Ein aktuelles Beispiel sind die sogenannten geschlossenen Grenzen, mit denen wir in drei Wochen 250 000 Sozialhilfeempfänger importiert haben. Zur demokratischen Kultur gehört also nicht nur, dass der Bürger rhythmisch zur Wahlurne schreiten darf, sondern auch unser Respekt vor dem Volk, die Achtung von Recht und Gesetz. Die Demokratie lebt nun einmal von dem Urvertrauen, dass in der Mehrheit auch in der Vernunft geborgen ist. Das setzt aber einen freien, offenen und rationalen Diskurs ohne gelenkte Informationen und Stimmungsmache voraus. Dazu gehört das böse Wort vom „Pack“ garantiert nicht, jedenfalls nicht für einen Demokraten.
Wir stehen in der Verantwortung, das Geschenk der Wiedervereinigung zu bewahren. Lassen wir uns nicht wieder in ein helles und ein dunkles Deutschland spalten. Unsere Identität ist naturwüchsiger und verwurzelter als die grünen Weltverbesserer es sich vorstellen können. Traditionen und Werte wandeln sich ständig und sind immer vernetzt. Ein Mensch hängt in verschiedenen Zusammenhängen – in der Zukunft und Vergangenheit, in der Gegenwart sowieso. Wer die Gesellschaft nicht quälen und zerstören möchte, darf dieses Geflecht nicht mutwillig überlasten oder gar zerschneiden.
Man heilt diese Verbrechen nicht, indem man sie bunt verbrämt, Unsinn wiederholt, nicht mit einem antieuropäischen Rassismus und nicht mit einem demografischen Fatalismus.
Frau Kollegin Wilke, ich darf Sie auf Folgendes hinweisen – das war Ihre erste Rede: Die Redebeiträge sind in der Aktuellen Debatte in freier Rede zu halten.
Für das nächste Mal gilt Folgendes: Außer Stichworten ist die Rede frei vorzutragen. Das Vortragen einer Rede an sich ist nach unserer Geschäftsordnung in der Aktuellen Debatte zu vermeiden. Das ist auch ein Hinweis an alle anderen Kolleginnen und Kollegen. Lösen Sie sich „vom Stichwortzettel“. Versuchen Sie die freie Rede wirklich vorzutragen. Das ist beim Einstieg schwer. Ich weise aber ausdrücklich noch einmal auf unsere Geschäftsordnung hin.
Wir gehen in der Rednerreihe weiter. Als Nächstes ergreift für die Fraktion GRÜNE Herr Kollege Zschocke mit einem winzig kleinen Stichwortzettel das Wort. Bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem Rückblick von Herrn Schiemann auf 25 Jahre Parlamentarismus möchte ich folgenden Anspruch formulieren: Ein starker Sächsischer Landtag zeigt sich selbstbewusst, nicht abgehoben und nicht selbstherrlich. Er streitet ernsthaft um die besten Lösungen für große gesellschaftliche Herausforderungen, vor denen Sachsen steht. Sachsen stand damals und steht heute wieder vor großen Herausforderungen.
Wir Abgeordneten aber werden immer öfter infrage gestellt. Die Gründe dafür sind verschieden. Es gibt welche, die sehen in diesem Hohen Hause einen teuren Kropf. Sie sehen in dem Parlament einen Selbstbedienungsladen, vor allem eine Kostenbelastung für den Steuerzahler. Es gibt auch viele, die an der Handlungsfähigkeit des Parlaments zweifeln, gerade in Krisensituationen. Dieser Vertrauensverlust, meine Damen und Herren, trifft die Opposition und die Koalition gleichermaßen. Das müssen wir sehr ernst nehmen. Viele empfinden auch ein sehr diffuses Gefühl der Ohnmacht und Bevormundung. Sie empfinden einen Graben zwischen sich und der Politik.
Ebenso gibt es welche, die die demokratischen Instanzen völlig ablehnen. Sie verachten Parlamente und Politiker. Sie bringen es auch drastisch zum Ausdruck. Sie bedrohen unsere Mitarbeiter in den Büros. Sie zerstören die Büros der Abgeordneten. Es gibt aber auch eine sehr große Gruppe demokratisch gesinnter Sachsen, für die der Landtag einfach nicht relevant ist. Er kommt in ihrer Lebenswirklichkeit nicht wirklich vor. Sie fragen auch nicht, was wir so machen. Wenn sie es dann tun, empfinden sie keine Bedeutung für sich.
Meine Damen und Herren! Wir müssen uns ernsthaft danach fragen, welchen Anteil wir sächsischen Parlamentarier selbst an der Entfremdung haben, die hier stattfindet. Ich habe versucht, einmal vier Fragen zusammenzustellen. Die erste Frage lautet wie folgt: Was soll eigentlich im Zentrum der politischen Führung unseres Bundeslandes stehen: ein vom Volk gewähltes Parlament, welches dafür sorgt, dass sich die politische, soziale und regionale Vielfalt im staatlichen Handeln widerspiegelt, oder steht eine Staatspartei im Zentrum, die sich in ihrem eigenen Selbstverständnis als die Partei der Sachsen sieht,
die für sich in Anspruch nimmt, allein die sächsische Identität zu repräsentieren? Wenn ich mir den Ablauf der Feiern zum 25-jährigen Jubiläum anschaue, dann entsteht bei mir der Eindruck, dass vor allem die Leistungen der CDU und ihrer Akteure im Mittelpunkt stehen. Meine Damen und Herren von der CDU, Sie feiern sich gern selbst. Das haben wir schon erlebt.
Die zweite Frage lautet: Ist die kritische Kontrolle der Regierung durch die Opposition wirklich möglich? Sind die Abgeordneten tatsächlich in der Lage, das Handeln der Staatsverwaltung umfassend zu kontrollieren, oder wird mit Intransparenz, Salamitaktik sowie Informationsverweigerung den Abgeordneten die Kontrolle erschwert?
Ich komme zu meiner dritten Frage: Welche Bedeutung haben eigentlich Länderparlamente überhaupt noch in Deutschland? Was tun wir selbst, um die Relevanz unseres Landtages zu erhöhen, oder kapitulieren wir inzwischen vor dem Bedeutungsverlust und lassen den Landtag mehr oder weniger zu einer politischen Schwatzbude verkommen?
Viertens möchte ich gern wissen: Was ist eigentlich mit Parlamentarismus gemeint? Diese Frage hat hier überhaupt noch keiner gestellt. Reden wir über einen echten Wettbewerb der besseren Argumente und Lösungen oder reden wir über ein Politiktheater, in dem vorher eigentlich alles entschieden ist und jede Fraktion hier noch einmal ihre Position aufsagen darf, meine Damen und Herren?
Ich möchte zum Schluss konkrete Vorschläge machen. Wir selbst können uns mehr Relevanz und Einfluss erkämpfen, indem wir zum Beispiel durchsetzen, dass die Staatsregierung frühzeitiger über Vorhaben informiert. Wir als GRÜNE haben einen Entwurf für ein Parlamentsinformationsgesetz vorgelegt. Darin sind viele Vorschläge zur Stärkung der Parlaments- und Abgeordnetenrechte enthalten. Wir können zum Beispiel für mehr Transparenz sorgen, Ausschüsse könnten öffentlich tagen.
Meine Damen und Herren! Der Landtag kann auch an Stärke gewinnen, wenn direkt-demokratische Verfahren gestärkt werden. Hierzu haben wir ebenfalls Vorschläge unterbreitet. Ich sage Folgendes ganz deutlich: Direkte und parlamentarische Demokratie stehen nicht im Widerspruch zueinander. Allen, die das parlamentarische System als minderwertig abqualifizieren – das hören wir heute sehr oft –, müssen wir entschieden entgegentreten. Es darf mit mehr direkter Demokratie nicht dazu kommen, dass die Stärke des Parlamentarismus preisgegeben wird.
Meine Damen und Herren! Wir hier in Sachsen brauchen ein starkes Bekenntnis zu einem starken Parlament genauso wie ein starkes Bekenntnis zu mehr direkten demokratischen Beteiligungsmöglichkeiten.
Herr Kollege Zschocke beschloss die erste Rederunde und Herr Kollege Modschiedler eröffnet jetzt für die einbringende CDUFraktion eine neue.
In Freiheit und Selbstbestimmung – 25 Jahre Parlamentarismus in Sachsen. Herr Zschocke, ich möchte dort fortsetzen: Und was kommt jetzt? Lassen Sie uns einmal über die Zukunft nachdenken. Aber ich möchte es andersherum machen, ich möchte es subsidiär machen.
In Zukunft geht es auch um die Freiheit und die Selbstbestimmung. Unsere Länderparlamente sind immer weniger in die bundespolitischen Prozesse eingebunden. Das sieht man auch im Bundesrat, da sieht es leider ähnlich aus. Manchmal können wir nur noch bundespolitische oder auch europapolitische Sachen abnicken, und auch die Entscheidungen können wir nur noch zur Kenntnis nehmen. Das ist ein falsches Selbstverständnis, das wir von uns haben. Wir sind die erste Gewalt, das müssen wir uns immer und immer wieder vor Augen führen. Diese Gewalt hat als Legislative in den 25 Jahren wirklich Großartiges vollbracht. Mein Dank dafür gilt allen Mitarbeitern und Abgeordneten der vergangenen Legislaturperiode. Das muss man sagen dürfen, allen.
Wir haben in unserer Sächsischen Verfassung ein garantiertes Freiheits- und auch ein Selbstbestimmungsrecht. Das müssen wir einfordern, wir müssen es wahrnehmen und zum Nutzen der Bürger – Herr Zschocke, das hatten Sie angesprochen – auch einsetzen, subsidiär, wir müssen es einsetzen. Das war unsere Aufgabe in den letzten 25 Jahren und ehrlich, das wird sie auch in Zukunft bleiben.
Deshalb müssen wir aber einiges kritisch beleuchten: Beispiel Föderalismuskommission II und Föderalismuskommission III. In der Zweier waren wir noch mit Rede- und Antragsrecht als Parlament beteiligt, jetzt sind wir raus. Diesen föderalen Gedanken, den Subsidiaritätsgedanken, müssen wir dann auch aktiv leben. Wir müssen uns einbringen, wir müssen ihn dann als Landesparlamentarier auch aktiv einfordern, Zeichen setzen und gestalten. Dann dürfen solche Sachen wie in der Föderalismuskommission erst gar nicht vorkommen. Ein Beispiel wären gemeinsame Sitzungen von Ausschüssen des Sächsische Landtags mit den Ausschüssen anderer Landtage. Oder was macht die Exekutive? Sie macht einen Austausch im Dreiländereck. Der Justizminister hat es gemacht, der Innenminister auch, und wir können das auch. Auch die Zusammenarbeit mit anderen Länderparlamenten muss möglich sein.
Herr Zschocke, Sie hatten die „Quatschbude“ angesprochen. Ja, als das werden wir oft bezeichnet, das ist das Negativbild. Man kann es aber auch positiv formulieren. Wir sprechen über Themen, wir sprechen sie an, wir artikulieren sie, wir greifen sie auf. Das ist eine wichtige
Nein. Bei der Aktuellen Debatte machen wir es heute einmal nicht. Bei der anderen Diskussion später gerne, aber dies ist eine Aktuelle Debatte.
Wir haben jetzt schwierige Zeiten. Wir wollen in diesen schwierigen Zeiten als Parlament Zeichen setzen. Wichtig ist, nicht immer nur auf die anderen zu zeigen und zu sagen, die sind an allem schuld. Das ist unsere Gestaltungsmöglichkeit. Wir können ja aktiv sein. Wir haben nämlich eine Chance, unsere eigenen Möglichkeiten wahrzunehmen. Das kann auch einmal der erhobene Zeigefinger seitens des Parlamentes sein. Aber dieser Zeigefinger muss dann auch akzeptiert sein, er muss eine Autorität darstellen, und das – das ist unser großes Problem – müssen wir uns täglich immer wieder neu bei den Bürgerinnen und Bürgern erarbeiten.
Die sogenannte direkte Demokratie – das wurde auch angesprochen – wird immer wieder als Gegenmodell gebracht. Direkte Demokratie gegen parlamentarische Demokratie. Da müssen wir als Parlamentarier aufpassen. Wir haben eine Wirkung, einen Effekt in dieser parlamentarischen Demokratie. Wir haben eine Wichtigkeit für jetzt und einen Wert, den wir auch in Zukunft darstellen müssen. Die Sächsische Verfassung stellt nämlich die parlamentarische Demokratie neben die direkte Demokratie. Das war ausdrücklicher Wille der Verfassungsväter.
Genau. Deswegen haben wir – Herr Bartl, weil Sie applaudierten – eine wichtige parlamentarische Pflicht, auch diese parlamentarische Demokratie auszufüllen.
Das heißt aber auch, wir müssen uns mehr einmischen, wir Parlamentarier, wir erste Gewalt, müssen uns mehr einmischen. Wir haben das explizite Mandat bekommen, und wir haben den materiellen Freiraum erhalten, tätig zu werden. Wir treffen die Entscheidungen für den Freistaat Sachsen, aber wir müssen uns auch sowohl in die Landespolitik, in die Bundespolitik und in die Europapolitik einmischen, versteht sich. Wie wichtig das gerade jetzt ist, kann man in unserer aktuellen Situation auf jeden Fall sehen. Wir – ich rede jetzt einmal als Dresdner –, aber wir in ganz Sachsen kennen die aktuelle Situation vor Ort, und zwar die spezifische, und die müssen wir weitertragen. Wir müssen sie in Bund und Land transportieren. Das müssen wir den Bürgern immer wieder vermitteln. Das erwarten sie von uns.
Unsere Welt wird immer komplexer und komplizierter. Seien wir als Parlamentarier einfach selbstbewusster. Es steht uns gut zu Gesicht, und es wird uns auch weiter gut zu Gesicht stehen. Der Parlamentarismus war noch nie so wichtig wie heute. Denken Sie einmal darüber nach!
Kollege Modschiedler eröffnete die zweite Rederunde. Für die einbringende SPD ergreift jetzt das Wort unser Kollege BaumannHasske.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Wir blicken heute zurück auf ein Vierteljahrhundert parlamentarischer und direkter Demokratie in Sachsen. Herr Modschiedler hat das soeben schon angedeutet. Unsere Verfassung lässt beides zu – das Parlament als Gesetzgeber und das Volk als Gesetzgeber gleichberechtigt nebeneinander. Heute möchte man meinen, das sei gar nicht bekannt, wenn man die Forderungen nach direkter Demokratie hört. Sachsen war damit sehr fortschrittlich.
Der Verfassungsgeber, viele Abgeordnete des ersten Landtages waren selbst auf die Straße gegangen und hatten eine Staatsform, in der niemand wirklich die Wahl hatte, mit dem demokratischen Mittel der Demonstration abgeschafft und den Weg für eine wirkliche Demokratie mit freier Auswahl geöffnet. Sie waren der Überzeugung, dass dieses Volk neben einem von ihnen gewählten Parlament auch selbst kompetent sei, in einem Verfahren des Wettbewerbs der Ideen und Richtungen durch Mehrheit Gesetze zu schaffen. Diese Rechte wurden auf Landes- und kommunaler Ebene geschaffen. Es wurde davon Gebrauch gemacht. Allerdings muss man wohl mit Begründung sagen, es wurde zu wenig davon Gebrauch gemacht. Ist das Verfahren zu kompliziert? Man kann lange über die Mindestanzahl von Unterstützern, von Abstimmenden und Zustimmenden diskutieren. Ich bin ein Anhänger der Senkung von Quoren.
Was unsere Verfassung und unsere Gemeindeordnung jedenfalls aber gut lösen, ist die Aufgabe, Raum zu schaffen für die Auseinandersetzung mit einem Gegenstand, der beschlossen werden soll. Jede Bürgerin und jeder Bürger, die selbst Gesetzgeber sein wollen, sollen sich von allen Seiten Informationen besorgen und eine Meinung bilden können. Gesetzgebung macht man mit dem Kopf, nicht mit dem Bauch. Deshalb ist das Verfahren sehr wichtig.
Auch der parlamentarische Gesetzgeber hat sich stabil entwickelt, für manche ein bisschen zu stabil. Lebendige Debatten gibt es bei uns, aber es könnte sie noch öfter geben.