Stellen Sie mir gern eine Zwischenfrage! – Es geht bei einem Brachflächenprogramm nicht nur darum, eine Brachfläche zu beseitigen, sondern darum, einen öffentlichen Raum zu schaffen. Es geht bei der Erhöhung der Jugendpauschale nicht nur darum, Geld in die Kommunen zu geben, sondern darum, am Ende ganz leibhaftig vor Ort zusätzliches Personal in den Jugendhilfeeinrichtungen zu haben.
Sie haben völlig recht, wenn Sie darauf hinweisen, dass es die öffentliche Infrastruktur der Daseinsvorsorge und das Bildungsumfeld sind, die wir brauchen, um jungen Menschen eine Perspektive zu geben und soziale Herkunftsnachteile nicht zu Zukunftsnachteilen werden zu lassen.
Insofern sind wir im Herzen ganz bei Ihnen und betrachten schon vieles, was in Ihrem Antrag gefordert wird, als umgesetzt oder als schon auf den Weg gebracht. Wir danken noch einmal für den Impuls, auch für die Gelegenheit, hier noch einmal deutlich zu machen, dass all diese Maßnahmen, die wir in den letzten zwei Jahren miteinander und mit dem Koalitionspartner ergriffen haben, auch wirklich etwas für das Leben von Kindern und Jugendlichen im Freistaat Sachsen bedeuten.
Daher lehnen wir den Antrag ab, weil wir ihn gern konkret umsetzen wollen. Am Ende meiner Ausführungen zitiere ich einmal einen Satz von Lenin – er könnte Ihnen vielleicht bekannt vorkommen –: „Die Wahrheit ist
konkret!“ – Ich kann in einem Antrag sagen: Ich möchte etwas schön haben, aber konkret wird es im Haushalt. Dort werden wir sie auch dieses Mal wieder bringen, und dann hoffen wir auf Ihre Unterstützung.
Meine Damen und Herren! Nun die AfD-Fraktion, Frau Abg. Kersten. Bitte sehr, Frau Kersten, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Kinderarmut in einem Land wie Deutschland, einem der reichsten Länder der Welt, einem Sozialstaat, mag auf den ersten Blick verwundern, macht aber deutlich – das hatten Sie, Frau Buddeberg, bereits festgestellt –, dass Armut relativ ist und dass die Qualifizierung von Armut auch im Auge des Betrachters liegt.
Galt früher als arm, wer auf der Straße betteln musste, so gelten heute in Deutschland Haushalte und damit auch deren Kinder als arm, die Grundsicherungsleistungen nach dem SGB beziehen.
Der Antrag verweist auf die Studie der BertelsmannStiftung, wir hatten es heute bereits gehört. Danach lebten im Jahr 2015 fast zwei Millionen unter 18-Jährige in einer Familie, die auf staatliche Grundsicherung angewiesen war. Aus der Großen Anfrage der LINKEN haben wir erfahren, dass in Sachsen über 80 000 Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren leistungsberechtigt sind.
Jeder Einzelne von ihnen ist einer zu viel. Gleichwohl ist eine gute Entwicklung in Sachsen zu konstatieren. Auch das hatten Sie schon gesagt. Die Zahl der Leistungsberechtigten unter 15 Jahren hat sich in den letzten Jahren verringert. Die armutsgefährdete Gruppe – auch das haben wir schon gehört – ist die der AlleinerziehendenHaushalte.
Für die Bewertung des vorliegenden Antrags erschien es mir zunächst sinnvoll, die erwähnte Studie der Bertelsmann-Stiftung etwas näher zu betrachten. Darin ist ausgeführt: Es gibt eine Vielzahl an Studien in Deutschland, die sich mit Kinderarmut befasst haben, dennoch gibt es Forschungslücken. Ein Teil der Untersuchungen bezieht sich nur auf Erhebungszeiträume, die weit zurückliegen. Es gibt wenige Längsschnittstudien, und die qualitativen Studien können nicht durch quantitative Erhebungen untermauert werden.
Die benannten Forschungslücken beziehen sich aber ausschließlich auf die bestehenden bzw. zu erwartenden Folgen von Kinderarmut. Gefordert werden Forschungen, die die Folgen von Kinderarmut möglichst ausdifferenziert beleuchten. Letztlich wird behauptet, dass Kinderarmut nur wirksam bekämpft werden kann, wenn wir wissen, welche Folgen Armut mit sich bringen kann.
Genau das ist aus unserer Sicht der falsche Ansatz und letztlich auch das Manko des vorliegenden Antrags; denn es sind mitnichten die Folgen – wie auch immer diese aussehen –, deren Bekämpfung als Armutsprävention betrachtet werden kann. Es darf doch letztlich keine Rolle spielen, wie sich Armut auswirkt. Allen Armutseffekten ist doch eines gemein: Sie haben negative Auswirkungen auf die Lebensentwicklung der Betroffenen und demzufolge auch der Kinder. Das sagt uns schon der gesunde Menschenverstand; denn wenn Kinderarmut irgendwelche positiven Folgen hätte, bräuchten wir dieser nicht entgegenzuwirken.
Wer sich letztlich auf die Folgen von Kinderarmut und deren Bekämpfung fokussiert, dem mag ich fast unterstellen wollen, die Armut als Geschäftsmodell zu betrachten.
Die Bekämpfung von Armutsfolgen – das zeigt uns der vorliegende Antrag – erfordert nämlich immer personelle Ressourcen, organisatorische Ressourcen und damit umfängliche finanzielle Ressourcen. Diese werden selbstverständlich aus Steuermitteln beglichen und dürften auf lange Zeit ausgelegt sein.
Wirkungsvoller und aus unserer Sicht der richtigere Ansatz ist die Einflussnahme auf die Ursachen von Kinderarmut. Diese sind hinlänglich bekannt und werden auch in der zitierten Bertelsmann-Studie benannt. Armut ist die Folge von Mangel an Einkommen in der Familie. Kinderarmut ist niemals losgelöst von der Familiensituation zu betrachten. Sie speist sich regelrecht aus deren Situation. Familiäre Einkommensarmut bedeutet gleichzeitig Kinderarmut. Es gibt keine reichen Kinder in armen Familien. Die Einkommenssituation in Familien mit Haushalten, in denen Kinder aufwachsen, spielt eine entscheidende, wenn nicht gar die entscheidende Rolle für ihre Chancen.
Damit kann geschlussfolgert werden, dass eine separate Unterstützung bzw. Förderung und spezielle Angebote für arme Kinder und Jugendliche als Abhilfe gegen Armut niemals funktionieren können. Nur wenn sich die Familiensituation insgesamt verbessert, kann auch die Situation der betroffenen Kinder nachhaltig positiv beeinflusst werden.
Wir brauchen eine aktivierende Familienpolitik. Es bedarf einer stärkeren Anerkennung der Leistungen von Eltern im Steuer-, Sozial- und Rentenrecht.
Das Bundesverfassungsgericht hat den Gesetzgeber bereits aufgefordert, in der Sozialversicherung für Abgabengerechtigkeit zu sorgen, das heißt, die finanziellen Nachteile von Familien mit Kindern gegenüber kinderlosen zu korrigieren. Bei der Rente sind Kinderzahl und Erziehungsleistung stärker als bisher zu berücksichtigen, und für einkommensarme Familien brauchen wir eine aktivierende Grundsicherung, die Arbeitsanreize setzt.
Darüber hinaus ist es dringend geboten, den Zugang zu Leistungen für Bildung und Teilhabe der berechtigten Kinder zu vereinfachen und zu entbürokratisieren. Für Geringqualifizierte – die es übrigens immer geben wird – braucht es mehr Arbeitsangebote. Wir brauchen also eine Familienpolitik, mit der Kinderarmut vermieden wird, und keine Politik, die die Folgen von Kinderarmut bekämpft.
In Bezug auf Sachsen und die Forderung des Antrags, die Bildungslandschaft am Lebensumfeld der Kinder zu orientieren, besteht unsere größte Herausforderung derzeit darin, die Bildungslandschaft und vor allem die Bildungsqualität überhaupt zu erhalten. Wenn das nicht gelingt, wird der Anspruch auf eine chancengerechte Bildung nicht zu halten sein.
Zum Schluss möchte ich noch kurz auf einzelne Forderungen des Antrags eingehen und dabei einige handwerkliche Unstimmigkeiten aufzeigen.
In Punkt 1 fordern Sie, dass bestehende Lücken bei den verfügbaren Daten zur Kinderarmut geschlossen werden sollen. Die Bertelsmann-Studie hat eindeutig benannt, dass es zwar umfangreiche Datensätze gibt, deren Untersuchung aber Forschungsqualität besitzt. Forschung ist aber nun keine originäre Aufgabe der Staatsregierung, sondern die von Hochschulen und Universitäten.
Auch soll nach Merkmalen, zum Beispiel dem Geschlecht, untersucht werden. Ja, welche Geschlechter meinen Sie denn? Die beiden von der Natur der Menschheit gegebenen Geschlechter oder sind auch die anderen sozialen Geschlechtskonstrukte gemeint, die es ja nach Ihrer Meinung geben soll?
Diese Differenzierung hätte natürlich großen Einfluss auf die zu erwartenden Kosten und stellt damit ein wesentliches Entscheidungskriterium dar.
In Punkt 3 wird eine umfangreiche Verstärkung von personellen Ressourcen in der Jugendarbeit gefordert. Das
klingt nach Schaffung eines Nanny-Staates, aber nicht nach Beseitigung von Armutsursachen. Dass die AfD einen solchen Ansatz nicht verfolgt, hatte ich bereits ausgeführt. Die kommunalen Angebote der Jugendarbeit werden von uns als umfangreich eingeschätzt. Die Städte und Gemeinden leisten hier hervorragende Arbeit.
Für eine Verbesserung der finanziellen Ausstattung der Kommunen für Projekte der Jugendarbeit hätte die Aufstockung der Jugendpauschale zumindest auf die des Standes von 2010 geführt. Dies hatte unsere Fraktion in den letzten Haushaltsverhandlungen gefordert. Aber auch Ihre Fraktion hat dieser Forderung nicht zugestimmt.
(Widerspruch bei den LINKEN – Sebastian Scheel, DIE LINKE: Aber hallo! Wir hatten einen eigenen Antrag! – Sarah Buddeberg, DIE LINKE: Das ist lächerlich! – Zuruf von der AfD: Getroffene Hunde bellen!)
In den Punkten 4 und 5 werden sowohl ein Ausbau von Einrichtungen der formellen und informellen Bildung als auch verstärkte Ressourcen für öffentliche Räume gefordert. Wenn das umgesetzt würde, entstünden allenfalls Angebote, die letzten Endes wirkungslos blieben, wenn sie von der Zielgruppe nicht angenommen würden. Wie genau das aber erreicht werden soll, ist im Antrag nicht ausgeführt.
In der Begründung zum Antrag liefern Sie schlussendlich das zusammenfassende Argument, warum wir diesem Antrag nicht zustimmen können.
Sie schreiben, dass den unterschiedlichen Ausprägungen von Armut nur durch ein Vorgehen Rechnung getragen werden könne, das am Lebensumfeld orientiert sei. Die politischen Ansätze der AfD orientieren sich nicht an den Ausprägungen von Armut, sondern an den Ursachen. Von daher ist Ihr Antrag gut gemeint. Der Weg ist allerdings der falsche.
Meine Damen und Herren! Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Herr Abg. Zschocke. Bitte sehr, Herr Zschocke, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um das Familienbild der AfD kennenzulernen, brauchten wir nicht erst Ihr Grundsatzprogramm zu lesen, denn das haben Sie hier wunderbar illustriert. Vielen Dank dafür, Frau Kersten!
Meine Damen und Herren! Dieser Antrag umfasst alles und nichts – das war mein erster Eindruck beim Lesen. Es