Protokoll der Sitzung vom 27.05.2016

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Thema Vorfälligkeit für Sozialversicherungsbeiträge beschäftigt den sächsischen Unternehmer, insbesondere das Handwerk, heute noch genauso wie im Dezember 2012, als die CDU- und FDP-Fraktion ihren Antrag hierzu ins Plenum eingebracht haben. Seitdem hat sich politisch und wirtschaftlich viel entwickelt, aber nicht alles zum Besseren.

Das Ziel bei der Einführung der Vorfälligkeit für Sozialversicherungsbeiträge im Jahr 2006 war die Schaffung der Liquidität für unsere Sozialsysteme, verbunden mit dem Versprechen, die Beitragssätze zu stabilisieren. Ich denke, den meisten Bürgern in unserem Land ist längst klar, dass ohne eine strukturelle Änderung auf der Einnahmenseite

die Rentenbeiträge über kurz oder lang steigen werden. Die Krankenkassen haben ihre Beiträge in diesem Jahr bereits weitgehend erhöht. So viel zum Versprechen der Beitragsstabilität.

Umso spannender oder vielmehr erschreckender ist folgende Beobachtung: Die Sozialversicherungsträger fordern zwar Liquidität von ihren Beitragszahlern ein, wohlgemerkt von Arbeitgebern und Arbeitnehmern – dies erfolgt unter dem gesetzlich verankerten Motto: Je früher, desto besser, diese Gelder verbleiben aber nicht im System für die vorgesehenen Leistungen, sondern fließen in Form von Strafzinsen an die Banken.

Meine Damen und Herren! Zu unserem Antrag „Wahl der Freiheit des Zahlungsmittels“ haben Sie behauptet, dass der kleine Mann von Negativzinsen überhaupt nicht betroffen sei. Das Gegenteil ist aber der Fall. Er zahlt über Beiträge und Steuern Negativzinsen. Es sind nicht allein die 2 Millionen Euro an Beitragsgeldern aus dem Ge

sundheitsfonds. Wie der Antwort der Staatsregierung auf die Kleine Anfrage des Kollegen Barth, Drucksache 6/4874, zu entnehmen ist, musste auch der Freistaat Sachsen für seine Bargeldbestände, die sich aus Steuereinnahmen ergeben, im letzten Jahr über 130 000 Euro Negativzinsen zahlen. Ja, Sie haben richtig gehört, 130 000 Euro Negativzinsen waren es, die man lieber für kaputte Schuldächer oder ein Mittagessen für sozial schwache Schüler hätte ausgeben können. Das ist ein handfester Skandal und für niemanden mehr begreifbar.

(Beifall bei der AfD – Sebastian Scheel, DIE LINKE: Eine Milchmädchenrechnung ist das!)

Meine Damen und Herren! Dieser Prozess geht munter weiter. Die dpa berichtete am 5. Mai dieses Jahres, dass die ersten Krankenkassen Alarm schlagen. Beispielsweise zahlt die Bayerische AOK jeden Monat 50 000 Euro an Bankgebühren in Form von Strafzinsen. Über das Jahr gerechnet sind das sage und schreibe 600 000 Euro. Der Chef der bundesweit größten Ortskrankenkasse schätzt, dass sich dieser Aufwand in diesem Jahr deutlich auf einen zweistelligen Millionenbetrag summieren wird. Wir dürfen bei dieser Summe davon ausgehen, dass die Beitragszahlungen beispielsweise an die Gesundheitskassen AOK Plus in Sachsen und Thüringen ebenfalls für Strafzinsen verwendet werden.

Hierbei sei Folgendes hinzuzufügen: Die 2 Millionen Euro Strafzinsen, die der Gesundheitsfonds im Jahr 2015 zahlen musste, gehen auf dessen Auszahlungstaktik zurück. Er sammelt die Beiträge, die von der Monatsmitte an eingehen, ein und schüttet diese vom 1. bis 15. Tag des Folgemonats an die Kassen aus. Die Kassen versuchen das Geld auf viele Banken zu verteilen und zahlen trotzdem noch einmal Strafzinsen, wie gerade angemerkt, im zweistelligen Millionenbereich.

Bei dieser Faktenlage wollen und werden wir auch gegenüber keinem Unternehmen ernsthaft den Sinn und Zweck der Vorfälligkeit für die Sozialversicherungsbeiträge rechtfertigen. Diese sinnlose Regelung muss deshalb abgeschafft werden.

(Beifall bei der AfD)

Meine Damen und Herren! Im Übrigen können sich der Bundesrat und die Bundesregierung aufgrund der neuen Tatsachen dieses Mal nicht so einfach aus der Verantwortung stehlen. Im Jahr 2012 hat es vielleicht schon ausgereicht, wenn die damalige Bundessozialministerin Frau von der Leyen pauschal behauptet hat, dass sich eine Rückkehr zu den alten Regelungen der Beitragsfälligkeit mit dem Argument einer unterstellten geringeren Bürokratie nicht begründen lässt. Zum Argument des Bürokratiemehraufwandes – es ist im Übrigen schlüssig belegt und keine Erfindung der Unternehmer – ist nunmehr das landes- und bundesweit mit Zahlen belegte Argument der Strafzinsen hinzugekommen. Dieses Argument bestätigt unerschütterlich die Sinnlosigkeit der Vorfälligkeit für Sozialabgaben. Es zeigt aber auch, dass die bestehenden

Regelungen für die finanzielle Ausgestaltung der Sozialversicherung kontraproduktiv sind.

Vorsichtshalber sage ich vorab Folgendes, da wir die Diskussionskultur in diesem Haus kennen: Ich möchte davor warnen, den Antrag als Schaufensterantrag zu qualifizieren und dabei gegebenenfalls das Argument der Bundesratsmehrheitsverhältnisse zu nennen. Stimmen Sie sich mit Ihren Fraktionen in den Ländern zu diesem wichtigen Thema einmal ab. Leisten Sie Überzeugungsarbeit, dann klappt es auch. Genügend Argumente stehen Ihnen zur Verfügung.

Meine Damen und Herren! Im Dezember-Plenum 2012 haben – mit Ausnahme der Fraktion DIE LINKE, die sich damals enthielt – sämtliche Fraktionen dem zielgerichteten Antrag der CDU- und FDP-Fraktion zugestimmt. Lassen Sie uns heute im Interesse vor allem der kleinen und mittelständischen sächsischen Unternehmen erneut den Versuch wagen, die Vorfälligkeit für die Sozialversicherungsbeiträge aufzuheben. Geben wir der Staatsregierung diesen Handlungsauftrag mit auf den Weg in den Bundesrat. Die Vorzeichen stehen zu diesem Zeitpunkt besser als jemals zuvor. Das entsprechende Gesetz müsste noch in den Schubladen der Staatsregierung liegen. Falls dies nicht der Fall ist, finden Sie den Antrag noch als Bundestagsdrucksache 195/14.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Für die CDUFraktion spricht Herr Abg. Pohle.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Beger, war das alles?

(Mario Beger, AfD: Natürlich!)

War das eigentlich schon alles? Ich hatte ein bisschen mehr erwartet. Lassen Sie mich zu Beginn meiner Ausführungen einen kurzen Blick in die Vergangenheit werfen. Bevor ich anfange, möchte ich Folgendes sagen: Herr Beger, Sie haben mit Ihrem Beitrag Bundespolitik gemacht. Allerdings werden Birnen, Tomaten und Steine vermischt. Wie soll aus den Mitteln des Fonds der Sozialversicherung ein Schuldach finanziert werden? Diese Forderung ist abenteuerlich.

(Uwe Wurlitzer, AfD: Das war ein Beispiel!)

Wie soll das funktionieren? Wie soll das gehen? Das ist haushalterisch nicht möglich.

Im Jahr 2005 beschloss der Deutsche Bundestag mit damaliger rot-grüner Mehrheit die sogenannte Vorfälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge.

(André Barth, AfD: Das wissen wir alles, Herr Pohle!)

Dies bedeutete, dass Arbeitgeber die Sozialbeiträge für ihre Beschäftigten, anders als zuvor, bis zum drittletzten Bankarbeitstag des laufenden Monats, also in der

Regel vor der Auszahlung des Lohnes, zu entrichten haben. Mit anderen Worten bedeutet das: Der Staat nahm stellvertretend für die Sozialkassen einen Zwangskredit bei den Unternehmerinnen und Unternehmern auf. Neben dem Liquiditätsentzug von rund 20 Milliarden Euro aufseiten der Unternehmen führte dies zu einer enorm bürokratischen Doppelbelastung der Unternehmen, da dies eine doppelte Lohnabrechnung erforderlich machte.

(André Barth, AfD: Genau!)

Das IW Köln errechnete, dass diese Maßnahme, die schon vorher mit 342 Euro pro Vollzeitbeschäftigtem zu Buche schlug, die Bürokratiekosten um weitere 10 % erhöhte. Nach den Erkenntnissen des IW Köln sind 50 % der kleinen und mittelständischen Unternehmen von dieser Doppelberechnung betroffen. Im Durchschnitt belaufen sich diese Bürokratiekosten pro Unternehmen auf 4 000 Euro.

Warum kam der Bundestag darauf, sich einen Kredit bei den deutschen Unternehmen zu genehmigen? Ohne Not war dies sicherlich nicht der Fall. Den Sozialkassen drohte die Zahlungsunfähigkeit. Geschuldet war dies einerseits der Massenarbeitslosigkeit und andererseits – als Unternehmer traue ich mir zu, das zu sagen – den zu hohen Ausgaben der Kassen selbst, aber auch der Politik, die sich der Rücklagen allzu gerne bei sogenannten versicherungsfremden Leistungen bediente. Die Unternehmer, denen sowieso nichts anderes übrig blieb, zahlten und leisteten somit einen existenziellen Beitrag, um den Kollaps unseres Sozialstaates zu verhindern. Die Medizin wirkte und die finanzielle Situation der Kassen verbesserte sich einhergehend mit der wirtschaftlichen Erholung bis zum Jahr 2013 stetig. Die Rücklagen der Kassen wuchsen bis zu diesem Zeitpunkt schneller als die Ausgaben. Der Gesundheitsfonds und die Nachhaltigkeitsrücklage der Rentenversicherung erreichten unerwartete Höhen, in etwa 45 Milliarden Euro.

Die Wirtschaft ihrerseits erinnerte sich an das Versprechen der Politik, sie wieder von der Last zu befreien, wenn die Ursachen behoben seien. Ich erinnere mich noch gut an den parlamentarischen Abend des Sächsischen Handwerkstags in diesen Räumen am 17. September 2013, als unser Ministerpräsident Stanislaw Tillich den versammelten Handwerksvertretern versprach, ihr berechtigtes Anliegen via Bundesrat in die Berliner Politik zu tragen.

(Sebastian Scheel, DIE LINKE: Das hat er auch gemacht!)

Danke, Herr Scheel.

(Sebastian Scheel, DIE LINKE: Das hat nur nichts gebracht!)

Ich bin begeistert, dass Sie an meiner Seite sind. Er hielt Wort. Es darf uns als Sachsen stolz machen, dass unser aller Ministerpräsident seiner Verantwortung gerecht wurde und dieses Anliegen mit Nachdruck verfolgt hat. Ein entsprechender Antrag der CDU-Fraktion lag dem

Sächsischen Landtag bereits seit September 2012 vor. Am 12. Dezember 2013 trafen sich in Dresden die Wirtschaftsminister der deutschen Länder unter Vorsitz des damaligen Bundeswirtschaftsministers Rösler, und Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern leiteten die von der Sächsischen Staatsregierung getragene Bundesinitiative gemeinsam ein.

Aufseiten der CDU nahm sich insbesondere die Wirtschafts- und Mittelstandsvereinigung MIT des Themas an und verfolgt es bis heute stringent. Zuletzt forderte sie auf der Bundesvorstandsklausur am 22. und 23. April dieses Jahres in Bamberg die Rücknahme der Vorfälligkeit bzw. in einem ersten Schritt die Vereinfachung des Verfahrens durch Wegfall der Doppelberechnung der Löhne. Unterstützt wissen wir uns in diesem Zusammenhang von der CSU, deren Mittelstandsunion im Jahr 2014 einen entsprechenden Antrag beim CSU-Parteitag einbrachte. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Tragen Sie mir meine ausführliche Verfassung bitte nicht nach, aber Sie sehen, die Angelegenheit ist bei uns in guten Händen.

Nun aber zum unangenehmeren Teil der Angelegenheit: Demokratie erfordert Mehrheiten – das wird auch eine offensichtlich noch unerfahrene Fraktion im Hohen Haus noch lernen müssen, wenn sie es denn will.

(Jörg Urban, AfD: Mit uns geht es schneller!)

Die angesprochene Mehrheit war uns im Bundesrat leider nicht beschieden, im Gegenteil. In der Endbefassung im Plenum des Bundesrates am 13. Juni 2014 standen wir auf Länderebene ziemlich einsam auf weiter Flur, und unser Antrag wurde mit erdrückender Mehrheit abgewiesen.

(Sebastian Scheel, DIE LINKE: Länderhoheit, Herr Kollege! – Jörg Urban, AfD: Genau!)

Dazu komme ich gleich. Wir haben es ja eingebracht, aber am Ende hat es nicht gereicht.

Das Ergebnis der Ursachensuche ist vielschichtig. Möglicherweise ist der Leidensdruck der Unternehmen in den westlichen Bundesländern geringer, da dort die Liquiditätsreserven und Organisationsstrukturen der Firmen bekanntlich wesentlich größer sind. Ähnlich mag es bei der Großindustrie bestellt sein. Auch sie – im Allgemeinen wirtschaftspolitisch liebevoller betreut als der Mittelstand – meldet sich in Sachen Vorfälligkeit auffällig selten zu Wort.

In der Zwischenzeit hat sich politisch einiges geändert. Die AfD hat bekanntlich in weiteren Landesparlamenten Einzug gehalten. Hat die AfD dort irgendwelche Initiativen ergriffen, um den heutigen Antrag zu flankieren? Ich habe trotz intensiver Suche nichts gefunden. Selbst in Ihrem derzeit recht intensiv diskutierten Parteiprogramm findet sich dazu kein Wort. Die dort enthaltenen allgemeinen Passagen zum Bürokratieabbau wirken eher

schwammig als von tiefer Sachkenntnis durchdrungen. Dies in einem Parteiprogramm zu unterlassen, lässt allerdings Ihre eigene Verantwortung beim Vorwurf des Populismus klarer erkennen. Sie kommen Ihrem An

spruch als AfD, als Alternative für Deutschland, hier nachprüfbar nicht nach!

(Jörg Urban, AfD: Wir werden keine zehn Jahre brauchen! – André Barth, AfD: Können Sie einmal zum Antrag sprechen, Herr Pohle?)

Wenn Sie einen Antrag stellen, den Sie offensichtlich selbst nicht verstehen, dann muss ich Ihnen ja auf die Sprünge helfen. Das dauert einige Minuten, und das tut sicher auch weh.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU – Jörg Urban, AfD: Zehn Jahre, und nichts erreicht!)

Warum sich die Abgeordneten des Deutschen Bundestages dem Anliegen des Mittelstandes mehrheitlich verschließen, kann ich nur erahnen. Der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag gab mir anlässlich unserer Fraktionsklausur am 14. April dieses Jahres zumindest keine mich befriedigende Antwort. Vielleicht finden wir einen Teil der Antwort bei unserem großen deutschen Philosophen Arthur Schopenhauer. Dieser sagte einst: „Das Geld gleicht Seewasser – je mehr man davon getrunken hat, desto durstiger wird man.“

(Jörg Urban, AfD: Warum gilt das nur nicht bei der CDU?)