Protokoll der Sitzung vom 27.05.2016

(Sebastian Scheel, DIE LINKE: Innerlich war mein Beifall brausend!)

Wenn wir von Familie reden, reden wir einerseits von Partnerschaft. Aber wir wissen auch, dass die Lebenssituation manchmal so ist, wie sie ist. Einige Paare trennen sich, gehen auseinander; das heißt, es gibt auch Menschen, die alleinerziehend sind. Ich finde, dass Alleinerziehende besonderen Unterstützungsbedarf haben. Diesen haben wir gesetzlich verankert. Wir lassen Alleinerziehenden besondere Unterstützung anheimfallen.

Ich will aber darauf hinweisen, dass wir die Regelungen zur Inanspruchnahme der Sozialleistungen so ausgestalten müssen, dass nicht der Eindruck entsteht, es sei besser, wenn man alleinerziehend ist. Zumindest meine Lebenserfahrung ist – ich weiß es aus meinem Bekannten- und Verwandtenkreis –, dass es manchmal durchaus sinnvoller ist zu sagen, man sei alleinerziehend, obwohl man eigentlich einen Partner hat, weil man dann ein

bisschen mehr Geld vom Staat bekommt. Diese Erkenntnis gehört zur Wahrheit dazu.

Wir müssen den Spagat hinbekommen: Einerseits sind diejenigen, die tatsächlich alleinerziehend sind, stark zu unterstützen. Andererseits müssen wir aufpassen, dass es nicht zu Missbrauch kommt, indem man sich als alleinerziehend ausgibt, obwohl man es eigentlich nicht ist. Aber wir sind uns sicherlich einig in der Einschätzung, dass dies nur eine Minderheit macht.

Auf einen weiteren Punkt der Statistik zu Sachsen möchte ich hinweisen. Bei uns leben überdurchschnittlich viele Einzelkinder. Jedes dritte Kind wächst ohne Bruder oder Schwester auf. Knapp die Hälfte wächst mit einem Geschwisterkind auf, das heißt, die Zwei-Kind-Familie ist bei uns der Regelfall. Es ist jedenfalls eine Herausforderung für eine Gesellschaft, damit umzugehen, dass es so viele Einzelkinder gibt. Es muss klar sein, dass wir wirklich eine Gemeinschaft bilden. Die Kinder müssen auch lernen, sich in die Gesellschaft einzuordnen. Das sind wichtige Folgerungen, die man aus diesen Statistiken ableiten kann.

Kommen wir zu den Herausforderungen. Wir haben in unserem Koalitionsvertrag – Frau Lauterbach ist darauf eingegangen – wichtige Grundsätze definiert. Ich will zitieren: „Ein wichtiger Grundsatz unserer Politik ist eine familien- und kinderfreundliche Gesellschaft.“ Dann geht es weiter: „Wir bekennen uns zum besonderen Schutz von Ehe und Familie. Wir wollen bessere Rahmenbedingungen für Familien in ihrer Vielfalt schaffen und Familien mit Kindern stärken und fördern.“

Das ist – auch darauf hat Frau Lauterbach richtigerweise hingewiesen – eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wer sich für Kinder entscheidet, der darf bei uns nicht der Depp sein.

Ich war diese Woche mit einem Freund mittagessen, der mit seiner Frau aus Düsseldorf in den Osten, hier nach Sachsen, zurückgezogen ist. Er hat mir berichtet, wie das mit der Arbeitssuche lief. Er hatte eine Arbeit gehabt, und seine Frau hat Arbeit gesucht. Er hat den Eindruck, dass es insoweit zwischen Ost und West recht unterschiedlich zugeht. Er hat von einem Bewerbungsgespräch berichtet, in dem man zu seiner Frau gesagt hat: „Fachlich sind Sie qualifiziert. Aber Sie sind jung. Sie sind verheiratet. Jetzt kommen die Kinder. Wir werden Sie nicht nehmen.“ Ich finde, wenn wir so etwas nach außen vermitteln, wenn Arbeitgeber das der Frau auch noch ins Gesicht sagen, dann läuft in unserer Gesellschaft etwas verkehrt. Dann kann ich jedenfalls nicht feststellen, dass man sich über Kinder freut.

(Beifall bei der CDU, der AfD sowie vereinzelt bei der SPD und den GRÜNEN – Georg-Ludwig von Breitenbuch, CDU: Na, Herr Scheel?)

Das sind sicherlich Einzelfälle. Wir haben nämlich auch viele Arbeitgeber, die sich für das Thema Familienfreundlichkeit interessieren und die bei unseren Aktionen zur

Verbesserung der Familienfreundlichkeit mitmachen. Ich verweise insbesondere auf die entsprechenden Initiativen des Wirtschafts- und des Sozialministeriums. Das sind die Leuchttürme.

Wir können insgesamt, wenn wir uns deutschlandweit vergleichen, nicht nur ein ganz klein wenig zufrieden damit sein, wie es bei uns in Sachen Familienfreundlichkeit aussieht. Seit 2009 liegt die Geburtenhauptstadt Deutschlands in Sachsen. Bisher war es Dresden; kürzlich hat Leipzig die Führung übernommen. Ich wünsche mir, dass es jedes Jahr ein gutes Lokalderby zwischen Leipzig und Dresden gibt, welche die Stadt mit den meisten Geburten ist. Wir freuen uns über jedes Kind. Wir wollen, dass es auch insoweit weiter vorwärtsgeht.

Wenn wir die Bundesländer miteinander vergleichen, dann können wir uns durchaus ein ganz klein wenig auf die Schulter klopfen. Sachsen ist das Land mit den meisten Geburten. Auf eine Frau – und damit auch auf einen Mann – kommen bei uns 1,57 Kinder. Das ist der höchste Wert aller Bundesländer. Wir müssen aber auch so ehrlich sein und darauf hinweisen, dass 2,1 Kinder je Mann und je Frau bestandserhaltend wären.

Was sind die Gründe dafür, dass wir eine besonders hohe Geburtenrate haben? Was sind die Gründe, wieso sich junge Familien besonders in Sachsen für Kinder entscheiden?

Der erste Grund ist, dass sie zufrieden sind mit ihrem Leben. Sie sind optimistisch und wissen, dass sie einen Job haben.

Der zweite Grund sind die Kindergartenplätze, die man bei uns wesentlich leichter bekommt als in Westdeutschland.

Vielleicht sind auch besondere familienpolitische Leistungen, die es nur im Freistaat Sachsen gibt, der Grund. Wir sind eines der wenigen Länder, das ein Landeserziehungsgeld zahlt. Wir sind eines der wenigen Länder, die die künstliche Befruchtung unterstützen. Wenn Eltern aus biologischen Gründen nicht in der Lage sind, ein Kind auf andere Weise zu bekommen, geben wir ihnen Geld und sagen ihnen: Wir wollen, dass ihr ein Kind bekommt!

Ich habe mit Müttern gesprochen. Man kann sich vorstellen, unter welchem psychischen Druck man steht, wenn man so viel Geld wie für einen Kleinwagen hinlegen muss. Ich glaube, mit unserer finanziellen Unterstützung helfen wir mit, dass sich Frauen und Männer für Kinder entscheiden können in Fällen, wo das biologisch etwas schwerer ist. Ich denke aber auch an den Familienpass, an unsere Beratungsstellen, an die Finanzierung von Urlaub für Familien, die sich das nicht leisten können. All diese Dinge sind deutschlandweit nicht die Regel.

Wenn wir darüber reden, was dazu führt, dass Frauen mehr Kinder bekommen, dann sage ich ganz deutlich: Es sind nicht mehr Gesetze. Frau Lauterbach hat richtig gesagt, dass wir nicht mehr Beratungsstellen und nicht mehr Förderrichtlinien brauchen. Ich sage aber auch, dass wir nicht mehr Gesetze brauchen. Wir hatten ein Kinder

schutzgesetz. Niemand hat mitbekommen, dass es weggefallen ist. Wenn das der Fall ist, dann spricht sehr viel dafür, dass das Gesetz überflüssig war. Wir wollten mit dem Gesetz Kindeswohlvernachlässigung erkennen, aber wir haben de facto nichts erkannt. Das gehört zur Ehrlichkeit dazu. Wenn man feststellt, dass etwas nichts bringt, sollte man die Finger davon lassen. Anfangs hatten wir einen kleinen Nebeneffekt: Jeder bekam eine Einladung zu den Vorsorgeuntersuchungen – aber das machen nun ohnehin die gesetzlichen Krankenkassen. Insofern meine Bitte, nicht mehr Gesetze für Kinder zu schaffen, sondern eine positive Grundstimmung für Kinder und mehr Einsatz für Familien, das bringt uns wirklich voran.

Weitere Herausforderungen sehe ich bei den Beratungsstellen. Das kommt in der Anfrage gut zum Ausdruck. Die Themen in den Familienberatungsstellen haben sich geändert. Das Thema Arbeitslosigkeit spielt eine geringere Rolle als früher, das ist logisch. Bei einem jungen Menschen, der auf den Ausbildungsmarkt geht, stellt sich nicht die Frage, welcher Arbeitgeber bereit ist, jemanden einzustellen, sondern es stellt sich die Frage, zu welchem Arbeitgeber der junge Mensch gehen möchte. Die Situation hat sich in vielen Bereichen vollständig gedreht.

Ein weiterer Punkt kommt zum Ausdruck, wenn die Beratungsstellen uns sagen, dass es den jungen Menschen immer schwerer fällt, sich an einen Partner zu binden und eine langfristige Beziehung einzugehen. Michael Nast hat ein Buch geschrieben, das dies plastisch zum Ausdruck bringt und ein Verkaufsschlager ist: „Generation Beziehungsunfähig“. Über dieses Thema müssen wir nachdenken.

Ein weiteres Thema, das uns die Staatsregierung zum Nachdenken mit auf den Weg gegeben hat, ist die Schaffung von Angeboten für ausländische Familien, die zu uns gekommen sind. Wenn wir ehrlich zu uns sind, müssen wir feststellen, dass Gewalt in Familien aus dem arabischen Raum weit häufiger vorkommt als bei deutschen Familien. Häusliche Gewalt kommt auch in deutschen Familien vor, keine Frage, aber in arabischen Familien ist Gewalt gegen Frauen oder Kinder ausgeprägter.

Wo sehe ich weitere Herausforderungen? Darauf können wir heute nicht tiefer eingehen, weil die Zeit fehlt. Ich wünsche mir, dass wir Mehr-Kind-Familien stärken, dass wir überlegen, was wir gerade für die tun können, die sich für mehrere Kinder entscheiden. Wer drei, vier oder mehr Kinder hat, erlebt besondere Belastungen, und ich finde, er sollte besonders unterstützt werden. Das haben wir beim Landeserziehungsgeld schon gemacht, indem diejenigen, die mehrere Kinder haben, mehr Geld erhalten. Das sollten wir auch an anderen Stellen prüfen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zum Ende meiner Ausführungen kommen. Sachsen ist das Bundesland, in dem sich die Familien offensichtlich am wohlsten fühlen, deswegen haben wir auch die höchste Geburtenrate. Doch wir dürfen nicht auch den Blick verlieren, wie wir das ganze System besser machen und die Familien noch stärker unterstützen können und das

nicht nur in Sonntagsreden. Wir sollten auch im Haushalt beachten, was wir ganz konkret für Familien tun können. Es gibt noch eine Menge zu tun, und ich lade Sie herzlich ein, mitzuwirken.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Alexander Krauß sprach für seine CDU-Fraktion.

Ich muss mich noch korrigieren. Sehr geehrte Frau Kollegin Lauterbach, natürlich sprachen Sie als Einbringerin einer Großen Anfrage, nicht eines Antrages. Das möchte ich gern richtigstellen.

Wir kommen jetzt zur nächsten Fraktion. Für die SPDFraktion spricht Frau Kollegin Pfeil.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schade, dass bei dem Thema Kinder und Familie so wenige Abgeordnete im Raum sind. Es ist offensichtlich eine Selbstverständlichkeit, aber gut.

Eine Gesellschaft ohne Kinder hat keine Zukunft. Diesen Satz können wir alle unterschreiben, glaube ich. Unsere politischen Anstrengungen müssen sich darauf konzentrieren, die Lebensbedingungen und die Entwicklungsmöglichkeiten für Kinder und Familien zu verbessern. Die Vielfalt der Familienmodelle ist groß, das Grundverständnis ist jetzt überall gleich. Familie ist dort, wo man füreinander Verantwortung und Fürsorge übernimmt. Neben der Kernfamilie sind zunehmend – mein Kollege Krauß hat es gerade erwähnt – alleinerziehende Mütter und Väter, nicht eheliche und gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften, Patchwork- und Pflegefamilien vertreten. Mit einer stärkeren Zunahme der Vielfalt der Modelle werden auch die Herausforderungen, die Familien stark zu machen, vielfältiger.

Auch ich möchte der Fraktion DIE LINKE danken, denn die vorliegende Große Anfrage und die Antworten zeigen uns nur wieder allzu deutlich, dass man in allen politischen Bereichen das Wohl der Kinder und der Familien in Sachsen im Blick haben muss. Wer die Zukunft gestalten will, muss diejenigen stärken, die unsere Zukunft prägen werden. Eines eint die meisten Familien: die Sorge um die Zukunft ihrer Kinder. Alle Kinder sollen sich unabhängig vom sozialen Status ihres Elternhauses zu eigenverantwortlichen Menschen entwickeln können. Alle Kinder müssen gleiche Entwicklungschancen haben. Schon hier sehen wir die Vielfalt der Herausforderungen von Bildungsgerechtigkeit über regionale Jugendarbeit bis hin zum flächendeckenden ÖPNV. Ob und wann eine Familie oder eine Frau ein Kind bekommen möchte, ist eine höchst individuelle Entscheidung. Klar ist, sie treffen diese Entscheidung, weil die Kinder ihr Leben bereichern. Trotzdem steht oft ein großes Aber. Kinderwunsch ja, aber kann ich das finanziell schaffen, kann ich das mit meinem Job vereinbaren, muss ich meinen Job aufgeben

oder verliere ich ihn gar? In welchem sozialen Umfeld wird mein Kind aufwachsen? Kann ich mein Kind allein großziehen, wenn der Vater oder die Mutter eben nicht mit mir zusammenleben?

Moderne Familienpolitik muss genau diese und noch viele andere Punkte bedenken. Familien mit Kindern müssen im Mittelpunkt unserer Politik stehen, beginnend mit einer guten flächendeckenden frühkindlichen Bildung bis hin zu einer wirklichen Bildungsgerechtigkeit in unserem Schulsystem. Damit stärken wir Kinder und können unabhängig vom Elternhaus jedes Kind im selben Maß fördern und ihnen allen gleichwertige und sichere Entwicklungschancen bieten. Denn Defizite in der frühkindlichen Entwicklung können später meist nur mit hohem Aufwand wieder behoben werden und führen häufig zu Benachteiligungen im späteren Leben.

Über 25 % der Kinder und Jugendlichen sind in Sachsen von Armut bedroht. Bei Alleinerziehenden liegt das Risiko bei mehr als 50 %. Wenn Kinder zum Armutsrisiko werden, müssen wir das nicht nur politisch bewerten, sondern auch bekämpfen. Wir wissen auch, dass Erziehung viel Kraft und Anstrengung kostet. Aus diesem Grund wollen wir die Angebote der Familienbildung absichern und Eltern stark machen, damit sie die alltäglichen Herausforderungen bewältigen können. Angebote der Familienbildung vermitteln Wissen über kindliche Entwicklungsphasen, damit Beziehung und Erziehung gelingen können. Aus diesem Grund haben wir uns für Eltern-Kind-Zentren starkgemacht. Sie dienen aktiv als Ergänzung zu unseren Familienbildungsmaßnahmen, auch in den Regionen, die schwache Beratungsstrukturen aufweisen.

Wie in der Anfrage und in den Antworten zu erkennen ist, müssen wir uns verstärkt mit der Situation der Alleinerziehenden auseinandersetzen. Keine andere Familie hat in den letzten Jahren stärker an Bedeutung gewonnen als die sogenannte Ein-Eltern-Familie. Mehr als 20 % der Familien mit Kindern unter 18 Jahren sind alleinerziehend. Diese Familien bedürfen natürlich unserer besonderen Unterstützung. Oftmals stoßen wir an unsere Grenzen bei der Frage, was wir in Sachsen bewirken können. Allein schon der Umstand, dass noch immer der Unterhaltsvorschuss nur bis zum 12. Lebensjahr des Kindes gezahlt wird, ist für mich nicht nachvollziehbar, wird doch ein Kind immer teurer, je älter es wird. Das können wir aber nicht hier entscheiden, sondern müssen es den Kollegen auf Bundesebene überlassen. Diese Familien bedürfen unserer besonderen Unterstützung, den Alltag zu organisieren sowie Beruf und Familie zu vereinbaren. Das sind große tägliche Herausforderungen. Mit Kindererziehung, Erwerbs- und Hausarbeit gelingt diesen Familien ein gewaltiger Balanceakt.

Lassen Sie uns weiterhin konstruktiv darüber reden. Die Anfrage hat uns gezeigt, dass wir alle Bereiche einschließen müssen. Auch in Ihrem Entschließungsantrag sprechen Sie einige wichtige Punkte an, wobei Sie bei dem

einen oder anderen Punkt auch recht haben. Wir müssen uns in der Debatte aber weiter damit auseinandersetzen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Die Sprecherin der SPD-Fraktion, Frau Kollegin Pfeil, hatte gerade das Wort. Jetzt schließt sich für die AfD-Fraktion... welcher Redner an?

(Karin Wilke, AfD: Wir verzichten!)

Kein Redebedarf? – Gut.

(Christian Piwarz, CDU: Zur Familienpolitik haben Sie nichts zu sagen? – Dr. Frauke Petry, AfD: Lassen Sie es doch, Herr Piwarz!)

Dann gehen wir weiter zur Fraktion GRÜNE. Für diese spricht ganz sicher Herr Kollege Zschocke.

(Christian Piwarz, CDU: Das

müssen Sie schon aushalten hier! –

Halten wir problemlos aus!