Protokoll der Sitzung vom 19.11.2015

Herr Schiemann, mir scheint, Sie wollten mich missverstehen. Uns geht es nicht darum, die Probleme in Rumänien oder Litauen zu lösen, sondern rechtzeitig auf besorgniserregende Entwicklungen aufmerksam zu machen, die früher oder später auch Sachsen treffen werden, und zu einem aktiven Handeln aufzufordern.

Fast scheint mir, Herr Dulig ist der Einzige, der die Intention des Antrages verstanden hat.

(Beifall des Abg. Rico Gebhardt, DIE LINKE)

Der frivole Nationalismus von Frau Dr. Petry ist mir keinen Kommentar wert. Mir scheint aber, ein Großteil der Abgeordneten hier hat die Intention des Antrages nicht verstanden. Deshalb möchte ich noch einmal kurz vertiefen, warum sich gerade Sachsen als Bundesland für eine Stärkung der sozialen Dimension der EU einsetzen sollte und das auch tun kann.

Erstens ist auch Sachsen von den Folgen sozialer Ungleichheit in Europa betroffen. Das Nord-Süd-Gefälle innerhalb der EU ist im Kleinen nichts anderes als das von uns so oft beklagte deutsche Ost-West-Gefälle im Großen. Das eine wie auch das andere müssen wir bekämpfen.

Zweitens haben auch wir eine soziale Verantwortung für unsere europäischen Nachbarn; denn solange auch sächsische Betriebe ihre Produktion ins Ausland verlagern können, um dort Lohnkosten und Sozialabgaben zu sparen, profitieren wir von der sozialen Ungleichheit anderer Länder, anstatt sie zu bekämpfen.

Drittens. Andere Landesregierungen sind uns bezüglich dieser Thematik um Welten voraus. So gab beispielsweise die damalige sozialdemokratische Europaministerin des Landes Nordrhein-Westfalen im Jahr 2013 ein Gutachten zur politischen Union in Auftrag. Eine Sozialunion würde demnach die Ängste vieler Bürgerinnen und Bürger vor sozialem Dumping, sozialer Polarisierung und einem fiskalisch bedingten Abbau öffentlicher Sozialleistungen als Folge der Europapolitik aufgreifen. Sie ließe sich

demnach auch gemäß der ursprünglichen europäischen Idee als Investition in den sozialen Frieden begründen.

Ich bin jedoch zuversichtlich, dass Sie Ihre Entscheidung noch einmal überdenken werden; denn wenn CDU- und SPD-Fraktion bereits die Förderung des Deutschen als Amtssprache in der EU einen Antrag wert war, wird der Einsatz für ein wirklich relevantes EU-Thema, das positiven Einfluss auf das Leben von Millionen von Menschen haben kann, –

Die drei Minuten gehen zu Ende.

– bestimmt noch um ein Vielfaches größer sein. Die EU droht zu scheitern, wenn ihre soziale Dimension nicht endlich größere

Bedeutung erhält. Deshalb bitte ich Sie, dem Antrag zuzustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN)

Das war das Schlusswort der einbringenden Fraktion. – Meine Damen und Herren! Ich stelle nun vorliegenden Antrag in der Drucksache 6/3058 zur Abstimmung und bitte bei Zustimmung um Ihr Handzeichen. – Vielen Dank. Gegenstimmen? – Danke. Stimmenthaltungen? – Einige Stimmenthaltungen. Damit ist die Drucksache 6/3058 nicht beschlossen.

Meine Damen und Herren! Der Tagesordnungspunkt ist beendet.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 10

Sächsischer Landesaktionsplan zur Bekämpfung häuslicher Gewalt

Drucksache 6/3221, Antrag der Fraktion AfD

Hierzu können die Fraktionen Stellung nehmen. Reihenfolge in der ersten Runde: AfD, CDU, DIE LINKE, SPD, GRÜNE; Staatsregierung, wenn gewünscht. Für die AfDFraktion bringt den Antrag Herr Kollege Wendt ein. Bitte, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Der von uns eingebrachte Antrag befasst sich mit dem Thema der häuslichen Gewalt. Laut dem Landeskriminalamt Sachsen sind für den Tatzeitraum 2014 im polizeilichen Auskunftssystem Sachsen insgesamt 3 153 Fälle als Straftaten häuslicher Gewalt bzw. Straftaten gegen das Gesetz zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen erfasst worden. In den Jahren zuvor wurden bereits 2 700 Fälle im Jahr 2012 und 3 084 Fälle im Jahr 2013 registriert. Demzufolge ist die Zahl der erfassten Fälle häuslicher Gewalt zum dritten Mal in Folge gestiegen.

Hier spreche ich von den erfassten Fällen, die nicht zwangsläufig auch eine Steigerung der Straftaten bedeuten müssen. Strafrechtlich betrachtet ist häusliche Gewalt durch eine Vielzahl von unterschiedlichen Straftaten geprägt. So gehören Sexualstraftaten, Körperverletzung, Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch, Bedrohung, Nötigung, Freiheitsberaubung, Erpressung und versuchte sowie vollendete Tötungsdelikte zur Tagesordnung.

Häusliche Gewalt umfasst Gewalt in vielfältigen Erscheinungsformen, insbesondere als physische, psychische und sexualisierte Gewalt zwischen erwachsenen Personen und gegenüber Kindern und Jugendlichen, die in persönlicher, insbesondere familiärer Beziehung zum Gewaltanwender stehen oder gestanden haben. Gewalt in der Ehe und in der Partnerschaft gilt inzwischen als die am weitesten verbreitete Form dieser Art der Gewaltausübung, die fast

ausschließlich in den eigenen vier Wänden anzutreffen ist. Hierbei erleiden die Betroffenen sehr oft schwere körperliche und psychische Misshandlungen, die nicht zu akzeptieren sind.

Auf Bundesebene ist im Jahr 2002 das Gewaltschutzgesetz in Kraft getreten und hat für Rechtssicherheit im Umgang mit häuslicher Gewalt gesorgt. Dank dieses Gesetzes konnten und können insbesondere Wegweisung, Kontakt- und Belästigungsverbote bei vorsätzlichen und widerrechtlichen Verletzungen von Körper, Gesundheit oder Freiheit einer Person einschließlich der Drohung mit solchen Verletzungen ausgesprochen und durchgesetzt werden.

Hinzufügend sei erwähnt, dass gegenüber der Person, von der Gewalt oder eine Gewaltgefährdung ausgeht, ein Haus- bzw. Betretungsverbot durchgesetzt werden kann, auch wenn es sich dabei um die gemeinsame Wohnung des betroffenen Personenkreises handelt.

In Sachsen wurde im Jahre 2003 der Lenkungsausschuss zur Bekämpfung der häuslichen Gewalt gegründet, dem neben Vertretern von vier Ministerien auch Mitglieder freier Träger und von Opferschutzverbänden angehören. Oberstes Ziel des Ausschusses ist die koordinierte und vernetzte Bekämpfung der häuslichen Gewalt in Sachsen. Genau dieser Lenkungsausschuss wurde im Jahre 2006 mit der Erarbeitung eines Landesaktionsplanes beauftragt, der 2013 fortgeschrieben worden ist.

Inhalt dieses Aktionsplanes ist die Benennung aller notwendigen Maßnahmen, um die nachhaltige Bekämpfung der häuslichen Gewalt zu gewährleisten. Hierbei werden die ressortübergreifende Verantwortung aufgezeigt und Empfehlungen für deren Umsetzung gegeben.

Der Landesaktionsplan, der sich über 64 Seiten erstreckt, ist ohne Frage ein Papier, welches umfassend über Empfehlungen, Umsetzungsstand und Handlungsbedarfe

berichtet. Jedoch lassen sich hieraus leider nicht die Wirksamkeit und die Auswirkungen der getroffenen Maßnahmen, bezogen auf die ressort- und zielgruppenspezifischen Empfehlungen in den Bereichen Justiz, Soziales, Polizei und Kultus sowie die Zusammenarbeit der entsprechenden Stellen festlegen. Aber gerade dies ist notwendig, um weiter zielgerichtet und effektiv arbeiten zu können. Dabei ist es unabdingbar, dass auch bestehende Probleme und Lücken erkannt und benannt werden. Nur mit der Offenlegung der Wirksamkeit und der Auswirkungen des Landesaktionsplans kann die häusliche Gewalt wirksam bekämpft werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Kollege Wendt hat gerade für die AfD-Fraktion den Antrag eingebracht. Als Nächstes spricht für die CDU-Fraktion Frau Kollegin Kuge.

Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kollegen! Das dem vorliegenden Antrag zugrunde liegende Thema ist wirklich wichtig. Hier geht es um die Bekämpfung häuslicher Gewalt. Wie Sie vielleicht wissen, engagiere ich mich auch persönlich in diesem Bereich. Ich wünsche mir, dass wir uns alle gemeinsam dafür einsetzen, die Öffentlichkeit zu sensibilisieren.

In der Begründung zum vorliegenden Antrag wird auf das polizeiliche Auskunftssystem Bezug genommen und die Entwicklung der Fälle in den letzten Jahren dargestellt. Allein die dort niedergeschriebenen Zahlen, meine Damen und Herren, lassen vermuten, dass die Dunkelziffer hier wesentlich höher ist. Trotzdem machen diese Zahlen deutlich, dass die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen weiterhin eine hohe Bedeutung innehaben muss. Die Bundesebene wie auch der Freistaat Sachsen sind sich dabei ihrer Verantwortung bewusst.

Wir müssen als Gesellschaft gemeinsam dafür einstehen, den Ausbau der Angebote der Frauen- und Kinderschutzhäuser, der Interventionsstellen und der Täterberatungsstellen zu begleiten. Auf Bundesebene ist beispielsweise mit dem Aktionsplan II der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, dem Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ oder auch mit der Bund-LänderArbeitsgruppe „Häusliche Gewalt“ auf die Entwicklung reagiert worden. Auf Landesebene wurde beispielsweise der Landesaktionsplan zur Bekämpfung häuslicher Gewalt durch den Landespräventionsrat erstellt und 2013 intensiv überarbeitet. Der Lenkungsausschuss wird – dessen bin ich mir absolut sicher – weiterhin konsequent ressortübergreifend arbeiten.

Im aktuellen Doppelhaushalt wurden mehr Mittel als in den vorhergehenden bereitgestellt. Der im vorliegenden

Antrag geltend gemachten Forderung nach einem konsequenten Einsatz für den Schutz von Opfern häuslicher Gewalt wird damit Rechnung getragen. Wir werden uns weiterhin dafür einsetzen. Das steht außer Frage.

Der vorliegende Antrag sieht weiterhin eine Berichtspflicht der Staatsregierung vor. Dies kann man natürlich machen. Gleichwohl sehe ich es aber kritisch im Hinblick auf das angestrebte Ziel. Sie fordern eine erneute Überarbeitung des Landesaktionsplanes. Wir sollten zunächst die Umsetzung abwarten, bevor wir eine neue Überarbeitung fordern.

Man kann jetzt natürlich nach den ersten Erfolgen fragen. Man muss sich dabei aber immer wieder bewusst sein, dass unter Umständen noch keine vollständigen und aussagekräftigen Ergebnisse vorliegen können.

Wir lehnen daher den Antrag ab.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Auf Frau Kollegin Kuge, CDU-Fraktion, folgt jetzt für die Fraktion DIE LINKE Frau Kollegin Buddeberg.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Wendt, ich bin überrascht, dass Sie wussten, wie viele Seiten der Aktionsplan hat. Als ich Ihren Antrag gelesen habe, habe ich mich schon gefragt, ob Sie sich überhaupt die Mühe gemacht haben, den Landesaktionsplan zur Bekämpfung häuslicher Gewalt wirklich zu lesen. Denn dort hätten Sie durchaus interessante Aussagen finden können, die mit Ihrem Weltbild wohl nur schwer vereinbar sind, zum Beispiel, dass geschlechtsspezifische Rollenleitbilder und Defizite in der Sozialisation wesentliche Ursachen für die Entstehung häuslicher Gewalt darstellen und dass die Bekämpfung häuslicher Gewalt Teil der Gleichstellungspolitik ist, weil Gewalt in geschlechtsspezifischen Strukturen eingebettet ist und von Frauen und Männern unterschiedlich ausgeübt und erlebt wird.

Den Zusammenhang zwischen Geschlechterrollen,

struktureller Ungleichheit auf der einen und körperlicher und sexualisierter Gewalt in Paarbeziehungen auf der anderen Seite zu leugnen ist eine völlige Verkennung der Realität. Häusliche Gewalt ist kein Naturphänomen. Sie geschieht nicht einfach aus heiterem Himmel. Häusliche Gewalt ist die Folge gesellschaftlicher Missstände. Deshalb ist die Bekämpfung häuslicher Gewalt auch gesellschaftliche Aufgabe.

Wenn sich nun aber ausgerechnet die AfD aufschwingt und einen Antrag zum Thema häusliche Gewalt einbringt, dann mutet das schon etwas abenteuerlich an.

(Uwe Wurlitzer, AfD: Oh!)

Es erscheint absurd, dass Sie plötzlich in einem Themenfeld mitreden wollen, von dem Sie sonst behaupten, es existiere gar nicht.

(Uwe Wurlitzer, AfD: Was? Wo steht das?)