Protokoll der Sitzung vom 29.09.2016

Als Nächste hat Frau Kollegin Pfeil-Zabel für die SPD-Fraktion das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Lauterbach hat es schon erwähnt und auch mir fällt es schwer, die Bundesregierung zu etwas aufzufordern, was das Bundesfamilienministerium und vor allem Frau Schwesig schon längst vorantreibt; ich mache es deshalb auch eher kurz.

Bereits im Haushalt 2017 fordert das Ministerium eine Ausweitung des Unterhaltsvorschusses, denn – das ist für die SPD relativ klar –, wenn es Spielräume im Bundeshaushalt gibt, dann liegt unser Schwerpunkt vor allem darauf, Familien mit geringem Einkommen und auch Alleinerziehende zu unterstützen. So soll ein Gesetzentwurf vorgelegt werden, der die Altersgrenze auf 18 Jahre erhöht und die Höchstbezugsdauer von 72 Monaten aufhebt.

In Deutschland sind circa 90 % der alleinerziehenden Eltern Frauen und man geht davon aus, dass circa die Hälfte keinen oder keinen regelmäßigen Unterhalt für ihr Kind vom Vater erhalten. Der momentan geregelte Unterhaltsvorschuss wird allerdings nur bis zur Vollendung des 12. Lebensjahres gezahlt; die Jugendämter zahlen ihn für maximal 72 Monate. Studien zeigen außerdem, dass das Armutsrisiko bei Alleinerziehenden trotz Erwerbstätigkeit sehr hoch ist. Über die Folgen von Kinderarmut, wie Nachteile in der sozialen Teilhabe oder keine gleichberechtigten Bildungschancen, haben wir heute bereits ausführlich gesprochen.

Ich bin froh, dass wir bei dieser Frage das Bundesfamilienministerium und die Ministerin Schwesig an unserer Seite wissen. Ich möchte darauf verweisen: In der „Süddeutschen Zeitung“ vom heutigen Tag kann man ganz brandaktuell lesen, wie die Verhandlungen in diesem Bereich voranschreiten, auch ohne diesen Antrag der AfD. Ich bin mir sicher, Frau Schwesig kann auf Ihre moralische Unterstützung verzichten.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Auf Frau Kollegin Pfeil-Zabel folgt jetzt für die Fraktion GRÜNE Herr Zschocke.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Wendt, Ihre Fraktion versucht sich hier mit wenig Mühe auf eine Debatte zu setzen, die schon seit Jahren im Bundestag geführt wird. Wir haben erst im vergangenen Jahr erneut einen Antrag zur Unterstützung Alleinerziehender und zur besseren Teilhabe ihrer Kinder eingebracht, DIE LINKE hat Anträge eingebracht – Ihre Forderungen haben wirklich null Neuigkeitswert.

Hinzu kommt, dass es die Bundesfamilienministerin auf Bundesebene umsetzen will. Ob es wirklich so kommt, wird sich zeigen. Wir haben auf jeden Fall im Bundestag für den Haushalt 2017 eine Aufstockung für die Vorschusszahlung beantragt.

Sie täuschen also mit Ihrem Antrag nur Handeln vor; denn für Ihre Forderung ist der Sächsische Landtag gar nicht zuständig – das wissen Sie auch. Ihr Einsatz für Alleinerziehende hat klare Grenzen, möchte ich einmal so deutlich sagen: Sie belassen es beim Unterhaltsvorschuss. Andere wichtige Faktoren, die Alleinerziehenden helfen, Armut zu verhindern – wie Integration in den Arbeitsmarkt, Verbesserung der Kita-Betreuung –, spielen für Sie keine Rolle.

Will man Alleinerziehende wirklich unterstützen, dann reichen auch die abgeschriebenen Forderungen nicht aus. Wir haben erst in dieser Woche eine Große Anfrage eingereicht, um mehr über die aktuellen und realen Lebenslagen von alleinerziehenden Eltern und ihren Kindern hier in Sachsen zu erfahren. Uns ist es nämlich wichtig, die vielfältigen Lebenssituationen zu analysieren, weil wir den Eltern eben nicht die Familienform, in der sie, bitte schön, bevorzugt leben sollen, vorschreiben.

Wir wollen bedarfsgerechte landespolitische Lösungsansätze, zum Beispiel Unterstützungs- und Beratungsangebote oder Kita- und Hortplätze, als wichtige Voraussetzungen für Berufstätigkeit. Ich hatte gestern in einer Besuchergruppe eine junge Frau, eine 18-jährige Mutter ohne Abschluss, die die Abendschule nicht besuchen kann, weil sie keine Kinderbetreuung findet. Es geht auch um flexible Arbeitszeiten, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie – hier können vor allem öffentliche Arbeitgeber Vorbild sein. Aber mit all solchen lebenspraktischen Problemen von Alleinerziehenden wollen Sie sich gar nicht erst befassen; denn Sie haben schon gewissermaßen ein verlogenes Verhältnis zu Alleinerziehenden.

Im Entwurf Ihres Grundsatzprogramms las sich die Position der AfD noch so, wie es Frau Lauterbach vorhin zitiert hat. In der Tat hat sie das dann so nicht verabschiedet.

(Zuruf von der AfD)

Im verabschiedeten Grundsatzprogramm haben Sie es aufgeweicht, und das soll wahrscheinlich auch der Antrag zeigen. Sie bekunden jetzt quasi, dass Sie Alleinerziehende vor Armut schützen wollen. Aber Alleinerziehende, Patchworkfamilien, Unverheiratete, Geschiedene, Homosexuelle gehören nun einmal nicht zum bevorzugten Familienbild der AfD. Das machen Sie auch permanent deutlich. Sie sollen nach Ihrem Willen eben auch keinen Anspruch auf den gleichen staatlichen Schutz wie sogenannte traditionelle Familien haben. Sie wenden sich – Zitat – „entschieden gegen Versuche von Organisationen, Medien und Politik, Ein-Eltern-Familien als fortschrittlichen oder gar erstrebenswerten Lebensentwurf zu propagieren“. Das klingt fast so, als sei der Schritt zum Alleinerziehen eine Art aktuelle Mode; als sei es nicht notwendig, die Lebensrealität zur Kenntnis zu nehmen, auch die Lebensrealität der Kinder in solchen Familien in Medien und Schule offen zu besprechen.

Dazu möchte ich wirklich deutlich sagen: Sie haben ein rückständiges Gesellschaftsbild. Sie schreiben das Familienbild von Mann, Frau und Kindern als Norm vor und werten andere Lebensmodelle schlicht und ergreifend ab.

(Zuruf von der AfD: Das wissen Sie gar nicht!)

Dabei müssten Sie wissen, dass die Lebensrealität vieler Eltern heute eine völlig andere ist.

Ihr Antrag ist deshalb billig. Er ist in weiten Passagen abgeschrieben. Er geht am Thema und an den Problemen Alleinerziehender vorbei, weil er zentrale Probleme völlig beiseite lässt, und er versucht, Ihre grundsätzliche Haltung zu Alleinerziehenden zu kaschieren. Dabei werden wir Sie bestimmt nicht unterstützen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN sowie vereinzelt bei den LINKEN und der SPD)

Mit Herrn Zschocke, Fraktion GRÜNE, ist die erste Rederunde zu Ende. Ich sehe, dass die einbringende Fraktion eine weitere Runde eröffnen möchte.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Das macht es nicht besser! – Gegenruf des Abg. André Barth, AfD: Abwarten!)

Bitte, Herr Wendt.

Ich möchte mich für die Redebeiträge der anderen Fraktionen bedanken und ganz kurz auf den Plagiatsvorwurf eingehen. Wir haben nichts abgeschrieben,

(Lachen bei den LINKEN – Zuruf des Abg. Christian Piwarz, CDU)

weder, was die Formulierung noch den Inhalt angeht. Sie werden Derartiges nicht finden. Ich sage Ihnen nur eines: Wir richten uns doch nicht daran aus, was andere Parteien auf Bundes- oder Landesebene an Anträgen stellen.

(Christian Piwarz, CDU: Das haben Sie noch nie gemacht! Noch nie!)

Sie haben das gemacht. Sie schreiben ja regelmäßig von uns ab, liebe CDU.

(Lachen bei der CDU und vereinzelt bei den LINKEN – Heiterkeit bei der AfD)

Das dürfte ja bekannt sein. Aber wir richten uns doch nicht nach Anträgen anderer Fraktionen auf Bundes- oder Landesebene.

(Christian Piwarz, CDU: Auch nicht Mecklenburg-Vorpommern!)

Wir bringen die Anträge ein, die wir für richtig halten, und bearbeiten die Themen, die wir für richtig halten. Da es im Unterhaltsvorschussgesetz eben nur zwei oder drei Hebel gibt, die man in Bewegung setzen kann, kommt es natürlich zu Überschneidungen. Wenn Sie da von einen Plagiat sprechen, weiß ich nicht, ob Sie richtig argumentieren.

Der SPD muss ich gleich sagen: Passen Sie auf – nicht dass Ihnen DIE LINKE ein Plagiat vorwirft, weil Frau Schwesig das jetzt fordert. Also bitte aufpassen, damit Sie nicht ebenfalls in Misskredit geraten.

(Zuruf von der AfD: Schön!)

Aber um zum Thema zurückzukommen – das ist ernst genug –: Diese Forderungen wurden nicht von den LINKEN erfunden, nicht DIE LINKE hat das entdeckt. Diese Forderungen kursieren schon seit 2013 in der AfD. Betroffene Personen sind an uns herangetreten; auch in der AfD gibt es diesbezüglich Betroffene. Zuvörderst gibt es aber auch sehr viele Familienverbände, unter anderem den Verband der alleinerziehenden Väter

(Kerstin Köditz, DIE LINKE: Väter!)

und Mütter oder Mütter und Väter, der das schon seit Jahren fordert: Genau dieses Thema muss aufgegriffen werden. Die Fraktion DIE LINKE hat das 2014 thematisiert – ich bin erst durch einen Hinweis darauf gestoßen. Seitdem war Rauschen im Wald, es kam nichts mehr hinterher. Sie hätten diesbezüglich ja auf Landesebene aktiv werden können. Vielleicht sind Sie auch ein bisschen sauer, weil wir Ihnen hier jetzt etwas weggenommen haben.

(Vereinzelt Lachen bei den LINKEN)

Zudem stehen diese Forderungen – es ist schon angesprochen worden – für jedermann nachlesbar in unserem Bundesprogramm.

Ich muss Ihnen aber etwas vorwerfen, weil uns gerade auch DIE LINKEN Vorwürfe gemacht haben, die wir so nicht im Raum stehenlassen können. Ihre Fraktion hat 2014 gefordert, dass die Bundesregierung gefälligst – Entschuldigung: nicht gefälligst, sondern schnellstmöglich – ein Gesetz vorlegen solle. Wieso hat Ihre Fraktion das nicht selbst getan? Ihre Fraktion hätte doch ebenfalls die Möglichkeit gehabt, einen Gesetzentwurf vorzulegen.

Sie haben das nicht getan. Aufgrund dessen muss man doch sagen, dass Ihre Fraktion auf Bundesebene zum Teil sehr dilettantisch arbeitet.

(Heiterkeit und Beifall bei der AfD)

Herr Zschocke, natürlich gehen wir mit unserem Antrag auf die veränderten Lebens- und Partnerschaftsentwicklungen ein. Das zeigt dieser Antrag. Von daher weiß ich nicht, was Sie uns hier vorwerfen wollen. Deshalb muss ich diesen Vorwurf zurückgeben.

Ja, wir haben auch als Landtag die Möglichkeit, auf die Bundesebene einzuwirken: einmal über den Bundesrat und zum anderen über die Landesvertretungen beim Bund. Was wir tun, haben Sie längst ebenfalls getan; auch Sie haben schon Anträge eingebracht, die sich auf die Bundesebene beziehen. Daher taugt auch dieser Vorwurf nicht, um ihn gegen uns ins Feld zu führen.

Kommen wir noch einmal zum Thema zurück. In der zweiten Runde möchte ich speziell auf Sachsen eingehen und unsere Antragspunkte näher beleuchten. In Sachsen leben laut Bertelsmann-Studie etwa 100 000 Kinder in Armut, deutschlandweit sollen es sogar zwei Millionen sein. Die realen Zahlen, die, wie bereits erwähnt, nicht nur statistisch festzumachen sind, könnten durchaus höher sein. Besonders betroffen sind Kinder von Alleinerziehenden und Familien mit mehreren Kindern.

Die Studie besagt auch, dass in Sachsen weit mehr als die Hälfte aller Kinder unter 15 Jahren auf Sozialleistungen angewiesen sind, und dass dies, wie ich ebenfalls angeführt habe, negative Auswirkungen auf die Teilhabe und Entwicklung der betroffenen Kinder hat.

Bezogen auf die Alleinerziehenden in Sachsen sei festzustellen, dass mittlerweile 25,6 % der Familien Einelternfamilien sind. Etwa 40 % davon sind auf Leistungen nach SGB II angewiesen. Damit ist diese Zahl um das Fünffache höher als bei Paarhaushalten mit minderjährigen Kindern.

Sehr geehrte Frau Staatsministerin Kurth – sie ist jetzt gerade nicht da –, Sie haben gesagt, wir hätten in Sachsen kein Problem mit Benachteiligung. Ich weiß nicht, auf welchen Datensatz Sie sich beziehen. Ich habe hier andere Zahlen und kann Ihnen diese Zahlen auch entsprechend präsentieren.

(Zuruf von den LINKEN: Oi!)