Nach Kollegen Dierks für die einbringende CDU-Fraktion folgt jetzt erneut Herr Kollege Baumann-Hasske für die SPD.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte dort fortsetzen, wo ich vorhin aufgehört habe. Jetzt hat mich Frau Wilke mit ihren Äußerungen etwas herausgefordert. Frau Wilke, Sie haben von Propaganda gesprochen, die sich gegen Polen richte, auch von Desinformation. Seien wir einmal ganz froh, dass wir eine freie Medienlandschaft haben,
in der jeder Journalist schreiben und sagen kann, was er will. Ich glaube, dass unsere Medien eigentlich hinreichend kritisch sind, um die ganze Wahrheit abzubilden.
Wenn sie meinen, es gebe bei uns staatliche Steuerung, würde ich sagen, liegen Sie falsch. Wenn es irgendwo neuerdings staatliche Steuerung von Medien gibt, dann in der Tat in Polen, wo nach einer Wahl plötzlich in allen Fernseh- und Zeitungsmedien die Chefredaktionen und die Intendanten ausgetauscht worden sind. Da haben wir schon ein Problem, und ich finde es ganz gut, dass darüber berichtet wird.
Ist die Demokratie in Polen gefährdet? Das glaube ich nicht. Ich glaube, dass die Polen in den 25 Jahren Demokraten geworden sind und dass die Demokratie in Polen ein großes Beharrungsvermögen hat. Das, was dort allerdings im Moment stattfindet – wie auch in einigen anderen Staaten rund um Polen herum – ist in der Tat Bedenken erregend.
Ich glaube, es ist an der Zeit, dass wir alle wachsam sind, dass wir die zivilisatorische Errungenschaft der europäischen Einigung im Auge behalten, versuchen, die Gefährdungen zu überwinden und die Europäische Union weiterentwickeln. Das ist in der Tat im Moment gefährdet.
Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich noch einmal zu den Fragen kommen, ob das Glas in den deutschpolnischen Beziehungen halb voll ist oder nicht. Ich denke, wir haben eigentlich keinen großen Anlass zur Sorge, weil die Polen inzwischen gefestigte Demokraten sind. Der persönliche Kontakt zeigt, dass die Polen uns empfehlen, uns keine Sorgen zu machen, und die Umfragen zeigen, dass die Polen mit ihrer aktuellen Regierung keineswegs mehr einverstanden sind, sondern dass sie die demokratiegefährdenden Umstände, die durch die PiSRegierung jetzt eingetreten sind, durchaus zu würdigen wissen. Es gibt Proteste in Polen, und das ist auch gut so. Es ist demokratische Auseinandersetzung, wie sich das gehört.
Aber wir müssen dafür sorgen, dass das, was in Polen und in anderen Staaten Osteuropas gerade geschieht, die Europäische Union nicht gefährdet. Lassen Sie mich jemanden zitieren, der durch seinen Kniefall in Warschau wie kein anderer zur Aussöhnung zwischen Deutschland und Polen beigetragen hat, nämlich Willy Brandt. „Nichts ist von Dauer, und man muss, um das Erkämpfte zu verteidigen, stets auf der Höhe der Zeit sein.“ Wir müssen uns darum kümmern, dass die Europäische Union nicht gefährdet, sondern als zivilisatorisches Projekt weitergeführt wird. Die Kräfte, die dem entgegenwirken wollen, müssen wir als Demokraten mit demokratischen Mitteln bekämpfen. Dazu sollen auch unsere transnationalen Einrichtungen weiterhin beitragen. Auch das wünsche ich mir vom Deutsch-Polnischen Jugendwerk.
Von dieser Stelle aus herzlichen Glückwunsch an das Deutsch-Polnische Jugendwerk und auf viele weitere erfolgreiche Jahre!
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe gerade überlegt, wie nachdenklich wir selber sein sollten, auch anlässlich eines solchen Feiertages. Es ist nicht so, dass die deutsche Seite – und hier wurde gerade an den Kniefall von Willy Brandt erinnert – nicht auch einen Lernprozess durchgemacht hätte, der vor 25 Jahren in diesem Vertrag geendet ist. 1950 wurde in Görlitz oder korrekterweise in Zgorzelec im Dom Kultury der damalige Vertrag zwischen Polen und der DDR unterschrieben. 1969 bzw. 1970 war das für die alte Bundesrepublik noch nicht selbstverständlich.
1990 hatten wir die Chance, nicht nur durch den Zweiplus-Vier-Vertrag, sondern auch durch die Unterzeichnung von Grenzverträgen, endlich einen Schlussstrich unter eine Debatte zu setzen, die beiden Seiten nicht gutgetan hat. Die eine, weil sie ständig in der Ungewissheit lebte, ob das große Deutschland neben ihm nicht doch etwas wiederhaben will, was ihm nicht mehr gehörte, was aber einmal durchaus dem deutschen Staatsgebiet zugehörig war, was aber infolge des Zweiten Weltkrieges, den die Deutschen begonnen haben – und auch da ist es richtig, heute noch einmal an den Überfall auf die Sowjetunion zu erinnern –, dann an Polen gegangen ist. Auch die Polen haben Gebiete an ihrer Ostseite an die Sowjetunion übertragen müssen.
Diese Angst schwang bei vielen polnischen Menschen mit, aber auch die Arroganz, die so manche deutsche Vertriebenenvertreter im Umgang mit Polen an den Tag gelegt hatten. Eine große Chance war dieser Vertrag.
Ich möchte die letzten drei Minuten für eine ganz persönliche Geschichte nutzen. Ich wurde 1974 in Görlitz geboren. 1980 – daran können sich vielleicht einige erinnern – gab es Solidarność, es herrschte Kriegsrecht, und die Grenzen wurden geschlossen. Mein Bruder, der 15 Jahre älter ist, konnte noch vor 1980 relativ frei über diese Grenze gehen. Ich habe diese Grenze so erlebt, dass ich einen Passierschein von meiner Schule brauchte, um an die Partnerschule zu gehen. Einmal im Jahr fand ein Friedenslauf statt. Da konnte man ohne Kontrolle über die Grenze hinüber als Freundschaftslauf.
Dann kam das Jahr 1990. – Herr Heidan, warten Sie doch mal ab! – Das Jahr 1990 hieß, die Außengrenze der Europäischen Union ging an der Oder-Neiße-Linie entlang.
Was wir da erlebt haben – vielleicht kann sich mancher daran erinnern –, heißt zum Beispiel Taxifahrer-Prozesse.
Es gab Flüchtlinge, die sozusagen bei dem Versuch, diese Grenze zu überschreiten, auch ums Leben gekommen sind.
Dann kam das Jahr, in dem Polen dem Schengener Abkommen beigetreten ist und die Grenzen geöffnet wurden. Für mich war das ein Riesentag. Ich werde auch alles dafür tun, dass das heute nicht wieder infrage gestellt wird, weil man glaubt, dass nationalstaatliche Grenzen irgendetwas mit Sicherheit zu tun haben.
Ich will Ihnen eine kleine Geschichte aus dem EuropaMarathon erzählen, der vor Kurzem stattfand. Da sollten junge Menschen, die nach Deutschland gekommen sind, um sich in Sicherheit zu bringen – unbegleitete Jugendliche –, auf Wunsch eines Trägers mitlaufen. Der EuropaMarathon geht über beide Grenzen. Die polnischen Sicherheitsorgane haben darauf hingewiesen, dass, wenn unbegleitete Jugendliche polnischen Boden betreten, diese Gefahr laufen, verhaftet und in ihre Heimatländer abgeschoben zu werden, weil sie in Polen keine Aufenthaltsgenehmigung hatten. Das ist eine Entwicklung, bei der ich an die Politik appelliere, dass wir darüber reden müssen, wie wir das nicht zur allgemeinen Praxis werden lassen und wie wir nicht zu der Praxis kommen, dass dichte Grenzen irgendetwas sichern könnten. Wir dürfen auch nicht glauben, dass wir, wenn wir noch mehr Videokameras an Grenzübergänge schrauben, ein Signal der Verständigung setzen.
Heute begehen wir hier in der Aktuellen Stunde die 25 Jahre Deutsch-Polnisches Jugendwerk. Wir sollten uns an den positiven Beispielen dieses Jugendwerkes ein Beispiel nehmen und immer hinterfragen, ob das, was wir tun, –
Wir kommen jetzt erst einmal zu einer Kurzintervention; sie erfolgt von Mikrofon 7 durch Herrn Wippel.
Vielen Dank, Herr Präsident. Sehr geehrter Herr Schultze, vielen Dank für Ihre Ausführungen. Es gibt viele Punkte, über die ich gern mit Ihnen
Ich möchte Sie aber in diesem Fall darauf hinweisen, dass an der Grenze auf deutscher Seite noch keine Videokameras angebracht sind. Das ist allerdings auf polnischer Seite der Fall. Zum Beispiel sind in der polnischen Stadt Zgorzelec reichlich Videokameras vorhanden. Man kann sich dort ziemlich frei bewegen. Es wäre überhaupt nicht von Nachteil, wenn wir das auch auf unserer Seite machen würden.
Das war eine Kurzintervention auf den vorangegangenen Redebeitrag. Darauf können Sie reagieren, Herr Kollege Schultze. – Sie machen das von Mikrofon 2 aus. Bitte.
Inwieweit sich bei mir der Wille verstärken sollte, mit Ihnen darüber zu diskutieren, mag die Zeit zeigen.
Ich möchte Sie zumindest darauf hinweisen, dass wir im sächsischen Parlament und vor sächsischen Politikerinnen und Politikern gesprochen haben. Einige davon, wie Sie eben, haben auch erhöhte Grenzsicherungsmaßnahmen unter anderem mit Videokameras gefordert. Ich halte das für den falschen Weg.
Ich habe die Kolleginnen und Kollegen hier im Haus um Folgendes gebeten: Wir als Deutsche müssen, bei dem, was wir tun, prüfen, wie das auf polnischer Seite verstanden wird. Ich werde selbstverständlich meinen polnischen Kolleginnen und Kollegen empfehlen, dass sie ebenfalls prüfen, wie es auf deutscher Seite verstanden werden könnte. Das gehört dann vielleicht in den deutschpolnischen Stadtrat oder auf gemeinsame Sitzungen und nicht in den Sächsischen Landtag. Hier waren Sie die Adressatinnen und Adressaten, nicht die polnischen Parlamentarierinnen und Parlamentarier.
(Beifall bei den LINKEN – Dr. Frauke Petry, AfD: Dann erklären Sie den Bürgerinnen und Bürgern, wer das bezahlt! – Sebastian Scheel, DIE LINKE: Das hat niemand verstanden! – Dr. Frauke Petry, AfD: Das Protokoll hat es verstanden, keine Sorge!)
Das war eine Kurzintervention und eine Reaktion darauf. Wir fahren in der Rednerrunde fort. Frau Kollegin Wilke, Sie haben erneut das Wort für die AfD-Fraktion.
Ich möchte noch einmal kurz auf die Propaganda und die Vorurteile eingehen. Herr Dierks, um noch einmal auf Sie einzugehen: Die Vorurteile, die bei den Deutschen und Polen vorhanden sind, habe ich in der angeführten Studie gefunden. Das ist das deutschpolnische Barometer, welches ganz frisch in diesem Jahr erschienen ist. Die Bevölkerung in Deutschland und Polen
wurde dazu befragt. Daher stammen die Zahlen. Vorurteile bei den Medien und Regierungsvertretern gibt es natürlich auch. Damit werden wir überzogen.