Protokoll der Sitzung vom 01.09.2016

Was mir bei der ganzen Debatte bisher ein bissschen unangenehm aufgefallen ist, ist der Beitrag der AfD, der sich hauptsächlich mit der Abgrenzung und Ausgrenzung beschäftigte. Wir müssen heute in erster Linie nicht darüber reden, was nicht möglich ist. Wir sollten versuchen zu sagen, was möglich ist.

Ich komme noch einmal zur Dachkampagne „Behindern verhindern“ des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales. Ich darf einmal aus der Medieninformation zitieren, da ich es besser nicht sagen könnte: „Die Kampagne ist frech – mit einem Augenzwinkern. Aussagen wie ‚Im Rollstuhl wissen, wie der Hase läuft!‘ oder ‚Ohne Hände den Stier bei den Hörnern packen!‘ sollen zum Nachdenken anregen. Sie ist Teil des Aktionsplanes der Sächsischen Staatsregierung zur Umsetzung der UNBehindertenrechtskonvention. Ziel ist es, die breite Öffentlichkeit für die Belange von Menschen mit Behinderungen zu sensibilisieren, um mittelfristig den Abbau von alltäglichen Hürden sowie Vorurteilen zu fördern.“ Ich kann den Organisatoren dieser Kampagne nur ganz herzlich danken und ihnen bescheinigen, dass die Kampagne originell ist.

Wenn das Wort „frech“ verwendet wird, dann ist nicht frech gemeint, sondern pfiffig. Es ist sehr pfiffig. Ich kann Plakate entwerfen. Davon stehen 100 Stück in einer Reihe, keines davon habe ich gesehen. Das aber sind Plakate, von denen nur eines hängen muss. Ich werde es sehen. Es ist eine tolle Kampagne. Damit kann man erreichen, das Bewusstsein in die Gesellschaft hineinzutragen.

Behinderungen sind auch Stärken. Ich sage einmal Folgendes ganz flapsig: Eine gewisse Behinderung hat doch letztendlich jeder. Ich gehöre zu denjenigen, die nicht besonders gut singen können. Wenn wir uns deutlich machen, dass nicht jeder alles kann, und lieber nachfragen, was andere können, dann sind wir auf einem guten Weg. Die Kampagne wird dazu in erheblichem Maße beitragen.

Ich finde die Ausführung originell und mutig. Ich kann mich gar nicht erinnern, wann wir etwas Vergleichbares bisher hatten. Ich hoffe sehr, dass diese Kampagne entsprechend Anklang findet, etwas bewirkt und uns bei passender Gelegenheit etwas ähnlich Originelles einfallen möge.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Einen ganz herzlichen Dank an Sie, Frau Klepsch. An alle, die mitgewirkt haben, sage ich Folgendes: großartig.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD – Beifall bei der Staatsregierung)

Die zweite Rednerrunde wurde von Herrn Kollegen Krasselt von der CDUFraktion eröffnet. Frau Kollegin Kliese von der einbringenden SPD-Fraktion setzt die Rednerreihe fort. Bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich kurzfassen. Ich war auf eine zweite Runde nicht vorbereitet. Mir ist es dennoch wichtig, auf einige Punkte einzugehen, besonders auf die, die seitens der AfD geäußert wurden.

Sie haben am Ende den zuständigen Minister des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Mathias Brodkorb, zitiert. Er ist, wie Sie wissen, ein Parteikollege von mir. Ja, Mathias Brodkorb und ich können uns trefflich über das Thema Inklusion streiten, nämlich auf einer Fachebene, die Sie in Ihrer Rede leider nicht erreicht haben.

(Zurufe von der AfD: Oh!)

Mathias Brodkorb hat es geschafft, in MecklenburgVorpommern gemeinsam mit einer Expertenkommission einen Inklusionsfrieden für Mecklenburg-Vorpommern zu schaffen. Darin sind Handlungsempfehlungen enthalten. Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat einen Plan, wie es bis zum Jahr 2023 in ein inklusives Schulsystem überleiten möchte. Das wurde gemeinsam mit Betroffenen, Experten und Wissenschaftlern erarbeitet. Natürlich gab es Skepsis, die er in seinen Zitaten auch zum Ausdruck bringt. Es wurden dafür Gelder eingestellt. Es gibt in Mecklenburg-Vorpommern bereits Schwerpunktschulen mit einer verbesserten Personalausstattung. Das streben wir ebenfalls an. Wir können nach MecklenburgVorpommern schauen. Insofern danke ich für die Inspiration, was man in puncto Inklusion besser machen kann.

Es überrascht mich wenig, dass Sie in Ihrer Rede nicht etwa das Positive der Kampagne aufnehmen. Sie weisen stattdessen immer wieder darauf hin, was alles nicht funktioniert. Es überrascht mich vor diesem Hintergrund nicht, dass es in Ihrer Partei geduldet ist, sich abfällig über Menschen mit Behinderungen zu äußern.

(Zurufe von der AfD: Bitte?)

Ich erinnere nur an das Zitat von Herrn Hartung, der sich damals über Pablo Pineda, einen Mann mit Trisomie 21, geäußert hat. Er sagte, dass er von solchen Menschen nicht unterrichtet werden wolle. Anstatt diese Äußerungen zu ächten, ist dieser Mann der stellvertretende Landesvorsitzende der AfD in Sachsen.

(André Barth, AfD: Er hat aber Konsequenzen gezogen, Frau Kliese!)

Das ist Ihr Umgang mit diesem Thema. So dulden Sie, dass Menschen mit Behinderungen diskriminiert werden.

(Uwe Wurlitzer, AfD, meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ich komme zum Schluss. Sie haben versucht, einen Gegensatz der Anhänger eines radikalen Inklusionsbegriffes aufzubauen. Das sehe ich überhaupt nicht. Wir möchten uns gemeinsam auf den Weg in eine inklusive Gesellschaft machen. Sie haben etwas sehr Gefährliches getan: Sie versuchen mit Ihrer Unterscheidung, mit wem Inklusion an Schulen möglich ist und mit wem nicht, sich als diejenigen aufzuspielen, die sagen dürfen, wer inkludiert werden darf und wer nicht. Diese Unterscheidung von Menschen – Inklusion ja oder nein – ist gefährlich. Es ist gefährlich zu sagen, dass dies mit dem einen möglich ist und mit dem anderen nicht. Niemand hat das Recht, so über Menschen zu richten und zu sagen, wer dabei sein darf und wer nicht. Inklusion bedeutet das Gegenteil davon: Alle dürfen dabei sein.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN, den GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU – Beifall bei der Staatsregierung)

Das war der Redebeitrag von Frau Kollegin Kliese. Nun gibt es eine Kurzintervention durch Herrn Kollegen Wurlitzer an Mikrofon 7.

Sehr geehrte Frau Kliese, ich habe es nicht nur einmal gesagt, vielleicht verstehen Sie es irgendwann. Herr Dr. Hartung hat vor zweieinhalb Jahren diese Äußerung getätigt. Er hat sich dafür entschuldigt. Er hat die Konsequenzen daraus gezogen, und er ist von allen Ämtern zurückgetreten, auch von der Landesliste. Wenn Sie es jedes Mal wieder auf das Tablett heben, dann hilft das nicht weiter. Ich wünsche mir, dass sich andere Politiker aus anderen Parteien, die ebenfalls Fehltritte machen, genauso verhalten wie Herr Dr. Hartung und die Konsequenzen ziehen.

(Zuruf der Abg. Sarah Buddeberg, DIE LINKE)

Wenn Sie etwas sagen möchten, dann kommen Sie bitte ans Mikrofon.

(Vereinzelt Beifall bei der AfD)

Das war eine Kurzintervention von Herrn Wurlitzer. Soll darauf reagiert werden? – Ich sehe keine Reaktionsabsicht. Wir gehen in unserer Rednerreihe weiter und kommen zur Fraktion DIE LINKE. Frau Falken, Sie werden nun das Wort ergreifen. Bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur inklusiven Gesellschaft gehören in großem Maße die sächsischen Schulen mit all ihren Facetten, die wir im Freistaat Sachsen haben.

Wir haben in der letzten Legislaturperiode – viele von Ihnen werden sich daran erinnern – mit sehr viel Mühe im Parlament durchgesetzt, dass wir nicht mehr darüber reden, ob wir inklusiv beschulen. Wir sind den nächsten

Schritt gegangen. Wir haben darüber geredet, wie wir inklusiv beschulen. Wir sind aber der Auffassung, dass es nicht ausreicht, nur darüber zu reden. Frau Ministerin, ich freue mich über die Kampagne. Wir müssen handeln und nicht nur darüber reden.

Wir müssen mit der inklusiven Beschulung im Freistaat Sachsen anfangen. Zurzeit stehen wir vor der Situation an unseren sächsischen Schulen im Freistaat Sachsen, dass die Integration von Behinderten sowie von Schülerinnen und Schülern mit besonderem Förderbedarf heruntergefahren wird. Die individuelle Betreuung ist zurzeit nicht mehr gewährleistet, um die Integration – noch gar nicht zu reden von der Inklusion – umsetzen zu können. Das bedeutet nicht, dass weniger Schülerinnen und Schüler mit besonderem Förderbedarf und Behinderungen an sächsischen Schulen sind. Nein, es sind nach wie vor genau so viele wie im letzten Jahr. Ich glaube sogar, dass die Anzahl gestiegen ist. Die Zahlen aus dem Kultusministerium liegen uns noch nicht vor. Die Bedingungen und Voraussetzungen an den sächsischen Schulen sind viel schlechter, um eine erfolgreiche Integration und Inklusion für Kinder und Jugendliche im Freistaat Sachsen in den Schulen zu gewährleisten.

Wir brauchen parallel zum Schulgesetz, das zurzeit im Gesetzentwurf – – Da haben wir noch viel Arbeit hier im Parlament. Darin stehen entweder Formulierungen, die zurzeit gar nicht lösbar sind, oder unklare Formulierungen zu diesem Thema Integration und Inklusion.

Wir brauchen aber nicht nur Formulierungen im Gesetz, sondern ein Konzept parallel aus dem Kultusministerium. Es ist schade, dass die Frau Ministerin nicht hier ist. Bevor wir in das Gesetz schreiben, welche Ziele wir in der Inklusion und Integration im Freistaat Sachsen haben, die gesetzlich verankert sind, müssen wir erst einmal wissen, wo wir hinwollen, wie wir dahin wollen und mit welchen Schritten. Allein die Aussage aus dem Kultusministerium – wir erhalten weiter die Förderschulen – ist für uns kein Konzept. Mit dieser Aussage kommen wir auch nicht zu einer inklusiven Schule. Leider ist das im Moment der Fall.

Das heißt, ich fordere die Staatsregierung und insbesondere Frau Staatsministerin Klepsch auf – und ich bitte Sie ganz herzlich, weil es auch in Ihrem Ressort liegt –, mit der Kultusministerin darüber zu sprechen, dass wir sehr zeitnah ein inhaltliches Konzept zur Umsetzung von Inklusion im Freistaat Sachsen erhalten. Wir behandeln das Schulgesetz zurzeit im Ausschuss.

Wir als LINKE haben immer gesagt, es ist kein Schnellschuss, wir brauchen Zeit. Wir müssen es behutsam angehen und es muss umsetzbar sein, was wir an konzeptionellen Bereichen vorlegen. Aber – und Sie wissen, dass ich das immer betone – wir brauchen an den Schulen dafür auch Ressourcen. Allein mit Inklusionsassistenten, ESF-gefördert, werden wir keine Integration und keine Inklusion an sächsischen Schulen hinbekommen.

Eine Kritik muss ich aussprechen: Wir hatten 2012 ein Expertengremium im Freistaat Sachsen, das Empfehlun

gen für die Umsetzung von Integration und Inklusion ausgesprochen hat. Diese Empfehlungen sind bis heute – ich habe gesagt 2012, wir haben jetzt 2016 – nicht einmal im Ansatz umgesetzt. Was wir unbedingt brauchen, ist, dass wir im Schulgesetz erst einmal den Auftrag zu einer inklusiven Schule erteilen, dass sich die Schule im Freistaat Sachsen inklusiv entwickelt. Auch das ist bis heute nicht als Auftrag im Schulgesetz formuliert. Wie gesagt, wir haben noch sehr viele Aufgaben vor uns.

Zu diesem Thema gab es eine Anhörung mit einem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Dafür noch einmal ganz herzlichen Dank. Sie war sehr interessant und sehr spannend und ging sehr ins Detail. Ich habe nicht die Zeit, das jetzt darzustellen. Aber eines ist mir bezogen auf die Kampagne – –

Ich bitte Sie, Frau Ministerin, das wirklich zu beherzigen. Wir haben den Schulversuch IRINA. Dieser Schulversuch läuft zurzeit. Er läuft demnächst aus, aber die Lehrerinnen und Lehrer im Freistaat Sachsen haben von diesen gemachten Erfahrungen bis heute keinerlei Informationen und keinerlei Rückkopplung. Wir sehen die Zeit, die uns wegläuft. Das heißt, wir glauben, dass es notwendig ist, dass parallel zum Schulversuch auch die anderen Lehrerinnen und Lehrer mitgenommen werden müssen, –

Die Redezeit ist zu Ende.

– um wirklich im Rahmen der Kampagne die Personen, die das fortsetzen sollen, –

Die Redezeit ist zu Ende.

– mitzunehmen.

Ich danke Ihnen, Herr Präsident.

(Beifall bei den LINKEN)

Sie haben noch so viel Redezeit, dann auch in der nächsten Runde. Vielen Dank. Das war für die Fraktion DIE LINKE Frau Kollegin Falken. Jetzt spricht Herr Kollege Wendt erneut für die AfD-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ja, Herr Krasselt, Frau Kliese, Sie haben ein ganz klares Feindbild. Das muss auch gehegt und gepflegt werden. Das ist nun einmal die AfD. Aber glauben Sie mir, auch ich habe einen Bruder, der geistig behindert ist, und es liegt uns fern, diese Menschen auszugrenzen. Im Gegenteil. Wir wollen die Teilhabe gewährleisten, aber wir müssen auch sachlich über diese Themen diskutieren. Das haben Sie in Ihrem Redebeitrag vermissen lassen. Das möchte ich hier ganz kurz einmal festhalten.

(Beifall bei der AfD)

Lassen Sie mich am Ende auf den Aktionsplan und die Kampagne „Behindern verhindern“ eingehen, die nach meinem Kenntnisstand nicht ganz unumstritten ist. Der Absicht dieser Kampagne kann ich noch folgen, aber nicht nur in meinen Augen, sondern auch in den Augen der Betroffenen, vieler Bürger und insbesondere auch der LAG „Selbsthilfe Sachsen e. V.“ ist diese Kampagne nicht frech, Frau Staatsministerin, sondern sie wird in Teilen sogar als verletzend und diskriminierend wahrgenommen. Hier sei beispielsweise auf den Slogan „Mit Gendefekt ein toller Hecht“ verwiesen. Man hätte meines Erachtens nüchterner und etwas sensibler auf die Belange von Menschen mit Behinderung eingehen sollen.