Es geht nicht, dass Sie die Sitzungsleitung übernehmen, Herr Hartmann. – Herr Wurlitzer, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Hartmann, glauben Sie nicht, dass wir angesichts der Tatsache, dass Leipzig quasi den Platz 1 auf der Liste der Wohnungseinbrüche verzeichnet, nach jedem Strohhalm greifen sollten und nicht alles kaputtreden, was hier beantragt wird?
Herr Wurlitzer, auf diese Frage erhalten Sie eine kurze Antwort. Ich glaube, dass wir langfristige Lösungen brauchen, aber dass das Greifen nach Strohhalmen im Grunde nur dazu führt, dass wir bei der Lösung des Problems abknicken.
Herr Wurlitzer, das ist eine Diskussion, an der Sie hier seit Wochen teilhaben. Das ist die derzeit laufende Evaluierung der Polizeireform, die in diesem Hohen Hause mehrfach angesprochen wurde und im Kern dazu führen muss, dass wir die Frage des Personalansatzes der sächsischen Polizei einschließlich ihrer Fachbereiche auf diese Anforderung anpassen müssen.
Jetzt weiß ich, was von Ihnen kommt. Das können Sie sich als Opposition als Gedöns leisten. Ich wäre auch an konstruktiven Lösungen interessiert. Im Kern haben wir eine veränderte Kriminalitätssituation in den letzten Jahren zu verzeichnen. Diese bedingt in sich, dass wir auf diese aktuelle Entwicklung auch entsprechend reagieren und dies unter dem Einsatz der erforderlichen und geeigneten Technik wie auch des erforderlichen Personalansatzes.
Damit zurück zum Thema. Langjähriges und möglicherweise eingefahrenes Erfahrungswissen kann, wie gesagt, ergänzend wirken, allerdings in diesem Bereich der Software eine Veränderung von Kriminalitätsphänomenen bewirken. Die Wahrscheinlichkeiten können nicht abgebildet werden.
Das Thema des Datenschutzes wäre ein weiteres Ergänzen, denn es ist zu sagen: Je genauer Sie eine solche Software in Einsatz bringen würden, umso genauer müssten Sie Datenerfassungen vornehmen. Im Fazit gebe ich gern zu und das ist insoweit auch ein Thema der nächsten Jahre, dass das ein interessanter Ansatz ist, dessen Entwicklung man sich weiter anschauen soll. Allerdings sprechen fehlende wissenschaftliche Wirkungsanalysen sowie erhebliche Kosten und die mit dem Einsatz durchaus verbundenen Risiken im Moment gegen den Einsatz einer softwarebasierten Prognosetechnik. Ich verweise an dieser Stelle auch gern auf die Studie des Landeskriminalamtes Niedersachsen vom vergangenen Jahr, was im Fazit zu folgendem Ergebnis kommt: Ohne einen Nachweis der Wirksamkeit in Form einer nach wissenschaftlichen Standards durchgeführten Studie
bleibt offen, ob der Erwerb dieser Software eine lohnende Investition ist. In diesem Sinne lehnen wir den Antrag zum jetzigen Zeitpunkt ab.
Sehr geehrter Herr Hartmann! Als Allererstes würde ich Sie bitten, unsere Redebeiträge oder überhaupt unsere Anträge nicht als Gedöns abzutun. Dafür wäre ich Ihnen sehr dankbar.
Zweitens möchte ich Ihnen sagen, dass die derzeitige Situation auf die Politik der CDU zurückzuführen ist. Wenn Sie mit vorausschauender Planung den Abbau von Polizei meinen, dann müssen wir uns nicht wundern, dass die Situation so ist, wie sie ist. Ganz offensichtlich haben Sie gerade eben keine Lösungsvorschläge gebracht, wie man das ändern kann. Immer nur evaluieren. Dazu sagen wir ganz einfach: Es gibt zu wenig Polizei. Punkt!
Danke, Herr Präsident! Auf die Erwiderung der Kurzintervention halte ich Ihren Antrag nicht für Gedöns, das will ich noch einmal klarstellen. Deswegen habe ich mich fachlich mit ihm auseinandergesetzt. Ich habe Ihre Zwischenfrage für Gedöns gehalten und komme abschließend zu der Feststellung, dass erstens Technik und dieser Strohhalm, den Sie uns hinhängen, kein Ersatz für polizeiliche Aufgabenwahrnehmung sein können und zweitens die Entwicklung und Anpassung der Lebenswirklichkeit auch in der Kriminalitäts- und Belastungssituation der sächsischen Polizei aktuell zu Veränderungen gegenüber vergangenen Bewertungen führen.
Wenn Ihre Brillanz dazu reicht, in der Glaskugel immer schon zu erkennen, was in den nächsten fünf bis sechs Jahren sein soll, dann werde ich mich gern eines Besseren belehren lassen. Ich sage Ihnen das klar, dass wir ein verändertes Kriminalitäts- und Lagebild in den letzten Jahren zu verzeichnen haben, auf das wir jetzt entsprechend reagieren werden. Zum Jahresende können Sie sich die entsprechenden Konzeptvorschläge ansehen.
Meine Damen und Herren, in der Aussprache ist die Fraktion DIE LINKE an der Reihe. Herr Abg. Stange. Bitte sehr, Herr Stange.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Hartmann! Ich bitte, in Zukunft solche Vergruppungsausbrüche wie als Opposition etwas differenzierter vorzunehmen. Sie wissen, dass wir als LINKE da etwas mehr zu bieten haben als drei Anträge – mir können Sie es gestatten – die ich tatsächlich für Gedöns halte.
Der vorliegende Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist im Grunde wiederum – da darf ich fortsetzen – unter der Rubrik „parlamentarische Arbeit vorgetäuscht“ zu verbuchen. Ich werde Ihnen auch sagen, warum. Zunächst ist unzweifelhaft, dass Wohnungseinbrüche und auf die Person zielende Gewaltverbrechen sowohl das persönliche Sicherheitsgefühl als auch die reale Sicherheit der Menschen in Sachsen bedrohen. Es ist auch unzweifelhaft, dass die Zahl der Wohnungseinbrüche in Sachsen weiter zunimmt. Allerdings bleibt nach wie vor zweifelhaft, ob die Political Policing Software Precobs oder Ähnliche überhaupt dauerhaft und allgemein zur Zurückdrängung von bestimmten Kriminalitätsphänomenen beitragen können.
Von einer Pressemitteilung des bayerischen Innenministers ausgehend, behauptet die AfD nun, das Thema erhielte für Sachsen besondere Dringlichkeit; sie bleibt allerdings die Antwort schuldig, warum. Fakt ist, dass aus Bayern hinreichend sonderbare Ideen kamen: beispielsweise die Pkw-Maut, oder von ebendiesem Innenminister Herrmann kam die Idee, dass Roberto Blanco ein „ganz wunderbarer Neger“ sei, der vielen Menschen Freude gebracht habe. Besonders belastbar ist das Vorpreschen aus Bayern eben nicht. Wer eine Probierphase von Oktober bis März schon als belastbaren Test heranzieht, der glaubt auch, dass eine Schwalbe bereits den Sommer macht.
Dazu schreibt das LKA Niedersachsen – Kollege Hartmann, Sie werden mir erlauben, aus dem sicherlich beiderseits mit großem Interesse gelesenen Papier direkt zu zitieren –: „Die Kernfrage ist, ob Political Predictive Policing wirkt. Führt es wirklich zu einer Reduzierung von Straftaten? Können Straftäter durch eine von Political Predictive Policing Software unterstützte Ausrichtung der
Streifentätigkeit von ihren Vorhaben abgebracht werden? Solche Fragen sind derzeit noch nicht beantwortet.
Zwar wird in vielen Presseberichten und in der Eigendarstellung der Unternehmen eine Wirkung unterstellt, allerdings aufgrund nicht zulässiger Kausalschlüsse. So wurde nach der Einführung der Software „Blue Crush“ im Memphis Police Department der Rückgang der Kriminalität auf ebendiesen Zustand zurückgeführt. Aber – ich darf übersetzen – das, was dann Englisch folgt, wurde nicht gezeigt –: dass der Rückgang tatsächlich dieser Software geschuldet war. Würden andere Zeiträume verglichen, zum Beispiel die fünf Jahre vor und nach der Einführung von „Blue Crush“, wäre der Erfolg weit weniger groß gewesen. In manchen Bereichen hätte es sogar einen Zuwachs der Fallzahlen gegeben. Außerdem ist das Kriminalitätsaufkommen auch in anderen Städten, die keine Software zur Vorhersage genutzt haben, gesunken.
Das National Institut of Justice hat in Kenntnis dieser defizitären Lage Fördermittel ausgeschrieben, um die Erkenntnislücken zu schließen. So wurden im Jahr 2009 zwei Ausschreibungen zum Thema Evaluation von Predictive Policing herausgegeben. Trotzdem ist auch im Jahr 2014 das Wissen um die Wirksamkeit von Predictive Policing gering. Es gibt nur wenige wissenschaftliche Studien zu diesem Thema. Dabei werden eher die dem Predictive Policing zugrunde liegenden Theorien und Ansätze untersucht, als dass die Vorhersagen von eingesetzten Softwarelösungen evaluiert werden.
Auch wenn in Ansatz gebracht wird, dass die Untersuchungen in Großbritannien von allen erfassten Fällen 4 % der Täterangaben für 24 % der erfassten Taten zuständig gewesen seien – beim Geständnis –, muss zumindest von Ihnen von der AfD – wie bei vielem anderen auch – völlig unreflektiert davon ausgegangen werden, dass die Täter lern- und reaktionsfähig sind und zum Ausweichen neigen.
Im Fazit kommt das LKA Niedersachsen – ich darf noch einmal wörtlich zitieren, Kollege Hartmann – in seiner Betrachtung zu dem Schluss: „Predictive Policing wird von immer mehr Polizeidienststellen angewendet, wenngleich auch noch nicht in Deutschland.“ Das war Stand 2014. „Dieser Erfolg ist allerdings nicht auf die nachgewiesene Wirkung der Lösungen zurückzuführen. Auch wenn ein solcher Nachweis und eine Attribution auf eingesetzte Software schwierig sind, so ist die Erkenntnislage doch sehr defizitär.“ Ich will das jetzt nicht weiter ausführen. Es ist aber durchaus interessant zu lesen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, viel interessanter als die von Ihnen von der AfD zitierten Antworten der Staatsregierung auf Kleine Anfragen betrachte ich die Antwort auf meine Kleine Anfrage, Drucksache 6/2055, nicht weil es meine ist, sondern weil ich sie wirklich für interessant hielt. Auf die Frage „Beabsichtigte oder beabsichtigt die Sächsische Staatsregierung, die Vorhersagesoftware
Predictive Policing in Sachsen zu entwickeln oder sich an der Entwicklung und/oder Erprobung in anderen Bundesländern zu beteiligen oder solche Software in Sachsen
zum Einsatz zu bringen?“, antwortete die Staatsregierung – das kennen manche von der Gesamtopposition in diesem Fall –: „Darüber hinaus wird von der Antwort der Staatsregierung abgesehen. Gemäß Artikel 51 Abs. 2 Verfassung usw. – – „ Das kennen Sie alles schon.
Ich deute diese Antwort etwas anders. Ich interpretiere nämlich, dass die Staatsregierung sehr wohl beabsichtigt, die in Rede stehende Software anzuschaffen. Sie wartet, bis der Nutzen dieser Software hinreichend überprüft und nachvollziehbar ist und will vor allem – Kollege Hartmann, Sie haben darauf hingewiesen – die Kosten für die erforderliche Entwicklung, für die Testphasen usw. im Grunde nicht selbst erbringen, sondern die anderen erst einmal machen lassen, und dann schaut man noch einmal.
Zudem müsste die Staatsregierung – und jetzt kommt der Punkt, darauf haben Sie zu Recht hingewiesen, Kollege Hartmann – ebenfalls bei der Einführung einer solchen Software die Frage beantworten, welche Beamtinnen und Beamten die zusätzliche Bestreifung – teils auch in Zivil – vornehmen soll, wie das dort, wo es erprobt wurde, vorgenommen wird. Ansonsten macht das alles keinen Sinn. Dann können wir zusammen in die Glaskugel schauen oder uns Wettervorhersagen anschauen. Das ist in etwa vergleichbar. Die sind also schlicht nicht vorhanden.
Deshalb, meine Damen und Herren der AfD, verbuche ich, wie gesagt, diesen Antrag tatsächlich wiederum unter „parlamentarische Arbeit vorgetäuscht, drei Zeilen geschrieben, groß aufgetrumpft und nichts dahinter“. Sie haben kein Sach- und Fachwissen zu dieser Frage, sondern Sie klopfen hier populistisch auf den Busch. Wir werden diesen Antrag ablehnen.
Vielen Dank, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Grunde muss man jetzt einfach nur noch sagen: Ich stimme Herrn Hartmann und Herrn Stange zu. Dass man das guten Gewissens tun kann, spricht schon einmal nicht für den Antrag, der uns vorliegt. Ich möchte trotzdem noch zwei, drei Dinge ergänzen.