Hier gibt es einen Handlungsbedarf. Es ist Aufgabe von Politik und Gesellschaft zu verhindern, dass Jungen und Männer überhaupt delinquent werden. Nicht nur, dass es für die konkreten Menschen natürlich tragisch ist, eine kriminelle Karriere zu haben, dass Beziehungen zu Familie und Freunden zerstört werden und dass eine gesellschaftliche Teilhabe an Arbeit, Kultur und Bildung nicht stattfindet – das ist sozusagen das eine. Das andere ist, dass diese Delinquenz von Männern und Jungen natürlich Millionen Euro verschlingt.
Außerdem steckt ein riesiger Apparat dahinter. Mal ganz ehrlich: Hier läuft doch irgendetwas schief. Wir müssen also deutlich umsteuern und endlich spürbar – und damit meine ich: wirklich spürbar – in Kitas, Schulen, Ausbildung und Beratung investieren,
damit wir das nicht noch in 100 Jahren so haben. Das A und O ist also Prävention. Deshalb fordere ich einen interministeriellen Schulterschluss mit Blick auf das Phänomen Straffälligkeit bei Jungen und Männern. Da müssen alle an einem Strang ziehen. Justizministerium, Sozialministerium und Kultusministerium müssen dazu an einen Tisch.
Um zum Abschluss noch ein wenig grundsätzlicher zu werden: Ist es nicht wirklich auch einmal an der Zeit, eine gesellschaftliche Debatte über Strafvollzug insgesamt zu führen? Frau Dombois hat es vorhin schon ein bisschen angesprochen. Es gibt ja tatsächlich keine ernsthaften Studien über die positive Wirkung von Gefängnissen. In Teilen ist es ja tatsächlich eher eine philosophische Debatte über Moral und das durchaus verständliche gesellschaftliche Bedürfnis nach Vergeltung. Herr Galli hat vor wenigen Wochen einen Aufschlag zu diesem Thema gemacht. Auch Bernd Maelicke, Direktor des Deutschen Instituts für Sozialwirtschaft und ehemaliger Ministerialdirigent in Schleswig-Holstein, hat vor wenigen Tagen im Deutschlandradio alternative Formen zum Strafvollzug diskutiert. Ich glaube, meine Damen und Herren, es würde sich lohnen, eine solche Debatte auch hier in Sachsen zu führen.
Meine Damen und Herren, das war die erste Runde. Wir kommen zu einer zweiten Runde. Für die CDU-Fraktion spricht Herr Abg. Modschiedler. Bitte, Herr Modschiedler. Wir sind flexibel, auch wenn Sie nicht auf der Liste stehen.
Herr Präsident! Herzlichen Dank, dass ich trotzdem reden darf. – In der ersten Runde haben die Kollegen Dombois und Baumann-Hasske ja die Stärken und auch die Defizite unseres sächsischen Strafvollzugs – jetzt sind wir wieder an diesem Punkt: einem wesentlichen Teil der inneren Sicherheit; das kann man nicht oft genug sagen – umfassend und auch kritisch dargestellt. Das ist auch den anderen Fraktionen aufgefallen. Auch an Herrn Bartl vielen Dank – da bin ich mit Ihnen d’accord – und an Frau Meier; das war ein interessanter anderer Ansatz, der jetzt ausgeführt worden ist, aber auch er ist zu debattieren. Was ich nicht gut finde, Herr Wurlitzer, ist, schlichtweg herumzumeckern: Alles doof, alles Mist, und überhaupt funktioniert gar nichts. Das ist kein konstruktiver Ansatz.
(Uwe Wurlitzer, AfD: Ich habe ja gesagt, Sie sollen mehr Geld für Personal ausgeben! Konstruktiver geht es doch gar nicht!)
Das war eine Große Anfrage, und wir wollen mit dem Thema auch kritisch umgehen, das heißt, wir wollen miteinander besprechen, wie es weitergeht und nicht, wie es nicht geht. Das wissen auch wir.
Angesichts der Bedingungen, die bis jetzt im Justizvollzug geherrscht haben, möchte ich mich noch einmal herzlich bei den Bediensteten bedanken, die ihre Arbeit trotzdem energisch und sehr gut leisten. Herzlichen Dank von meiner Seite.
Ich möchte speziell von meiner Seite noch auf vier Themengebiete eingehen, die uns in der Koalition sehr wichtig sind, auch aus dem Ergebnis der Großen Anfrage heraus. Wir wollen an diesem Thema dranbleiben und müssen uns auch weiterhin dafür einsetzen. Diese Punkte sind auch diejenigen, die wir in den Entschließungsantrag eingebracht haben und die Sie dort wiederfinden können.
Erster Themenpunkt ist die Personalsituation in sächsischen Justizvollzugsanstalten. Wir müssen sie immer wieder individuell überprüfen und, wie man jetzt neuerdings immer sagt, regelmäßig evaluieren. Dabei müssen der tatsächliche Bedarf einfließen, die Altersabgänge und der Krankenstand. Das alles ist bei der Evaluierung kritisch zu betrachten. Wir sollten nicht mit einem einfachen „Weiter so!“ weitermachen. Dabei kann es unserer Ansicht nach nicht bleiben.
Wenn im Strafvollzug alles ruhig verläuft – das wurde jetzt mehrfach angesprochen –, heißt das nicht, dass alles wunderbar funktioniert. Es darf nicht wieder ein schwerwiegender Fehler auftreten; wir hatten das mehrfach angesprochen. Man kann nicht erst – sorry, dass ich es jetzt noch einmal anspreche – in einem Fall wie Mederake, wenn jemand auf dem Dach steht und es zu einem schwerwiegenden Zwischenfall kommt, damit anfangen, eine Personaldiskussion zu führen. Das müssen wir immer tun.
Mit der Entscheidung der Staatsregierung im März, mit der Regierungserklärung seitens des Ministerpräsidenten und mit der Umsetzung im Kabinett wurde ein erster richtiger Schritt getan. Der Anfang ist jedenfalls schon einmal gemacht. Dazu müssen wir aber, und das ist ein weiterer Teil, auch die Ausbildungsstellen attraktiv machen. Wir brauchen qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber für den Justizvollzug der Zukunft.
Zweiter Themenkomplex, den wir ansprechen wollen: ausreichende Kapazitäten an Haftplätzen. Auch das wurde von allen angesprochen. Wir brauchen sie sowohl im geschlossenen Vollzug als auch im offenen Vollzug. Die Zellen zu belegen, soweit es das Gesetz noch irgendwie zulässt, kann nicht Sinn eines resozialisierenden Vollzugs sein. Im Gegenteil erzeugt das unserer Ansicht nach Stress, es erzeugt Frust und im Nachgang auch Hass. Die Folge ist, dass die Häftlinge dann wieder „einfahren“. Das kostet unserer Ansicht nach mehr, als die Belegungssituation einfach nur im Auge zu behalten.
Thema 3, auch schon mehrfach angesprochen: Resozialisierung – für mich ein ganz wichtiger Punkt im Strafvollzug. Das ist nämlich der positive Gegensatz zur Schließung von JVAs, wie sie ein Herr, der momentan in Elternzeit ist und mit seinem Buch herum reist, vorträgt, wenn ihm nichts anderes einfällt. Resozialisierung ist nicht nur während des Vollzugs wichtig – das hat Frau Dombois treffend ausgeführt –, sondern sie muss auch im Übergangsmanagement funktionieren, also nach der Entlassung. Denn nach der Entlassung ist der Häftling auf sich allein gestellt. Während der Haftzeit ist er vom normalen, selbstständigen und selbstverantwortlichen Leben weit entfernt. Die Gefahr, danach wieder in sein altes Leben zu rutschen, ist sehr, sehr groß. Von unserer Warte betrachtet muss er darauf vorbereitet werden, er muss positiv in die Gesellschaft integriert werden. Das ist unsere Aufgabe.
Dazu zählt – damit kommen wir zum nächsten Punkt – die Suchttherapie. Wir haben in der JVA Zeithain, das wurde von Frau Meier auch angesprochen, eine der wenigen, wenn nicht sogar die einzige Suchttherapiestation in Deutschland. Ich war mit dem Kollegen Fischer diese Woche noch einmal in dieser Einrichtung, und wir haben uns ein Bild davon gemacht. Ich bin der festen Auffassung, dass wir solche Stationen gerade in der aktuellen Situation brauchen – da sprechen wir einfach einmal Chrystal Meth an, eine ganz gefährliche Droge, die schon bei der Ersteinnahme sofort zur Abhängigkeit
führt. Diese Suchttherapiestation kann damit umgehen. Das brauchen wir aber auch in anderen Justizvollzugsanstalten in Sachsen.
Das ist für beide Seiten – für den Gefangenen und seine aktuelle Lage und für die Gesellschaft, in die er wieder entlassen werden will – eine Win-win-Situation, und die müssen wir schaffen.
Vierter Punkt: Haftkrankenhaus Leipzig. Richtig, der Zustand ist eine Katastrophe: der Gebäudekomplex oder besser der Rest der Gebäudekomplexe, die man dort sehen kann. Das kann so nicht weitergehen. Ich würde sagen, dass wir einfach mit vereinten Kräften dafür sorgen müssen, dass die Voraussetzungen für eine gute medizinische Versorgung innerhalb des Justizvollzugs in Sachsen sichergestellt werden. Die Fläche wartet bereits darauf, nur noch bebaut zu werden. Jetzt müssen wir auch den politischen Druck ausüben, dass es nun wirklich endlich geschieht.
Das sind die Themen, die wir in den Entschließungsantrag eingearbeitet haben und die uns auch sehr wichtig sind. Die anderen Themen und die Feststellungen können Sie unserem Antrag entnehmen.
Ich würde sagen, wenn wir dem Entschließungsantrag zum Strafvollzug die Zustimmung geben, setzen wir ein sehr, sehr wichtiges Signal.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Ich werde mich in meiner Rede dem Aspekt der Sicherheit innerhalb und auch außerhalb von Justizvollzugsanstalten widmen. Denn nicht nur Menschen außerhalb von JVAs müssen im Einzelfall vor Gefahren geschützt werden, die vielleicht von Gefangenen ausgehen können; es muss auch die Sicherheit der Menschen in den Anstalten gewährleistet sein. Dazu gehören die Gefangenen selbst, aber auch die Bediensteten, nicht nur die Justizvollzugsbeamten; es sind auch Verwaltungsmitarbeiter, Mitarbeiter des Sozialdienstes, Ärzte, Psychologen, auch Lehrer.
Die Ergebnisse, die aus der Antwort auf die Große Anfrage hervorgehen, zeigen, dass in all diesen Bereichen viel für die Sicherheit getan wird. Die Antwort macht aber auch deutlich, wo Nachsteuerungen oder Verbesserungen zumindest wünschenswert sind. Auf einige Punkte möchte ich hier eingehen.
Kommen wir zum Schutz der Bevölkerung. Hier geht es einerseits um die Zeit der Haftstrafe, andererseits aber auch um die Zeit nach der Haftentlassung der Gefange
nen. Während der Haft kann es im Einzelfall zu Gefahren für die Bevölkerung kommen im Fall des Entweichens oder der Nichtrückkehr von Häftlingen, wobei wir hierbei einen sehr guten Stand aufweisen können. Bei Entweichungen gab es in den letzten fünf Jahren einen einzigen Fall. Im Fall von offenem Vollzug gab es neun Entweichungen, ansonsten nur Versuche. Das ist bei einer Belegung von fast 3 500 Gefangenen wirklich ein sehr guter Wert. Das kann man auch einmal so feststellen. Im Fall von Haftlockerungen ist die Zahl der Nichtrückkehrer aus dem Urlaub, Ausgang oder Freigang auch konstant extrem niedrig und unterhalb des Bundesdurchschnitts.
Bei dem Aspekt Schutz der Gefangenen vor anderen Gefangenen gibt es als wichtiges Thema die möglichst frühzeitige Erkennung und Bekämpfung von Gefangenensubkulturen, natürlich mit dem Schwerpunkt Betäubungsmittel, aber auch Gewalt unter Gefangenen. Wichtig ist dabei, dass sich einerseits die Bediensteten durch regelmäßige Schulungen und Fortbildungen die notwendigen Fachkenntnisse aneignen und auch sensibel genug sind, um aufmerksam zu werden. Aber Dreh- und Angelpunkt ist – das haben wir heute schon einige Male gehört – die Personalausstattung in den Justizvollzugsanstalten. Die Antwort der Staatsregierung auf die Frage Nr. 24 bringt es auf den Punkt: „Dieser grundsätzlich positive Trend kann nur bei einer adäquaten Personalausstattung gewährleistet werden. Aufmerksamkeit und Präsenz der Bediensteten dort, wo sich Gefangenengruppen aufhalten, ist die Basis jeder Subkultur- oder Gewaltprophylaxe.“
Natürlich ist die Personalausstattung entscheidend für Häufigkeit, Umfang und Qualität beispielsweise von Haftraumkontrollen. Auch hier macht die Antwort der Staatsregierung deutlich, dass es in einzelnen Justizvollzugsanstalten durchaus manchmal Schwierigkeiten gibt, insbesondere den 14-täglichen Rhythmus der Haftraumkontrollen wirklich durchzuhalten.
Gefangene müssen manchmal auch vor sich selbst geschützt werden. Zum Thema Drogenabhängigkeit und Suchtprävention haben wir heute schon einiges gehört. Darauf möchte ich nicht näher eingehen. Aber natürlich gibt es auch gerade unter dem Aspekt psychischer Erkrankungen die Gefahr von Suiziden oder Suizidversuchen, was durchaus ein Schwerpunkt ist, den die Staatsregierung nun auch schon länger erkannt hat. Es gibt inzwischen ein umfangreiches Konzept zur Prävention von Suiziden, was in den Justizvollzug auch schon umfangreich integriert wurde.
Aber auch für Bedienstete ist jeder Suizidversuch oder durchgeführte Suizid eine extrem belastende Situation. So ist es aus meiner Sicht sehr gut, dass es seit 2012 ein Krisennachsorgeteam gibt, welches professionelle Hilfe für die Justizvollzugsbediensteten im Nachgang solcher dienstlichen potenziell traumatischen Ereignisse leistet.
Zum Schutz der Bediensteten gibt es zwei wesentliche Aspekte. Der eine ist Schutz vor Angriffen der Gefangenen. Darauf möchte ich nicht näher eingehen, weil vieles dazu heute schon angesprochen wurde. Es sind die Fra
gen, wie häufig sie kontrolliert werden können, ob die Beamten geschult sind und wie viel Personal wir haben. Ich meine, dazu sind ausreichend Argumente ausgetauscht worden.
Aber es gibt auch einen Schutzaspekt vor problematischen Arbeitsbedingungen. Es ist uns als SPD besonders wichtig gewesen, uns im Rahmen der Großen Anfrage mit der Situation auseinanderzusetzen. Wichtig sind aus meiner Sicht dabei zwei Entwicklungen. Das eine ist die Entwicklung der Überstunden. Es gab einen deutlichen Anstieg an durchschnittlichen Überstunden pro Person und Jahr in den letzten Jahren. Das Zweite ist die Entwicklung der Krankentage. Ihre Zahl ist zwar nicht so enorm angestiegen, aber sie weist große Abweichungen zwischen einzelnen Justizvollzugsanstalten aus.
Im Grunde muss man feststellen: Auch das steht und fällt mit der richtigen Personalausstattung im Justizvollzug. Deshalb ist es richtig, dass wir uns nicht nur in dieser Debatte mündlich damit auseinandersetzen, sondern dass sich die Koalitionsfraktionen in dem Entschließungsantrag, um den es gleich noch gehen wird, insbesondere auch zum Personalaspekt eindeutig positionieren und formulieren wird, dass wir im Rahmen der Haushaltsgesetzgebung dort Nachbesserungen überprüfen müssen.
Näheres dazu wird mein Kollege Harald BaumannHasske gleich noch in der Debatte zum Entschließungsantrag ausführen.
Meine Damen und Herren! Gibt es aus den Reihen der Fraktionen weitere Wortmeldungen zur Aussprache? – Das ist nicht der Fall. Ich frage die Staatsregierung: Wird das Wort gewünscht? – Herr Staatsminister Gemkow, bitte, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! „Das Problem der Sicherheit erledigt sich nicht allein durch Inhaftierung, sondern es ist ein Aufruf zum Eingreifen, indem man die strukturellen und kulturellen Ursachen der Unsicherheit bekämpft, die das gesamte soziale Gefüge schädigen.“
Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, sind die Wort von Papst Franziskus anlässlich des Besuchs eines mexikanischen Gefängnisses im Februar dieses Jahres. Der Besuch wurde im Vorfeld mit großer Spannung erwartet; denn kurze Zeit vorher waren dort bei einer Gefängnisrevolte Dutzende Gefangene ums Leben gekommen.