Protokoll der Sitzung vom 13.12.2016

Meine Damen und Herren! Die Gesetzgebung ist ein Prozess, der ein hohes Maß von Sachkunde und Sorgfalt erfordert. Das gilt auch für die Gesetzgebung durch das Volk. Sorgfalt braucht Zeit! Deshalb sollten wir dringend bei den Verfahrensabläufen bleiben. Wir sollten den Volksgesetzgeber genauso ernst nehmen wie den parlamentarischen Gesetzgeber. Das sind wir den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land schuldig. Das tut der Entwurf der AfD-Fraktion nicht.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD, der CDU und des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Abg. Meier, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Dass die Hürden für Volksbegehren in Sachsen viel zu hoch sind, zeigt die Statistik. Das ist zumindest den Oppositionsparteien in diesem Landtag sehr bewusst. Obwohl: Eigentlich sind es

nicht die Oppositionsparteien, sondern es sind alle bis auf die CDU.

Wir haben – Herr Bartl hatte es ausgeführt – gemeinsam mit den LINKEN vor wenigen Monaten den Gesetzentwurf zur Stärkung der direkten Demokratie vorgelegt. Die CDU und die SPD haben unseren wirklich maßvollen und durchdachten Gesetzentwurf abgelehnt mit der Begründung, dass es in dieser Legislaturperiode mit ihnen keine Verfassungsänderung geben wird. Das kann man so machen, aber das Land wird es nicht weiterbringen.

Auch die AfD-Fraktion hat unseren Gesetzentwurf abgelehnt, weil sie meinte, sie hätte einen besseren Entwurf. Sie sagte damals und im Ausschuss, dass sie eine XXLVariante hätte. „XXL“ ist heutzutage im Trend. „XXL“ steht für Macht, es steht für Größe. Aber bei einer Verfassungsänderung sollte es doch nicht um Quantität gehen, sondern um Qualität. Daran mangelt es diesem Gesetzentwurf sehr.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie wollen alles und dabei sind Sie inkonsequent. Wenn man genau hinschaut, sind Ihre Vorschläge nicht wirklich verfassungsfest. Ich gebe Ihnen hierzu ein paar Beispiele.

In Ihrem ursprünglich eingereichten Gesetzentwurf sahen Sie eine Massenpetition vor, welche das Petitionsrecht lediglich auf Wahlberechtigte beschränkt. Jetzt haben Sie einen Änderungsantrag vorgelegt. Ich unterstelle Ihnen, dass das mit Zähneknirschen geschah, weil nämlich alle Sachverständigen dargelegt haben, dass Ihre Vorschläge mit unserer Verfassung nicht zu vereinbaren sind.

Allein dieses Beispiel zeigt sehr eindrücklich, welches Verständnis die AfD-Fraktion von Demokratie und Verfassungsrecht hat: Petitionsrecht nur für deutsche Staatsbürger über 18 Jahre. Bürgerbeteiligung ja, aber nur im Sinne der AfD-Ideologie. Dem erteilen wir hier eine klare Absage.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Unsere Verfassung sieht das Recht vor, dass Petitionen von jeder Person eingereicht werden können, auch wenn die Person minderjährig ist oder nur vorübergehend in Sachsen lebt. Das ist gut so, und das sollte auch so bleiben.

Unabhängig davon hat die qualifizierte Massenpetition mit unmittelbarer Demokratie – Herr Baumann-Hasske hat es gerade ausgeführt – wenig zu tun, weil es keine Gesetzgebung durch das Volk ist, sondern die kollektive Ausübung des grundgesetzlichen Petitionsrechts. Wenn Sie die Verfassung ändern wollen, dann bleiben Sie doch bitte in der Systematik des geltenden Staatsrechts.

Ich habe ein weiteres Problem, das heute schon angesprochen wurde. Es geht um das fakultative Referendum auf Initiative der Staatsregierung. Herr Schiller hat es sehr eindrücklich aufgezeigt, wie dieses klassische Plebiszit als weiteres Machtinstrument der Staatsregierung genutzt werden kann. Ist die Zustimmung des Volkes sicher, wird das Referendum vorgelegt. Es ist somit auch ein Rückhalt

durch das Volk. Ist das Thema eher unbequem oder wird Widerstand erwartet, gibt es kein Referendum. Auch dieses Beispiel illustriert sehr eindrücklich – par excellence – die Doppelzüngigkeit der AfD-Fraktion in diesem Landtag.

Schließlich haben wir uns genau angeschaut, welche Quoren Sie für den Volksantrag und das Volksbegehren vorschlagen, und haben das unseren Vorschlägen gegenübergestellt. Offensichtlich ist, dass die Quoren als Voraussetzung für die Volksentscheide mit 450 000 Unterschriften viel zu hoch sind. Deswegen haben wir gemeinsam mit den LINKEN vorgeschlagen, diese um zwei Drittel von 15 auf 5 % zu senken. Wenn ich mir aber Ihren Vorschlag anschaue, dann wollen Sie lediglich um 50 % senken. Da würde ich dann wiederum nicht von „XXL“ sprechen und auch nicht von einer konsequenten Erleichterung der direkten Demokratie. Genau deswegen lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Gibt es weiteren Redebedarf? – Bitte, Frau Dr. Muster, AfD-Fraktion.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst möchte ich mich für die sachliche Debatte bedanken.

An die CDU, Herrn Modschiedler: CDU bleibt CDU! Repräsentative Demokratie ist für Sie genug. Das habe ich verstanden, ist in Ordnung. Bringen Sie es auch Ihren Wählerinnen und Wählern bei.

An Herrn Bartl: Vielen Dank für die vielen Argumente. Ich kann nicht auf alle eingehen. Wir haben uns über die Massenpetition schon häufig unterhalten. Ich bin der Auffassung, Sie haben den falschen Ort gewählt. Es kann nicht bei der Gesetzgebung in Artikel 71 Sächsische Verfassung verankert sein und es kann auf keinen Fall Massenpetitionen mit bundes- und europarechtlichen Zuständigkeiten geben. Das ist ganz wichtig für uns.

Die LINKEN haben seit der Wiedervereinigung mehrfach Verfassungsänderungen eingebracht. Das haben Sie gesagt, das stimmt auch. Ich habe mir die Entwürfe angeschaut. Sie unterscheiden sich aber nur in Nuancen. Sie sind im Großen und Ganzen immer wieder beim Alten geblieben. Das ist schade.

Es wundert mich auch nicht, liebe GRÜNE und liebe LINKE, dass Sie uns jetzt dezidiert und regelmäßig große Abschnitte aus dem Gutachten von Herrn Prof. Schiller vorlesen. Das war Ihr Gutachter. Natürlich hat er in epischer Breite erklärt, was Sie sowieso schon vorerzählt hatten. Das ist in Ordnung. Ich darf aber darauf hinweisen, dass Herr Dr. Neumann all das sehr kritisch gesehen hat.

Liebe Verfassungsfreunde, ich möchte noch auf etwas hinweisen: Dies ist ein Gesetzentwurf. Er ist ungewöhnlich, aber er ist verfassungskonform. Er ist für die politischen Altparteien eine Herausforderung, und natürlich, liebe CDU, ist er für Sie nicht gewünscht. Das verstehe

ich auch. Aber deshalb brauchen Sie doch nicht zu versuchen, die Keule herauszuholen. Er ist verfassungsgemäß. Der Plenardienst hat ihn kontrolliert. Die kleinen Änderungen haben wir eingepflegt. Mit dem Rest müssen Sie leben. Er ist verfassungsmäßig.

Herr Modschiedler, wenn Sie sagen, in 25 Jahren habe sich das bewährt, muss ich Ihnen auch sagen: Die anderen Bundesländer haben sich darauf verständigt, zumindest nach fünf bis zehn Jahren noch einmal über die Verfassung nachzudenken und zu überlegen, ob sie nicht mehr Bürgerbeteiligung hineinbringen wollen. Die meisten haben es getan – Sachsen leider nicht.

So, liebe Freunde, ich möchte mich noch einmal dafür entschuldigen, dass ich Ihren Herrn Schiller bei den LINKEN und bei den GRÜNEN verortet habe. Das tut mir außerordentlich leid, auch deshalb, da die Sachverständigen ja ohne Benennung angeführt werden. Dafür entschuldige ich mich in aller Form. Ich möchte jetzt aber weiter fortfahren.

Wenn Sie unsere Diskussion ernst genommen hätten, dann hätten Sie fragen müssen, warum bei einer ausgearbeiteten XXL-Verfassungsänderung noch einiges fehlt. Liebe Verfassungsfreunde, warum haben Sie denn nicht gefragt, warum wir das Parlament nicht vor Beendigung der Wahlperiode auflösen wollen? Oder, liebe Verfassungsfreunde,

(Zuruf des Abg. Christian Piwarz, CDU)

wenn wir wirklich, wie wir es gesagt haben, sehr viel mehr Bürgerbeteiligung wollen, warum haben wir dann nicht einen Antrag vorgebracht, wonach das ganze System reduziert werden muss auf Volksbegehren und Volksentscheid, und der Volksantrag fällt weg?

Sehr geehrte Damen und Herren! Das jetzige Verfahren haben wir als das unsere anerkannt. Das habe ich bei keinem von Ihnen gehört. Schade eigentlich. Sie haben auch nicht so richtig aufgepasst, was ich alles vorerzählt habe. Schade! Es ist aber auch nicht verwunderlich.

Ich darf Ihnen sagen, was mir aufgefallen ist. Für das Verfahren, das wir als unseres anerkannt und das wir geändert haben, benötigt man mehr als ein Jahr, und zwar folgendermaßen: Sechs Monate darf sich der Landtag Zeit nehmen, über den Volksantrag abzustimmen. Sechs Monate hat die Bürgerinitiative dann Zeit, Unterschriften für das Volksbegehren zu sammeln. Drei bis sechs Monate ist Zeit zwischen Volksbegehren und Volksentscheid. Also es sind sehr viel mehr als zwölf Monate.

Glauben Sie wirklich, dass bei dieser Geschwindigkeit der Bürger in seiner Freizeit noch Lust hat, ein Gesetz zu machen? Ich glaube das nicht.

Ich lade Sie alle herzlich ein, unserem Gesetzentwurf und dem Änderungsantrag zuzustimmen. Es liegt Ihnen ein verfassungskonformer Gesetzentwurf vor. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen. Ich habe es Ihnen schon gesagt, es tut politisch weh, und ich weiß es auch. Es ist Sprengstoff, aber es ist die Wahrheit.

Sie müssen sich jetzt entscheiden, welches Zeichen Sie unseren Bürgern und Wählern vermitteln wollen. Wir werden diesen Antrag einbringen und laden Sie ein zuzustimmen, und wir beantragen eine Schlussabstimmung.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Gibt es weiteren Redebedarf vonseiten der Fraktionen? – Das ist nicht der Fall. Dann bitte ich jetzt die Staatsregierung; Herr Minister Gemkow, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Eines der zentralen Anliegen des vorgelegten Gesetzentwurfs zur Änderung der Sächsischen Verfassung ist der Vorschlag, die Quoren für einen Volksantrag und ein Volksbegehren abzusenken.

Der Vorschlag geht noch über den Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN hinaus, den der Landtag im Spätsommer beraten hatte. Deswegen möchte ich mich an dieser Stelle etwas kürzer fassen.

In unserem Land geht alle Staatsgewalt vom Volke aus. Es ist deshalb eine Selbstverständlichkeit, dass die Bürgerinnen und Bürger zur Mitwirkung aufgerufen sind. Unsere Demokratie ist auf diese Mitwirkung angewiesen. Ihr Funktionieren hängt auch vom politischen Engagement unserer Bürgerinnen und Bürger ab. Die Frage, wie wir dieses Engagement im politischen Prozess stärken können, müssen wir uns immer wieder stellen.

Wie aber schon in der Debatte im Spätsommer ausgeführt, kann die Antwort nicht darin liegen, punktuelle Änderungen in einem ausbalancierten, genau abgestimmten System vorzunehmen. Genau das sieht aber dieser Gesetzentwurf vor. Außerdem begegnen die vorgesehenen Regelungen erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken.

Die Kombination eines 0,5-Prozent-Quorums für den Volksantrag und eines 7-Prozent-Quorums für ein Volksbegehren mit einem quorenlosen Volksentscheid ist verfassungsrechtlich bedenklich. So könnten nämlich Gesetze zustande kommen, die nur von einer verhältnismäßig kleinen, am Ende zu kleinen Minderheit der Bevölkerung befürwortet werden. Von einer ausreichenden demokratischen Legitimierung dieser Volksgesetzgebung kann dann schlichtweg nicht mehr gesprochen werden.

Aber auch andere in dem Gesetzentwurf vorgesehene Verfassungsänderungen sind kritisch zu betrachten. Ein fakultatives Referendum über Parlamentsgesetze, sofern das Volk dies innerhalb eines Monats nach der Schlussabstimmung im Parlament im Wege einer Referendumsinitiative beantragt, würde den Gesetzgeber in eilbedürftigen Fällen hindern, Gesetzgebungsverfahren zeitnah abzu

schließen. Selbst die Bundesverfassung der Schweiz lässt ein sofortiges Inkrafttreten eiliger Gesetze zu.

Was obligatorische Referenden bei Verfassungsänderungen betrifft, so wurde in der Sachverständigenanhörung im Oktober 2016 zur Vorsicht gemahnt. Damit wird das durch Artikel 3 Abs. 2 Satz 1 der Sächsischen Verfassung vorgesehene und damit von der Ewigkeitsgarantie des Artikels 74 Abs. 1 Satz 2 der Sächsischen Verfassung umfasste Nebeneinander von Volksgesetzgebung und Gesetzgebung durch den Landtag aufgeweicht.

(Dr. Kirsten Muster, AfD, steht am Mikrofon.)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Minister?

Ja, ich gestatte.