Protokoll der Sitzung vom 08.10.2015

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Helmut Kohl hat nicht nur gesagt, es soll niemandem schlechter gehen, er hat auch gesagt, es wird allen besser gehen. Ich glaube, was wir in diesen Tagen sagen sollten, ist: Wenn wir das alles geschafft haben – und es wird viel und es wird anstrengend –, dann wird es tatsächlich niemandem schlechter gehen. Die gute Nachricht ist, dass das ein sehr hohes Niveau ist, auf dem es niemandem schlechter geht; denn wir haben uns in den letzten 25 Jahren dank dieser tollen Menschen einen Wohlstand erarbeitet, den wir teilen können.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN, den GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU)

Frau Kollegin Kliese sprach für die SPD-Fraktion. Jetzt spricht für die Fraktion DIE LINKE Kollege Gebhardt.

Herr Landtagspräsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erste Feststellung: Von der demokratischen Aufbruchstimmung der friedlichen Revolution ist nach 25 Jahren CDU-Herrschaft in Sachsen wenig bis gar nichts übrig geblieben.

(Beifall bei den LINKEN – Georg-Ludwig von Breitenbuch, CDU: Ach!)

Zweite Feststellung: Die wahren Heldinnen und Helden der friedlichen Revolution von 1989 sind auf die Straße gegangen, um das Einparteiensystem mit angeschlossenen willigen Erfüllungsgehilfen zu überwinden. Sie wollten Partizipation, Streitkultur und Meinungspluralismus.

Dritte Feststellung: Bekommen haben sie und wir alle eine neue Staatspartei, die mit regelmäßigen patriotischen Parolen, Selbstlob und Ausgrenzungen agiert.

(Beifall bei den LINKEN – Thomas Colditz, CDU: Immer gewählt worden! – Steve Ittershagen, CDU: Demokratisch legitimiert, Kollege!)

Vierte Feststellung: Die aktuelle sächsische Demokratie ist ausgesprochen beteiligungsskeptisch und staatsfixiert. An einer vitalen Bürgergesellschaft zeigt sie kaum Interesse.

(Steve Ittershagen, CDU: Das ist doch gar nicht wahr!)

Sie handeln nach der ausgesprochen konservativen These: Viele Köche verderben den Brei.

(Georg-Ludwig von Breitenbuch, CDU: Parlamentarismus ist das Thema! – Zuruf des Abg. Frank Kupfer, CDU)

Fünfte Feststellung: Wir haben in diesem Parlament die Freiheit zu sagen, was wir wollen, egal, ob jemand zuhört oder nicht, Herr Kupfer.

Sechste Feststellung: Sachsen nennt sich Freistaat. Das soll unterstreichen, so die offizielle Auslegung auf der Internetpräsenz des Landes, dass Sachsen – ich zitiere – „von seinen freien Bürgern regiert wird“. Man muss nicht der Verwirrung derer auf den Leim gehen, die lauthals Volksverräter schreien, um festzuhalten: Auf die Idee, dass Sachsen derzeit von seinen freien Bürgerinnen und Bürgern regiert wird, kommt ernsthaft, glaube ich, niemand.

Siebente Feststellung: Die Staatspartei SED hat wenigstens noch die Blockparteien zu Wort kommen lassen.

(Widerspruch bei der CDU – Lachen bei der AfD)

Sachsen ist totalitär bestimmt.

(Steve Ittershagen, CDU: Das darf doch wohl nicht wahr sein! – Georg-Ludwig von Breitenbuch, CDU: Wo kommt ihr denn her?!)

Bei der nächsten geplanten Festveranstaltung „25 Jahre Sächsischer Landtag“ am 27. Oktober in der Dresdner Dreikönigskirche werden wir es sehen. Als Rednerinnen und Redner sind ausschließlich Menschen aus der CDU oder aus ihrem Umfeld vorgesehen, wie übrigens schon am 3. Oktober bei der amtlichen Feierstunde der Staatsregierung.

Achte Feststellung: Die sächsische CDU 2015 ist die SED hoch zwei des Jahres 1989. Damit ist auch die Frage geklärt, wer die wahre Nachfolgepartei der SED ist.

(Beifall bei den LINKEN – Steve Ittershagen, CDU: Das können Sie bewerten! – Frank Kupfer, CDU: Durch ständige Wiederholung wird es auch nicht wahrer! – Martin Modschiedler, CDU: Mein Gott!)

Neunte Feststellung: Ihre Schamlosigkeit ist grenzenlos. Da verhöhnt Dresdens Ex-Oberbürgermeister Wagner, CDU, beim Festakt am 3. Oktober in Meißen die Künstlerinnen und Künstler, die im Herbst 1989 für eine demokratisch veränderte DDR eingetreten sind, nebenbei bemerkt: wie Millionen andere Menschen damals auch.

(Unruhe bei der CDU – Martin Modschiedler, CDU: Wir sind ein Volk, Herr Gebhardt!)

Zehnte Feststellung: Wir LINKE wollen nicht die politischen Schlachten jener Tage wieder aufleben lassen. Das ist Geschichte.

(Zurufe von der CDU: Nein!)

Wir erwarten aber Respekt gegenüber den Engagierten, die eine andere Meinung hatten als die damaligen und späteren CDU-Funktionäre.

Elfte Feststellung: Wohin diese Arroganz der SachsenCDU führt, wundert niemanden mehr. Leider gibt es immer mehr Menschen in Sachsen, die mit demokratischen Spielregeln nichts mehr anfangen können. Seit mehr als einem Jahrzehnt blockiert die CDU die Absenkung der Hürden für die direkte Demokratie.

(Patrick Schreiber, CDU: Ja, genau!)

Zwölfte Feststellung: Freiheit und Selbstbestimmung können wir 25 Jahre nach der Wiederentstehung Sachsens und elf Jahre nach dem Beitritt unserer Nachbarländer zur EU nur europäisch denken.

13. Feststellung: Wir brauchen einen Neustart, in Sachsen und in Europa. Wer die Früchte des Mauerfalls durch neue Mauern schützen will, der wird das nicht schaffen.

(Beifall bei den LINKEN)

14. Feststellung: Wir müssen die sozialen Mauern einreißen, in Sachsen, in Deutschland und in der Welt. Das kommt allen zugute, gerade auch unseren Werten und unserer Kultur.

15. Feststellung:

(Patrick Schreiber, CDU: Kommen jetzt so viele, wie Sie Prozent bei der Wahl haben? – Heiterkeit bei der CDU)

Der Gesellschaftswandel, der durch steigenden Altersdurchschnitt und regionale Entvölkerung auf der einen und Zuwanderung junger Menschen auf der anderen Seite eintritt, ist das zentrale Thema der nächsten Jahre. Wir müssen deswegen vermitteln, dass dieser Prozess eine Chance für Sachsen ist und keine Bedrohung.

Schlussbemerkung: „Ich kenne keinen, der sich die DDR so, wie sie war, unfrei, bürokratisch, langweilig und knapp an Gütern, zurückwünscht, mit der ewigen Bevormundung.

(Unruhe bei der CDU – Steve Ittershagen, CDU: Doch! Sie wünschen sich das zurück!)

Doch war die angemaßte Autorität der Funktionäre nicht das Ganze.“ – So schrieb Stefan Heym am 30. September 1995 in einem Aufsatz zu fünf Jahren deutscher Einheit. Ich stimme dieser Einschätzung uneingeschränkt zu.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN)

Kollege Gebhardt war das für die Fraktion DIE LINKE. Jetzt ergreift für die AfD-Fraktion Frau Wilke das Wort. Bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen! Ich denke nicht, dass ich auf Herrn Gebhardt direkt eingehen möchte; denn dann kann ich meine Rede, glaube ich, vollkommen vergessen. Also halte ich einmal die Rede für die AfD.

(Frank Heidan, CDU: Die Rede von Herrn Gebhardt kann man auch absolut vergessen! – Heiterkeit bei der AfD und der CDU)

Als Neuling wurde mir die ehrenvolle Aufgabe übertragen, hier an dieser Stelle für die Fraktion der AfD einen Beitrag zum 25. Jahrestag der erfolgreichen friedlichen Revolution und der Wiederbelebung der demokratischen Traditionen Sachsens nach mehr als 60 finsteren Jahren zu halten. Das macht Sinn, weil ich praktisch über Nacht von einem ganz normalen Bürger zu einem Volksvertreter wurde. Ich bin also noch ein Lehrling im parlamentarischen Geschäft und immer noch fest verwurzelt in meiner Rolle als Adressat all ihrer bzw. unserer Bemühungen.

Ich spiegle die Außensicht auf die Innensicht des demokratischen Betriebes. Dabei fällt mir auf, dass die vielen Festreden zu diesem Anlass von Ängsten geprägt waren. Sie waren von Ängsten vor dem Volk geprägt, das nicht immer und überall so möchte, wie die meisten es hier möchten. Das macht mir wiederum Angst.

Die Seele der Demokratie ist doch die Gewissheit auf einen freien und fairen Wettbewerb von Meinungen und Haltungen, wie unterbelichtet oder fremd sie auch immer sein mögen. Zur Seele der Demokratie gehört auch ein Körper, der Staat, der sich als Solidargemeinschaft versteht. Er leistet alles, was der einzelne Bürger nicht leisten kann: die Garantie von Sicherheit, Recht und sicheren Grenzen. Davon war am 3. Oktober auch in diesem Hause wenig Verlässliches zu hören.

Viel zu hören waren Appelle, dass unsere Zukunft in einer neuen Gestalt zu finden sei. Wie eine solche Seelenwanderung mit völlig fremden zivilisatorischen Hintergründen zu bewerkstelligen sei, blieb weitestgehend im Dunkeln. Darüber zu reden, scheint mir der eigentliche Sinn dieser Debatte zu sein.

Es ist nicht ganz einfach, wenn schon Ja-Aber-Sätze im Sinne der in den letzten Wochen durchgängigen Sprachregelung als extrem fremdenfeindlich oder gar rassistisch stigmatisiert werden. Wo nur ein Ja ohne Wenn und Aber verlangt wird, sollte es uns allen – und ich betone: uns allen – schon etwas mulmig werden. So geht die demokratische Kultur schnell – fast über Nacht – kaputt. Die Reparatur braucht dann viel mehr Zeit und ist ohne schmerzhafte Verluste nicht mehr zu erreichen.

Es lohnt sich also, nach bestem Wissen und Gewissen offen und fair um die besten Lösungen zu ringen. Dazu gehören Fragen wie zum Beispiel, wer, wann, wo, wie,

womit, wovon und wie viele bei uns leben können. Darauf brauchen wir überzeugende Antworten und nicht nur ideologische Welcome-Blasen. Ideologien sind im besten Fall immer nur ein Bruchteil der Realität. Genau so schlimm sind aber auch die Pragmatiker des Durchwurstelns. Das sind die Akteure, die um des kurzfristigen Erfolges willen die fünf auch einmal eine gerade Zahl sein lassen. Die auch einmal schummeln, um sich einer schwierigen Situation zu entziehen.

Ein aktuelles Beispiel sind die sogenannten geschlossenen Grenzen, mit denen wir in drei Wochen 250 000 Sozialhilfeempfänger importiert haben. Zur demokratischen Kultur gehört also nicht nur, dass der Bürger rhythmisch zur Wahlurne schreiten darf, sondern auch unser Respekt vor dem Volk, die Achtung von Recht und Gesetz. Die Demokratie lebt nun einmal von dem Urvertrauen, dass in der Mehrheit auch in der Vernunft geborgen ist. Das setzt aber einen freien, offenen und rationalen Diskurs ohne gelenkte Informationen und Stimmungsmache voraus. Dazu gehört das böse Wort vom „Pack“ garantiert nicht, jedenfalls nicht für einen Demokraten.