Protokoll der Sitzung vom 17.03.2016

mit Stellungnahme der Staatsregierung

Meine Damen und Herren, die Aussprache beginnen wir mit der Fraktion DIE LINKE und für die Fraktion spricht Frau Abg. Kagelmann. Bitte sehr, Frau Kagelmann, Sie haben das Wort.

Danke schön, Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Damen und Herren!

Frau Kagelmann, – –

Herr Präsident – selbstverständlich, so viel Zeit muss sein.

Wir müssen das in der Fraktion noch üben.

(Allgemeine Heiterkeit und Beifall)

– Ich bitte darum.

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ich bin, wie sicher einige in dieser Runde, eine große Freundin der alten englischen Komikertruppe Monty Python. Ihr bestes Werk ist wohl der Film „Das Leben des Brian“.

(Christian Piwarz, CDU: Oder „Die Ritter der Kokosnuss“!)

Betrachtet man den Umgang der verschiedenen politischen Handlungsebenen mit der Milchmarktkrise, so baut sich mir vor meinem inneren Auge unwillkürlich die einprägsame Filmszene auf, als die Revolutionäre der Volksfront von Judäa in einer ihrer regelmäßigen Sitzungen sehr engagiert über die Erringung der Weltherrschaft binnen der nächsten vier Jahre debattieren, während Brian ans Kreuz geschlagen werden soll.

Warum? Die aktuelle Krise des Milchmarktes ist die inzwischen dritte in den letzten sechs Jahren. Das Auslaufen der Milchquotenregelung war lange bekannt. Ihre Folgen wurden jahrelang ausführlich hoch und runter diskutiert und viele Maßnahmen zum Gegensteuern liegen längst auf dem Tisch, während der EU-Agrarrat nun doch über Milchmengensteuerungsinstrumente nachdenken

Angesichts dessen möchte ich mit dem Wutausbruch der jungen Judith im Film reagieren: „Um Gottes willen, es ist doch ganz einfach!“ – vorausgesetzt, man erkennt das

Grundproblem und versucht nicht nur an den Symptomen herumzudoktern.

Da allerdings liegt der Hase im Pfeffer. Seit 15 Monaten liegt der Milchpreis bei rund 26 Cent je Liter, was bei Erzeugerkosten von 35 Cent beispielsweise den Milchbauern im Kreis Görlitz bis heute schlappe 22,5 Millionen Euro Verluste einbrachte. In ganz Sachsen geht der Bauernverband von über 200 Millionen Euro Verlusten für die Bauern aufgrund der Milch-, aber auch der Fleischkrise aus.

In den inzwischen regelmäßigen offenen Hilferufen des Berufsstandes an die Politik spricht man von einem „Reifschießen“ unserer Landwirtschaft für die Übernahme von außerlandwirtschaftlichem Kapital.

Was ist nun los mit dem Milchmarkt? Ganz simpel: Es gibt zu viel Milch. Bereits vor dem Auslaufen der Milchquotenregelung wurde die jährliche Milchmenge in Europa um 1 % erhöht. Jetzt brachten sich die Milcherzeuger global in Stellung für einen gnadenlosen Kampf um Marktanteile – unter anderem auch über zusätzliche Investitionen, die jetzt die Betriebe belasten. Nach dem Ende der Milchquote steigt die Milchmenge erwartungsgemäß nochmals an und liegt nunmehr bei 2 bis 3 % über dem Bedarf des globalen Marktes. Das klingt wenig, aber bereits minimale prozentuale Bedarfsüberschreitungen – und diese werden bundesweit, aber eben auch in Sachsen produziert – reichen aus, um Preise abstürzen zu lassen. Hinzu kommen der rückläufige Importbedarf Chinas und das Russland-Embargo. Alles zusammen macht die Dramatik der gegenwärtigen Milchkrise aus.

Der Druck des Berufsstandes auf die politisch Verantwortlichen in EU, Bund und Land ist berechtigt. Die Krise betrifft sächsische Bauern, und deswegen kann Verantwortung auch nicht weggewiesen werden – nach Berlin oder Brüssel –, auch weil es flankierende Maßnahmen braucht. Das hat man offensichtlich inzwischen auch in der Staatsregierung erkannt. Jetzt hat der Landtag die Chance, ein zusätzliches Zeichen zu setzen.

Bei den im Antrag vorgeschlagenen Lösungsansätzen gibt es überraschenderweise viele Gemeinsamkeiten mit Auffassungen des Berufsstandes – das zumindest bestäti

gen mir schriftliche und mündliche Äußerungen von Landwirten auf Forderungen dieses Antrages.

Weithin Einigkeit – übrigens auch mit der Sächsischen Staatsregierung – herrscht zum Beispiel darüber, dass es einer steuerfreien Risikoausgleichsrücklage bedarf, damit für schlechte Zeiten vorgesorgt werden kann. Einigkeit herrscht auch darüber, die sogenannte Superabgabe aus Milchquotenüberschreitungen von rund 800 Millionen Euro vollständig zur Bewältigung der Krise zu nutzen. Dazu kommen nach Auskunft der Staatsregierung weitere Rettungs- und Umstrukturierungshilfen über die SAB.

Eine Anmerkung dazu: Ja, Soforthilfen sind notwendig – glücklich aber wird damit der Landwirt nicht; denn wem jetzt schon das Wasser Oberkante Unterlippe steht, der geht mit dem nächsten Darlehen womöglich richtig Wassersaufen – Niedrigzinsphase hin oder her. Im offenen Brief des Bauernverbandes wird deshalb auch von einer „unbürokratischen Entschädigung“ gesprochen – was offensichtlich gerade keine Kredite meint.

Keinen Dissens gibt es auch in der Auffassung zur Notwendigkeit einer Neujustierung der Vertragsbeziehungen zwischen Milcherzeugern, Molkereien und Einzelhandel – überraschend viele Gemeinsamkeiten. Das sollte eigentlich für eine Zustimmung reichen. Aber im Wesentlichen ist das eben Herumdoktern an den Symptomen – nicht nachhaltig.

Also sind wir wieder beim Anfang, bei der Milchmenge. Zunächst könnte man der einfachen wie genialen Logik folgen und die Milchmenge reduzieren – wenn sie schon unbestrittenermaßen das gemeinsame europäische Grundübel darstellt. Aber Logik ist nicht zwingend Kriterium politischer Entscheidungsfindung. Der Bauernverband schwört beispielsweise auf die Erschließung neuer Exportmärkte als Lösung und hält wenig von zusätzlichen regionalen Vermarktungsstrategien. Hierbei endet nun die Einigkeit.

Was die leidige Exportfixiertheit eines Großteils von Politik und Berufsstand betrifft, so frage ich mich immer, welche Märkte denn noch erschlossen werden sollen und vor allem, mit welchen Folgen, zumal eine Erholung bei den Exporten nach China oder Russland auch jenseits eines Embargos wohl kaum bis zum Vorkrisenniveau erfolgen wird.

An dieser Stelle werden Diskussionen schnell widersprüchlich. Es wird einerseits mit der wachsenden, hungrigen Weltbevölkerung argumentiert, andererseits wird abgestritten, dass die geringen Exporte in Entwicklungsländer überhaupt die heimische landwirtschaftliche Produktion verhindern könnten. Beide Aussagen halte ich für falsch und im Kern sogar für gefährlich. Sie basieren auf einem zukunftsfeindlichen Wachstumsmodell, das inzwischen global mehr Probleme aufgehäuft hat, als wir in der Lage sein werden zu lösen. Wir müssen raus aus dieser verhängnisvollen Konfliktspirale. Das meint übrigens auch der geballte Sachverstand im jüngsten Weltagrarbericht.

Ernährungssouveränität ist keine Attitüde links-grüner Weltverbesserer. Sie ist wirtschaftliche und demokratische Entwicklungschance der Ärmsten und damit unsere Garantie, dass sich zusätzlich zu den Bürgerkriegsopfern nicht auch noch Millionen von Hungerflüchtlingen auf den Weg machen müssen in die Regionen der Welt, in denen im wahrsten Sinne des Wortes Milch und Honig fließen. Wir reden immerhin über 800 Millionen Menschen, die weltweit hungern.

An der Reduzierung der europäischen Milchmenge geht für mich kein Weg vorbei. Aber weil ein gebranntes Kind bekanntlich das Feuer scheut, oder, anders gesagt, weil die alte Quotenregelung Milchpreiskrisen nicht verhindern konnte, wollen viele Bauern gar keine, weder eine neue noch eine verbesserte. Das allerdings sieht DIE LINKE anders und mit ihr nicht nur der Bund Deutscher Milchviehhalter.

Unter der Hand höre ich durchaus auch andere Töne von konventionellen Bauern, vielleicht auch, weil sie etwas bedröppelt auf den Biobauern schauen, der, Krise hin oder her, seine Milch für 45 Cent und mehr verkauft.

Regionale Wirtschaftskreisläufe, regionale Veredlungs- und Vermarktungsstrukturen und heimische Produktvielfalt – sie sind kein Allheilmittel, schon gar nicht mit Sofortwirkung, aber es sind wichtige Mittel, und mit Sicherheit die nachhaltigsten. Vor allem kann man dabei auch viel in Sachsen tun.

Was die Sofortwirkung angeht, so halten wir Ausgleichszahlungen für die freiwillige Milchmengenreduzierung durchaus für geeignet. Ohne ein Anreizsystem zur Mengenreduzierung, europäisch und national, wird die Überwindung der aktuellen Milchmarktkrise nur der Beginn der nächsten sein.

Zentraler Punkt unseres Antrags ist außerdem die Preisgestaltung über einen Mindestmilchabnahmepreis. Nein, werte Damen und Herren der Koalition, dies ist nicht die Einführung der sozialistischen Planwirtschaft durch die Hintertür.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Echt nicht?)

Dieser Basis-Produktpreis ist ein legitimes politisches Marktregulierungsinstrument, ähnlich dem Mindestlohn, der verhindern soll, dass lediglich Supermärkte und Molkereien im Preiskampf verdienen, aber nicht derjenige, der sieben Tage in der Woche vor dem Aufstehen im Stall stehen muss.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Das ist vernünftig!)

Wie hoch dieser Preis ausfällt, dazu würde ich mich als Politik vornehm zurückhalten wollen. Das könnten Erzeuger, Verarbeiter, Handel und Verbraucherverbände aushandeln und regelmäßig überprüfen, vergleichbar mit der Mindestlohnkommission. Wettbewerb wird dadurch nicht gekillt. Er findet dann oberhalb des Basispreises und stärker über Qualität statt.

Sehr geehrte Damen und Herren! Wer die Lippen spitzt, muss auch pfeifen. Bisher war das Pfeifen, das aus Sach

sen in Sachen Milchkrisenbewältigung zu hören war, eher ein Piepsen, und das, obwohl die Chancen, im Bundesrat Lösungen zu befördern, jetzt so günstig wie nie sind. Kein Wunder, dass sich der Bauernverband im Stich gelassen fühlt.

Wir waren als LINKE gern dabei behilflich, dem etwas phlegmatisch agierenden Staatsminister auf die Sprünge zu helfen. Wir werden aber kritisch verfolgen, was nach dem Aufschlag im Bundesrat an Taten folgt.

Ein Beschluss des Sächsischen Landtags zur Bewältigung der Milchmarktkrise wäre ein zusätzliches starkes Zeichen der Unterstützung für die Bundesratsinitiative. Ich bitte um Ihre Zustimmung.

(Beifall bei den LINKEN)

Die einbringende Fraktion DIE LINKE hat mit Frau Kollegin Kagelmann den Anfang gesetzt. Wir fahren jetzt in der Rednerrunde fort. Für die CDU-Fraktion ergreift Herr Kollege Heinz das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Leider habe ich den von Ihnen angesprochenen Film nicht gesehen.

(Uta-Verena Meiwald, DIE LINKE: Wie bitte?)

Insofern kann ich darauf nicht reagieren. Trotzdem, denke ich, ist die Situation bestens bekannt. Vielleicht noch zwei, drei Worte dazu, was die Situation derzeit verschärft.

So sehr wir uns alle über den niedrigen Ölpreis freuen, heißt das natürlich auch, die Kaufkraft in den erdölexportierenden Ländern fehlt, um Milchprodukte aus Europa aufzunehmen. Auch nach einem Wegfall des RusslandEmbargos wird die Ölpreissituation die russischen Importe weiter prägen, sodass es sicherlich kein Allheilmittel ist, obwohl es natürlich hilft, den Absatz anzukurbeln.

Dazu kommt: In Holland wird zurzeit über eine Phosphorbegrenzung gesprochen in Form der Begrenzung der Menge an Stallmist, die Landwirte ausbringen dürfen. Das Wirkungsdatum, den Stichtag, hat man nicht in die Vergangenheit, sondern irgendwo in die Zukunft gelegt. Ein genaues Datum weiß ich jetzt nicht. Die holländischen Landwirte schaffen jetzt noch Kapazitäten, um sich entsprechende Quoten zu erarbeiten. Das alles verstärkt die Sache.

Gestatten Sie mir, noch zwei Zahlen zu nennen. In Deutschland werden ungefähr 4 % des Weltmilchaufkommens produziert. Sachsen hat einen Anteil von 0,2 % an der in der Welt produzierten Milch oder von 5,5 % an der in Deutschland produzierten Milch. Das macht die Größe der Aufgabe deutlich. Das heißt, irgendwelche Mengenreduzierungsmodelle werden weder sachsenweit noch deutschlandweit greifen. Auch wenn Europa nur 19 % der Weltmilchproduktion aufweist, wird es am Ende dazu führen wie bei der Quote auch: In schlechten Zeiten schränken wir die Produktion ein und wenn es gute Zeiten

gibt, dann haben wir am Wachstum nicht teil. Das wird so nicht funktionieren, sondern langfristig wird nur eines helfen: Angebot und Nachfrage in Übereinstimmung zu bringen. Es wird ein harter und bitterer Prozess werden.

Wir können unseren Landwirten dabei im Moment nur helfen, indem wir versuchen, die Liquidität zu stärken, indem wir sie – was wir in der Vergangenheit auch getan haben – fit für den Wettbewerb machen; das heißt, dass sie mit einer hohen Produktivität und niedrigen Kosten in diesem Wettbewerb bestehen können. Dabei haben wir uns bei der Investitionsförderung nichts vorzuwerfen.