Protokoll der Sitzung vom 21.04.2016

Nun ist Sachsen nicht Mexiko, und ich bin froh, feststellen zu können, dass Menschen in sächsischen Justizvollzugsanstalten nicht weggesperrt werden, sondern ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft engagiert gefördert wird.

(Beifall bei der CDU, der SPD und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Das hilft nicht nur den Gefangenen selbst, sondern dient auch dem Schutz der Gesellschaft vor weiteren Straftaten ehemaliger Gefangener. Denn Gefangene werden in der Haft gut auf ein Leben in Freiheit vorbereitet.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin sehr froh und dankbar für die Gelegenheit der heutigen Debatte. Ein besonders herzlicher Dank gilt den Fraktionen, die die Große Anfrage zur Situation und Entwicklung im sächsischen Justizvollzug ausgearbeitet haben. Ich danke aber auch allen Abgeordneten, die sich – sei es durch Kleine Anfragen oder durch ihre wichtige Tätigkeit in den Anstaltsbeiräten in den sächsischen Justizvollzugsanstalten – für den Justizvollzug interessieren und für seine Belange einsetzen.

Mittlerweile haben wir in Sachsen – ich glaube, das können wir mit Stolz sagen – eine der modernsten und innovativsten Strafvollzugsrechtslagen in Deutschland. Diese Entwicklung war ein Prozess, in dem zunehmend die Erkenntnis zutage trat, dass der Justizvollzug seine Aufgaben nicht als „geschlossene Veranstaltung“ erfüllen kann. Er braucht Kooperationspartner, gesamtgesellschaftliche Unterstützung und Beteiligung. Der Justizvollzug kann nicht alles, was in den Biografien der Gefangenen untergebracht und schiefgelaufen ist, heilen, korrigieren oder wiedergutmachen. Der Justizvollzug kann nur ein kleiner Teil der Lösung des Problems sein, das wir als Kriminalität beschreiben und erleben. Aber diesen kleinen Teil wollen wir in Sachsen so gut wie irgend möglich leisten.

Der Justizvollzug hat dazu Wege gesucht, und er wird es auch in Zukunft tun müssen, Haft nicht als Ausgrenzung, sondern als einen Schritt hin zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft auszugestalten – mit schulischer Bildung, mit Ausbildung und Arbeit, mit sozialen Hilfen und Training und nicht zuletzt durch Therapie und Beratung, die zeitlich nicht allein an den Status Haft oder an den Status Freiheit gebunden sind, sondern sich an den individuellen Problemlagen des Einzelnen orientieren.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die vorliegende Große Anfrage hat uns Gelegenheit gegeben darzustellen, mit welcher Leistungsbereitschaft und Kreativität die Bediensteten im Jugendstrafvollzug, im Erwachsenenvollzug und in der Sicherungsverwahrung an der Umsetzung der hohen Ansprüche der sächsischen Justizvollzugsgesetze arbeiten. Den Bediensteten der Anstalten, aber auch im Justizministerium, die sich größtenteils überobligatorisch für die Sicherheit in den Anstalten, aber auch für die Zukunft der Gefangenen einsetzen, gebührt mein ausdrücklicher Dank. Sie leisten unter keinen einfachen Bedingungen eine ausgezeichnete Arbeit, und sie sind es, die die Anforderungen der sächsischen Justizvollzugsgesetze tagtäglich mit Leben erfüllen und dafür sorgen, dass das hohe Niveau der im sächsischen Justizvollzug geleisteten Arbeit auch bundesweit anerkannt ist.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Dabei steht die sichere Unterbringung, das heißt die Sicherheit und Ordnung in und um unsere Anstalten im Vordergrund. Sie basiert zum einen auf baulich-technischen Sicherheitsvorkehrungen und -einrichtungen und zum anderen auf einem hohen Anspruch an administrative und organisatorische Sicherheitsvorkehrungen. Beispielhaft dafür möchte ich die Sicherheitsgruppe des sächsischen Justizvollzugs nennen, die unter anderem mit Durchsuchungseinsätzen einen wesentlichen Beitrag für die Sicherheit in unseren Anstalten leistet, aber auch der Einsatz von Drogen- und Handyspürhunden ist insoweit unerlässlich.

Eine ganz zentrale Rolle im sächsischen Justizvollzug nimmt die Resozialisierung der Gefangenen und Untergebrachten ein. Täglich bieten die Bediensteten vielfältige und hochwertige Beratungs- und Behandlungsmaßnahmen an, die zum Teil auch in gesonderten Stationen oder Abteilungen umgesetzt werden. Niedrigschwellige,

behandlungsmotivierende und stabilisierende Maßnahmen, zum Beispiel kunsttherapeutische oder familienorientierte Maßnahmen, aber auch – und das ist angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Lage von besonderer Bedeutung – Angebote für extremistisch gefährdete Gefangene werden im sächsischen Justizvollzug bereitgehalten.

Es wurde schon angesprochen, und es ist auch tatsächlich so: Ein besonderer Schwerpunkt in den letzten Jahren lag im Justizvollzug auf der Drogentherapie. Es gibt das bundesweit viel beachtete und in seiner Ausgestaltung wohl einmalige Projekt der suchttherapeutischen Station in der JVA Zeithain. Das wurde schon gesagt. Diese Station stellt ein wegweisendes Modell dar. Hier wird suchtmittelabhängigen Gefangenen schon während der Haftzeit eine vollwertige Suchttherapie ermöglicht. Das ist insbesondere für die Gefangenen wichtig, bei denen die Suchtmittelabhängigkeit in direktem Zusammenhang mit der Straffälligkeit steht. Mir ist bewusst, insbesondere mit Blick auf die steigenden Zahlen von Gefangenen, die mit solchen Vorgeschichten in den Vollzug kommen, dass dieses hervorragende Projekt mit momentan 20 Plätzen für den hohen und weiter steigenden Anteil von Crystal abhängigen Gefangenen nicht ausreicht. Aber ich bin trotzdem stolz, dass wir im sächsischen Vollzug diesen Weg eingeschlagen haben.

Frau Abg. Meier, um auf Sie direkt einzugehen: Wir prüfen natürlich, wie wir das ausbauen können. Wir sind absolut willens, ab 2017 mit der Umsetzung weiterer Therapiemöglichkeiten zu beginnen. Das beträfe dann den Frauen- und den Jugendstrafvollzug. Da sind wir absolut willens. Sie rennen damit bei uns offene Türen ein.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der AfD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Justizvollzug steht immer wieder vor Herausforderungen. In den letzten Jahren stellte uns aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zum Beispiel die Einrichtung einer Abteilung für die verfassungskonforme Unterbringung von Sicherungsverwahrten vor eine solche

Herausforderung. Es ist uns dank der Unterstützung des Staatsministers der Finanzen gelungen, diese strengen Voraussetzungen sehr zeitnah umzusetzen. Das haben wir in Bautzen geschafft.

Aber – da möchte ich gar nicht drum herumreden, es ist von allen Rednern schon angesprochen worden – die Personalsituation in unseren Anstalten stellt uns angesichts der steigenden Gefangenenzahlen vor eine große Herausforderung. Das ist umso beachtlicher, als nach einem starken Rückgang der Gefangenenzahlen von 2000 bis 2009 diese – übrigens entgegen dem westdeutschen Trend – wieder angestiegen sind. Ganz aktuell verzeichnen wir im Vergleich zu den Vorjahren einen ungewöhnlich hohen Anstieg der Gefangenenzahlen für die Monate Februar, März und April. Dieser Anstieg betrifft insbesondere die Gruppe der Untersuchungsgefangenen, aber auch der ausländischen Gefangenen. Die Bediensteten – das ist das Resultat davon – müssen deshalb trotz enormer Krankenstände sehr oft Mehrarbeit leisten.

Wir verschließen uns diesen Entwicklungen nicht. Wir handeln. Das zeigen die Beschlüsse vom 4. März 2016. So wird ein übergroßer Teil der nach den ursprünglichen Planungen bis zum Jahr 2020 abzubauenden Stellen erhalten bleiben. Durch weitere Stellenumwandlungen wird es uns gelingen, zum 01.01.2017 in den dann folgenden Monaten weitere 50 Stellen im Justizvollzug zu schaffen, um hier Entlastungen durch eine personelle Stärkung herbeizuführen.

Das muss selbstverständlich mit verstärkten Ausbildungskapazitäten einhergehen. Die werden wir auf 40 pro Jahr erhöhen. Darüber hinaus schauen wir momentan, weil uns diese Kapazitäten nicht zum 01.01. zur Verfügung stehen, nach alternativen Lösungsmöglichkeiten, um möglichst schnell im Vollzug nachzusteuern. Hier wird momentan in den Justizvollzugsanstalten intensiv überlegt, wie wir das bewerkstelligen können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach meiner Auffassung ist ein leistungsfähiger und erfolgreicher Justizvollzug langfristig für die Gesellschaft insgesamt erheblich kostengünstiger als ein vorrangig verwahrender Vollzug, der die Gefangenen ohne realistische Chancen auf gesellschaftliche Reintegration und zukünftige Legalbewährung entlässt. Darum werden wir auf der Grundlage der Fortschritte, die wir im sächsischen Justizvollzug erreicht haben, die systematische Weiterqualifizierung unserer Bediensteten vorantreiben. Ich meine, das sind wir insbesondere den Opfern von Straftaten schuldig.

Wir müssen auch künftig weitreichende Entscheidungen darüber treffen, ob und wie wir das hohe Niveau des sächsischen Justizvollzugs halten und sogar noch steigern können. Ich bin froh darüber, dass mit der Antwort der Staatsregierung auf die Große Anfrage der Fraktionen von CDU und SPD eine Diskussionsgrundlage vorliegt, die transparent und detailliert aufzeigt, welche Chancen ein moderner Justizvollzug mit sich bringt.

Ich danke Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren, für Ihre vielfältigen Anregungen in dieser Debatte und vor

allem für die Aufmerksamkeit, die Sie diesem Thema schenken.

Vielen Dank.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Vielen Dank, Herr Staatsminister.

Meine Damen und Herren! Ihnen liegt als Drucksache 6/4946 ein Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen vor. Herr Abg. Modschiedler hat bereits ausführlich dazu Stellung genommen. Im Laufe der Debatte haben wir erfahren, dass Herr Abg. Baumann-Hasske noch weitere Ergänzungen zum Entschließungsantrag vorbringen möchte. Ich frage aber dennoch die CDU-Fraktion, ob sie selbst noch ergänzen möchte. – Das ist nicht der Fall. Herr Baumann-Hasske, bitte. Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch von mir geht, anknüpfend an das, was Herr Gemkow gerade gesagt hat, ein Dank an alle, die sich an der Diskussion beteiligt haben. Denn die Einmütigkeit, mit der wir dieses Thema heute behandelt haben, ist keineswegs selbstverständlich.

Es ist ein Außenseiterthema. Das muss man sich immer wieder klarmachen. Viele Leute sehen Strafgefangene als den Bodensatz der Gesellschaft an. Wir haben uns hier sehr sorgfältig und ausführlich der Thematik gewidmet. Insofern finden Strafgefangene und diejenigen, die sich mit ihnen auseinandersetzen müssen, hier die notwendige Beachtung. Ich möchte den Bediensteten deswegen ausdrücklich meinen Dank und den Dank meiner Fraktion aussprechen.

(Beifall bei der SPD, der CDU, den LINKEN und den GRÜNEN)

Mit dem Entschließungsantrag wollen wir die Ergebnisse der Großen Anfrage zusammenfassen. Herr Modschiedler hat vorhin schon einiges gesagt. Wir würdigen den großen Einsatz der Beschäftigten im Vollzug, der weit über ihre vertraglichen Pflichten hinaus geht, und werden sie darin unterstützen, für Sicherheit zu sorgen und das Ziel der Resozialisierung von Straftätern konsequent zu verfolgen. Die Gefangenen sind als Individuen zu behandeln und als Persönlichkeiten in ihrem Lebenslauf und ihrem sozialen Kontext zu begreifen. Sie sollen befähigt werden, eigenverantwortlich ein normales Leben zu führen. Dabei setzt der Vollzug mit seinem breiten Instrumentarium der Behandlung und Aktivierung an.

Wir zeigen in diesem Antrag viele dieser Instrumente des Vollzuges auf und stellen sie in einen Zusammenhang.

Um diese Ziele zu erreichen, muss der Vollzug personell und materiell angemessen ausgestattet sein. Dabei soll sich die Staatsregierung an den gerichtlichen und rechtlichen Vorgaben, aber natürlich auch am tatsächlichen Bedarf orientieren. Wir wollen den Bediensteten im Alltag auch dann Unterstützung geben, wenn sie durch besondere Probleme und in Grenzsituationen, die es im Vollzug

täglich geben kann, an die Grenzen ihrer eigenen Kapazitäten stoßen, sehr gefordert oder sogar überfordert sind. Sie sollen sich durch Aus- und Fortbildung beruflich stets auf der Höhe der Zeit befinden.

Ein wichtiges Ziel ist es, die Beschäftigungsquote der Gefangenen im sächsischen Vollzug zu erhöhen. Arbeit strukturiert den Tagesablauf der Gefangenen, vermittelt ihnen organisiertes Verhalten und Erfolgserlebnisse und ist damit ein wichtiges Instrument der Resozialisierung. Wir wollen die Suchttherapie unter den besonderen Bedingungen des Vollzugs ausbauen. Es ist sinnvoll, diese Behandlung schon im Vollzug durchzuführen und nicht abzuwarten, bis die Gefangenen entlassen werden. Dies dient nicht nur der Gesundheit, sondern gleichzeitig der Sicherheit im Vollzug.

Wir würdigen und fördern die ehrenamtliche Betreuung im Strafvollzug und die Tätigkeit der Beiräte. Schließlich werden viele Maßnahmen der Aus- und Fortbildung im Vollzug mithilfe – –

Herr Kollege, Ihre Redezeit!

Ja. – Die ESF-Mittel werden am Ende des Jahrzehnts wegfallen. Wir wollen uns frühzeitig darum kümmern, sie zu ersetzen.

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, dem Antrag zuzustimmen.

(Beifall bei der SPD, der CDU und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Baumann-Hasske. Wir können über den Entschließungsantrag – – Doch, es gibt noch Redebedarf. Kollege Bartl, bitte, Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident. Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie geht man nun mit dem Entschließungsantrag um – wenn er gut ist? Das bestreiten wir ja überhaupt nicht; denn er will den sächsischen Strafvollzug ins richtige Licht rücken, er will den dort Bediensteten Dank sagen, und er setzt einige wichtige Schwerpunkte; das ist nicht das Problem. Aber er hat im Detail dann schon seine Haken und Ösen.

Wenn wir den Punkt 1 mit der Danksagung im ersten Abschnitt mit der heute schon mehrfach gewählten Formulierung an die Bediensteten nehmen, den Dienst überobligatorisch zu verrichten, so kann dies nicht mit der Haltung „Weiter so!“ verbunden sein; denn er kann ja auch einmal auf einen normalen Dienstpegel zurückgeführt werden. Ich denke, daran müssen wir arbeiten. Die Erwartungshaltung „überobligatorisch ist geschuldet...“ geht nicht, wie auch bei Punkt 1. Das ist aber gar nicht mal das Problem.

Womit wir überhaupt nicht zurechtkommen, das ist Abschnitt I, Punkt 3. Wir wissen um die Sicherheitssituation in den sächsischen Justizvollzugsanstalten. Auch wir

meinen, dass zum Beispiel Missbrauch von Betäubungsmitteln, von Suchtmitteln allgemein, Handymissbrauch usw. im Interesse der Resozialisierung ganz konsequent bekämpft werden müssen. Aber hineinzuschreiben, dass 14-täglich die Hafträume zu durchsuchen sind und im Bedarfsfall täglich, das geht aus unserer Sicht im Maßstab der Persönlichkeitsrechte von Gefangenen nicht. Das ist sein Rückzugsraum – über ein halbes Jahr, über zwei Jahre, über zehn Jahre, und quasi täglich heimgesucht zu werden bzw. Gefahr zu laufen, das halten wir für ausgesprochen schwierig.

Der nächste Punkt, Punkt 4, leitet mit einer gewissen Novellierung des Strafvollzugsgesetzes ein. „Die Resozialisierung“, heißt es hier, „der Strafgefangenen ist ein Schwerpunkt des sächsischen Justizvollzugs.“ Ich habe gerade den Kollegen Baumann-Hasske so verstanden: Es ist der zentrale Auftrag des Strafvollzugsgesetzes, und so wollen wir es auch verstanden wissen. Insofern muss das auch bei der Abstimmung so gesehen werden.

Wir haben auch Schwierigkeiten, die Beschäftigungsquote bei 57 % zu würdigen, da wir meinen, dass das – ich habe es in meinen Ausführungen bereits gesagt – vom Rechtsanspruch her gesehen noch deutlich unter der Erforderlichkeit liegt.

Deshalb bitten wir darum, über den Abschnitt I einzeln abzustimmen, Herr Präsident. Über Abschnitt II kann insgesamt abgestimmt werden.

Danke.

(Beifall bei den LINKEN)

Vielen Dank, Herr Bartl. – Wer möchte jetzt zuerst sprechen? – Herr Wurlitzer für die AfD-Fraktion.