Protokoll der Sitzung vom 13.12.2016

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Titel unserer Debatte ist: „Behindert ist man nicht – behindert wird man!“. Ich denke, sehr geehrter Herr Wehner, Sie haben gerade sehr moderat begonnen. Wenn sich das in unserer Debatte so fortsetzt, würde mich das freuen; denn es war bei Themen der Behindertenproblematik bisher immer so. Bei allen unterschiedlichen Auffassungen, die wir aufgrund unserer Fraktionszugehörigkeit haben, war es doch eigentlich immer unser gemeinsames Ziel, Barrieren weiter abzubauen, Nachteile auszugleichen, die selbstbestimmte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen ständig zu erhöhen.

(Beifall bei der CDU)

Ich will an dieser Stelle durchaus auch einmal sagen, dass sowohl Deutschland insgesamt als auch Sachsen im Rahmen ihrer Gesamtaufgaben eine ganze Menge für die Menschen mit Behinderungen tun. Das heißt nicht, dass wir irgendwann fertig wären oder dass wir alle berechtigten Wünsche schon erfüllt hätten.

Engagement und Leistung sind scheinbar immer zu wenig. Auf Lücken aufmerksam zu machen, neue Ziele zu formulieren, ist und muss selbstverständlich unsere Aufgabe bleiben. Falsch wäre es freilich, das Erreichte kleinzureden. Und das haben Sie dankenswerterweise auch nicht getan. Das ist richtig.

(Horst Wehner, DIE LINKE: Das werde ich auch nicht tun!)

Das Bundesteilhabegesetz – bzw. was nun das neueste Ergebnis auf diesem Wege ist – regelt tatsächlich längst nicht alles. Das zu behaupten wäre falsch. Auch wenn die Länder – Sie sagten es – eine ganze Menge nachgebessert haben, es bleiben Wünsche und es bleiben Lücken.

Nun muss man fairerweise sagen: Es war nicht das Ziel des Bundesgesetzgebers, das Bundesteilhabegesetz so auszuarbeiten, dass alles geklärt wäre. Entscheidend war zunächst, unter Beachtung der UN-Behindertenrechtskonvention einen Paradigmenwechsel herbeizuführen. Ich denke, das wurde tatsächlich auch erreicht.

Sicher war eine relativ hohe Erwartung, vielleicht eine zu hohe Erwartung mit dem Gesetz verbunden. Wenn Erwartungen einmal bestehen und nicht erfüllt werden, dann gibt es auch Enttäuschungen.

Ich will an dieser Stelle aber auch einmal ein paar sehr positive Veränderungen dieses Gesetzes darstellen, weil es wichtig ist festzustellen, dass wir wieder einen guten Schritt vorangekommen sind. Ich denke, es muss auch heute in unserer Debatte eine Rolle spielen, dass wir einfach feststellen, was erreicht worden ist.

Die Selbstbestimmung der Menschen mit Behinderungen wird aus meiner Sicht nachhaltig verbessert. Dafür werden auch zusätzliche Mittel bereitgestellt. Allerdings – das will ich hier auch in aller Ehrlichkeit sagen – gab es von vornherein die Festlegung: keine zusätzliche Ausgabendynamik. Die zusätzlichen Mittel in Höhe von

5 Milliarden Euro sind aber wiederum kein Pappenstiel. Auch das sollte man sagen.

Die Eingliederungshilfe wird aus dem SGB XII – Sozialhilfe – herausgelöst und in den neuen Teil 2 des SGB IX – Rehabilitation und Teilhabe – eingebaut. Ich denke, das ist ein ganz wichtiger und richtiger Schritt im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention.

Es wird drei Reformstufen geben. Der Abschluss wird am 1. Januar 2020 sein.

Mit dem Gesetz werden Rechtsklarheit und die Schärfung des Bewusstseins für Menschen mit Behinderungen im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention geschaffen. Die Rechtsklarheit und die Schärfung des Bewusstseins sind wichtige Elemente.

Für sehr wichtig halte ich auch die präventiven Modellvorhaben für frühzeitige Unterstützungsangebote bei drohender Behinderung; denn genau für das, was im Titel steht, „behindern verhindern“, ist das ein guter Ansatz. Dass dies nicht zu 100 % erreicht werden wird, ist klar. Aber der Ansatz, sich das zum Ziel zu nehmen, ist völlig richtig.

Klare Rechtszuständigkeiten und Leistungsgewährung aus einer Hand sollen erreicht werden. Wenn das gelingt – Hut ab! Das wäre großartig.

Die Redezeit, Herr Kollege.

Danke. – Die Stärkung der Position der Leistungsberechtigten gegenüber den Leistungserbringern soll erreicht werden.

Ich denke, wir werden eine zweite Runde haben. Den Teil, den ich noch sagen will, werde ich dann anfügen.

Herzlichen Dank bis hierhin.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Kollege Krasselt sprach für die CDU-Fraktion. Jetzt ergreift für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Kliese das Wort. – Bitte. Sie haben das Wort, Frau Kollegin.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 23. September ging Prof. Thomas Kahlisch, der Direktor der Deutschen Zentralbücherei für Blinde zu Leipzig, selbst blind, vor dem Reichstag in der Spree baden. Gemeinsam mit circa 30 weiteren Blinden und Sehbehinderten protestierte er auf diese Art und Weise gegen das neue Bundesteilhabegesetz.

Das von der Großen Koalition als der größte sozialpolitische Wurf der Legislatur angesehene Gesetz löste in den letzten Monaten – das haben Sie sicherlich mitbekommen – einen Sturm von Protesten aus. Manche dieser Proteste waren sehr originell, wie zum Beispiel diese Aktion, bei der Blinde sprichwörtlich baden gingen. Manche waren unfair, wie die Störung einer Veranstaltung durch Aktivisten, die zur Diskussion geladen waren und, als die Staatssekretärin sprach, sich umdrehten und die Rednerin niederpfiffen. Das ist nicht meine Vorstellung von Dialog. Manche waren auch sehr konstruktiv, wie die zahllosen Stellungnahmen der Sozialverbände. Wer sich die Mühe gemacht hat, sie einmal zu lesen – sie haben letztlich wichtige Veränderungen bewirkt, leider nicht alle.

Das mediale Echo auf diese Proteste war erfreulich groß. Dennoch gelang es den wenigsten Medien – die heutige Debatte spiegelt wider, dass es auch uns nur schwer gelingt –, die knapp 400 Seiten des Gesetzentwurfes differenziert zu bewerten und konkret darzustellen.

Ich möchte versuchen, in den wenigen Minuten, die ich habe, Ihnen die tatsächlichen und befürchteten Gefahren des Bundesteilhabegesetzes zu skizzieren, hier konkret zu werden und der Debatte damit die Ausgewogenheit zu verleihen, die sie meines Erachtens auch verdient hat.

Welche Vorteile würde das neue BTHG haben? – Erstens. Es befreit Menschen mit Behinderung von einem komplizierten, vielschichtigen Antragssystem. Das heißt, wenn künftig ein Antrag genügt, um mehr Leistungen aus einer Hand zu beziehen, dann dürfte man tatsächlich von einem Systemwechsel sprechen.

Zweitens: die Vermögensfragen. Leistungsberechtigten wird es künftig möglich sein, mehr zu sparen. Die Freibe

träge werden angehoben und die Anrechnung des Partnervermögens entfällt endlich. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, um den lange gerungen und der lange zu Recht gefordert wurde. Damit entfällt das sogenannte Heiratsverbot. Wer sich mit dem Thema auskennt, der weiß, wovon ich spreche.

Drittens: die Stärkung der Vertretungen für Schwerbehinderte in Werkstätten durch das Gesetz.

Viertens: das neue Budget für Arbeit. Es soll die Teilhabe am Arbeitsleben stärken.

Fünftens: die Gewährung von Assistenzleistungen über den ersten Bildungsgrad hinaus. Darüber haben wir hier im Landtag in der vergangenen Legislatur häufiger gesprochen.

Bisher ist es so, dass jemand, der zum Beispiel sehbehindert ist und eine Assistenz benötigt, diese nur bis zu seinem Bachelor gewährt bekommt, nicht aber für einen Master oder eine Promotion. Das wird sich mit dem neuen Gesetz ändern. Das ist ein wichtiger Punkt, wie ich finde.

Was sind die Knackpunkte, die die Proteste auslösten? – Dabei gab es noch einmal Schwung im parlamentarischen Verfahren. Es wurde noch einiges geändert. Zum einen wurde geändert, dass der Zugang zur Eingliederungshilfe bis zum Jahr 2022 und damit also länger als geplant bleibt. Menschen, die Verschlechterungen befürchten, müssen das nicht mehr tun; sie haben den Schutz bis zum Jahr 2022.

Besonders bedenklich war die Frage – das hat Horst Wehner schon angesprochen –, ob der Grundsatz „ambulant vor stationär“ gehalten werden kann, wenn es das sogenannte Zwangspoolen geben wird.

In der Realität ist es momentan so, dass Menschen, nur weil es billiger ist, vom Kostenträger gezwungen werden können, in einem Heim zu leben. Das ist ein ganz krasser Widerspruch zur UN-Behindertenrechtskonvention, die besagt, dass jeder Mensch mit Behinderung das Recht hat, seine Wohnform frei zu wählen.

(Horst Wehner, DIE LINKE: Ja!)

Diesen Grundsatz der UN-Behindertenrechtskonvention werden wir auch mit dem neuen Teilhabegesetz meines Erachtens nicht erfüllen können; denn durch die Änderungen im parlamentarischen Verfahren wurde das Schicksal von Menschen mit Behinderungen zur Ermessensfrage gemacht. Es wird nun Sachbearbeitern überlassen, im Einzelfall zu entscheiden. Ich halte das für einen krassen Fehler. Ich glaube nicht, dass der Lebenslauf eines Menschen eine Ermessensfrage ist. Ich glaube, es gilt knallhart das Völkerrecht, und es sollte auch umgesetzt werden.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN, den GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU)

Das ist ein großes Problem in dem neuen Gesetz. Ich glaube, wir müssen darauf drängen, dass sich etwas ändert.

Jetzt habe ich leider auch keine Zeit mehr, möchte aber zum Schluss noch etwas sagen. Ich halte die Aktuelle Debatte nicht für das Mittel der Wahl, um das Thema hier tiefgründiger zu bearbeiten. Ich freue mich trotzdem, dass wir heute die Möglichkeit haben, unsere Meinung zum Teilhabegesetz zu sagen.

Ich wünsche mir, dass das Teilhabegesetz mit seinen Verbesserungen kommt. Das, was ich mir dazu vorstelle, habe ich auch gesagt.

Gabriele Lösekrug-Möller, die zuständige Staatssekretärin, hat einmal den schönen Satz gesagt: Es handelt sich um ein lernendes Gesetz. – Ich hoffe, dass es noch weiter lernen wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Frau Kliese sprach für die SPD-Fraktion. Herr Spangenberg spricht jetzt für die AfD-Fraktion.

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! „Behindert ist man nicht – behindert wird man! Abstriche an Menschenrechten im Bundesteilhabegesetz nicht zulassen!“ ist das Thema. Meine Damen und Herren von den LINKEN! Sie wollen sich hier zum Anwalt der Armen und Behinderten aufspielen. Das nehme ich Ihnen nicht ab. Sie haben nichts gesagt, als Milliarden von Bund und Ländern in den letzten Jahren für Leute ausgegeben worden sind, die diese Beträge teilweise unberechtigt kassierten.

(Valentin Lippmann, GRÜNE: Na klar!)

Das war alles Geld, das verloren gegangen ist. Das hätten wir in diesem Fall wirklich für die Behinderten besser einsetzen können.

Wir haben jetzt in Köln wieder Hunderttausende, die wir für die Sicherheit der Leute ausgeben müssen. Das ist Ihre Politik, die von hier kommt und von Ihnen unterstützt worden ist.

Ich habe am 7. Oktober 2015 über die behinderten Heimkinder in der DDR gesprochen. Da kam von Ihnen keinerlei Unterstützung, aber, wie gesagt, es ist ja auch keine Ideologie dabei gewesen.