Protokoll der Sitzung vom 03.02.2016

Ich will aber trotzdem voranstellen, meine Damen und Herren, auch aus politischer Sicht: Ich meine, angesichts des Themas verbietet sich Euphorie genauso wie fundamentales erneutes Infragestellen. Beides ist sicherlich nicht zielführend. Wir sollten bei aller positiven Entwicklung des letzten Jahres aber trotzdem auch davon ausgehen, dass es Probleme gibt, und uns davor hüten, die Situation nur gesundzubeten. Da hilft zum Beispiel auch keine Stellungnahme der gewerkschaftsnahen HansBöckler-Stiftung, die da original schreibt – ich zitiere –: „Alle Studien haben sich blamiert. Nun sehen wir in Wirklichkeit: Er, der Mindestlohn, hat keine negativen Auswirkungen gehabt.“

Meine Damen und Herren! Ich kann dies aus meinem Wahlkreis und auch aus dem, was ich sonst aus Gesprächen mit Arbeitgebern zu hören bekomme, so nicht bestätigen. Das entspricht so nicht der Realität.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich nur drei Punkte ganz kurz benennen, ohne dies zu vertiefen und ohne damit erneut eine Fundamentaldiskussion zu führen. Aber ich meine, dies sollten wir einfach im Blick haben. Wir reden – das ist zunächst einmal das, was wir feststellen wollen, es steht ja auch so in der Überschrift der Debatte – über einen Zeitraum von einem Jahr. Das ist eine Momentaufnahme. Dieses eine Jahr war geprägt von einer konjunkturell positiven Situation. Ob sie sich so fortsetzt, wissen wir nicht. Das heißt, auf den Punkt gebracht: Die Feuertaufe für den Mindestlohn steht uns möglicherweise noch bevor.

Das Zweite: Die Umsetzung der Mindestlohnregelung hat auch branchenspezifisch – darauf komme ich kurz noch zu sprechen – durchaus unterschiedliche Wirkung entfaltet.

Drittens, und das ist eigentlich das Anliegen meines Redebeitrags: Die Umsetzung dieser Mindestlohnregelung ist mit vielfältigen bürokratischen Begleiterscheinungen verbunden, die wir nicht einfach ausblenden können, zumal sie auch im Hinblick darauf, was für die Unternehmen daraus erwächst, eine negative Wirkung mit sich bringt. Das größte Problem dabei ist sicherlich die Dokumentationspflicht im Rahmen des Arbeitszeitgesetzes. Davon sind verschiedene Wirtschaftszweige betroffen; ich denke hier insbesondere an die Tourismuswirtschaft und an das Gaststättengewerbe.

Meine Damen und Herren, natürlich können Sie mir sofort entgegenhalten, das sei ja keine neue Regelung und gelte schon immer – richtig. Aber ich denke, wir müssen im Blick behalten, dass dieses Problem durch die Mindestlohngesetzgebung noch viel stärker in den Fokus getreten ist. Das konfrontiert die Unternehmen mit Herausforderungen, die sie bisher noch nicht gewohnt waren und die sie zum Teil an die Grenzen des Machbaren bringen.

Die Politik verdonnert die Unternehmen dazu, Mindestlohn zu zahlen, engt aber – und damit sind wir beim Arbeitszeitgesetz – gleichzeitig die Flexibilisierung von Arbeitsabläufen ein. Mit dem Arbeitszeitgesetz wird klar vorgegeben, wie die tägliche Arbeitszeit auszusehen hat, wie sie dokumentiert werden soll. Das schafft natürlich zusätzlichen Aufwand – nicht nur zeitlich, sondern auch hinsichtlich damit verbundener Kosten, meine Damen und Herren.

(Vereinzelt Beifall bei der AfD)

Brechen wir das einmal auf ein kleines Familienunternehmen herunter – ich komme aus dem nach wie vor ländlich geprägten Raum des Erzgebirges, wo es gastronomische Einrichtungen gibt, die Familienbetriebe sind und die darüber hinaus möglicherweise noch Arbeitnehmer angestellt haben. Mit Blick auf die Regelung, wie sie hierzu jetzt vorhanden ist, sind die Betriebe verpflichtet, Mindestlohn zu zahlen, andererseits haben sie aber auch die bürokratischen Hürden zu bewältigen. Da ist nicht nur die Dokumentation der Arbeitszeit zu berücksichtigen. Wenn Sie mit einem Gastronomen reden, wird er Ihnen erzählen, dass er für das, was er in seiner Gaststätte anbietet, mittlerweile zwölf verschiedene Dokumentationsordnungen einzuhalten hat.

(Zuruf des Abg. Klaus Tischendorf, DIE LINKE)

Das kulminiert zusammen mit dem, was der Mindestlohn ohnehin schon vorgibt. Damit sind natürlich auch Aufwendungen verbunden, die ganz einfach nicht zu stemmen sind. Das führt laut der Befragung der DEHOGA zu negativen Konsequenzen. Das sollten wir auch nach einem Jahr nicht einfach ausblenden. Es wurde teilweise schon angedeutet, ich spreche es jetzt einmal in Zahlen an.

Bei knapp zwei Drittel der Unternehmen musste die gewohnte Arbeitszeit geändert werden.

Ihre Redezeit geht zu Ende.

Die Änderung der Arbeitszeiten ist also auch eine Folge. 43 % der Unternehmen mussten ihre Öffnungszeiten ändern. 77 % benennen einen deutlichen Aufwuchs an Dokumentationspflichten. Daraus ergibt sich auch, dass in 49 % der Unternehmen die Preise erhöht werden mussten.

Ihre Redezeit ist zu Ende.

Meine Damen und Herren, meine Redezeit ist beendet, aber ich denke, auch dies sollten wir nach einem Jahr Mindestlohn thematisieren und im Blick behalten. Hier gibt es Handlungsbedarf.

Die Redezeit ist zu Ende.

Ich denke, diese Debatte, sollte auch dazu führen, dass wir darüber nachdenken, wie wir diese Probleme lösen.

(Beifall bei der CDU sowie vereinzelt bei der SPD und der AfD)

Das war Herr Kollege Colditz für die einbringende CDU-Fraktion. Für die SPDFraktion, die ebenfalls Einbringerin ist, spricht jetzt Herr Kollege Vieweg.

Sehr geehrter Herr Präsident! Ich möchte mit Ihnen über Unternehmertugenden sprechen, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, und darüber, was sie mit dem Mindestlohn zu tun haben – über die Tugend des ehrbaren, des ehrlichen Kaufmanns, der für sein Produkt brennt, der von der Qualität seiner Dienstleistung überzeugt ist. Ich glaube, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, zu dieser Debatte gehört die Einsicht, dass zu einer guten Qualität auch ein guter Preis gehört. Was nicht dazugehört, ist eine Haltung wie „Geiz ist geil“ oder das Konzept von Billigheimern.

(Zuruf von der CDU)

Ich sage, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen: Ein Jahr Mindestlohn in Sachsen hat dazu geführt, dass Qualität, Service und Kundenzufriedenheit in Sachsen wieder Konjunktur haben. Die Haltung „Geiz ist geil“ und das Konzept von Billigheimern haben in Sachsen keine Zukunft.

Zur Wahrheit gehört auch, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, dass wir in Sachsen in den letzten Jahren eine ganz andere Strategie gefahren haben. Diejenigen Unternehmen, die zu einem fairen Preis angeboten und mit fairen Löhnen kalkuliert haben, die auf Qualität, Service und Kundenzufriedenheit setzten, haben die Ausschreibungen oft verloren. Jene, die faire Preise angeboten haben, waren am Ende die Dummen.

Aus diesem Grund sage ich: Es ist auch eine Errungenschaft von einem Jahr Mindestlohn in Sachsen, dass die Tugenden des ehrbaren, des ehrlichen Unternehmers wieder etwas zählen in Sachsen. Kundenzufriedenheit, Service und Qualität der Produkte zählen ebenso wieder etwas wie geniale Ingenieurleistungen. Aus diesem Grund sage ich: Der ehrbare Unternehmer ist in Sachsen wieder wer. Ein Jahr Mindestlohn in Sachsen ist daher auch ein Erfolg für das sächsische Handwerk und für den sächsischen Mittelstand.

Aber, meine Kolleginnen und Kollegen, wir haben auch die vielen kleinen Betriebe: kleine Selbstständige, kleinen Handel, kleine Dienstleistungsunternehmen – auch und gerade die Gastronomie und die Hotellerie. Hier sind die Kopfschmerzen auch nach einem Jahr noch nicht verflogen. Hier gibt es nach wie vor Sorgen in der Branche. Einmal zu jenen gesprochen, die vielleicht auch im Hinblick auf die Wahlen im Jahr 2017 schon wieder daran denken, die Schraube anzuziehen und noch einmal in die Mindestlohndebatte zu kommen: Vorsicht vor dieser Veranstaltung, Vorsicht vor diesem Überbietungswettbewerb. Wir kommen gerade aus einem Unterbietungswettbewerb und gehen – vielleicht hat der eine oder andere ja diese Idee – jetzt in einen Überbietungswettbewerb. Das ist eine ganz schwierige Veranstaltung gerade aus sächsischer Sicht; denn wir brauchen für die vielen Kleinen, für den Humus unserer Wirtschaft, für die kleinen Selbstständigen, den kleinen Handel, die kleinen Gastronomie- und Handwerksbetriebe eine Konsolidierungsphase auch über das Jahr 2017 hinaus, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Lassen Sie mich zum Schluss noch darauf eingehen, wie die nächste Generation von Unternehmerinnen und Unternehmern in Sachsen zum Mindestlohn steht. Ich möchte hier aus einem Vortrag einer 14-jährigen Schülerin aus Freital zitieren – wer sie ist, sage ich Ihnen im Anschluss. Sie hat einen Vortrag zum Mindestlohn gehalten. Ich zitiere: „Meine Meinung: Die Einführung des Mindestlohns würde ich als Erfolg bezeichnen, da die Vorteile überwiegen. Das Argument der Verteuerung von Produkten und Dienstleistungen sollten wir in unserer Gesellschaft nicht gelten lassen, da wir uns die geringen Kostensteigerungen leisten können. Wir sind eine wohlhabende Gesellschaft. Auch ein spürbarer Abbau von Arbeitsstellen hat nicht stattgefunden. Der Mindestlohn von 8,50 Euro kann aber auf lange Sicht nur ein Anfang sein, da die Menschen bei diesem Lohn trotzdem im Alter nicht genug Rente haben werden.“

Wer sagte dies, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen? Das sagte Julia Specht, die Tochter des Wilsdruffer Kiesmaschinenbauers Günther Specht. Sie ist eine junge Frau, die sich für eine Ingenieurlaufbahn interessiert und vielleicht einmal das Unternehmen ihres Vaters erben wird.

Ihre Redezeit ist zu Ende, Herr Kollege.

Sie wird vielleicht in seine Fußstapfen treten. Das würde ich mir sehr wünschen. Ich sage, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen: Wenn das die Haltung der sächsischen Unternehmerinnen ist, haben das sächsische Handwerk und der sächsische Mittelstand eine wirklich goldene Zukunft.

Ihre Redezeit endet.

Auf diese goldene Zukunft freue ich mich.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU – Beifall des Staatsministers Martin Dulig)

Auf Herrn Kollegen Vieweg von der SPD-Fraktion folgt jetzt Herr Kollege Brünler für die Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in der heutigen Debatte im Grundtenor gehört, dass die Einführung des Mindestlohnes auch in Sachsen eine Erfolgsgeschichte gewesen sei. Das ist gut so, und das ist in der Tat auch richtig. Ich hätte mir zu Beginn der Debatte vielleicht noch ein Stück weit gewünscht – aber vielleicht hören wir das nachher noch von der Staatsregierung –, dass auch konkrete Daten bzw. erste Auswertungen zu dem für Anfang dieses Jahres angekündigten Monitoring

Verfahren zur Um- und Durchsetzung des Mindestlohnes tatsächlich vorliegen. Darauf bin ich gespannt und nehme an, dass der Herr Minister zu diesem Punkt noch Stellung nehmen wird.

Zu dem befürchteten Einbruch am Arbeitsmarkt ist es nicht gekommen. Es gab auch nicht den großen Einbruch im Servicebereich, ganz im Gegenteil. Die Preiserhöhungen bei Dienstleistern werden von der Mehrheit der Befragten auch hier in diesem Land als vollkommen in Ordnung und vollkommen korrekt akzeptiert; denn es ist bei vielen angekommen: Sozialstaat heißt auch, dass Wettbewerb nicht auf Kosten der Beschäftigten ausgetragen werden darf. In der Tat ist es so, dass vom Mindestlohne vor allen Dingen Beschäftigte in den Bereichen profitieren, die nicht international in Konkurrenz stehen, sondern es haben vor allen Dingen die profitiert, die auf Nachfrage im Binnenmarkt angewiesen sind, das heißt, aus dem Dienstleistungs- und Servicebereich. Dort ist es in der Tat die Frage, wie sich Binnenkonsum ändert, wenn das verfügbare Einkommen steigt. Hier ist es in der Summe tatsächlich gestiegen.

Es wurde auch schon gesagt, dass man von seiner Arbeit leben können muss. Das hat auch etwas mit Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl zu tun Es ist aber auch volkswirtschaftlich relevant, ob man von seiner Arbeit leben kann oder nicht. Es hat keinen Sinn, eine dauerhafte Quasi-Lohnsubvention aufrechtzuerhalten, indem man

einen staatlich geförderten Niedriglohnsektor unterstützt. Wenn ein Bundesarbeitsminister einmal gesagt hat, sozial sei, was Arbeit schafft, dann ist das bei Weitem zu kurz gesprungen.

Wenn wir nach vorn blicken, sollten wir uns nicht mit dem zufriedengeben, was ist. Wir wollen auch vorausblicken. Kollege Krauß hat gesagt, dass es der Mindestlohnkommission obliegt, wie es mit dem Mindestlohn weitergeht. Da hat er recht. Es ist in der Tat gut so, dass das nicht nur in politischen Diskussionsrunden ausgetragen wird. Aber ich glaube, dass wir trotzdem verpflichtet sind, uns Gedanken zu machen und uns zu fragen: Ist der Mindestlohn in seiner jetzigen Höhe angemessen, ja oder nein?

In diesem Zusammenhang möchte ich auf die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE hinweisen, in der die Bundesregierung selbst sagt, dass bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden und 45 Jahre langer Einzahlung in die Rentenkasse – das heißt, im Grunde einem Standardarbeitsleben, allerdings ohne Arbeitslosigkeit, ohne Befristungen oder ohne längere Ausbildungs- und Familienphasen – ein Stundenlohn von 11,50 Euro nötig wäre, um im Alter über die Grundsicherungsschwelle zu kommen. Das heißt, dass bei allen Vorzügen des derzeitigen Mindestlohnes, den wir auch begrüßen, dessen Niveau von derzeit 8,50 Euro zu keinem würdigen Leben im Alter führt. Im Gegenteil, das derzeitige Mindestlohnniveau führt dazu, dass Menschen, die ein Leben lang gearbeitet haben, garantiert in die Altersarmut fallen.

Da hilft auch der Ruf nach privater Vorsorge nicht weiter. Menschen, die nur 8,50 Euro zur Verfügung haben, können sich diese private Vorsorge erstens in der Regel nicht leisten, und zweitens schwebt über ihnen das Damoklesschwert, dass sich die Vorsorge gar nicht lohnt, weil Vorsorgebeträge zunächst einmal mit der Grundsicherung verrechnet werden. Hier rächt sich die Teilprivatisierung und Zerschlagung des Rentensystems bitter. Wir müssen uns tatsächlich anschauen, welche Auswirkungen das auf die adäquate Höhe des Mindestlohnes hat.

Wenn wir nicht über die Höhe des Mindestlohnes sprechen wollen, dann müssen wir zumindest darüber sprechen, das Rentensystem wieder auf eine solidarische und tragfähige Grundlage zu stellen.

(Vereinzelt Beifall bei den LINKEN)

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich noch kurz auf die Integration der Flüchtlinge eingehen. Frau Kollegin Zais hat das Thema schon angesprochen. Hier appelliere ich an Sie alle. Lassen Sie uns gemeinsam widerstehen, neue Ausnahmetatbestände einzuführen, um Asylbewerber bzw. Flüchtlinge hier in Deutschland angeblich besser integrieren zu können.

Die Redezeit geht zu Ende, Herr Kollege.

Das wird nicht funktionieren. Das führt zu sozialem Unfrieden und spaltet die Gesellschaft, zumal diese Vorschläge in der Regel von genau den gleichen Personen kommen, die den Mindestlohn schon grundsätzlich von Anfang an abgelehnt haben.

Vielen Dank.