Anja Klotzbücher
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Thema der Unterbringung, Versorgung und Integration von Geflüchteten ist ein originär landes- und kommunalpolitisches Thema. Den legislativen Rahmen dafür gibt uns das Sächsische Flüchtlingsaufnahmegesetz. Bis auf kleinere formale Änderungen bei der Kostenerstattung ist daran seit zehn Jahren nichts Fundamentales geändert worden.
Aus unserer Sicht muss das bestehende Flüchtlingsaufnahmegesetz allein aufgrund der rasanten Veränderung diverser Bundesgesetze angepasst werden. Außerdem sind wir der Meinung, dass spätestens das Jahr 2015 gezeigt hat, dass die bestehende Gesetzesgrundlage nicht mehr den realen Anforderungen entspricht. Ein zentraler Kritikpunkt und damit ein wichtiger Anlass für unsere Gesetzesinitiative sind die bisher gänzlich fehlenden Garantien für die Menschen, um die es eigentlich geht: die Geflüchteten. Daraus folgt aber auch, dass wir insbesondere die Kommunen in die Lage versetzen müssen, diese Garantien auch zu erfüllen.
Unser Gesetzentwurf entstand im Wesentlichen im Jahr 2015 und vor dem Hintergrund der offensichtlich werdenden Missstände bei der Flüchtlingsaufnahme und -unterbringung. Dass wir uns inzwischen wieder in einem ruhigeren und geregelterem Fahrwasser bewegen, bedeutet allerdings nicht, dass unser Gesetzentwurf obsolet ist, wie uns in den Ausschüssen von CDU und SPD vorgehalten wurde. Im Gegenteil: Uns geht es um die Verankerung von Mindeststandards, sowohl für die Erstaufnahme als auch bei der kommunalen Unterbringung, um eine neue Finanzierungslogik für die kommunale Ebene und einen Zuständigkeitswechsel.
Das alles hätten wir auch ohne den sogenannten summer of migration vorgeschlagen. Leitbilder unseres linken Flüchtlingsaufnahmegesetzes sind die Garantie der Menschenwürde und der Teilhabe vom ersten Tag an. – Bevor ich zu den inhaltlichen Schwerpunkten komme, möchte ich noch erwähnen – und damit auch die kritischen Anmerkungen aus den Ausschussdiskussionen aufgreifen –, dass der Einbringung dieses Gesetzentwurfs ein umfangreicher Beteiligungsprozess vorausgegangen ist.
So führten wir in den drei Landesdirektionsbereichen Anhörungen mit Vertreterinnen und Vertretern der kommunalen Ebene sowie Vereinen und Initiativen durch. Wir hörten den Landkreistag ebenso an wie das DRK, die Johanniter, den Sächsischen Flüchtlingsrat „Bon Courage“, den Leipziger Initiativkreis „Menschenwürdig“, die AG In- und Ausländer Chemnitz, Dezernentinnen und Dezernenten von Städten und Landkreisen sowie Praxiserfahrene aus den Asylunterkünften. Nicht nur diese Diskussionen haben uns gezeigt, dass wir uns mit dem Gesetz auf dem richtigen Weg befinden.
Doch nun zum Inhalt.
Erstens wollen wir eine grundlegende Änderung bei der Zuständigkeit für die Flüchtlingsaufnahme. Das ist gar nicht einmal so revolutionär. Zahlreiche Bundesländer sind diesen Weg bereits vor uns gegangen. Uns geht es um eine Zuständigkeitsänderung weg vom Innenministerium hin zum Ministerium für Migration und Integration und damit weg von einem ordnungspolitischen Ansatz hin zu einem sozialpolitischen und integrativen Leitbild. In unserem Sinne würde die Zuständigkeit am besten in ein aufgewertetes Integrationsministerium wandern. Sachlich fundierte Einwände gegen diesen Vorschlag haben wir in den Ausschussdiskussionen nicht gehört.
Zweitens wollen wir landesgesetzlich das regeln, was der Bund bisher versäumt hat, nämlich die Normen der EUAufnahmerichtlinie im Landesrecht zu verankern. Die Aufnahmerichtlinie definiert europaweit einheitliche Standards bei der Aufnahme, Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten. Sie hätte bis Juli 2015 in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Weil das nicht passiert ist, ist auch momentan ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik anhängig. Aber ich will nicht verschweigen, dass die Regelungen der Aufnahmerichtlinie unmittelbar gelten. Geflüchtete, die hier in Sachsen leben, können bereits jetzt die darin festgeschriebenen subjektiven Rechte einklagen. Dennoch wollen wir uns nicht auf die Klagen Einzelner oder die Klagen von Initiativen verlassen, sondern sehen Bund und Länder in der Pflicht.
Mit der vorgeschlagenen Ausgestaltung der EU-Aufnahmerichtlinie wollen wir erreichen, dass der Freistaat positiv vorangeht. Unser Gesetz könnte insofern als Maßstab für die Aufnahmegesetze der anderen Bundesländer gelten. Konkret wollen wir folgende Standards festschreiben: die Schaffung eines geregelten Clearing
verfahrens zur Erkennung der Bedarfe von besonders schutzbedürftigen Personen, die Zugangsmöglichkeit von Hilfsorganisationen und Initiativen in die Unterbringungseinrichtungen, den garantierten Zugang der Geflüchteten zu Information und Beratung, eine garantierte soziale Betreuung mit einem Schlüssel von 1 : 80, einen garantierten Zugang zu Sprachkursen und Bildung, die Implementierung von Gewaltschutzmaßnahmen in den Unterkünften und die Schaffung von Beteiligungs- und Beschwerdemöglichkeiten für die Geflüchteten.
Ich bin gespannt, was Sie gegen die Festschreibung dieser Mindeststandards ernsthaft einzuwenden haben.
Der Fakt, dass wir in den letzten beiden Jahren Fortschritte bei den Sprachkursen und bei Gewaltschutzmechanismen gemacht haben, reicht uns nicht. Wir wollen diese Standards aus dem Kalkül der Finanzierung und des politischen Goodwill lösen und zur Rechtsgarantie erheben.
Auch der kommunalen Ebene – und das ist der dritte zentrale Punkt – widmet sich unser Gesetzentwurf. Wir wissen, dass die Kommunen die Orte sind, an denen die Geflüchteten nach der Phase der Erstaufnahme richtig an- und zur Ruhe kommen und an denen Integration tatsächlich beginnen kann.
Der Blick in den Freistaat zeigt, dass es Landkreise und Kommunen gibt, die sich diesem Thema engagiert zuwenden. Aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass einige diese Aufgabe weiterhin stiefmütterlich behandeln. Das drückt sich dann beispielsweise in schlechten Unterbringungsmöglichkeiten oder verweigerten Integrationsleistungen aus. Deshalb wollen wir verbindliche landesweite Standards und Leitlinien einführen, die über die existierende „Verwaltungsvorschrift Unterbringung“
hinausgehen, die zudem nicht mehr als eine Empfehlung für die unteren Unterbringungsbehörden darstellt.
Unsere Standards sollen unter anderem die Unterbringung in Wohnungen vorrangig machen. Wenn dennoch Gemeinschaftsunterkünfte zum Zuge kommen, soll eine Kapazität von maximal 60 Plätzen nicht überschritten werden. Das entspricht übrigens auch der Empfehlung des vormaligen Sächsischen Ausländerbeauftragten Martin Gillo und wird auch von seinem Nachfolger unterstützt. Weiterhin wollen wir die Wohn- und Schlaffläche von 6 auf 12 Quadratmeter heraufsetzen und eine integrationsfördernde Lage der Gemeinschaftsunterkünfte festschreiben. Die Zeit der Verbannung von Geflüchteten in Massenunterkünfte an die Ränder von Städten und Gemeinden muss vorbei sein!
Auch die Frage der Verteilung auf die Kommunen und der Umverteilung innerhalb Sachsens wollen wir mit dem Gesetzentwurf verbindlicher regeln.
Vielen Dank.
Der letzte wichtige Aspekt, den wir mit unserem Gesetzentwurf komplett neu regeln wollen, betrifft die Finanzierung der Aufnahme, Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten. Uns ist bewusst, dass bezüglich der Finanzierung mit dem Beschluss des Doppelhaushaltes 2017/2018 ein Kompromiss gefunden wurde, ein Kompromiss zwischen kommunaler Ebene und dem Land. Dieser Kompromiss sieht vor, dass die Asylpauschale in den nächsten beiden Jahren heraufgesetzt wird. Dieser Kompromiss ist gut, er bedeutet aber nichtsdestotrotz ein Risiko für die Kommunen, auf den Kosten sitzen zu bleiben. Zudem geht die Neuberechnung der Pauschale von einem Eigenanteil der Kommunen aus. Aus unserer Sicht jedoch müssten alle den Kommunen anfallenden Kosten vom Bund erstattet werden. Schließlich handelt es sich dabei um eine Pflichtaufgabe nach Weisung. Aus diesem Grund schlagen wir einen Switch von der Pauschallösung zur Spitzabrechnung vor. Das bedeutet für die Kommunen zwar einen höheren Verwaltungsaufwand, wurde aber in der Vergangenheit von kommunalen Vertreterinnen und Vertretern als positives Alternativmodell begrüßt.
Die im Gesetzentwurf vorgeschlagene Erstattung soll neben den Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, Verwaltungsausgaben sowie liegenschaftsbezogenen Ausgaben auch den Einsatz von Personal, eine fach- und bedarfsgerechte Flüchtlingssozialarbeit, Sicherheitsmaßnahmen, Investitionen zur erstmaligen Bereitstellung von Unterbringungsplätzen und die Schaffung besonderer Unterbringungsplätze zur Erfüllung individueller Bedarfe umfassen. Zudem sollen den Kommunen die Krankenkosten komplett erstattet werden.
Nach zwei Jahren wollen wir auf Basis der Zahlungen nach Spitzabrechnung wieder zu einer – diesmal kostendeckenden – Pauschallösung zurückkehren.
Lassen Sie mich abschließend noch zwei Sätze zum von uns im § 22 vorgeschlagenen Migrationsbericht verlieren. Insbesondere die GRÜNEN-Fraktion hat diesen kritisiert und unter anderem auf die Verantwortung des Sächsischen Ausländerbeauftragten verwiesen. Hier haben wir einen klaren Dissens. Der von uns vorgeschlagene Bericht hat eine andere Zielrichtung und soll breiter aufgestellt werden als der des Sächsischen Ausländerbeauftragten. Er soll einerseits die Kontrolle der Erfüllung dieses Gesetzes gewährleisten und zusätzlich noch dem Monitoring der damit verbundenen Voraussetzungen, also den Migrationsbewegungen und deren Folgen, beispielsweise langfristigen Integrationswirkungen, dienen. Der Kreis der an diesem Bericht zu beteiligenden Akteurinnen und Akteure ist deutlich größer und spiegelt eine Vielfalt an Sichtweisen auf das Thema wider.
Sehr geehrte Damen und Herren! Unser Gesetzentwurf folgt dem Leitbild von Integration und Teilhabe vom ersten Tag an. Er soll verbindliche Strukturen schaffen, Rechtsansprüche auf integrative Maßnahmen und Teilhabe vertiefen und die Kommunen stärken. Der Gesetzent
wurf ist auch im Jahr 2017 zeitgemäß. Fassen Sie sich ein Herz, besinnen Sie sich auf die Mitmenschlichkeit und stimmen Sie zu. Das würde dem Freistaat in diesen rauen Zeiten wirklich sehr gut zu Gesicht stehen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte noch kurz unseren Änderungsantrag einbringen, der maßgeblich redaktioneller Natur ist. Insofern können Sie ihm getrost und ohne Vorbehalte zustimmen, genauso wie unserem Gesetzentwurf.
Dennoch möchte ich es mir nicht nehmen lassen, zum Ausdruck zu bringen, dass ich auf die Stimmen von der AfD und von Herrn Anton gern verzichte. Über ihr Menschenbild bin ich maßlos wütend.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kritik teilt sich in zwei wesentliche Aspekte, wie wir auch bei Herrn Prof. Dr. Wöller gemerkt haben: die inhaltliche Kritik am Freihandelsabkommen und die Kritik am Verhandlungsprozess selbst.
Auf den Inhalt von TTIP möchte ich heute gar nicht so tief eingehen. Darüber haben wir in den letzten Monaten bereits einige Male diskutiert. Dennoch glaube ich, dass einige grundlegende Vorbemerkungen wichtig sind, um klarzustellen, wie meine Fraktion zum Thema „Freihandel“ grundlegend steht.
Die Fraktion DIE LINKE lehnt natürlich die ureigentlichen Inhalte eines Freihandelsabkommens, wie Norm und Standardangleichungen, nicht von vornherein ab. Andererseits setzen wir unsere Prioritäten natürlich auf regionale Wirtschaftskreisläufe und auf nachhaltiges Wirtschaften. Aber meine Fraktion und ich möchten unter keinen Umständen Globalisierungsprozesse, Ausbeutungsprozesse und weltweite Beschleunigungsprozesse vorantreiben, solange sie beispielsweise zur Weiterverbreitung gentechnisch veränderter Lebensmittel führen könnten oder man in Kauf nehmen müsste, die Kluft zwischen Arm und Reich weiter zu verschärfen.
Jetzt mal im Ernst: Die Bundesregierung schafft es nicht, einen nationalen Klimaschutzplan 2050 mit lächerlichen Minimalzielen auf die Beine zu stellen, und ist felsenfest davon überzeugt, dass der Ausbau und die Effektivierung des globalen Warenverkehrs, der ja unmittelbare Auswirkungen auf die CO2-Emmission weltweit hat, eine supertolle Idee ist. Na, klar!
Mir soll es heute jedoch vor allem um das Zustandekommen des Freihandelsabkommens TTIP gehen. TTIP, CETA und auch TiSA sind keine bilateralen und rein wirtschaftlichen Abkommen, wie wir sie bisher kennen und wie Deutschland sie mehrfach abgeschlossen hat. Sie berühren inhaltlich die Grundsätze unserer Gesellschaft und wollen eigene und nicht öffentlich kontrollierbare Gerichtsbarkeiten schaffen, die selbstverständlich Einfluss nehmen könnten auf Fragen der Umwelt- und Sozialstandards sowie der öffentlichen Daseinsvorsorge.
Diese Themen kann man natürlich nicht nur rein wirtschaftlich betrachten oder mit dieser allbekannten Eswird-schon-gut-gehen-Attitude übergehen. Nein, diese Fragen müssen bis ins letzte Detail demokratisch und transparent ausgefochten werden, und erst dann sollte von Ratifizierungsplänen überhaupt die Rede sein.
Herr Prof. Wöller, dieser Herangehensweise im Sinne von „Es ist entscheidend, was hinten dabei herauskommt“ würde ich gern vehement widersprechen. Ich finde es sehr wichtig, dass der ganze Prozess von vornherein einbindend funktioniert.
Erst dann, wenn alle diese Details geklärt und in ihrer Konsequenz ausgefochten sind, sollte jede Person informiert werden, die davon betroffen ist, und einbezogen werden. Jede Gemeinde und ebenso jeder einzelne Mitgliedsstaat sollte danach sowohl die Möglichkeit der Zustimmung als auch der Ablehnung haben.
Genauso verstehe ich im Endeffekt den Antrag der GRÜNEN. Ich glaube, dass der Antrag auf keine grundlegende Neuorientierung der Inhalte, auf kein bestimmtes Ergebnis und schon gar nicht auf einen schnellstmöglichen positiven Verhandlungsausgang abzielt. Vielmehr versucht er, die Verhandlung in demokratische, transparente und verantwortungsbewusstere Gefilde zu lenken
und einen Neustart, aber ergebnisoffen, zu ermöglichen.
Bisher sucht man Transparenz und demokratische Grundsätze im Verhandlungsprozess tatsächlich vergebens. Die Verhandlungen wurden im Geheimen geführt. Unsere Volksvertreterinnen und Volksvertreter wissen wenig über den Fortgang.
Der Öffentlichkeit ist es nicht gestattet, die Texte der offiziellen Abkommen einzusehen.
Parlamentarierinnen und Parlamentariern ist es lediglich erlaubt, diese juristischen Texte in speziellen Leseräumen und ohne juristischen oder Expertenbeistand zu lesen.
Parlamentarierinnen und Parlamentariern ist zudem untersagt, die Öffentlichkeit zu informieren,
und erst im Nachhinein können sie akzeptieren oder ablehnen, jedoch ohne eine Mitwirkungsmöglichkeit noch zu haben.
Das Abkommen selbst lässt demokratische Grundsätze ebenso außer Acht, und das, ohne mit der Wimper zu zucken. Investoren können Staaten verklagen. Die regulatorische Kooperation kann Unternehmen direkt in den Aushandlungsprozess einbinden.
Schlussendlich: Das Abkommen ist zudem noch unumkehrbar. Gewillte Politikerinnen und Politiker können auch in zehn Jahren das Abkommen nicht mehr rückgängig machen, da Deutschland nicht mehr allein, das heißt unabhängig von der EU, aus dem Vertrag wieder aussteigen könnte.
Das alles sind Gründe, warum die Proteste gegen TTIP, CETA und TiSA letztendlich immer lauter geworden sind. Alle – die einfachen Menschen auf den Straßen – fühlen sich natürlich weder gehört noch vertreten. Beispielsweise gab es zuletzt die Proteste am 17. Februar, wo in sieben
Städten deutschlandweit mehrere Tausend Menschen wieder auf die Straße gegangen sind. Ich finde es wichtig, dass genau diese Kritik nicht übergangen wird – genauso wie die Kritik von Vereinen und Umweltverbänden –; denn es ist unheimlich wichtig, dass diese Debatten ergebnisoffen geführt werden.
Nicht nur der Protest der Bürgerinnen und Bürger wurde und wird übergangen, auch über 2 000 Städte, Gemeinden und Regionen haben europaweit die Forderung nach einer TTIP-freien Zone unterzeichnet. Auch in Deutschland haben sich mehr als 350 Kommunen und Landkreise gegen TTIP positioniert und, ja, auch im Freistaat Sachsen gibt es Resolutionen und Beschlüsse, die sich kritisch mit den Freihandelsabkommen auseinandersetzen.
Beispielsweise sei hier die Resolution Leipzig vom 25. Februar letzten Jahres oder die Ablehnung der Stadt Chemnitz vom 17. Dezember genannt. Allen ist eines gemein: Sie werden von der Staatsregierung nicht beachtet und die Staatsregierung muss aber nicht allein mit den Folgen von TTIP umgehen, sondern jede einzelne Gemeinde, alle Kommunen sowie alle Bürgerinnen und Bürger Sachsens selbst. Dafür sollten die Staatsregierung und auch die Koalitionsfraktionen eigentlich Verantwortung übernehmen.
Eine Möglichkeit der Einflussnahme gibt es jedoch noch: Sowohl CETA als auch TTIP könnten nicht nur im Bundestag, sondern auch im Bundesrat ratifiziert werden müssen. Das ist jetzt natürlich rein hypothetisch. Hier würde dann unsere Staatsregierung ins Spiel kommen. Eine Enthaltung der Staatsregierung könnte in Kombination mit einer Enthaltung oder Gegenstimme aller grün und rot mitregierten Länder die Ratifizierung des Abkommens noch stoppen. Hier hätte also die Sächsische Staatsregierung die Möglichkeit, die Interessen der Bevölkerung ernst zu nehmen und tatsächlich zu vertreten. Das heißt, sie sollte sich zumindest ernsthaft und ergebnisoffen mit der tausendfach geäußerten Kritik auseinandersetzen, bevor sie sich der scheuklappenartigen Befürwortung diverser Freihandelsabkommen anschließt.
Weil ich aber genauso gut wie Sie weiß, dass das nicht passieren wird – egal, wie sehr ich mir das wünsche, oder egal, wie gut die Argumente oder Anträge sind –, lege ich Ihnen heute etwas Niedrigschwelligeres ans Herz: Ergreifen Sie Partei für Demokratie, Mitwirkung und Transparenz. Machen Sie es wie ich und meine Fraktion. Stimmen Sie dem Antrag der GRÜNEN zu. Er könnte ja auch zu einem positiven Abschluss der Neuverhandlungen, wie die Staatsregierung es sich wünscht, führen, aber in jedem Fall führt es dazu, dass die Öffentlichkeit und die Bevölkerung den Prozess nachvollziehen können; und das muss doch auch in Ihrem Interesse sein.
Ein eventuell darauf folgender Neustart müsste – dessen bin ich mir sicher und auch einer Meinung mit dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – natürlich auf der Grundlage demokratischer, also eigentlich selbstverständlicher Prämissen erfolgen, deren Einhaltung unabhängig und streng kontrolliert wird.
Meine Damen und Herren! Eigentlich ist die Kritik doch eine Chance. Warum sollen denn die Kritikpunkte von Nicht-Regierungsorganisationen uns nicht vor groben Fehlern bewahren können oder geäußerte Kritikpunkte nicht vielleicht sogar zu einer Verbesserung und Tragbarkeit des Abkommens führen? Für eine größere Akzeptanz in der Bevölkerung wäre die Auseinandersetzung mit Kritik auf jeden Fall ein probates Mittel.
Aus diesen aufgezählten Gründen können der sofortige Stopp der TTIP-Verhandlungen an dieser Stelle und ein kompletter Neuanfang die einzige Konsequenz sein. Die europaweiten Proteste und Berichterstattungen zeigen, welche Relevanz die Debatten um die aktuellen Freihandelsabkommensverhandlungen haben.
Bitte, liebe Staatsregierung, liebe Koalitionsfraktionen, geben Sie mir keinen Grund, Donald Trump als Präsidenten doch noch etwas Gutes abgewinnen zu müssen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Vor sieben Jahren begannen die geheimen Verhandlungen zwischen Kanada und der Europäischen Union. Fernab jeder Öffentlichkeit liefen die Gespräche über ein entstehendes Freihandelsabkommen – bis zum Herbst 2014.
Jetzt, zwei Jahre nach Abschluss der Verhandlungen, soll dieses Freihandelsabkommen so schnell wie möglich und vorläufig in Kraft treten. Auch wenn die Schnelligkeit der politischen Prozesse überraschend und teilweise auch begrüßenswert erscheint, ist diese Geschwindigkeit des Abschlusses der Verhandlungen durch Intransparenz und fehlende demokratische Meinungsbildung erkauft.
Das zeigt sich auch hier: Offensichtlich können nach wie vor weder die Bundesregierung noch die Landesregierungen die Konsequenzen für die Umwelt, den Verbraucherschutz und den Arbeitnehmerschutz oder auch die Folgen für den Staatshaushalt durch eventuell entstehende Schadensersatzansprüche abschätzen. Unter diesen Umständen finde ich es, findet auch meine Fraktion es grob fahrlässig, sich in Unkenntnis all dieser Faktoren für ein solches Abkommen einzusetzen.
Eine faktenbasierte Diskussion und eine Positionierung vor allem der Staatsregierung, auch zu inhaltlichen Vorbehalten, ist das Ziel des Antrags, den die Fraktion DIE LINKE heute eingebracht hat. Bei der aktuellen Informationslage ohne vorliegende Risiko- und Folgenabschätzungen muss demnach die logische Konsequenz sein, dass sich der Freistaat Sachsen auf europäischer und auf Bundesebene gegen ein vorläufiges Inkrafttreten von CETA einsetzt.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir alle sind Teil eines demokratischen Parlamentes. Hier in diesen Räumen muss über ein solches Abkommen diskutiert werden. Wir brauchen Diskussionen darüber, was gut ist für Sachsen und die sächsische Wirtschaft und für jeden einzelnen Menschen, der in Sachsen lebt. Bisher wurde inhaltlich kaum über das Abkommen bzw. den eigentlichen Verhandlungstext diskutiert. Das Abkommen wurde schlichtweg mit Allgemeinposten verteidigt und Folgeab
schätzungen, die von unserer Fraktion mehrfach angefragt wurden, hat man auf die berühmte „gegebene Zeit“ verschoben.
Wann soll denn diese Zeit eintreten, wenn nicht jetzt? Welches Gewicht haben denn die Stimmen der Mitgliedsstaaten oder deren Länderparlamente nach einem vorläufigen Inkrafttreten von CETA? Ich kann Ihnen sagen, sie werden keines mehr haben. Die Argumentation für CETA wird sich dann auf die bereits umgesetzte Praxis stützen und ein fairer und gleichberechtigter Austausch von Argumenten wird nicht mehr stattfinden. Dabei wäre doch meiner Meinung nach bei einem solch weitreichenden Abkommen ein breiter und öffentlicher Diskurs äußerst wichtig. In Europa gilt doch nicht ohne Grund ein Vorsorgeprinzip. Die Einbeziehung der Öffentlichkeit ist gerade bei dem fehlenden Rückhalt der EU in der Bevölkerung enorm wichtig. Es ist wichtig, um Bürgerinnen und Bürger abzuholen und Vertrauen auch in die neu entstehenden Wirtschaftsverhältnisse zu vermitteln.
Das Abkommen bietet aber auch eine Vielzahl von Reibungspunkten, wie nicht zuletzt auch eine Demonstration in Berlin mit 250 000 Teilnehmern zeigte. Der Protest dieser Menschen ist beileibe nicht grundlos. Wenn ich ehrlich bin, wundere ich mich manchmal tatsächlich, dass wir als Abgeordnete, dass der Landtag nicht personell oder auch als Institution unter diesen 250 000 Leuten war.
Denn wenn wir uns jetzt die Auswirkungen eines solchen Abkommens auf Sachsen und die sächsische Wirtschaft ansehen, dann wird deutlich, dass auch wir unter dieser fehlenden Demokratie zu leiden haben. Bis heute können wir nicht sagen, welche Folgen dieses Abkommen konkret für Sachsen haben wird. Nach wie vor ist die Sächsische Staatsregierung nicht in der Lage abzuschätzen, wer inwiefern von den Folgen betroffen wäre, auf welche wirtschaftliche Entwicklung sich kleine und mittelständische Unternehmen einstellen müssen. Sie weiß auch nicht, was eine Marktöffnung im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge oder im Bereich der Kultur bzw. der öffentlichen Ausschreibung bewirken würde oder wie man in dem neu entstandenen Wirtschaftsverhältnis für den Erhalt städtischer Theater eintreten könnte und wie sich öffentliche Institutionen auf so etwas einstellen. Das muss vorkommuniziert werden. Wenn man verantwortungsvoll mit der Zukunft Sachsens umgehen möchte, müsste die Sächsische Staatsregierung schnellstens und so konkret wie gerade irgend möglich an einer Folge- und Risikoabschätzung arbeiten. Ich als Einzelperson, meine Fraktion oder dieses Parlament sind dazu nicht in der Lage. Jetzt sind Sie am Zug.
Aus meiner Sicht besteht die sächsische Wirtschaft beispielsweise aus kleinsten, kleinen und mittelständischen Unternehmen. Jetzt behaupten natürlich Befürworter auf verschiedensten Ebenen, dass genau solch ein Freihandelsabkommen dem Mittelstand helfen würde. Gegner dieses Abkommens widersprechen dem vehement und meinen, diese Öffnung würde vorrangig kapital- und personalstarken Konzernen nutzen. Diese Form ist in Sachsen eher nachrangig vertreten, diese finden sich auf globaler Ebene.
Ich denke, wir alle kennen die Gesetze des Marktes und wissen, was passiert, wenn große globale Konzerne ihren strukturellen Vorteil gegenüber regionalen Unternehmen noch weiter ausbauen oder anfangen auszunutzen. Meine Fraktion und ich möchten nicht, dass auch nur ein sächsisches Unternehmen wegen CETA aus der Region verdrängt wird.
Natürlich reden die Befürworter immer wieder von einer großen Chance, die der Freistaat für sich nutzen muss. CETA wurde bisher und wird sicher auch heute wieder mit Allgemeinposten und auf einer abstrakten Ebene verteidigt. Damit gewinnt man keinen Blumentopf. Ich fordere also eine faktenbasierte Debatte, um Spekulationen wie auch die meinige gerade eben überflüssig zu machen. Wir halten es für unerlässlich, dass die Sächsische Staatsregierung konkret absehbare Folgen des Abkommens für den Freistaat erörtert. Da die Umsetzung des Abkommens, wie eingangs bereits erwähnt, unmittelbar bevorsteht und die Verhandlungstexte veröffentlicht sind, sollte dem eigentlich nichts entgegenstehen. Alles andere wäre schlichtweg eine naive populistische und risikobehaftete Alles-wird-gut-Attitüde und würde der Verantwortung Sachsens nicht gerecht.
Demnach bitte ich Sie, unserem Antrag zuzustimmen, und danke für die Aufmerksamkeit.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, Sie haben alle etwas missverstanden. Zum einen war das hier eine Runde, in der jeder einmal sagen konnte, was er für richtig hält. Der Kernpunkt dieses Antrages war aber eigentlich ein anderer: Der Kernpunkt war, eine Positionierung des Parlaments und der Staatsregierung zu verlangen, die darüber Auskunft gibt, welche Folgeabschätzung und welche Risikoabschätzung es gibt. Wenn diese Risiken nicht überschaubar und nicht abschätzbar sind, muss man sagen: Man tritt gegen das vorläufige Inkrafttreten von CETA ein. Dazu hat von Ihnen aber tatsächlich fast niemand gesprochen. Fernab von einigen Floskeln,
wie ich sie leider bereits erwartet hatte, gab es sehr viel Schöngeredetes, Berichte über den Hergang des Abkommens oder Zusammentragungen dessen, wer was über CETA gesagt hat und wer nicht. Daher muss ich das jetzt ein wenig aufrollen.
Zunächst muss ich sagen, dass DIE LINKE grundsätzlich nicht gegen Freihandel ist. Es gibt allerdings, wenn man solche Abkommen aushandelt und sich dafür positioniert, einfach einige grundlegende Maßstäbe, die man dabei berücksichtigen muss. Für mich und die Linksfraktion sind das Transparenz, eine demokratische und öffentliche Meinungsbildung, die möglich sein muss; es sind Partizipations- und auch Mitbestimmungsmöglichkeiten. Dazu zählen auch gleichmäßig verteilte Einflussmöglichkeiten von Wirtschaftslobbyisten-Gruppen oder Interessenverbänden und eine greifbare Folgeabschätzung für die Leute, die Unternehmen und die Objekte, die davon betroffen sind. Mehr wollen wir eigentlich gar nicht haben.
Wenn ich sehe, dass diese Folgeabschätzung nicht vorhanden ist, dann finde ich es ein viel zu großes Risiko, welches man den Menschen in Sachsen nicht zumuten sollte. Dieses ist politisch verantwortungslos, und eigentlich sollten diese Folgeabschätzungen in einem Europa, das so weit entwickelt ist, nicht zu viel verlangt sein. Sollten diese Bedingungen jedoch erfüllt sein, dann ist auch mit der LINKEN eine fundierte Debatte möglich, die zum Ziel und zum Inhalt haben sollte, dass ein solches Abkommen natürlich nicht auf Kosten der Kleinen geht und demokratische Maßgaben berücksichtigt sind. Wenn das aber passiert, ist DIE LINKE auf jeden Fall auch davon überzeugbar. Das ist jedoch ein großer Unterschied
zu den Positionen, die Sie hier vorgetragen haben – mit Ausnahme der GRÜNEN.
Wir sind jedenfalls nicht bereit, einfach ins Blaue hinein Sachsen Risiken auszusetzen, die nicht abschätzbar sind, die für den Freistaat mit Kostenfaktoren verbunden sind, die offensichtlich ebenfalls nicht abschätzbar sind und die für die sächsische Wirtschaft sehr viel Umstrukturierung bedeuten. Für jeden einzelnen Menschen, der beim Verbraucherschutz Einschränkungen oder Einbußen bei Arbeitnehmerrechten befürchten könnte, ist dies viel zu offensichtlich, viel zu ungeklärt und deswegen für uns nicht einforderbar.
Ich sage nicht, dass es dazu kommen wird, dass Arbeitnehmerrechte eingeschränkt werden oder dass Umweltstandards gesenkt werden etc. – all das habe ich in dieser Rede nicht behauptet. Ich habe lediglich gesagt: Sollte es dazu kommen, dann muss man das vorher wissen und sich politisch darauf einstellen. Wenn Sie also für einen verantwortungsvollen Umgang mit CETA stimmen wollen, stimmen Sie auch für unseren Antrag!
Danke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! In einer Zeit, in der viele EU-Bürgerinnen und -Bürger der EU zunehmend negativ gegenüberstehen und europaweit antieuropäische Bewegungen auf dem Vormarsch sind, wird eine progressive und entschiedene Europapolitik auch auf regionaler Ebene immer wichtiger. Insbesondere dem Vertrauensverlust gegenüber der EU
kann entgegengewirkt werden, indem regionale Akteure wie wir sich europapolitisch einbringen.
Das heben auch Sie in der Begründung Ihres Antrages hervor. Was wir von der Staatsregierung und auch vom Europaausschuss bislang tatsächlich gesehen haben, ist jedoch – um es milde zu formulieren – sehr durchwachsen. Lassen Sie mich die unendliche und bisher wenig erquickliche Geschichte des vorliegenden Antrags kurz nachzeichnen.
Alles beginnt noch recht hoffnungsvoll mit dem Satz auf Seite 87 des Koalitionsvertrages. Dort heißt es: „Die sächsischen Interessen müssen auf EU-Ebene besser vertreten werden.“ Das, was jedoch stattdessen folgte, ist eine Hinhalte- und Verzögerungspolitik, die eher ambitionierter Vermeidung gleicht.
Bereits im Juni dieses Jahres wurden im Europaausschuss auf Nachfrage neun Eckpunkte einer europapolitischen Strategie benannt. Das waren unter anderem Forschung, Entwicklung, Innovation, Migrationspolitik und Verkehr. Außerdem wurde eine Beschlussvorlage für Ende August angekündigt – und daraufhin immer wieder verschoben. Stattdessen wurden dem Ausschuss am 29. September wiederholt europapolitische Schwerpunkte benannt. Es waren jedoch dieselben wie vorher.
Auch in einem Schreiben im Oktober, das eigentlich diese europapolitischen Schwerpunkte näher erläutern sollte, wollte man dem heute eingebrachten Antrag und der damit verbundenen Debatte im Parlament nicht vorgreifen und zog es also vor, uns weiterhin im Unklaren zu lassen. Heute liegt uns der im Oktober angekündigte und auf eine Frage im Juni Bezug nehmende Antrag vor. Und noch immer sind wir nicht schlauer.
Um den irrwitzigen Hergang noch einmal zu verdeutlichen: Wir hatten die Staatsregierung nach einer Strategie gefragt – dem Duden nach also nach einem genauen Plan des eigenen Vorgehens. Als Antwort bekamen wir Themenschwerpunkte, die in ihrer vagen Unkonkretheit schon vor drei Jahren so hätten lauten können und sicherlich auch in drei Jahren noch Gültigkeit besitzen.
Ähnlich steht es um den heutigen Antrag. Er ist an Unverbindlichkeit und Unvollständigkeit kaum zu überbieten. Im Feststellungsteil und in der Aufforderung an die Staatsregierung, im Teil 2 zu erklären, wird nichts weiter als ein lauwarmer Aufguss der bereits im Koalitionsvertrag festgehaltenen europapolitischen Feststellungen
benannt,
ohne jede Aktualisierung, Nachdrücklichkeit, Priorisierung oder eine Benennung der wirklich relevanten europapolitischen Fragen. Dieser Antrag formuliert schlichtweg die bereits durch uns gestellten und seit Monaten im Raum stehenden Fragen nach einer Strategie der Europapolitik und kombiniert sie mit Allgemeinposten und unangebrachtem Eigenlob.
Es drängt sich unweigerlich die Frage auf: Hat die Staatsregierung überhaupt eine europapolitische Strategie? Wurden die europapolitischen Schwerpunkte tatsächlich, wie im September von amtlicher Seite behauptet, im Kabinett thematisiert? Wenn ja, welchen Grund gibt es, uns diese europapolitische Strategie so hartnäckig vorzuenthalten?
Ich frage mich, was wir mit diesem Antrag im Plenum überhaupt sollen. Der Antrag richtet sich auf ein dem Vernehmen nach existierendes Papier der Staatsregierung zu deren europapolitischen Eckpunkten. Sollen wir vielleicht mutmaßen, was dort drinsteht, oder sollen wir Ihnen Punkte vorschlagen, die die Staatsregierung danach aufnehmen könnte?
Dazu kann ich Ihnen gern einige Anregungen geben, zum Beispiel anlässlich des Gipfeltreffens in Paris zur Klimapolitik. Wie will sich Sachsen an der Debatte beteiligen? Will es vielleicht eine Vorreiterrolle in Sachen Klimaschutz einnehmen? Wie sollen die Möglichkeiten der Einflussnahme ausgeschöpft werden?
Oder Entwicklungspolitik und Nachhaltigkeit: Hier wäre eine mittel- und langfristige Agenda dringend vonnöten. Die Asyl- und Migrationsagenda: Wie will sich Sachsen in der Debatte um ein gemeinsames europäisches Asylsystem positionieren? Wie will es sich bei der Erarbeitung einer neuen Agenda zur inneren Sicherheit der EU einbringen? Oder REFIT: Hier wissen wir bereits um die Aktivitäten der Staatsregierung. Dennoch müssen wir auch hier dringend prüfen, wie sich Sachsen und dementsprechend der Landtag und der Europaausschuss mit seinen Forderungen und Impulsen einbringen könnte.
Am Ende des heutigen Tagesordnungspunktes landet dieser Antrag nun dort, wo er schon lange hätte behandelt werden sollen: im Europaausschuss. Damit haben wir voraussichtlich auch zum Jahresbeginn 2016 keinerlei Kenntnis von der europapolitischen Strategie der Staatsregierung und sind wieder dort, wo wir bereits im September waren: nämlich die europapolitischen Schwerpunkte der Staatsregierung im Europaausschuss vorzustellen und zu debattieren. – Vielen Dank.
Das alles zeigt, dass sich Sachsen bisher nicht gerade durch das zeitgemäße Agieren einer selbstbewussten Region hervorgetan hat. Allein mit den Klassikern, der Forderung nach verstärkter Förderpolitik und grenzüberschreitender Zusammenarbeit, wird es nicht gelingen.
Wo ist hier der Ansatz, das Legitimationsdefizit der EU durch aktivere Beteiligung regionaler Akteurinnen und Akteure aufzuzeigen? Wo ist der sozioökologische Ansatz, den sozialen Zusammenhalt der Europäischen Union zukünftig zu sichern? Wollen Sie die zukünftige Gestaltung der EU von denjenigen bestimmen lassen, die nationalistische Rückwärtsbewegungen vollziehen?
Ich bin sicher, dass die übergroße Mehrheit meiner Generation ein solches Europa nicht will, trotz einiger rechtskonservativer und rechtsextremistischer Schreihälse. Nein, die junge Generation will eine sozial gerechte und demokratische EU mit einer ökologischen nachhaltigen Politik. Der Rückzug ins nationale Mittelalter wird die EU zerstören und ebenfalls ihr Potenzial, auf der globalisierten Weltbühne irgendwie nennenswert aufzutreten.
Hören Sie auf vorzugeben, Regionen wie Sachsen könnten sich in der EU nicht auf Augenhöhe zu Wort melden! Leisten Sie Widerstand gegen alle Versuche, die Mitwirkung der Regionen einzuschränken! Leisten Sie auch Widerstand gegen den Versuch, die direkte Kommunikation der Regionen mit der Kommission einzuschränken, wie aktuell von Kommissionschef Juncker angestrebt.
Denn die Regionen sind es, in denen das Leben der EU tatsächlich stattfindet. Dort realisiert sich Europa.
Ihr Antrag ist beileibe kein Plädoyer für ein Europa der Regionen. Dabei läge gerade das in Ihrer Verantwortung. In gewisser Weise – das richte ich persönlich an den Staatsminister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Herrn Dr. Jaeckel – stehen Sie an einem Scheideweg. Sie können eine altersstarre und überholte Europapolitik der letzten Jahre weiterführen oder aber eine moderne, eigenständige, aktive sächsische Europapolitik betreiben.
Wir lehnen den vorliegenden Antrag zwar aus den dargestellten Gründen ab, wollen aber durchaus feststellen, dass wir die Hoffnung für die 6. Wahlperiode noch nicht aufgegeben haben. Wir hoffen weiterhin, dass Sie sich als sächsischer Europaminister für eine Wende in der sächsischen Europapolitik mit einem innovativen Konzept und im Verbund mit anderen demokratischen Regionen einsetzen werden.
Über die Inhalte wird dann noch genügend zu streiten sein. Aber wir brauchen zunächst einmal überhaupt den politischen Willen in Sachsen, für die Teilhabe der Regionen in der EU einzutreten. Unsere Unterstützung jedenfalls hätten Sie.
Gehen Sie über den vorliegenden Antrag hinaus und antworten Sie auf die wirklichen Herausforderungen. Trauen Sie sich für die jungen und kommenden Generationen. Sie schaffen das!
Sehr geehrter Herr Dr. Jaeckel! Mich freut es sehr, dass uns endlich die ersten konkreten Bezüge zu Ihren europapolitischen Schwerpunkten zu Ohren gekommen sind. Ich hoffe, dass Sie uns diese auch schriftlich zukommen lassen werden und damit eineinhalb Jahre nach Beginn der Legislaturperiode zum ersten Mal auf eine Initiative hin, die nicht von den LINKEN kommt, tatsächlich weitere Themen im Ausschuss zu diskutieren sind. Außerdem hoffen wir, dass Sie uns allein dadurch, dass Sie uns diese Grundlagen zur Verfügung stellen, auch eine Einbringung ermöglichen, die wir gern annehmen werden.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die europäische Zusammenarbeit fand bisher vor allem auf wirtschaftspolitischer Ebene statt. Mit dem vorliegenden Antrag zur Stärkung der sozialen Union bekräftigen wir, die Fraktion DIE LINKE, dass die Europäische Union nicht nur eine Wirtschafts-, sondern auch eine Sozialunion sein muss. Nur durch die Ausgestaltung der EU zu einer Sozialunion können die innereuropäischen Ungleichheiten verringert und momentan stattfindende Ungleichheit fördernde Prozesse aufgehalten werden. Nur so kann ein
Zerfall der EU in Arm und Reich verhindert werden und nur so kann europäische Integration gelingen.
Was heißt das konkret? Innerhalb der EU herrscht ein immenses Wohlstandsgefälle. Die sozialen Standards klaffen zwischen einem eher reichen Nordwesten und einem eher armen Südosten weit auseinander. Die Mindestlöhne in Bulgarien, Rumänien, Litauen und Ungarn beispielsweise betrugen im Januar 2015 unter 2 Euro. Besonders deutlich wird diese Diskrepanz auch zwischen Sachsen und den angrenzenden Staaten, in welchen die Mindestlöhne aktuell 2 Euro in Tschechien und 2,42 Euro in Polen betragen. Gesamteuropäisch bietet sich ein eindeutiges Bild: Insgesamt 122 Millionen Menschen in der EU waren laut einer Eurostat-Studie von 2014 von Armut oder von sozialer Ausgrenzung bedroht. Das ist jeder vierte Europäer oder jede vierte Europäerin.
Was auch gesagt werden muss: Die EU selbst hat freilich diese Missstände mit ihrer Austeritätspolitik noch deutlich verschärft. Die Folgen sind weitreichend: ungleiche soziale Verhältnisse, unterschiedliche Niveaus sozialer Sicherheit, Perspektivlosigkeit und Sozialneid. Da in einigen Ländern nicht einmal die sozialen Mindeststandards erfüllt werden können, gibt es bereits jetzt eine rege innereuropäische Migration. Junge Menschen und Fachkräfte wandern aus eher armen und strukturschwachen Regionen in reichere Länder und Regionen ab. Das ist nur verständlich; denn keiner Person ist es zu verdenken, wenn sie sich eine gesicherte und bessere Zukunft für sich und ihre Kinder wünscht und deswegen den Wohnort wechselt.
Als Folge nimmt die Zahl der jungen, gut ausgebildeten Menschen in südlichen und östlichen Ländern Europas stetig ab – die Zahl derer also, die für das wirtschaftliche Erstarken der jeweiligen Länder unabdingbar wären.
Die EU hat die Aufgabe, soziale Standards anzugleichen und auch das Leben von Menschen in schwächeren Mitgliedsstaaten zu verbessern und überall eine soziale Grundsicherung zu gewährleisten. Doch solange wirtschaftliche Aspekte als wichtiger gelten als die sozialen Folgeentwicklungen, die sie mit sich bringen, müssen wir in Zukunft sogar noch mit einer vehementen Verstärkung der innereuropäischen Migration rechnen.
Bei der Ausgestaltung der EU zu einer Sozialuniion handelt es sich also nicht um ein abstraktes Konzept, das von Politikerinnen und Politikern entworfen wurde, aber für die europäische Bevölkerung keinerlei Relevanz besitzt. Im Gegenteil: Eine aktuelle europaweite Eurobarometer-Studie ermittelte, dass Arbeitslosigkeit für EUBürgerinnen und -Bürger weithin der größte Grund zur Sorge ist. Eine aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung kommt außerdem zu dem Ergebnis, dass sich in allen befragten Ländern große Mehrheiten der Bevölkerung wünschen, dass die EU verbindliche Mindeststandards zur sozialen Sicherheit für alle Mitgliedsstaaten durchsetzen solle. In Deutschland haben sich dafür 77 % der gesamten Bevölkerung ausgesprochen.
Die Menschen in der Europäischen Union erwarten also explizit ein größeres Engagement der EU im sozialen Bereich. Wie das konkret aussehen kann, hat die Fraktion DIE LINKE in ihrem Antrag formuliert; lassen Sie mich noch kurz auf einige Punkte eingehen.
Wir brauchen eine stärkere EU-weite Zusammenarbeit von Gewerkschaften und anderen sozialpolitischen Akteurinnen und Akteuren. So könnte sich beispielsweise der Europäische Gewerkschaftsbund für einen europaweiten Mindestlohn und eine europaweite Arbeitslosenversicherung einsetzen. Auch international agierende Unternehmen könnten sich durch die Einrichtung von europäischen Betriebsräten dafür aussprechen, Arbeitsbedingungen europaweit zu verbessern. Außerdem braucht es europäische Investitionen, um Arbeitslosigkeit abzubauen und die Integration von Migrantinnen und Migranten zu unterstützen. Es müssen also rechtlich verbindliche
europäische arbeitsmarkt- und sozialpolitische Maßnahmen als Folge des sozialen Dialogs ergriffen werden, die die Unverbindlichkeit der in den letzten Jahren dominanten offenen Methode der Koordinierung ablösen.
Susanne Schaper wird unsere Argumentation in der nächsten Runde vertiefen und dabei aufzeigen, welche weiteren negativen Folgen die andauernde Vernachlässigung der sozialen Dimension hat.
Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Lassen Sie mich noch einiges erwidern. Herr BaumannHasske, gute Vorschläge sind meiner Meinung nach immer angebracht. Gerade hier in diesem Hohen Haus besteht die Möglichkeit, dass man die angesprochenen Akteurinnen und Akteure besser erreicht als über einen alleinigen Antrag oder ein Facebookpost oder einen Brief, den man dorthin schickt.
Herr Schiemann, mir scheint, Sie wollten mich missverstehen. Uns geht es nicht darum, die Probleme in Rumänien oder Litauen zu lösen, sondern rechtzeitig auf besorgniserregende Entwicklungen aufmerksam zu machen, die früher oder später auch Sachsen treffen werden, und zu einem aktiven Handeln aufzufordern.
Fast scheint mir, Herr Dulig ist der Einzige, der die Intention des Antrages verstanden hat.
Der frivole Nationalismus von Frau Dr. Petry ist mir keinen Kommentar wert. Mir scheint aber, ein Großteil der Abgeordneten hier hat die Intention des Antrages nicht verstanden. Deshalb möchte ich noch einmal kurz vertiefen, warum sich gerade Sachsen als Bundesland für eine Stärkung der sozialen Dimension der EU einsetzen sollte und das auch tun kann.
Erstens ist auch Sachsen von den Folgen sozialer Ungleichheit in Europa betroffen. Das Nord-Süd-Gefälle innerhalb der EU ist im Kleinen nichts anderes als das von uns so oft beklagte deutsche Ost-West-Gefälle im Großen. Das eine wie auch das andere müssen wir bekämpfen.
Zweitens haben auch wir eine soziale Verantwortung für unsere europäischen Nachbarn; denn solange auch sächsische Betriebe ihre Produktion ins Ausland verlagern können, um dort Lohnkosten und Sozialabgaben zu sparen, profitieren wir von der sozialen Ungleichheit anderer Länder, anstatt sie zu bekämpfen.
Drittens. Andere Landesregierungen sind uns bezüglich dieser Thematik um Welten voraus. So gab beispielsweise die damalige sozialdemokratische Europaministerin des Landes Nordrhein-Westfalen im Jahr 2013 ein Gutachten zur politischen Union in Auftrag. Eine Sozialunion würde demnach die Ängste vieler Bürgerinnen und Bürger vor sozialem Dumping, sozialer Polarisierung und einem fiskalisch bedingten Abbau öffentlicher Sozialleistungen als Folge der Europapolitik aufgreifen. Sie ließe sich
demnach auch gemäß der ursprünglichen europäischen Idee als Investition in den sozialen Frieden begründen.
Ich bin jedoch zuversichtlich, dass Sie Ihre Entscheidung noch einmal überdenken werden; denn wenn CDU- und SPD-Fraktion bereits die Förderung des Deutschen als Amtssprache in der EU einen Antrag wert war, wird der Einsatz für ein wirklich relevantes EU-Thema, das positiven Einfluss auf das Leben von Millionen von Menschen haben kann, –
– bestimmt noch um ein Vielfaches größer sein. Die EU droht zu scheitern, wenn ihre soziale Dimension nicht endlich größere
Bedeutung erhält. Deshalb bitte ich Sie, dem Antrag zuzustimmen.
Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Die systematische Krise, in der sich die EU momentan befindet, muss ich Ihnen nicht beschreiben. Heute sind die Zeiten der politischen Akklamationen längst vorbei. Die aktuelle Situation erfordert – ja, darin stimme ich Ihnen größtenteils zu – zwingend Veränderungen, auch im bisherigen Regieren, und vor allem innovatives Herangehen auf allen Ebenen. Ein „business as usual“ bringt uns heute nicht mehr weiter.
Deshalb teilt auch die Fraktion DIE LINKE den grundlegenden Ansatz, Asyl und Migration als europäische Aufgabe voranzubringen. Auch teilen wir die Feststellung des Sächsischen Ausländerbeauftragten, Sachsen müsse alles dafür tun, die zuständigen Stellen zum Handeln zu bewegen, und sich um eine Neu- und Ausgestaltung der Europäischen Migrationsagenda bemühen. Natürlich kann Sachsen weder die Europäische Kommission noch den Rat ersetzen. Dennoch muss es seine Zurückhaltung und seine Beobachterrolle aufgeben und nach tatsächlichen Wegen der Einflussnahme suchen.
Für jene, die immer noch glauben, dass Sachsen erst auf eine Änderung des Primärrechtes warten müsse, bevor es aktiv werden könne, möchte ich hier drei Ebenen der Einflussnahme aufzeigen, mit denen Sachsen vielleicht auch beispielhaft für andere Regionen in Europa wirken könnte.
Erstens. Die Debatte um die Migrationsagenda muss konkret geführt werden. Die Regionen in Europa, auch Sachsen, haben positive Erfahrungen und kritische Schlussfolgerungen entwickelt, die offensiv in eine Debatte und auch in Konsultationen in der EU eingebracht werden müssen. Auch unser immer noch im Europaausschuss anhängiger Antrag zum gemeinsamen europäischen Asylsystem zielt genau darauf ab und wäre, wie vom Ausländerbeauftragten gefordert, eine hervorragende Möglichkeit, eine Initiative in Richtung EU zu starten.
Zweitens. Wir müssen dem Egoismus der EU
Mitgliedsstaaten in Verteilungsfragen etwas entgegensetzen. Herr Tillich, machen Sie doch endlich Ihre engen Beziehungen zu Polen und Tschechien geltend und überzeugen Sie sie, sich in der Flüchtlingsfrage solidarischer zu zeigen!
Auch sollten wir unsere Verbindungsbüros in Prag und Wrocław ersuchen, sich als Europäer aus Sachsen einzubringen und vor Ort Überzeugungsarbeit zu leisten. Wenn das nicht hilft, könnte man auch Papst Franziskus ersuchen, Einfluss auf die katholische Kirche in Polen und Tschechien zu nehmen. Stellen Sie sich einmal vor, der Papst würde an alle Pfarreien, religiösen Gemeinschaften, Klöster und Wallfahrtsorte Europas appellieren, auch nur eine Flüchtlingsfamilie aufzunehmen. Das Problem der Unterbringung wäre so gut wie gelöst.
Drittens. Auch Sachsen muss natürlich dazu beitragen, Fluchtursachen zu vermindern. Laut einer Studie der Universität Maastricht belegt Deutschland einen Spitzenrang bei der unternehmerischen Ausbeutung und Beteiligung an Menschenrechtsverletzungen im Ausland. Sachsen ist dabei leider keine Ausnahme. Hierfür sei beispielhaft die Herstellung der sächsischen Polizeiuniformen genannt, welche zum Hungerlohn von mazedonischen Näherinnen gefertigt werden.
Was unternimmt Sachsen also, um sicherzustellen, dass Menschenrechte und Mindeststandards an sozialen und Arbeitsrechten eingehalten werden? Wie steht es mit den im Zusammenhang mit Fluchtursachen gestellten Forderungen nach fairem Handel oder der Verpflichtung von Unternehmen zu einer Sozialcharta? Die Politik kann hier verbindliche Regelungen einführen. Also, worauf warten wir noch?
Noch immer sterben täglich zahlreiche Menschen auf lebensgefährlichen Fluchtrouten, die sie nur deshalb gewählt haben, weil ihnen die Abschottungspolitik Europas keine andere Wahl lässt.
Ebenso verlogen ist die Schlepperdebatte. Das Agieren Europas hat diesen Berufszweig überhaupt erst hervorgebracht. Auch nicht vergessen dürfen wir deutsche Waffenexporte, die Zerstörung ausländischer Märkte und die Sanierung der europäischen Ökonomie zulasten der Schwächsten.
Auch wir, auch unsere Politik tragen Schuld daran, dass momentan so viele Menschen auf der Flucht sind. Wir müssen endlich aufhören, Europa unabhängig von den jetzigen Flüchtlingsbewegungen zu betrachten. Wir müssen die Fließbandproduktion von Fluchtursachen beenden. Wir müssen die haarsträubende Dreistigkeit beenden, die jetzigen Ereignisse zu Paradebeispielen deutscher Hilfsbereitschaft umzudichten. So einfach ist das Ganze nicht.
Bemühen wir uns gemeinsam um eine Weiterentwicklung der Europäischen Migrationsagenda, und gestehen wir uns endlich ein, dass das Vorgehen der EU und deren Abschottungspolitik nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems sind.
Danke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Das klingt alles so, als stünden uns goldene Zeiten bevor: der Abbau von Handelshemmnissen, die Stärkung der Wirtschaft, die Schaffung von Arbeitsplätzen und Investitionsanreizen. Alles in allem wachsender Wohlstand für 800 Millionen Menschen in der größten Freihandelszone der Welt. Endlich!
Es ist nur vernünftig, dass sich das Europaparlament gestern mehrheitlich für das geplante Freihandelsabkommen TTIP ausgesprochen hat. Auch die CDU- und die SPD-Fraktion sehen den blühenden Landschaften von Hawaii bis zu den Karpaten erwartungsvoll entgegen,
denn, die Freihandelszone würde laut dem vorliegenden Antrag wesentliche Impulse für neue Investitionen geben und die Wirtschaft Sachsens beleben.
Spätestens jetzt müsste man doch ob der Schönmalerei stutzig werden. Herr Baumann-Hasske, an Sie kann ich ebenfalls die Frage stellen: Woher wissen Sie das eigentlich? Die Frage ist sehr einseitig in diesem Zusammenhang. Zu dem Vorwurf, dass ich Vermutungen ohne Grundlage in den Raum stellen würde, sagen ich: Auf der gleichen Grundlage, wie ich argumentiere, argumentieren Sie auch.
Die Sache hat aus unserer Sicht nicht nur einen Haken, sondern gleich mehrere. Die Kritikpunkte, welche die Fraktion DIE LINKE in dem Abkommen TTIP, aber auch an den gekoppelten Abkommen CETA, TiSA und Co. sieht bzw. deren Auswirkungen, die sich auch immens auf Sachsen auswirken werden, möchte ich Ihnen kurz darlegen.
Als Erstes nenne ich die Intransparenz. Schon allein die Intransparenz der Verhandlungen zum geplanten Freihandelsabkommen schreit zum Himmel. Gespräche, deren Folgen das Leben Hunderter Millionen Menschen betreffen werden – mehr als vier Millionen Menschen leben davon übrigens in Sachsen –, finden geheim und abseits jeder Öffentlichkeit statt. Von Mitbestimmung ist überhaupt nicht die Rede.
Zweitens. Das Versprechen von TTIP als Wachstums- und Beschäftigungsmotor, auf das sich CDU- und SPDFraktionen in ihrem Antrag beziehen, wurde mehrfach, unter anderem auch von der Friedrich-Ebert-Stiftung, in einer Analyse aller bedeutenden Studien zum Thema TTIP als Märchen entlarvt. „Die zu erwartenden Wachstums- und Beschäftigungseffekte sind winzig“, stellt die Stiftung fest. Schon dieser Prämisse Ihres Antrags können wir also nicht folgen.
Drittens, Ökologie und Verbraucherschutz. Die prinzipielle Einstellung beider Vertragsparteien unterscheidet sich grundlegend. Zum Beispiel gilt in Europa das Vorsorgeprinzip. Die Unschädlichkeit von zum Beispiel hormonbehandeltem Fleisch oder neuen Medikamenten muss bewiesen werden, bevor diese auf den Markt kommen.
In den USA gilt das Nachsorgeprinzip: Solange die Schädlichkeit von Produkten oder Zusätzen nicht nachgewiesen werden kann, sind sie auch auf dem Markt zugelassen. Sicher, nun gibt es alle möglichen Zusagen der EU, dass diese Standards nicht verschlechtert werden. Das Problem liegt aber nicht in diesem Versprechen, sondern in der Definition, was bessere oder schlechtere Standards bedeuten. Ist das bessere Produkt das wirtschaftlichere und das profitablere Produkt? Oder das, welches den Bedürfnissen der Verbraucher am meisten genügt? Abstrakte Versprechen bringen also auch in diesem Zusammenhang gar nichts.
Viertens, die kommunale Daseinsvorsorge. Sie ist in Deutschland wichtiger Bestandteil des Sozialstaats und der kommunalen Selbstversorgung. Auch hier ist zu
vermuten, dass die Bereiche der kommunalen Daseinsvorsorge weiter liberalisiert und privatisiert werden würden und somit auch die Gestaltungshoheit der Länder und Kommunen bedroht wäre.
Auch der Kulturbereich ist in Gefahr.
Hierzu herrscht in den USA und der EU ein vollkommen unterschiedliches Verständnis. Die EU-Staaten haben im Gegensatz zu den USA die UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen ratifiziert. Der gesellschaftliche Wert der Kultur in Europa ist allgemein als schützenswert anerkannt und lebt vielfach von öffentlicher Förderung. In den USA hingegen spielt dieser eine nachgeordnete Rolle und auch dort gelten im Kulturbereich die Regeln des freien Marktes.
Wenn nun öffentliche Subventionen als wettbewerbsrechtliche Benachteiligung einklagbar und somit unmöglich werden würden, stünde das gesamte europäische Kultursystem zur Disposition. 2010 wurde immerhin jede Eintrittskarte für die Semperoper in Dresden mit 96 Euro subventioniert und somit überhaupt erst ermöglicht. Aber auch bei Konzerten, Theaterstücken, Radio, Film und Fernsehen ist die Förderung mit öffentlichen Geldern bei uns gang und gäbe. Unter totalen Marktbedingungen hätten viele Kulturgüter überhaupt keine Chance und Kultur verkäme in jeglicher Hinsicht zu einem kommerzgeprägten Einheitsbrei.
Sechstens, zu behaupten, bei TTIP stünden kleine und mittelständische Unternehmen oder gar die Bürger(innen) im Vordergrund, ist pure Täuschung. Im Vordergrund steht das vorgesehene Investitionsschutzrecht und die Etablierung von privaten oder öffentlichen Schiedsgerichten, durch welche Konzerne weiter ermächtigt werden, im großen Rahmen Rechtsstaatlichkeit zu umgehen. Es geht außerdem um eine Stärkung westlicher Standards gegenüber den Brics-Staaten, insbesondere gegenüber China und Russland, denen man unter der These, man hätte ohnehin die besseren Standards, die Regeln für den Welthandel aufdrücken will. Ein reines Machtkalkül also, welches in dem vorliegenden Antrag sogar noch explizit positiv herausgehoben wird.
Doch TTIP ist absolut kein Abkommen, das auf eine friedliche und harmonisch funktionierende Wirtschaft abzielt, sondern es ist in alten Denkmustern verhaftet, die von einer Überlegenheit westlicher gegenüber anderen Staaten ausgehen.
Eigentlich sollte im 21. Jahrhundert der Freihandel nicht mehr bilateral, sondern multilateral und auf jeden Fall gleichberechtigt geführt werden.
Abschließend lässt sich sagen, dass leider auch dieser Antrag nicht wirklich den Aufschlag zu einer Debatte bezüglich TTIP und anderen Freihandelsabkommen bildet. Dazu bräuchte es mehr Weitblick, ein bisschen mehr Realitätssinn und vor allem Konstruktivität.
Lassen Sie es mich im Folgenden noch kurz erklären. Im März 2014 erklärte die Staatsregierung auf eine Kleine Anfrage des Abg. Klaus Bartl zu den Freihandelsabkommensverhandlungen, dass ein Transparenzproblem nicht ersichtlich wäre. Handlungsbedarf wurde auch negiert. Aussagen wurden – wie auch aktuell in meiner Großen Anfrage – mit dem Verweis verweigert, man könne nur über den Sachverhalt beraten, wenn die endgültige Fassung des Vertrages vorliegen würde. Das hat mich doch etwas schockiert, weil es unter dieser Devise eigentlich unmöglich wäre, über jegliche EU-Gesetzesvorlagen vor der Einreichung zu debattieren. Das wäre so, wie auch noch damit anzufangen, die Auswirkungen erst ins Parlament zu bringen, wenn sie schon längst eingetreten sind.
Im Antrag findet sich auch die Aussage, dass die CDU- und SPD-Fraktion insbesondere begrüßen, dass sich die Wirtschafts- und Sozialpartner über die Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Verhandlungen zu TTIP freuen. So ist doch aber allgemein bekannt, dass vor allem in den Vorgesprächen zu den Verhandlungen fast ausschließlich Wirtschaftslobbyisten zugegen waren. Auch haben sich mehr als 480 Organisationen in dem „Aktionsbündnis STOPP TTIP!“ zusammengeschlossen und mehr als 2,3 Millionen Unterschriften gegen die Freihandelsabkommensverhandlungen gesammelt. Die Reaktion seitens der EU-Kommission: keine.
Auch in Sachsen findet die Debatte um TTIP, CETA und TiSA viel Resonanz. Die Freihandelsabkommen werden in Stadt- und Gemeinderäten diskutiert und zahlreiche bedeutende Einzelpersonen und Gremien haben Statements dazu abgegeben, so zum Beispiel die Handwerkskammern in Dresden und Chemnitz, die Hochschulrektorenkonferenz, die sächsischen Landesverbände des BUND und des NABU oder aber der Deutsche Kulturrat. Diese Äußerungen waren zum großen Teil kritisch oder ablehnend; aber all das lässt der vorliegende Antrag unberücksichtigt.
Das können Sie doch nicht wirklich als Einbringung der Zivilgesellschaft bezeichnen, denn wir Politikerinnen und Politiker hängen in der Debatte der Zivilgesellschaft weit hinterher. Hier ist es an der Zeit aufzuholen, sich fundierter zu positionieren und den Kritikpunkten zu stellen. Uns geht es um eine lösungsorientiertere Debatte im Interesse Sachsens und Europas, die nicht erst geführt werden kann, wenn die Unterschriften unter die Abkommen gesetzt wurden. Wenn ich lese, dass die Staatsregierung darauf achten wird – Zitat aus dem Antrag –, „dass durch das Abkommen keine Nachteile, aber viele Vorteile für Sachsen entstehen“, dann bin ich wirklich, wirklich gespannt, wie Sie das anstellen wollen.
Auch wir, die Fraktion DIE LINKE, würden Ihre goldenen Zukunftsaussichten gern teilen, bezweifeln aber, dass
der Antrag und die in diesem Antrag formulierten Positionen von CDU und SPD für eine Auseinandersetzung mit der Thematik ausreichen. Die Auswirkungen solcher Freihandelsabkommen würden Sachsen, Sachsens Bevölkerung und wohl auch den sächsischen Haushalt umfassend betreffen. Das einfach abzuwarten und keinerlei Initiative während des Diskussionsprozesses zu ergreifen wäre schlichtweg verantwortungslos.
Vielen Dank.
Bei den Aussagen ging es vor allem um die Bereiche der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung; das sind die größten – –
Auf jeden Fall ist meines Wissens vor allem die kommunale Daseinsvorsorge noch nicht explizit in Negativlisten ausgeschlossen. Das war auch alles im Konjunktiv formuliert, weil, wie wir jetzt mehrfach festgestellt haben, keine fundierte Grundlage dafür da ist. – So viel dazu.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordneten! Zunächst einmal muss ich die Annahme, dass Deutsch gemeinsam mit der englischen und der französischen Sprache nach wie vor einen besonderen Vorrang gegenüber den anderen Amts- und Arbeitssprachen innerhalb der EU hätte, korrigieren, denn sie ist falsch und überholt.
Die Verordnung des Rates vom 20.11.2006 bestimmt Folgendes: Die Amtssprachen und die Amtssprachen der Organe der Europäischen Union sind Bulgarisch, Dänisch, Deutsch, Englisch, Estnisch, Finnisch, Französisch, Griechisch, Irisch, Italienisch, Lettisch, Litauisch, Maltesisch, Niederländisch, Polnisch, Portugiesisch, Rumänisch, Schwedisch, Slowakisch, Slowenisch, Spanisch, Tschechisch und Ungarisch. – Somit wäre Deutsch weiterhin eine von 24 Amts- und Arbeitssprachen, die alle gleichberechtigte Amts- und Arbeitssprachen der EU sind. Denn jedes Mitglied der EU kann zu Beginn seines Beitritts die Amtssprache erklären, die es auch zur Amtssprache der EU erheben möchte.
Somit wäre der erste Fehlgriff vom Tisch. Können wir also zum zweiten kommen.
Die von der CDU- und der SPD-Fraktion zur Begründung des Antrags formulierte Wahrnehmung, Deutsch würde als vorrangige Arbeitssprache innerhalb der EU zurückgedrängt oder würde dem nachstehen, ist natürlich unbestritten. Die deutsche Sprache stand natürlich zuerst dem Französischen und später auch dem Englischen nach, das ist keine Frage. Aber diese Entwicklung ist praktisch begründbar, ist historisch begründbar und damit völlig nachvollziehbar und keineswegs etwas, was man in diesem Antrag kritisieren müsste.
Deutsch mag auch die zweitmeist gesprochene Sprache innerhalb der EU sein, doch auch Europa ist keineswegs der Nabel der Welt. Global hat die deutsche Sprache eindeutig eine kleine und nachrangige Rolle. Englisch wird weltweit als Verkehrs- und Wirtschaftssprache verwendet und hat sich besonders durch sprachliche Merkmale, also leichte Erlernbarkeit, Unkompliziertheit und Verständlichkeit, hervorgetan. Englisch ist nichts weiter als eine besonders praktikable und leicht erlernbare Arbeitssprache und wird dieser Rolle in wirtschaftlichen und globalen Kommunikationswegen absolut gerecht. Das ist eine Rolle, die die deutsche Sprache nie erfüllen könnte.
Außerdem muss man konstatieren, dass die nachwachsenden und neuen Generationen zunehmend auch der englischen Sprache mächtig sind und dass die Entwicklung der Sprache – auch die der englischen und der deutschen Sprache – eindeutig in eine andere Richtung weist, als es in diesem Antrag klargemacht werden soll. Jede zweite Europäerin und jeder zweite Europäer sprechen die deutsche Sprache als Mutter- oder Fremdsprache, und diese Tendenz ist absolut steigend. Es handelt sich bei der abnehmenden Bedeutung der deutschen Sprache als Arbeitssprache der EU also um eine ganz natürliche und in jedem Fall begründbare Entwicklung.
Liebe CDU, liebe SPD: Die gleichberechtigte und vor allen Dingen gleich schnelle und gleich umfangreiche Berücksichtigung aller 24 Amts- und Arbeitssprachen hat sich nicht grundlos als unwirksam erwiesen. Bei der Zusammenarbeit in den Organen der EU geht es vor allen Dingen um Kostenersparnis, Zeit und Effektivität. Sollten deutschsprachige Angestellte der Kommission oder anderer Institutionen tatsächlich Probleme mit dem Englischen haben, könnten sie die EU ersuchen, zusätzliche Übersetzerinnen und Übersetzer einzustellen und versuchen, im Hinblick auf zukünftige Generationen einfach den Fremdsprachenunterricht zu verbessern.
Die Union achtet die Vielfalt der Kulturen, Regionen und Sprachen – das ist auch richtig und wichtig so –, und das wird sie auch weiterhin tun, aber das Prinzip der Gleichwertigkeit der Arbeitssprachen ist nicht dadurch erfüllt, dass sich Deutsch weiterhin in den Vordergrund drängt und auch gemeinsam mit dem Englischen und dem Französischen nicht gleichberechtigt mit den anderen 24 Sprachen behandelt werden kann.
Insofern ist das Prinzip der Gleichwertigkeit der Amts- und Arbeitssprachen, auf das sich CDU- und SPDFraktion hier beziehen, erstens nicht wirklich gefährdet und wird zweitens durch diesen Antrag auch überhaupt nicht bestärkt.
Die gesetzliche Regelung, dass 24 gleichberechtigte Amts- und Arbeitssprachen festgelegt sind, ist nach Meinung unserer Fraktion völlig ausreichend. Gerade im Hinblick auf die globalen Entwicklungen sollte man eher darauf hinwirken, tatsächliche sprachliche Minderheiten, zu denen Deutsch eindeutig nicht gehört, zu schützen und zu versuchen, sie nicht zu gefährden. Das ist etwas, was
wirklich im Sinne von sprachlichem Schutz, sprachlicher Gleichwertigkeit liegt, und da muss man das Deutsche nicht so in den Vordergrund stellen. Denn Sprache bedeutet immer auch Macht und gerade deswegen würde dieser Antrag auch dem Prinzip der Gleichwertigkeit eher entgegenwirken und widersprechen.
Gerade in Zeiten der empfundenen Vormachtstellung Deutschlands
gegenüber anderen Staaten innerhalb der EU in politischer und in wirtschaftlicher Hinsicht und dem Unmut in der Bevölkerung ist dieser Antrag genauso ein fatales Zeichen, wie die gestrige Neuregelung der Diäten oder des –
Entschuldigung, ich korrigiere mich – des Abgeordnetengesetzes in Zeiten von Pegida. Dieser Antrag ist nichts weiter als scheinheilig, Stimmen am rechten Rand zu fischen – und, ja, das passiert tatsächlich.
Auch die AfD fordert in ihrem Wahlprogramm die Stärkung von Deutsch als Arbeitssprache, um damit – Zitat –: „Landesidentität, Leistungs- und Opferbereitschaft zum Gemeinwesen zu stärken“.
Liebe SPD, von Ihnen bin ich ein bisschen enttäuscht, dass Sie so eine oberflächliche Argumentation mittragen und so einem verpackten Zugeständnis an die anscheinend in Mode gekommene Deutschtümelei nicht entgegenwirken.
Allen unter Ihnen, die die EU als geldfressendes Bürokratiemonster verschreien, kann ich einfach nur sagen, dass es genau Anträge wie die Ihrigen sind, die einen Haufen Mehrkosten erzeugen und die EU zu einem riesigen Bürokratieapparat erziehen.
Insofern würde ich meiner Fraktion empfehlen, diesen Antrag abzulehnen.
Sehr geehrter Herr Mann, in Ihrem Antrag ist ständig von „Arbeitssprache“, nicht von „Verfahrenssprache“ die Rede. Wenn Sie etwas anderes gemeint haben, dann hätte ich meine Rede vielleicht anders gestaltet. Insofern müssten Sie noch einmal über die Zielrichtung Ihres Antrags nachdenken.
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vorab: Ich bin erfreut und überrascht, dass die CDU und die SPD die symbolische Wirkung ihres ersten Koalitionsvertrages zum Anlass nehmen wollen, die Verbesserung der sächsisch-polnischen Beziehungen zu betonen. Dem grundlegenden Ansinnen, den 2006 durch das Europäische Parlament und den Europäischen Rat gefassten Beschluss zur Errichtung der Kulturhauptstädte Europas zu befördern, hat DIE LINKE absolut nichts entgegenzusetzen, umso mehr, da es sich hierbei um einen durch die Bürgerinnen und Bürger deutlich positiv aufgenommenen und wertvollen Antrag handelt.
Aber es lohnt sich auch hier, zweimal hinzusehen. Der Beschluss, 2006 gefasst und erst 2014 erneuert, benennt zwei wesentliche inhaltliche Kriterien, auf die das Programm der Kulturhauptstadt Europas ausgerichtet sein soll. Das wären
erstens – die europäische Dimension, also die Zusammenarbeit von Kultur- und Kunstakteurinnen und -akteuren
aus den jeweiligen Mitgliedsstaaten der EU, wodurch eine Vorstellung und Förderung der jeweiligen Region erzielt werden soll,
zweitens – das Kriterium Stadt und Bürger, also die Förderung der Beteiligung der in der Stadt und der Umgebung lebenden Menschen, die durch Unterstützung, die Erweiterung der Teilhabemöglichkeiten und vor allem durch Selbstermächtigung in diese Prozesse eingebunden werden sollen.
CDU und SPD haben dieses Konzept umgedeutet. Betrachtet man den vorliegenden Antrag und gleicht die abzustimmenden Punkte mit den Kriterien der Kulturhauptstädte ab, fällt Folgendes auf:
In Punkt 1 soll der Kontakt mit polnischen Organisatoren aufgenommen werden, in Punkt 2 sollen sächsische Institutionen aus Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft eingeladen und an den Aktivitäten beteiligt werden sowie in Punkt 4 soll – zusammengefasst und doch recht plakativ – die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit der Republik Polen verbessert und gestärkt werden.
Ist das alles? Wo ist dem Antrag zu entnehmen, ob und wie Sachsen Wrocław bei der Darstellung seines kulturellen Reichtums unterstützen möchte? An welcher Stelle wird an die Vorstellungen und Pläne der Stadt angeknüpft? Wurde überhaupt in Erfahrung gebracht, ob und, wenn ja, was die polnischen Organisatorinnen und Organisatoren von Sachsen erwarten? In welcher Form wird die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger im Antrag bedacht? Kurz und knapp: Wo ist im Antrag die konkrete Absicht erkennbar, für Wrocław einen spürbaren kulturellen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gewinn für Stadt und Umland zu erzielen, wie es seinerzeit EUKulturkommissarin Androulla Vassiliou bei ihrer Gratulation für Wrocław formulierte?
Der Antrag wirkt nicht zuletzt durch die konkrete Forderung nach einer angemessenen Präsenz des Freistaates Sachsen weniger kooperativ als vielmehr aufdringlich. Dieser Eindruck wird letztendlich noch dadurch verstärkt, dass die Kulturhauptstadt 2016 in ungetrübter Ignoranz nicht mit ihrem polnischen, sondern ihrem deutschen Namen bezeichnet wird. Wenigstens etwas sprachliche Sensibilität wäre gerade im Sinne des angestrebten grenzüberschreitenden Dialogs mehr als angemessen.
Die Schwierigkeit, dem vorliegenden Antrag von CDU und SPD zuzustimmen, besteht vor allem darin, dass er nicht eindeutig das zentrale Anliegen der Initiative um die Kulturhauptstadt Europas erfüllt.
– Nein.
Dieses ist nämlich klar auf die Darstellung des kulturellen Raumes und der Vielfalt europäischer Regionen ausgerichtet und soll mitnichten als Selbstdarstellungsplattform für andere Akteure dienen. Der Freistaat Sachsen verhält sich hier, mit Verlaub, wie ein kleines nerviges Geschwisterkind, das auch dann noch so viel Aufmerksamkeit wie möglich beansprucht, wenn gerade jemand anderes Geburtstag hat.
Was ist das Fazit? Eine – wie im Antrag geplant – Forcierung nahezu ausschließlich öffentlichkeitswirksamer Unterstützung lehnen wir als zu wenig nachhaltig ab. Ziel aller Projekte sollte eine gemeinsame Strukturpolitik der Grenzregion sein sowie die Stärkung regionaler Vernetzung in Wirtschaft, Verkehr, Kultur und Sozialpolitik. Wie wäre es beispielsweise, wenn, ausgehend von der historischen Verantwortung Sachsens, Hilfe bei der Klärung der Frage der Restitution geraubter Kunstschätze während der Nazizeit angeboten würde? Auch Wrocław ist von NaziKunstraub und der Nicht-Rückgabe betroffen. Genannt sei dazu zum Beispiel der Fall von Ismael Littmann, einem jüdischen Juristen aus dem ehemaligen Breslau, dessen Kunstsammlungen von mehr als 6 000 Stück während der Nazizeit geraubt und zum größten Teil nach Deutschland, auch nach Sachsen, gebracht wurden. Es wäre doch ein hervorragender Beitrag zur Unterstützung der Kultur in Wrocław und ganz Polen, wenn Kunstwerke wieder an ihren ursprünglichen Platz bzw. zu den ursprünglichen Besitzerinnen und Besitzern verbracht werden würden.
Gute Nachbarschaften sind ein Segen, aber sie müssen gepflegt werden. So begrüßenswert und wichtig die Intensivierung polnisch-sächsischer Beziehungen ist, so wenig innovativ und enttäuschend allgemein gehalten ist dieser Antrag. Wir sprechen heute lediglich über einen Schaufensterantrag, der mit bereits bestehenden und längst gefassten Beschlüssen glänzen möchte. Da meine Fraktion zwar das Anliegen der Unterstützung von Wrocław als Kulturhauptstadt Europas befürwortet, die inhaltliche Ausgestaltung jedoch wegen des alleinigen Fokus auf die Selbstdarstellung Sachsens sowie der fehlenden sprachlichen Sensibilität eine Zustimmung nicht möglich macht, empfehle ich meiner Fraktion, sich der Stimme zu enthalten.
Danke.
Ja.
Peter Wilhelm Patt, CDU? – Entschuldigt.