probleme der Pflegeversicherung entstehen aus dem Teilleistungssystem. Darin stimme ich überein. Sie entstehen aus der Unterfinanzierung? Die Pflegeversicherung ist nicht unterfinanziert. Sie ist eine Teilversicherung; daraus ergeben sich Finanzierungsprobleme. Eine Unterfinanzierung ist nicht festzustellen.
Mit Ziffer 1 Ihres Antrags erheben Sie eine Maximalforderung. Wir haben in der Enquete-Kommission gemerkt, dass wir für diese Maximalforderungen – Pflegevollversicherung, Bürgerversicherung, alle Pflegeleistungen,
Dynamisierung usw. – momentan keine Mehrheiten haben, um das schnell umzusetzen. Vor allem haben wir offene Fragen.
Um die von Ihnen in Ziffer 2 vorgeschlagene Übergangsregelung umzusetzen, brauchen Sie einen Leistungskatalog analog zur Krankenversicherung. Diesen haben wir in der Pflegeversicherung nicht und müssen ihn entwickeln. Wir brauchen dann Menschen, die den Menschen bei der Einstufung des Pflegegrads sagen: Bei Pflegegrad 4 erhalten Sie diese und jene Leistung aus dem Leistungskatalog, und diese Leistungen werden dann komplett finanziert. Dazu brauchen wir ein Case-Management.
Dann brauchen wir noch eine unabhängige Kontrollinstanz, die kontrolliert, ob die Leistungen bei den Pflegebedürftigen tatsächlich ankommen. Das kann man in den derzeitigen Strukturen nicht tun. Von daher setzt die Übergangsregelung, die Sie hier fordern, voraus, dass alles, was wir dann brauchen, um eine Vollversicherung einzuführen, eigentlich schon vorhanden ist. Es macht keinen Sinn, diese Übergangsregelung zu fordern. Wenn wir das alles schon hätten, dann bräuchten wir hier wirklich nicht mehr über Vollversicherung streiten; denn diese wäre längst eingeführt. Von daher finde ich viele Gründe, den Antrag abzulehnen, obwohl ich in der Zielstellung absolut mit Ihnen übereinstimme.
Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich freue mich sehr, dass es nach 2006 jetzt endlich wieder einen umfassenden sächsischen Sozialbericht gibt, den wir heute dem Landtag vorlegen. Ich freue mich vor allem darüber, dass es gelungen ist, die Indikatoren für diesen Bericht so zu verankern, dass die Folgeberichte in den nächsten Jahren einfacher werden, dass sie vergleichbar sind.
Bevor ich meine restliche Rede zu Protokoll gebe, möchte ich gern noch einmal dem Ministerium und vor allem den Mitstreitern im Beirat für diesen Bericht danken. Wir mussten relativ viele Indikatorenpapiere wälzen und haben sehr viele Zwischenberichte gelesen. Ich möchte mich für diese Arbeit bei den Mitgliedern aus diesem Hohen Haus, die in dem Beirat sitzen, sehr herzlich bedanken und bedanke mich auch für die Aufmerksamkeit.
Wer mit Verantwortung Politik machen will, muss genau wissen, wo Probleme im Land liegen. In Sachsen mussten wir in der Sozialpolitik unter der CDU-FDP-Regierung nach Gefühl gehen. Das hat man der damaligen Sozialpolitik auch angemerkt.
Nach dem letzten Sozialbericht aus dem Jahr 2006 ließen sich ohne Zahlen Missstände ganz einfach leugnen. Die Folgen der drastischen Kürzungen wurden nicht dokumentiert und damit einfach nicht zur Kenntnis genommen. Deswegen haben wir Wert auf eine fundierte, zielorientierte und nachhaltige Sozialberichterstattung im Koalitionsvertrag gelegt. Nunmehr nach langem Begleiten liegt uns der erste umfassende Sozialbericht für Sachsen wieder vor, der intensiv in verschiedene Themenfelder blickt.
Der Bericht gibt einen Überblick über die Lebenslagen der Menschen in Sachsen mit Fokus auf die Themenbe
reiche Erwerbstätigkeit und Einkommen, Familien und Unterstützungsleistungen des Freistaates Sachsen, Senioren, Gesundheit, Pflege, Drogen und Sucht sowie Menschen mit Behinderungen. Die Sozialberichterstattung wird jetzt regelmäßig weitergeführt – mindestens alle fünf Jahre –, damit Entwicklungen erkennbar sind.
Der Sozialbericht zeigt für mich verschiedene Schwerpunkte. Die kürzlich vorgestellten SPD-Ideen für einen neuen Sozialstaat sind auch in Sachsen der richtige Weg. Das, was wir mit unseren Ansätzen verbessern wollen, findet sich hier in den Zahlen bestätigt. Ein Beispiel möchte ich hierzu herausgreifen, weil die Werte jeden und jede von uns betroffen machen und zum Handeln bewegen müssen.
Der Sozialbericht zeigt, dass sich besonders bei den Alleinerziehenden und ihren Kindern die Quoten der Armutsgefährdung nicht geändert oder gar verschlechtert haben. Kinder in Armut darf es bei uns nicht geben. Kinder dürfen nicht als „Armutsrisiko“ für Familien gelten.
Unsere sozialdemokratische Antwort ist die Kindergrundsicherung. Die Idee dahinter ist, alle bisher einzeln zu beantragenden, einzeln ausgezahlten und teilweise sogar gegenseitig aufrechenbaren Leistungen für Kinder zusammenzufassen. Kinder kommen so auch heraus aus dem „Arbeitslosen“-System. Das ist darauf gerichtet, Menschen in Arbeit zu bringen. Das hat mit Kindern nichts zu tun. Deswegen die Kindergrundsicherung, die für die Kinder und ihre Bedürfnisse ist.
Der Sozialbericht gibt uns auch die Aufgabe, unsere Ansätze weiter auszubauen, etwa in der Familienpolitik, beim Thema Teilzeit bei Frauen oder beim Einsatz gegen Gesundheitsrisiken, die abhängig von der sozialen Lage sind. Es soll aber nicht bei einem Sozialbericht, der nur aufs Land Sachsen schaut, bleiben. Denn unsere Landkreise und kreisfreien Städte sind untereinander so verschieden, dass ein genauer Blick in sie hinein sehr lohnt. Wir haben genau deswegen eine weitere Million Euro für die Landkreise bereitgestellt: für jeden 100 000 Euro. Damit können sie sich auch Unterstützung von außen holen, um Sozialpolitik gestalten zu können, und zwar gemeinsam mit dem Freistaat für die Menschen in ihren Städten und Gemeinden; denn wir sehen es an unserem Landessozialbericht: Es braucht den genauen Blick, um Land und Bedürfnisse zu kennen und dann politisch zu handeln.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der großartige Schrift
steller Robert Seethaler legte in seinem Buch „Das Feld“, in dem er die letzten Dinge des Lebens beschreibt, seiner Protagonistin Annelie Lorbeer folgende Worte in den Mund: „Ohne Würde ist der Mensch nichts. Solange es geht, sollte man sich selbst darum bemühen. Sobald es jedoch aufs Ende hin geht, kann einem die Würde nur geschenkt werden. Sie liegt im Blick der anderen.“
Ich habe nicht nur in den vergangenen drei Jahren sehr, sehr viele Texte und Papiere zum Thema Pflege gelesen, aber diese Stelle in dem Buch hat mich sehr beeindruckt; denn sie beschreibt in einer sehr unaufgeregten Art und Weise die Verantwortung, die gerade wir – die wir über Rahmenbedingungen bestimmen, die für Menschenwürde im Alter entscheidend sind – tragen. Diese Verantwortung wiegt schwer insbesondere in einem Bundesland, in dem die demografische Entwicklung im Zusammenhang mit Abwanderung und Wandel der Familienform uns vor besondere Herausforderungen stellt. Die Zahlen wurden bereits von meinen Vorrednern genannt.
Ich denke, dieser Verantwortung ist der Sächsische Landtag in den letzten drei Jahren mit der EnqueteKommission in einer dem Thema wirklich sehr angemessenen Art und Weise nachgekommen. In meinem Redebeitrag möchte ich die Arbeit der Kommission sowie die Schlussfolgerungen für uns als SPD-Fraktion anhand von fünf Punkten würdigen, und ich werde versuchen, möglichst ohne viele Zahlen auszukommen.
Zu Punkt 1. Am Beginn standen für mich viele Zweifel. Warum? Blicken wir auf das Jahr 2015 zurück: Nachdem in der vorherigen Legislaturperiode sowohl im Bund als auch im Land die ausgerufenen Jahre der Pflege relativ taten- und ergebnislos verlaufen sind, sich weder für Pflegebedürftige noch für Fachkräfte viel positive Entwicklungen abzeichneten, war es aus meiner Sicht damals eher notwendig zu handeln, als nur in einer EnqueteKommission über die Themen „zu reden“. Da sich aber im Landtag das Anliegen für eine Enquete-Kommission fraktionsübergreifend entwickelte, war die Entscheidung des Landtages für die Enquete-Kommission folgerichtig und konsequent.
Wider Erwarten entwickelte sich dann, parallel zur Arbeit der Enquete-Kommission, ein unglaublich großes Maßnahmen- und Reformprogramm sowohl auf Bundesebene, beispielsweise mit den Pflegestärkungsgesetzen I bis III und dem Pflegeberufegesetz, als auch auf Landesebene mit den von der Koalition beschlossenen Koordinatoren, den Pflegedialogen und den Pflegebudgets – eine enorme Initiativenlandschaft.
Meine Zweifel, dass eine Enquete-Kommission eher zu Stillstand im Bereich Aktivitäten der Pflege führen könnte, haben sich nicht bestätigt. Im Gegenteil, wir mussten die Arbeit der Enquete-Kommission sogar etwas anpassen an die Vielzahl der in der Schnelle vorgenommenen Reformen. Wir mussten die Arbeit der EnqueteKommission von zwei auf drei Jahre verlängern.
Damit komme ich zu Punkt 2, dem durchaus schwierigen Start der Enquete-Kommission. Dieser schwierige Start
beruht auf zwei Punkten: Zum einen sind es die soeben schon beschriebenen vielfältigen Aktivitäten, die die Bestandsaufnahme, die wir am Anfang in Ruhe vornehmen wollten, zu einer sehr dynamischen Herausforderung machten. Ein Beispiel ist die Entwicklung des Pflegeberufegesetzes. Daraufhin mussten wir den Abschnitt „Fachkräfte“ ans Ende der Arbeit der EnqueteKommission setzen, damit der Bericht, wenn er denn vorliegt, nicht sofort wieder veraltet ist.
Der zweite Punkt war, dass bei der Sortierung aller Themen für uns offensichtlich wurde, welche Vielzahl an Akteuren und welche Komplexität an Themen das Gebiet Pflege beinhaltet. Das sind einerseits die Pflegebedürftigen, die Ansprüche auf eine sichere Versorgung, gutes Wohnen und Finanzierbarkeit haben. Das sind andererseits die Angehörigen, die vor allem die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf, verlässliche Rahmenbedingungen und ihren Lebensunterhalt sichern wollen.
Das sind die Träger und Dienste im Bereich der Pflege, die im Wettbewerb stehen, unter festgelegten Budgets arbeiten, Kontrollen und Bürokratie unterliegen und um Fachkräfte kämpfen müssen. Das sind die Fachkräfte, die unter den Arbeitsbedingungen, die immer schwieriger sind, leiden, die eine geringe Entlohnung haben und die keine oder nicht ausreichende Interessenvertretung beklagen. Weiter sind die Pflegekassen zu nennen, die die Versorgungsbedarfe gesetzlich sicherzustellen haben, aber dafür auch nur die vorhandenen Budgets ausgeben dürfen. Nicht zuletzt sind da die Kommunen, die für die Daseinsvorsorge, für die Teilhabe und die Altenhilfe vor Ort zuständig sind und auch da wiederum die Kosten im Blick haben müssen, dass die Leistungen bei der Hilfe zur Pflege nicht wieder ansteigen.
Das sind längst nicht alle, aber ich glaube, es gibt einen guten Blick in dieses komplizierte Gefüge, welches man zusammenstellen muss, wenn man tatsächlich für Menschen mit Hilfebedarf im Alter gute Versorgung und menschenwürdiges Leben sicherstellen will.
Das haben wir als Kommission am Anfang durchaus ein bisschen ruckelig und auch kontrovers sortiert und dann begann eine Arbeitsphase, und ich möchte zum dritten Punkt meiner Würdigung der Arbeit der EnqueteKommission kommen, nämlich diesem Arbeitsprozess, der verbunden war mit einem Lernprozess, der verbunden war mit vielen Anhörungen und unzähligen Sachverständigen – wahrscheinlich hat jemand die Sachverständigen auch gezählt; es waren sehr, sehr viele. Danach folgten stundenlange und in der Summe wahrscheinlich viele, viele Tage der Arbeit in Arbeitsgruppen.
Weil diese Arbeit in den Arbeitsgruppen für mich auch wirklich in diesem Landtag etwas Besonderes war, möchte ich an dieser Stelle erwähnen, dass die vorliegenden 400 Seiten des Berichtes nur deshalb zustande gekommen sind, weil wir in diesen Arbeitsgruppen wirklich um jede Erkenntnis, um jeden Vorschlag, um jede Zeile und manchmal, na Patrick, um jedes Komma gerungen haben. Das war nicht immer schön und das war auch mal
heftig, aber es gab immer und von allen Seiten, von allen Beteiligten eine Anerkennung der Sache.
Für diese Diskussionskultur möchte ich mich wirklich bei allen Mitgliedern in diesen Arbeitsgruppen noch einmal extra bedanken.
Wir sollten diese Arbeitsweise in Erinnerung behalten, weil sie auch ein Vorbild sein kann, wie wir bei vielen anderen wichtigen Themen hier im Landtag im Interesse der Sache miteinander umgehen können, wenn wir es nur wollen.
Deswegen komme ich jetzt zum Punkt 4. Ich will ganz kurz auf die Ergebnisse eingehen – das ist bei 400 Seiten nicht so einfach. Wir haben versucht, an den Anfang des Berichtes eine kleine Zusammenfassung zu stellen, und ich möchte kurz auf die für die SPD wichtigen Punkte eingehen.
Der erste Punkt ist das Thema Bezahlbarkeit, was immer wichtiger wird. Wir haben eine Leistungsausweitung, wir haben Leistungsverbesserungen, Vergütungserhöhungen, die wir dringend brauchen, und wir haben eine Teilversicherung, die mit Budgets arbeitet – was dazu führt, dass die Beiträge der Pflegebedürftigen immer weiter steigen und die Gefahr der Überlastung droht.
Deshalb müssen wir die Weiterentwicklung der Pflegeversicherung in den Blick nehmen. Die Vorschläge liegen auf dem Tisch – an meinem runden Tisch habe ich schon über die Pflegevollversicherung diskutiert. Bei der Pflegevollversicherung gibt es wiederum viele Möglichkeiten, wie man sie gestalten kann: mit oder ohne Sachleistungsprinzip, mit oder ohne Wettbewerb, mit oder ohne Stärkung der kommunalen Ebene.
Für diese Details haben wir noch nicht hinreichend aussagekräftige Konzepte vorliegen, das Ziel ist aber klar: Es gibt aus Sicht der SPD kein Zurück in eine Welt, in der der pflegebedürftige Mensch der Bittsteller beim Sozialamt ist. Diese Verantwortung habe ich mit meinem Eingangszitat beschrieben, und es ist für mich eine sehr, sehr gute Nachricht, dass die Arbeit an den Konzepten zur Weiterentwicklung der Pflegeversicherung mittlerweile auch in Berlin begonnen hat.
Bis es so weit ist, müssen wir kurzfristige Maßnahmen treffen. Wir reden heute schon über Altersarmut, wir haben heute schon viele Menschen, die Angst haben, sich die Pflege nicht mehr leisten zu können. Hier haben wir beispielsweise im Land die Möglichkeit, über ein Pflegewohngeld kurzfristig Abhilfe zu schaffen und dieses einzuführen.
Daneben brauchen wir einen Pakt für gute Versorgung und Pflege vor Ort. Die regionalen Lösungen müssen mit verlässlichen Rahmenbedingungen gestaltet werden.
Hierzu brauchen wir alle Akteure, insbesondere auch die Kommunen. Hier steht der Freistaat ganz klar in der Verantwortung, das zu organisieren. Aus unserer Sicht
kann das in einem Landespflegegesetz besiegelt werden, welches klare und transparente Zuständigkeiten, verlässliche Finanzierung und Hilfen bei regionalen Lösungen vorsieht.
Der besondere Blick auf pflegende Angehörige muss untersetzt werden. Dabei müssen Arbeitgeber und die Wirtschaft mit ins Boot geholt werden. Arbeitnehmern, die mit einer privaten Pflegesituation konfrontiert werden, muss man helfen, weil sie sonst den Fachkräftemangel verstärken und sich aus dem Arbeitsprozess teilweise oder ganz zurückziehen müssen.
Ein weiteres Problem ist schon genannt worden: Die Gewinnung von zusätzlichen Fachkräften.
Entschuldigung, Herr Präsident, aber die Uhr kann nicht stimmen.
Es ist gerade von fünf Minuten auf 44 Sekunden heruntergesprungen.
Die Gewinnung zusätzlicher Fachkräfte, die wir benötigen – Herr Schreiber ist darauf eingegangen –, wird eine riesige Herausforderung. Hier brauchen wir angesichts einer abnehmenden Bevölkerung, aber höherer Bedarfe ähnlich wie beim medizinischen Personal alle Möglichkeiten – von der Ausbildung über die Verbesserung der Berufsqualifizierung und der Rahmenbedingungen bis hin zu Mitbestimmungs- und Interessensvertretungsmöglichkeiten. Hier gibt es im Land viel Gestaltungspotenzial, das wir nutzen müssen.
An dieser Stelle möchte ich das Ergebnis der EnqueteKommission zum Thema Pflegekammer folgendermaßen interpretieren – die Pflegekammer ist immer ein heiß umstrittenes Thema –: Wir haben uns in der EnqueteKommission zu einer Formulierung durchgerungen, die so zu interpretieren ist, dass die Frage, ob es eine berufsständische Vertretung der Pflege in Form einer Kammer geben soll, diejenigen beantworten müssen, die sich dann einer Pflichtmitgliedschaft unterwerfen, die Pflichtbeiträge zu leisten haben – die Pflegenden selbst.
Deshalb haben wir uns in der Enquete-Kommission darauf geeinigt, dass es eine Befragung geben soll – eine repräsentative Befragung, in der sichergestellt wird, dass sowohl Alten- als auch Krankenpflege beteiligt wird. Ich
bin der festen Überzeugung, dass eine Pflegekammer von oben herab ohne diese Befragung, aber auch eine kategorische Ablehnung einer Kammer keine Lösung sind, sondern dass das beides Sachen sind, die die Pflege in Sachsen spalten werden. Daher sind wir als SPD für diese repräsentative Befragung, aber auch nur dann, wenn man im Anschluss das Ergebnis akzeptiert und umsetzt. Ist es ein Ja zur Pflegekammer, dann muss man sie umsetzen; wenn es ein Nein ist, dann ist es in Sachsen eben noch nicht gewünscht.
Ich komme zum fünften und letzten Punkt, meinem Fazit. Die Arbeit in der Enquete-Kommission war umfangreich, zeitaufwendig, mühsam, aber im Ergebnis hoffentlich nicht nur für mich außerordentlich bereichernd. Ich möchte mich deshalb wirklich aus vollem Herzen bei allen bedanken, die damals dafür gesorgt haben, dass ich meine Zweifel überwunden und mich mit für die EnqueteKommission starkgemacht habe. Ich möchte mich bedanken bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschussbüros der Enquete-Kommission, bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fraktionen, bei den externen Sachverständigen der Fraktionen, bei den externen Sachverständigen der sächsischen Institutionen und Behörden, die uns unterstützt haben, bei den vielen, vielen temporären Sachverständigen in den Anhörungen und nicht zuletzt bei den Abgeordneten, von denen sich viele das erste Mal und intensiv auf das Abenteuer Pflege eingelassen haben. Vielen Dank dafür!
Ich wünsche dem Bericht viele Leserinnen und Leser. Ich wünsche dem Bericht, dass er diese inspiriert und wir alle in Sachsen an der Umsetzung dieses Berichtes arbeiten können.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der LINKEN berührt ein mir selbst sehr wichtiges sozialpolitisches Thema und gibt uns nicht zum ersten Mal in dieser Legislatur im Plenum die Möglichkeit, dazu zu sprechen und dabei vielleicht auch etwas auf den aktuellen Sachstand einzugehen.
Bevor ich konkret zu den Antragspunkten komme, möchte ich aber noch etwas Grundsätzliches sagen. Wir reden im Plenum häufig über Armut und meinen damit meistens relative Armut, das heißt, wenn Menschen im Durchschnitt ihres Einkommens weniger haben als der Durchschnitt der Gesamtbevölkerung. Das ist relative Armut. Beim Thema Wohnungslosigkeit bzw. Obdachlosigkeit reden wir auch heute noch von existenzieller Armut, das heißt vom Leben am Rande der Überlebensfähigkeit und
auch am Rande der Gesellschaft. Obdachlosigkeit oder Wohnungsnotfälle, wie es mittlerweile zu Recht erweitert worden ist, betrifft meistens Menschen, die die Hilfe der Gesellschaft am meisten brauchen, diese aber am wenigsten selbst äußern. Diese Menschen sichtbar zu machen, sie ins Sichtfeld von Sozialpolitik zu rücken, ist für mich nach wie vor ein wichtiger Antrieb für meinen Einsatz für das Wiederaufleben dieser Statistik, von der Susanne Schaper gesprochen hat. Die Menschen am äußersten Rand dieser Gesellschaft haben das gleiche Recht, auch in Datensätzen und Berichten zur sozialen Lage in Sachsen und Deutschland vorzukommen und sich darin wiederzufinden.
Ein zweiter Punkt. Man kann, wenn man sie sichtbar hat, zielgerichteter und besser Prävention und Ressourcen zur Verfügung stellen und Hilfsangebote planen. Ein Blick in die vorliegenden Daten – das sind meist die Daten der freien Wohlfahrtspflege – zeigt sehr interessante Fakten. Das Thema von wohnungslosen und obdachlosen Menschen ist nämlich nach wie vor sehr klischeebehaftet und tabuisiert. Meistens denkt man an einen älteren Mann mit einem Alkoholproblem. Wenn man in die Statistiken oder Berichte schaut, dann ist das mitnichten so. Der Blick in die Daten zeigt, dass es immer mehr und auch mit einem überwiegenden Anteil unter 35-jährige Männer sind – mit steigender Tendenz. Es sind auch zunehmend Frauen. Es sind auch Familien betroffen, die aber meistens nicht in der Obdachlosigkeit gelassen werden, sondern meistens sofort Wohnungen zur Verfügung gestellt bekommen. Die Ursachen bei den jüngeren Männern sind insbesondere Übergangsproblematiken bzw. Schnittstellenproblematiken nach Auszug von zu Hause, nach Aufenthalten in Heimen oder Justizvollzugsanstalten oder aber auch die Schnittstelle beim Übergang von der Ausbildung in den Beruf, wo die Existenzsicherung fehlt. Bei Frauen wiederum ist eine der häufigsten Ursachen schlicht und ergreifend die Gewalt in der Partnerschaft oder der Familie, vor der die Frauen fliehen.
Insgesamt, das ist bereits genannt worden, gibt es einen steigenden Trend. Das ist einerseits auf die derzeitige Knappheit und damit auch die steigenden Preise im Bereich des Wohnungsmarktes zurückzuführen. Andererseits kommen aber auch die vielfältigen Migrationsbewegungen – insbesondere der EU-Ausländer – zur Geltung. Die Daten zeigen auch, das ist ein weiterer wichtiger Punkt, dass es zumeist ein Problem der großen Städte Dresden, Leipzig und Chemnitz ist, während wir in den kleineren Kommunen und im ländlichen Raum meistens tatsächlich mit den präventiven Angeboten, die zur Verfügung stehen, zurechtkommen.
Dieser schlaglichtartige Blick in die Daten, die wir haben, zeigt, wie wichtig es wäre, insgesamt einen Überblick zu bekommen, weil es immer sinnvoller ist, präventiv Hilfen zu leisten. Die BAG Wohnungslosenhilfe in Deutschland weist darauf hin, dass man mit präventiven Maßnahmen, nämlich mit der Stärkung von Drogen- und Suchtbera
tung, Familienberatung und Schuldnerberatung und genau an der Schnittstelle, wo Wohnungsnot das erste Mal auftritt, fast die Hälfte aller wohnungslosen Fälle sogar vermeiden könnte.
Mit dem Sozialbericht, den wir Ende des Jahres erwarten, werden wir endlich auch wieder Daten über die vielfältigen sozialen Lagen insgesamt in Sachsen gewinnen. Die Kritik, dass dieser sehr spät komme, nehme ich an. Ich sage aber auch, dass es mir lieber ist, jetzt einen Bericht zu haben, der eine kontinuierliche Grundlage für die Bereitstellung von Daten ist und nicht immer nur punktuell etwas abliefert, was dann schwer vergleichbar ist.
Damit komme ich jetzt zum Antrag. Der erste Punkt zielt darauf ab, dass wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, die Wiedereinführung der Obdachlosenstatistik im Zuge der Berichterstattung zu prüfen. Das ist auch passiert. Die Prüfung ist passiert. Und wenn – –
Sie ist jetzt kein Bestandteil der Berichterstattung, Frau Schaper. In den letzten zwei Beiratssitzungen – für diesen Sozialbericht gibt es einen Beirat im Ministerium – haben wir uns fast ausschließlich mit dem Warum
beschäftigt und was die Ursachen sind, dass es zum Thema Wohnungslosenstatistik schwierig war, das in den Bericht zu bekommen.
Der Stand der kommunalen Datenlage ist derzeit nicht so, dass ich eine vergleichbare und valide Datenbasis habe, die man in einem solchen Bericht abbilden kann. Ich möchte mich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Sozialministeriums bedanken, die sehr viel Herzblut und sehr viel Aufwand in diese Prüfung der kommunalen Datenlage gesteckt haben.
Nur ist das Ergebnis, dass es nicht in diesem Sozialbericht auftaucht, keines, was uns freut. Es ändert auch nichts – das möchte ich klar und deutlich sagen – an der Zielstellung, weiterhin für die Wiedereinführung einer Statistik in dem Bereich zu arbeiten. Wir werden – zumindest haben wir das vor – mit dem derzeitigen Haushalt, den wir ja beraten, die Ressourcen bereitstellen, damit in den nächsten Jahren genauso eine Grundlage, wie jetzt für den Sozialbericht, auch für den Teil der Obdachlosen- und Wohnungsnotfallstatistik geschaffen werden kann. Das ist allerdings in dem Zeitraum, wie er im Antrag steht, völlig unrealistisch. Jeder, der etwas in diesem Beirat zugehört hat, wie schwierig es ist, statistische Datenindikatoren irgendwie zu verankern und vergleichbar abzubilden, weiß, dass das kein triviales Thema ist. Das zeigt auch die Diskussion auf Bundesebene. So einfach, dass wir jetzt
mal schnipsen und dann in einem halben Jahr den ersten Bericht haben, ist es leider nicht. Wir brauchen dazu Geld, wir brauchen dazu Ressourcen, dann werden wir auch vorankommen.
Wenn wir die Ressourcen mit dem Haushalt beschlossen haben, dann kann man auch überlegen: Macht man eine integrierte Wohnungsnotfallberichterstattung – wie im Antrag steht – oder ein Monitoring, wie die Liga es vorgestellt hat. Ein Monitoring, das man auch weiter zieht als nur bei Obdachlosen und Wohnungslosigkeit, finde ich sehr sinnvoll. Darüber müssen wir zu gegebener Zeit sprechen, wenn wir die Ressourcen haben.
Zum zweiten Punkt, diesem großen gewünschten, umfassenden Landesprogramm und Gesamtkonzept für Prävention und Intervention. Frau Kuge hat darauf hingewiesen, dass wir Empfehlungen haben, Empfehlungen des SMS und des SMI. Sie sind von 2005. Sicherlich gibt es dort Anpassungsbedarfe. Diese Empfehlungen müssen überarbeitet werden, und bei der Überarbeitung muss auch mit der kommunalen Ebene gesprochen werden, welche neuen Ansätze es gibt, zum Beispiel den Ansatz des Housing First, der aus meiner Sicht europaweit einer der erfolgversprechenden Ansätze ist. Können wir diesen vielleicht für Sachsen ausprobieren? Was sicherlich auch wieder heißt – Housing First für alle anderen –, jeder Obdachlose bekommt zuerst eine Wohnung zur Verfügung gestellt, und dann widmet man sich den anderen Problemlagen wie Verschuldung, Suchtproblematiken oder Sonstigem. Das setzt sicherlich voraus, dass man die Ressource Wohnung zur Verfügung hat, bevor man einen solchen Ansatz auch in einem solchen Konzept niederschreibt und festlegt. Das muss intensiv mit den Kommunen, mit der kommunalen Ebene besprochen werden.
Ich komme jetzt zu Punkt 4 Ihres Antrages, mit dem ich – ehrlich gesagt – die größten Probleme habe. Obdachlosenfürsorge und Wohnungslosenhilfe ist für mich ein absolutes Herz- und Kernstück kommunaler Sozialpolitik. Einfach zu sagen, das Land kommt jetzt, macht Maßnahmen und bezahlt sie dann auch, wird auch dem sozialpolitischen Handeln unserer Kommunen hier in Sachsen, gerade der großen Städte, nicht gerecht.
Dieser Ruf „Macht schnell! Dieses Land muss jetzt machen!“ klingt verlockend. Es hat aber Konsequenzen für eine eigenverantwortliche und gestalterische kommunale Sozialpolitik, die Sie dann als Linkspartei wahrscheinlich spätestens im Stadtrat, wenn überhaupt nichts mehr zu entscheiden ist, auch nicht mehr für gut finden. Insbesondere Dresden, Leipzig und Chemnitz kommen ihrer Verantwortung hier nach. Dresden hat über 300 Plätze plus Wohnungen. Leipzig hat 100 Wohnheimplätze und 75 Wohnungen. Wir haben also ein breites Angebot, und die Kommunen versuchen vor Ort sehr viel zu tun. Man muss sicherlich im Sinne der Subsidiarität schauen, ob man in Zeiten von Spitzen – wie jetzt durch Migration oder sonstige Entwicklungen – als Freistaat unterstützend wirksam werden muss.
Aber den Kernpunkt, dass es kommunale, originäre Sozialpolitik ist, einmal in einem solchen Antrag einfach umzukehren, halte ich nicht für zielführend. Ich denke, ich habe jetzt einige Begründungen genannt, warum wir den Antrag ablehnen. Ich möchte mich aber trotzdem bedanken, da ich es immer schön finde, in diesem Hause über die Menschen am Rande der Gesellschaft zu sprechen und dafür zu sensibilisieren – auch die Kollegen, die nicht im Sozialausschuss sitzen –, wie wichtig es ist, an dieser Stelle auch Ressourcen zur Verfügung zu stellen. In diesem Zusammenhang freue ich mich auf die Haushaltsberatung und hoffe, dass wir danach auch ein Stück weiterkommen.
Vielen Dank.
Zu guter Letzt beantrage ich auch für die SPD-Fraktion die zusätzliche Redezeit. – Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag – es ist schon gesagt worden – greift ein wichtiges Thema, vielleicht sogar eines der Hauptthemen auf, mit denen wir uns in der Enquete-Kommission beschäftigt haben, nämlich das Thema der pflegenden Angehörigen.
In Sachsen leben derzeit circa 200 000 Menschen, die pflegebedürftig sind. 120 000 von ihnen leben zu Hause und 70 000 von ihnen werden allein von ihren Angehörigen betreut. In der ambulanten und stationären Altenpflege sind wir derzeit bei circa 62 000 Fachkräften, also weniger als Angehörige zu Hause betreut werden. Bei der demografischen Entwicklung ist klar, dass wir ohne die weitere Aufrechterhaltung der Angehörigenpflege dieses Problem nicht bewältigen werden, weil wir allein im professionellen Bereich bis 2030 70 000 zusätzliche Pflegefachkräfte benötigen und den Ersatz für 20 000 Pflegefachkräfte, die in Rente gehen. Das sind beeindruckende Zahlen, aber auch nur dann, wenn es uns gelingt, die pflegenden Angehörigen weiterhin zu einem Drittel zu befähigen, dass sie ihre Angehörigen zu Hause pflegen können.
Deshalb ist das Thema des Antrages ein äußerst wichtiges. Der Antrag selber beruht fast zu hundert Prozent auf der gemeinsamen Arbeit in der Enquete-Kommission. Ich sage fast hundert Prozent, weil ein bisschen aus Bayern geklaut ist, wo die Idee des Landespflegefördergeldes herkommt. Mich stört aber, Herr Wendt und Frau Grimm, dass wir uns in der Enquete-Kommission verabredet haben, keine Inhalte oder Handlungsempfehlungen vorab in die Öffentlichkeit zu bringen, bis wir die Arbeit der Enquete-Kommission beendet haben. Und Sie bringen einen Antrag ins Plenum ein und damit alle Kolleginnen und Kollegen aus der Enquete-Kommission in die Bredouille, über einen Antrag abstimmen zu müssen, ohne dass wir mit der Arbeit fertig sind. Sie hätten alle Punkte dieses Antrages am Montag in die Enquete-Kommission einbringen können.
Das wäre ein fairer Umgang, stattdessen treten Sie diese Vereinbarung mit Füßen. Herr Barth hat gerade von mangelndem Respekt gesprochen. In den Arbeitsgruppen der Enquete-Kommission ist das nicht der Fall gewesen. Es war gegenseitiger Respekt vorhanden. Es war eine gemeinsame Arbeit. Wir haben uns unabhängig davon, wer Vorschläge gemacht hat, damit beschäftigt und sogar gemeinsam Formulierungen gefunden. Ich muss an der
Stelle sagen, dass ich ziemlich enttäuscht von diesem Vorgehen der AfD-Fraktion bin.
Ich möchte jetzt keine Zwischenfrage beantworten.
Danke.
Den mangelnden Respekt, den Herr Barth uns gerade vorgeworfen hat, empfinde ich als Mitglied der EnqueteKommission persönlich auch Ihrerseits, Frau Grimm und Herr Wendt. Ich nehme also mit, dass es sich nicht lohnt, mit Ihnen Verabredungen zu treffen, dass Sie im Zweifel alles in Abrede stellen und wenn es Ihnen in den Kram passt, darauf pfeifen und hier Anträge einbringen, um hinterher sagen zu können, die Altparteien haben diesem Anliegen nicht Recht gegeben, nur weil wir von der AfDFraktion diesen Vorschlag gemacht haben. Das nutzen Sie für Ihre Profilierung. Ich muss sagen, wenn die Alternative Unzuverlässigkeit und Wortbruch ist, dann bin ich gern ein Mitglied einer Altpartei, in der Werte wie Vertrauen und Verlässlichkeit noch etwas zählen.
Zu den Inhalten des Antrages: Die Situation und die Unterstützung pflegender Angehöriger sind, ich habe es schon gesagt, Schwerpunkte gewesen. Ich glaube, die Hälfte des Berichtes wird sich allein mit diesem Themenkreis beschäftigten. Wir haben uns ausführlich mit der Lage von pflegenden Angehörigen beschäftigt. Wer pflegt konkret, junge, alte Menschen, Berufstätige oder ältere Rentnerinnen? Welche Belastungen müssen sie ertragen? Welche Bedarfe haben sie? Welche Hilfsangebote brauchen sie? Welche Hilfsangebote werden genutzt und welche nicht? Warum werden sie nicht genutzt? Wie ist die soziale Absicherung? Uns hat lange beschäftigt, wie die vielfältigen und notwendigen Beratungsleistungen besser und zielgerichteter für die betroffenen Familien und Angehörigen organisiert werden können.
Ich glaube, das ist der Bereich, in dem die meisten Handlungsempfehlungen in diesem Enquete-Bericht vorliegen. Aber darauf möchte ich jetzt nicht konkret eingehen, denn wir haben am Montag noch eine Sitzung. Erst dann wird der Text für den Bericht der Enquete-Kommission fertiggestellt.
Patrick Schreiber hat schon darauf hingewiesen, dass sich die Staatsregierung der pflegenden Angehörigen angenommen hat und ab jetzt jährlich eine Woche der pflegenden Angehörigen organisieren will. Es ist wichtig, pflegende Angehörige in die Öffentlichkeit zu bringen, weil es ein gesamtgesellschaftliches Problem ist. Wir können uns noch so viele Pflegefördergelder ausdenken, wenn nicht die Arbeitgeber mitziehen und ihre Arbeitnehmer für solche Aufgaben freistellen oder Verständnis dafür haben. Dann wird es uns auch nicht gelingen, dass pflegende Angehörige diese Belastung weiter erarbeiten können.
Vereinbarkeit von Pflege und Beruf wird uns zukünftig viel mehr als heute beschäftigten. Heute sind die meisten Pflegepersonen selber schon in Rente und pflegen ihre Ehepartner oder Ehepartnerinnen. In Zukunft werden die Pflegepersonen – da bin ich relativ sicher – jünger sein. Dann stellt sich noch viel mehr die Frage nach der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf.
Die Leistungen für pflegende Angehörige über das Pflegeversicherungsgesetz sind mit den Pflegestärkungsgesetzen enorm ausgeweitet worden. Es gibt ein höheres Pflegegeld. Es gibt ein höheres Budget für Hilfsmittel. Es gibt mehr Geld für Umbauten in der Wohnung. Es gibt keine Verrechnungen von Tages- und Nachtpflege mehr. Es gibt verbesserte Ersatzpflegeleistungen. Es gibt Verbesserungen beim Sozialversicherungsschutz, in der Rentenversicherung, der Arbeitslosenversicherung und auch in der Unfallversicherung. Es gibt auch einen erhöhten Entlastungsbeitrag. Das sind alles erste Maßnahmen, die sich wirklich nur auf den Pflegebereich beziehen. Das ist ein Anfang.
Angesichts der demografischen Entwicklung – das habe ich bereits ausgeführt – müssen wir hier weiterarbeiten, und ich weiß, dass die AfD nach der heutigen Abstimmung wieder Stimmung machen will und sagen wird: Die Fraktion hat unserem Anliegen – – Das Anliegen wurde abgelehnt. Ich hoffe nur, dass Sie bei der Kommunikation dieses Antrags und des Abstimmungsergebnisses so viel Anstand besitzen, darauf hinzuweisen, dass die Inhalte des Antrages nicht nur auf Ihrem Mist gewachsen sind, sondern dass sie die Ergebnisse langer und gemeinsamer Arbeit sind.
Wenn die SPD-Fraktion diesen Antrag heute ablehnt, dann deshalb, weil wir uns an getroffene Vereinbarungen halten und nicht, weil wir die Anliegen der pflegenden Angehörigen nicht für wichtig halten.
Auch ich möchte für die SPDFraktion feststellen, dass wir die Abweichung von der Geschäftsordnung für nicht notwendig halten. Der Antrag hätte fristgerecht nach der Geschäftsordnung drei Werktage vor dem Plenum eingereicht werden können.
Wir stellen fest, dass sich das heutige Plenum mehrmals mit den Sachverhalten, mit den schlimmen Vorkommnissen in Sachsen, die uns alle beschäftigen, beschäftigen und darauf eingehen wird. Es ist genügend Zeit, um sich dem Thema in diesem Plenum zu widmen.
Es überrascht aber nicht, dass die AfD-Fraktion zu diesem Mittel greift. Sie will einfach die öffentliche Bühne am Beginn dieser Plenarsitzung für ihre Zwecke nutzen.
Dafür stehen wir als SPD-Fraktion nicht zur Verfügung. Wir werden den Antrag daher ablehnen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die SPD-Fraktion beantragt nach § 79 Abs. 5 der Geschäftsordnung eine Erweiterung der Tagesordnung zu dem Thema „Wahlvorschlag – Wahl einer Schriftführerin“, Drucksa
che 6/13784. Das ist im Präsidium angekündigt worden. Wir beantragen das hier formell.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem mein Vorredner Oliver Wehner schon ganz ausführlich die Inhalte des Gesetzes dargestellt und Susanne Schaper den Gesetzentwurf gelobt hat, kann ich mir jetzt die Freiheit nehmen, auf etwas einzugehen, was meine Vorredner schon ange
deutet haben: auf das große ethische Problem, das dahintersteht, wenn wir über Organspende sprechen.
Das Thema, der Titel Transplantationsausführungsgesetz kommt ja sehr technisch daher. Aber wie jeder, der sich ein paar Jahre zurückerinnert, weiß, berührt diese Debatte, die in den vergangenen Jahren intensiv und nicht nur im Bundestag geführt wurde, eben auch ganz intensiv medizinische, ethische Aspekte und Fragen des Menschenbildes. Ich weiß nicht, wer sich erinnert: Im Bundestag gab es damals Gruppenanträge jenseits des Fraktionszwangs. Der Bundestag hat sich dann für die Entscheidungslösung ausgesprochen.
Können Sie sich erinnern, wann Sie das letzte Mal aus Ihrem Briefkasten Post von Ihrer gesetzlichen Krankenkasse mit einem kleinen, blau-orangefarbenen Ausweis herausgenommen haben? Das kann noch nicht so lange her sein. Seit dieser Entscheidung 2012 im Bundestag müssen die gesetzlichen Krankenkassen darauf alle zwei Jahre hinweisen, und das ist gut so. Denn mit der Entscheidungslösung hat sich Deutschland eben für den – aus meiner Sicht – viel schwierigeren Weg entschieden: Jeder und jede muss sich freiwillig entscheiden, ob Organe gespendet werden sollen oder eben nicht, und diese Entscheidung muss dann dokumentiert werden. Zur Erinnerung versendet die Kasse aller zwei Jahre diesen kleinen, blau-orangefarbenen Ausweis.
Die meisten Länder in Europa – die derzeit auch nicht so große Probleme auf diesem Gebiet haben – haben sich für die Widerspruchslösung entschieden. Im Unterschied zur Entscheidungslösung, bei der ich eine positive Entscheidung treffen und diese dokumentieren muss, ist bei der Widerspruchslösung jeder so lange ein Organspender, bis er einer Organspende widersprochen hat. Das ist die Widerspruchslösung. Aus diesen Ländern wissen wir, dass dort meist weniger Probleme bestehen.
Allerdings – auch das muss man sagen – sind die Rahmenbedingungen für Transplantationsbeauftragte, beispielsweise in Spanien, auch ein Stück weit besser als in Deutschland.
Um einen Vergleich zu ziehen: Frau Schaper ist darauf eingegangen, dass wir in Deutschland nicht einmal mehr zehn Spender pro eine Million Einwohner aufweisen können. Spanien hat auf eine Million Einwohner 39,7 Spender, Österreich immerhin noch 23,9 und Slowenien 19,9. Wir sind mittlerweile also wirklich „abstiegsgefährdet“, um das Wortspiel von Frau Schaper aufzunehmen.
Aber über die Entscheidungs- oder die Widerspruchslösung ist im Bundestag abgestimmt worden. Wir müssen uns nur dessen bewusst sein, dass wir den schwierigen Weg gewählt haben. Wir müssen aktiv für Spenden und um Spender werben. Wir müssen aktiv immer wieder informieren und dürfen dabei auch keine Pausen einlegen, denn diese Lösung ist eben leicht zu erschüttern. Sie basiert auf einem informierten Patienten, der dazu noch Vertrauen in das Gesundheitssystem setzt, indem seine
Organe entnommen und einer anderen Person gegeben werden.
Dieses Vertrauen zu schaffen ist eine große Herausforderung. Es lässt sich – das haben wir im Gesetzgebungsprozess gemerkt – eben nicht durch Verankerung in einem Gesetz hervorrufen.
Die Einbrüche bei den Zahlen sind tatsächlich eine langfristige Folge der sogenannten Organspendeskandale. Ich sage absichtlich „sogenannte“, denn es waren Verteilungsskandale; damit hat Susanne Schaper recht. Aber wir müssen im Prinzip jeden, der diese Anträge liest, darauf hinweisen, was wir damit meinen, und in der Zeitung stand zumeist „Organspendeskandal“.
Im Ergebnis haben wir seit 2011 einen Rückgang an Organspendern um 34 % und seit 2012 bei den gespendeten Organen einen Rückgang um 27 %. Das ist eine Folge dieser Verunsicherung. Darauf werde ich in meinen Ausführungen zum Entschließungsantrag näher eingehen.
Der Hinweis darauf, dass in anderen Ländern mit der Widerspruchslösung natürlich auch die Rahmenbedingungen zum Teil bessere sind, ist richtig. Deshalb ist es auch wichtig, dass wir mit dem Transplantationsausführungsgesetz nicht nur die Minimalvorgaben des Bundesgesetzgebers umsetzen, sondern ein Stück weit darüber hinausgehen.
Ich stimme zwar auch zu, wenn gesagt wird, dass dahin gehend noch Luft nach oben wäre und Verbesserungsmöglichkeiten bestünden, aber auch hier gilt wie so oft: Man muss es abwägen und braucht einen gewissen Spielraum. Die Kliniken und die Krankenhäuser müssen noch in der Lage sein, die Vorgaben personell umzusetzen. In Zeiten des Ärztemangels und des Mangels an pflegerischem Personal nutzt es uns nichts, wenn wir Anforderungen in das Gesetz hineinschreiben und die Krankenhäuser letzten Endes nicht in der Lage sind, diese Freistellung zu realisieren, weil das Personal schlicht und ergreifend nicht vorhanden ist.
Deshalb ist das jetzt ein Kompromiss. Ich sage deutlich, dass das nicht das letzte Wort sein darf. Das muss im Blick behalten und weiterentwickelt werden. Es ist ganz klar, dass wir mit dem Gesetzentwurf diese Regelungen konkretisieren.
Auf die anderen gesellschaftspolitischen Herausforderungen werde ich in meinem Beitrag zum Entschließungsantrag eingehen. Ich bitte um Zustimmung zu diesem Ausführungsgesetz, weil es die Situation für die Organspende in Sachsen durchaus verbessert.
Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch in diesem Tagesordnungspunkt sprechen wir unter einer relativ technischen Überschrift, dem Sächsischen Krebsregistergesetz, eigentlich darüber, wie wir zukünftig die Lebensperspektive vieler Menschen verbessern können. Denn auch hinter diesem Krebsregisterausführungsgesetz steht, dass es darum geht, dass wir Daten nutzbar machen wollen, die für die Menschen mit Krebserkrankungen Behandlungsmöglichkeiten und Früherkennungschancen verbessern, und damit Lebensperspektiven nach und mit dieser Erkrankung verbessern wollen.
Krebs ist und bleibt eine bedrohliche Erkrankung. Sie trifft den Erkrankten/die Erkrankte meist sehr plötzlich und ihre Familien auch sehr unerwartet und stellt von heute auf morgen das gesamte Leben der Familie auf den Kopf. Fragt man Menschen, wovor sie in der Zukunft besonders viel Angst haben, dann spielt die Frage nach einer eventuellen Krebserkrankung in den oberen zehn Antworten immer eine ziemlich große Rolle. Deshalb ist die Befassung mit diesem Thema auch jenseits des Krebsregisters sehr wichtig und geht jeden an.
Einige Daten zur Relevanz: Die Lebenserwartung, die wir glücklicherweise auch in Sachsen genießen können, steigt, aber eben auch das Risiko einer Krebserkrankung. Die steigende Lebenserwartung ist der größte Risikofaktor und kommt noch vor dem Rauchen, dem Trinken und anderen. Schätzungen gehen davon aus, dass jeder zweite Deutsche im Alter einmal an Krebs erkranken wird. Allein für die Geburtenjahrgänge zwischen 1950 und 1970 wird von 25 Millionen Erkrankungen ausgegangen. – So weit, so deprimierend. Es tut mir leid, das ist kein einfaches Thema, aber die Relevanz liegt auf der Hand.
Dazu kommt, dass die Angst vor Krebs nicht ganz unberechtigt ist. Krebs ist nach wie vor die zweithäufigste Todesursache. In jedem Jahr sterben daran allein in Deutschland über 200 000 Menschen. Auch wenn die Therapien Fortschritte machen und der medizinische Fortschritt dazu beiträgt, dass viele Betroffene diese schlimme Erkrankung länger überleben als früher: Es gibt hier noch wahnsinnig viel Raum für Forschungen, für Verbesserungen bei Behandlungen und bei Prävention, die dazu dienen, das Leben möglichst gesund wiederzuerlangen und eine Lebensqualität zu erreichen.
Deshalb gibt es auf Bundesebene den Nationalen Krebsplan. Einen Punkt daraus setzen wir heute in Sachsen mit dem Krebsregistergesetz um. Dieser Krebsplan beauftragt alle Bundesländer, ihre klinischen Krebsregister flächendeckend auszubauen. Somit soll eine bundesweit einheitliche Registerstruktur entstehen, und vor allem sollen Informationen über den Verlauf von Krankheit und
Behandlung gesammelt werden. Das ist die Grundlage, und es ist enorm wichtig für die Ziele, die ich eben beschrieben habe: bessere Forschung im Kampf gegen den Krebs und Forschung für bessere Heilmethoden für den Krebs.
Bei den Krebsregistern unterscheiden wir zwischen epidemiologischen und klinischen; das hat mein Kollege Oliver Wehner bereits sehr ausführlich erwähnt. Zum einen werden damit Diagnosen zum Todestag einfacher erfasst, zum anderen aber auch Daten zu Verlauf und Therapie der Erkrankung. In Sachsen haben wir die Situation – das hat Frau Schaper erwähnt –, dass es die klinischen Register schon sehr lange gibt. Beides muss nun an die neue bundesgesetzliche Regelung angepasst werden. Dies tun wir mit diesem Ausführungsgesetz. Thema waren und sind auch heute in der Debatte die Fragen des Datenschutzes.
Das Widerspruchsrecht der Patientinnen und Patienten, dass die Daten erfasst werden können, ist eines, das uns die moderne Entwicklung im Bereich Datenschutz ins Stammbuch schreibt. Ich kann die Argumente der Sachverständigen, die in der Anhörung genannt wurden und die Frau Schaper erwähnt hat, aus wissenschaftlicher und aus Datenverarbeitungssicht wirklich sehr gut nachvollziehen. Man kann die Daten nur auswerten, wenn man 100 % in dem einen und mindestens 95 % der Daten in dem anderen Register hat. Nur dann kann man die gewünschten Schlussfolgerungen ziehen.
In dem Moment, in dem Menschen widersprechen können, weil sie Angst um ihre Daten haben, ist das eine heikle Angelegenheit. Aber ich kann eben die einschlägigen Datenschutzbestimmungen genauso wenig vom Tisch wischen, wie ich die Einwände der Wissenschaftler wegwischen kann. Deshalb haben wir uns jetzt für die datenschutzrechtlich zweitsicherste Methode entschieden: nicht für die Zustimmungs-, sondern für die Widerspruchsregelung. Wir haben uns nach sehr langen Diskussionen der Einschätzung des Datenschutzbeauftragten angeschlossen, der klipp und klar und sehr eindeutig gesagt hat, dass nur die im Gesetz festgeschriebene Regelung aus seiner Sicht rechtssicher ist und im Einklang mit den Datenschutzrichtlinien steht.
Dem sind wir als Koalitionsfraktion gefolgt. Deshalb steht das Gesetz nun zur Abstimmung. Trotzdem: Wir haben einen wissenschaftlichen Beirat für diese Register. Es ist eine der Hauptaufgaben, die Entwicklung im Blick zu behalten und regelmäßig Überprüfungen durchzuführen. Eineinhalb Jahre für die Überprüfung ist für ein solches Register ein eng gestrickter Zeitrahmen,
sodass man Erkenntnisse dann auch relativ zeitnah umsetzen kann.
Wichtig ist, dass wir im Rahmen der datenschutzrechtlichen Möglichkeiten bleiben. Das ist die moderne Zeit; das ist die Anforderung, und ich bin relativ sicher, dass wir Wege finden. Aber unstrittig ist, dass wir weiter daran
arbeiten müssen, dass die Daten, die wir dann haben – auch durch gute Forschung –, zu einer Verbesserung der Lebenssituation krebskranker Menschen und ihrer Familien beitragen können. Dieses Gesetz ist ein Schritt dazu, deshalb bitte ich um Zustimmung zu diesem Krebsregistergesetz für Sachsen.
Danke.
Ich möchte für die SPDFraktion drei Gründe nennen, warum wir die Dringlich