Protokoll der Sitzung vom 29.09.2016

Wir müssen heute zur Kenntnis nehmen, dass es signifikante Zusammenhänge zwischen ungünstigen sozialökonomischen Bedingungen und schlechter Gesundheit bis ins hohe Alter gibt. Und es gibt sie, die sozialen Unterschiede im Gesundheitsverhalten – sowohl in der akuten Behandlungsphase als auch und noch viel mehr im Bereich der Vorsorge.

Um es auf den Punkt zu bringen: Wer arm ist und eine schlechte Bildung hat, wird oftmals schneller krank und stirbt früher. Untere Schichten in der Gesellschaft profitieren bedeutend weniger von der Entwicklung im Gesundheitswesen und von höherer Lebenserwartung. Es bringt nichts zu verschweigen, dass Armut krank macht. Der Euro lässt sich nur einmal ausgeben. Arme Menschen stehen regelmäßig vor der Frage: Reicht das Geld für das Medikament oder das Obst oder den Haushalt? Alles geht bei vielen eben nicht gleichermaßen.

Auf der anderen Seite trägt gesellschaftliche Teilhabe zur Gesunderhaltung und zur Lebensqualität aller Generationen bei.

Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, es mit den Gesundheitszielen wirklich ernst meinen, dann sollten Sie die Einkommenssituation, den Berufsstatus und die Schulbildung, die Arbeitsbedingungen, Wohnumgebung, Zuzahlung, Gesundheitsverhalten, Migrationshintergrund, Chancengleichheit der Geschlechter, Unterschiede in der gesundheitlichen Lage von Frauen und Männern gleichermaßen erfassen und bewerten. Es ist nämlich zu hinterfragen, ob und inwieweit für welche sozialen Schichten besondere Handlungsbedarfe bestehen. Chancengleichheit ist in einer modernen Gesellschaft der Anspruch auf eine gerechte Verteilung der Zugangs- und Lebenschancen.

Gesundheitliche Chancengleichheit beginnt mit einem ausgebauten Gesundheits- und Versorgungssystem und schließt eine gesundheitsfördernde Gestaltung der Le

bens- und Arbeitsbedingungen genauso ein wie eine Verminderung von Gesundheitsrisiken – und das unabhängig vom sozialen Status, von der nationalen Zugehörigkeit, der Generation, dem Alter sowie dem Geschlecht.

Lange Wartezeiten auf Arzttermine, lange Anfahrtszeiten zu medizinischen Einrichtungen, ausgedünnte medizinische Versorgungsstrukturen vor allem im ländlichen Raum, Zunahme der Anzahl der Bezieher von Altersgrundsicherung, deutlich mehr arbeitende Rentnerinnen und Rentner, immer mehr Kinder in Sachsen, die von Grundsicherungsleistungen leben müssen – das alles sind denkbar ungünstige Voraussetzungen, um eine wirkliche gesundheitliche Chancengleichheit herzustellen.

Gerade bei der Umsetzung des Gesundheitszieles „Gesund aufwachsen“ ist es wichtig, besonders diejenigen Kinder im Vorschulalter im Auge zu behalten, die in denkbar ungünstigen familiären Verhältnissen aufwachsen. 36 000 Kinder in Sachsen leben von Hartz IV. Genau diese Familien sind auch von Arbeitslosigkeit betroffen – ein Faktor, der auf der einen Seite den Zugang zur Chancengleichheit erschwert und auf der anderen Seite selbst ein Krankheitsauslöser sein kann.

Meine Damen und Herren, Sachsen ist mit einem Seniorenanteil von 26,01 % eines der Länder mit der ältesten Bevölkerung in Deutschland. Gesundheit der Menschen wird bei steigender Lebenserwartung weiter an Bedeutung gewinnen und die meisten von ihnen können das Alter selbstbestimmt und aktiv genießen. Dennoch, es sind in der heutigen Zeit besonders ältere Menschen, die von der fortschreitenden Entsolidarisierung und Privatisierung der sozialen Sicherungssysteme betroffen sind. Aktives Altern und Selbstbestimmung sind leider keine Selbstverständlichkeit.

Meine Damen und Herren Abgeordneten, Gesundheitsziele werden nur dann wirklich Erfolg haben, wenn die Ursachen angegangen werden und eine wirkliche gesundheitliche Chancengleichheit gegeben ist. Das gilt gleichermaßen für die Umsetzung des Präventionsgesetzes. Wir wünschen uns dazu viel Erfolg und werden den Prozess kritisch begleiten.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN)

Für die AfDFraktion Herr Abg. Wendt.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ihr Antrag, werte Regierungskoalition, folgt im Großen und Ganzen dem Deming-Kreis, der nach seinem Erfinder Edwards Deming benannt worden ist, also der Ermittlung von Bedarfen, der Ableitung von Zielen und deren Umsetzung sowie der daraus anschließenden Kontrolle und resultierenden Verbesserung. Aus gesundheitswissenschaftlicher Sicht ist dieses Vorgehen aus Gründen der Effizienz durchaus anwendbar. Deshalb sind die von Ihnen in den ersten beiden Punkten geforderten Maßnahmen, die den

aktuellen Stand und die Entwicklung der initiierten Gesundheitsziele sowie die bisherige Umsetzung des Präventionsgesetzes abfragen sollen, folgerichtig.

Festzustellen ist, dass Präventionsmaßnahmen sinnvoll sind, um Krankheiten oder gesundheitlichen Schädigungen entgegenzuwirken bzw. das Risiko einer Erkrankung zu verringern oder in einigen Fällen sogar hinauszuzögern.

Aber nicht alle Präventionsmaßnahmen haben einen nachgewiesenen ökonomischen und/oder gesundheitlichen Nutzen. Deshalb bedarf es aus Verantwortung dem Steuerzahler bzw. dem Beitragszahler gegenüber der Überprüfung, um welche Maßnahmen es sich hierbei genau handelt. Werden hierbei ineffiziente Programme lokalisiert, müssen diese unbedingt nachjustiert oder komplett aus dem Programm genommen werden. Das ist wichtig, wenn wir hier von der Umsetzung der Gesundheitsziele sprechen.

Was die Teile III und IV des Antrags angeht, so sind wir etwas skeptischer. Die Weiterentwicklung und Umsetzung von Gesundheitszielen setzt Ressourcen voraus, Ressourcen, die zum Teil gar nicht vorhanden sind. Wenn ich beispielsweise an den Pflegebereich denke, dann fällt mir ein, dass uns in diesem Bereich die personellen Ressourcen fehlen, um die Gesundheitsziele vollumfänglich umsetzen zu können.

Das kann im Umkehrschluss zu einer zusätzlichen Belastung der arbeitenden Pflegekräfte führen, die ohnehin schon am Limit sind. Das wiederum kann Auswirkungen auf die zu Pflegenden haben. Dies muss beachtet werden, da diese Forderungen und Ziele sonst ins Leere laufen, überlasten, unnötig Steuer- bzw. Beitragsgelder kosten und zur Resignation führen.

Die Umsetzung des Präventionsgesetzes und der damit verbundenen Landesrahmenvereinbarung zum Präventionsgesetz – in § 20 f. SGB V zu finden – stellt alle Beteiligten und die Steuer- bzw. Beitragszahler vor nicht zu unterschätzende Herausforderungen, da die Ressourcen, die dadurch gebunden werden, endlich sind.

Hinzufügend sei erwähnt, dass in Teil IV Ihres Antrags nicht begründet wird, warum die Gesundheitsziele stärker in die bestehenden Gesundheits- und Pflegestrukturen einbezogen werden sollen. Sie gehen nicht einmal mit einer Silbe auf die benötigten Mittel ein.

Wir werden uns Ihren ersten beiden Punkten anschließen; die anderen beiden Punkte werden wir ablehnen. Aufgrund dessen bitten wir um getrennte Abstimmung: im ersten Block bitte die Teile I und II, im zweiten Block die Teile III und IV.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Für die Fraktion GRÜNE spricht Herr Abg. Zschocke.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das ist jetzt schon der zweite Antrag der Koalition zum Thema Gesundheitsförderung. Sie scheinen mit dem, was die Ministerin tut, nicht ganz zufrieden zu sein. Anders kann ich mir nicht erklären, weshalb Sie innerhalb kurzer Zeit quasi nur punktuell unterschiedliche Anträge in den parlamentarischen Betrieb einbringen.

Auch der heutige Antrag beginnt mit einem Berichtsteil zu den Gesundheitszielen: Die Gesundheitsförderung in Sachsen und die sächsischen Gesundheitsziele sollen auf ihre Wirkung hin überprüft werden. Erst am 16. Dezember 2015 hat Ministerin Klepsch hier über den Gesundheitszieleprozess im Allgemeinen und die einzelnen Gesundheitsziele im Besonderen berichtet. Anlass dafür war der Antrag der Koalitionsfraktionen „Prävention ist die beste Medizin“; Sie können sich erinnern. Offenbar sind Sie aber noch nicht so richtig zufrieden mit dem, was Ihnen Frau Klepsch am 16. Dezember mitgeteilt hat. Anders kann ich mir die neuerlichen, fast identischen Forderungen nicht richtig erklären. Vielleicht können Sie das erhellen.

Sinnvoll wäre aber auch, jetzt wirklich konkrete Punkte anzusprechen, die Sie sich anders vorstellen, anstatt wieder nur einen neuen Bericht zu den Gesundheitszielen zu fordern. Ich kann dazu aus grüner Sicht gern Anregungen geben und Aspekte nennen, die dringend der Veränderung bedürfen.

Bislang ist die Gesundheitsförderung auf das Verhalten des Einzelnen reduziert. Was aber kann ich denn zum Beispiel tun, wenn ich mit dem Fahrrad an der Ampel stehe und Staub und Abgase meine Lunge zuschnüren? Was kann eine Seniorin tun, die sich im Sommer nicht mehr in die Innenstadt traut, weil es zu heiß ist? Was kann eigentlich der Vater von vier Kindern tun, der sich den Großeinkauf nur beim Discounter leisten kann, aber nicht die teureren, doch weniger bis gar nicht belasteten Produkte im Bioladen? Muss er hinnehmen, dass seine Kinder möglicherweise mit Antibiotika belastetes Fleisch essen?

(Zuruf von der CDU: Bei Aldi und Lidl gibt es auch Bioprodukte! Bio für alle!)

Was kann der Schulträger tun, der die Mittagsverpflegung der Schülerinnen und Schüler gern ausgewogen, gesund und ökologisch gestalten möchte, wenn sich die Eltern den Anbieterwechsel nicht leisten können?

Damit möchte ich deutlich machen, dass Gesundheit eben nicht nur von individuellem Verhalten beeinflusst, sondern ganz entscheidend durch die Lebens- und Umweltbedingungen geprägt wird. Diesen Ansatz vermisse ich bei den sächsischen Gesundheitszielen noch ein Stück weit.

Interessiert, Frau Klepsch, bin ich wirklich an dem Bericht zur Umsetzung des Präventionsgesetzes. Dazu hatte ich im Mai dieses Jahres eine Kleine Anfrage gestellt – zu der Erarbeitung der Landesrahmenvereinbarung. Darauf

haben Sie mir nicht geantwortet, Frau Klepsch, weil Sie meinten, das berühre den Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung. Ich habe von Ihnen also keine Antwort erhalten. Vielleicht bekommen wir jetzt eine Antwort. Ich bin gespannt, ob Sie auch dem Parlament den Bericht verweigern – ich glaube nicht.

Im Hinblick auf Teil II des Antrags bin ich ein bisschen verwirrt. Damit verlangen Sie eine Evaluation über die bisher erreichten Ziele und weiterhin notwendigen Bedarfe. Dabei wird nicht ganz klar, worin sich das im Bezug auf die Gesundheitsziele eigentlich von Teil I unterscheidet.

Mit Teil III fordern Sie „ein Konzept für eine kontinuierliche Landesgesundheitsberichterstattung …, welches insbesondere auf die in den Gesundheitszielen abgebildeten Zielgruppen … eingehen kann und jeweils die angestrebten Ziele bewertet und weiterentwickelt“. Das ist wirklich sehr verengt. Die Gesundheitsberichterstattung sollte deutlich breiter aufgestellt sein als die sächsischen Gesundheitsziele.

Zu Teil IV, der Einbeziehung der Gesundheitsziele in die Gesundheits- und Pflegestrukturen: Das kann nicht schaden, das ist richtig – wenngleich ich beim Lesen nicht genau weiß, was Sie damit konkret meinen. Dass die Gesundheitsziele generell breiter aufgestellt werden müssen, habe ich eben schon dargelegt.

Kurzum: Der Antrag überzeugt noch nicht. Ich glaube auch nicht, dass er schadet. Deswegen werden wir uns enthalten.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN – Heiterkeit des Abg. Horst Wehner, DIE LINKE)

Für die CDUFraktion spricht Herr Abg. Rohwer.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Schon seit dem Jahr 2007 besitzt der Freistaat fest formulierte Gesundheitsziele; das wurde hier am Pult schon mehrfach gesagt. Diese Gesundheitsziele definieren besondere Schwerpunkte im Bereich der Prävention und Gesundheitsförderung.

Warum haben wir das heute auf die Tagesordnung gesetzt? Jubiläen sind manchmal ein Grund, sich noch einmal zu vergewissern und zu diskutieren: Was haben wir eigentlich geschafft? Zehn Jahre sind fast vorbei.

Gerade wurde gefragt, ob wir Kritik an unserer Sozialministerin ausdrücken wollen. Mitnichten. Ich denke, allein dieses Jubiläum und die Umsetzung des Präventionsgesetzes gebieten es, dass das Hohe Haus darüber diskutiert. Deswegen haben wir uns zusammen mit dem Koalitionspartner von der Sozialdemokratie dafür entschieden.

Die Gesundheitsziele in Sachsen gehen auf unsere ehemalige Sozialministerin und Kollegin Helma Orosz zurück und zeigen bis heute und besonders in der Beschäftigung

mit dem Präventionsgesetz und der darauf fußenden Landesrahmenvereinbarung ihre praktische Wirkung. Die Gesundheitsziele sind gesundes Aufwachsen, Risikoreduzierung von Diabetes, Gesundheitsförderung bei Arbeitslosen – übrigens eine sächsische Besonderheit; das haben die Gesundheitszieleprozesse in anderen Bundesländern nicht dabei –, die Senkung der Mortalität von Krebserkrankten und aktives Altern.

Aktives Altern: Auch das ist wichtig. Es gilt, nicht nur die Pflege in den Blick zu nehmen – damit meine ich jetzt ambulant und stationär –, sondern auch die rüstigen Senioren, die aktiven Alten, die gar nicht in der Pflegesituation sind. Auch sie sind mit diesem Gesundheitsziel gemeint, und ihnen sind Angebote gemacht worden.

Die Umsetzung dieser Ziele in Form von aktiver Prävention zur Gesundheitsförderungsarbeit erachte ich dabei als einen voraussetzungsreichen Prozess. Dieser Prozess muss natürlich stets kritisch reflektiert werden. Das ist nicht zuletzt auch die Aufgabe des Parlaments.

Wir können zuallererst feststellen, dass sich die Zusammenarbeit zwischen Pädagogen auf der einen Seite und den Akteuren im Gesundheitsbereich auf der anderen Seite merklich intensiviert und verbessert hat. Wir konnten in den vergangenen Jahren ein gute Fachberatung in der Kita und beim Thema Kinderschutz etablieren, was tatsächlich dem Ziel des gesunden Aufwachsens entspricht. Auch in der schulischen Gesundheitsförderung sind wir zählbare Schritte vorangekommen.

Im Bereich der Gesundheitsförderung für Arbeitslose wurden Modellprojekte bei der Arbeitsvermittlung gestartet, die nun Wirkung zeigen und beispielhaften Charakter angenommen haben.

Hier sei das AktivA-Projekt genannt, welches mit der TU Dresden entwickelt worden ist.