Und nun, wenn es um Ihre Gesetzesänderung geht, ist eine Pflichtuntersuchung, die der Jugendliche oder das Kind zu dulden hat, legitim.
(Zuruf des Abg. Christian Piwarz, CDU – Dr. Frauke Petry, AfD: Lassen Sie ihn doch ausreden! – Christian Piwarz, CDU: Ich habe doch wohl das Recht auf Zwischenrufe!)
Nun verstößt eine Pflichtuntersuchung nicht mehr gegen die Menschenwürde. Bei der Bundeswehr war und ist übrigens die Einstellungs- bzw. Musterungsuntersuchung Voraussetzung, um den Dienst antreten zu können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir werden Ihren Gesetzentwurf und alle Änderungsanträge, die die Fraktionen eingebracht haben, ablehnen,
weil auch die Kommunen sehr viel Kritik geäußert haben, aber auch vorrangig, weil wir einen Rechtsbruch nicht durch ein Gesetz legitimieren wollen und weil wir nicht möchten, dass es noch einmal zu derartigen Notsituationen kommt.
(Beifall bei der AfD – Christian Piwarz, CDU: Da müssen Sie noch üben beim nächsten Mal! – Henning Homann, SPD, steht am Mikrofon.)
Die Rederunde wird jetzt abgeschlossen. Aber bevor wir dazu kommen, sehe ich jetzt eine Kurzintervention an Mikrofon 1. Bitte, Kollege Homann.
Vielen Dank, Herr Präsident! Ich würde gerne auf die Rede des AfD-Kollegen eingehen. Zunächst hat er am Anfang seiner Ausführungen von einer „massenhaften illegalen Einwanderung“ gesprochen.
Mit dieser Formulierung arbeitet die AfD ja sehr gerne. Dabei wird suggeriert, dass der überwiegende Teil der Menschen, die zu uns gekommen sind, illegal hier ist. Ich möchte darauf hinweisen, dass es so etwas wie eine bereinigte Schutzquote gibt. Die bereinigte Schutzquote erklärt, wie groß der Anteil der Menschen ist, die zu Recht einen Grund haben, hier, in welcher Form auch immer, einen Aufenthaltstitel zu bekommen.
Diese bereinigte Schutzquote liegt in Sachsen seit über einem Jahr konstant je nach Monat zwischen 60 und 70 %. Das heißt, dass der größte Teil der Menschen tatsächlich nachweislich einen Grund hat, sich legal in Sachsen, egal ob als anerkannter Asylbewerber oder als Flüchtling in verschiedenen Varianten, aufzuhalten. Ich möchte diesem Bild der massenhaften illegalen Einwanderer deutlich widersprechen. Der Großteil der Leute ist legal und auch anerkannt legal in Sachsen.
Das Zweite ist: Sie sagen, der große Teil der Menschen in Sachsen möchte nicht noch einmal in solch eine Notsituation kommen, wie wir sie 2015 gehabt hatten. Ja, das möchten wir auch nicht. Wir möchten aber auch nicht, dass diese Kinder in eine solche Notsituation kommen, hierher flüchten zu müssen. Die Frage ist ja: Was passiert denn, wenn sie trotzdem wiederkommt? Sie sagen, wir bereiten uns nicht darauf vor. Wir sagen, wir bereiten uns darauf vor. Was Ihre Alternative dazu ist, das wissen wir. Ich sage nur mal: Schießen auf Kinder an der deutschen Grenze – das ist Ihre Alternative dazu,
Dritter und letzter Punkt: In nicht einem einzigen Satz Ihrer Rede sind Sie auf die Situation von Kindern aus Kriegs- und Krisengebieten eingegangen.
Ich finde es schwierig. Eine solche Empathielosigkeit sagt sehr viel zu Ihrer persönlichen Einstellung aus.
Das war eine Kurzintervention von Kollegen Homann. Darauf können Sie reagieren, wenn Sie wollen, Herr Kollege Wendt. – Nein.
Dann machen wir weiter in der Rednerreihe. Jetzt spricht für die Fraktion GRÜNE Herr Kollege Zschocke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorgelegte Gesetzentwurf ist notwendig, denn bislang arbeiten die Jugendämter in Bezug auf unbegleitete minderjährige Ausländer auf Grundlage einer Vereinbarung des Freistaates Sachsen mit den örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe.
Nicht notwendig ist indes, dass gegen den Widerstand der Fachöffentlichkeit und des Landesjugendhilfeausschusses die Staatsregierung im Zuge dieses Gesetzes Regelungen durchdrückt, die sich zu einem Dammbruch beim Schutz von Kindern und Jugendlichen entwickeln können.
Ich habe es ja noch verstehen können, Herr Homann, dass das Sozialministerium im September 2015 auf die hohe Dynamik bei der Aufnahme unbegleiteter minderjähriger Ausländer mit einem befristeten Erlass zum Betriebserlaubnisverfahren reagiert hat. Ich habe es verstehen können, dass das Landesjugendamt kurzfristig in die Lage versetzt werden musste, vorübergehend auch Einrichtungen zu dulden, die gesetzliche Mindestanforderungen nicht erfüllen. In so einer außergewöhnlichen Situation wie im Jahr 2015 musste ja einiges geduldet werden, was eigentlich gute fachliche Standards unterläuft.
Doch diese vorübergehende Notsituation konnte inzwischen durch die Schaffung adäquater Angebote weitgehend behoben werden. Aktuell haben höchstens drei Einrichtungen nach meiner Kenntnis keine Betriebserlaubnis. Der Erlass hat seine Funktion quasi in der Not erfüllt. Es gibt überhaupt keine Notwendigkeit, im Gesetz die Möglichkeit jetzt dauerhaft zu eröffnen, dass künftig wieder Mindeststandards unterlaufen werden.
Viel wichtiger wäre es doch, meine Damen und Herren, vorausschauend dafür zu sorgen, dass die Jugendhilfeeinrichtungen in die Lage versetzt werden, den gestiegenen Anforderungen bei der Unterbringung und Betreuung künftig gerecht zu werden. Wer aber, statt vorausschauend zu handeln, im Notfall lieber die Mindestanforderungen beim Schutz von Kindern und Jugendlichen wieder aufweicht, der öffnet – und die Gefahr sehe ich – Tür und Tor für Qualitätsdumping in der Jugendhilfe. Wollen Sie denn ernsthaft zulassen, dass künftig Streit und Konflikte in den Einrichtungen auf der Tagesordnung stehen,
weil sie mit gesetzlicher Duldung auch künftig wieder überbelegt werden können? Wollen Sie zulassen, dass junge Menschen in ihren Krisensituationen allein bleiben und keinen Ausweg aus Frust und Perspektivlosigkeit finden, weil im Ausnahmefall zu wenig qualifiziertes Personal vorhanden ist? Wollen Sie abwarten, bis sich die ersten Mitarbeiter nachts in ihrem Dienstzimmer einschließen, weil sie die Situation in der überbelegten Einrichtung nicht mehr im Griff haben? Wollen Sie zuschauen, bis die erst mühsam geworbenen Mitarbeiter wieder hinschmeißen, weil die Einrichtung auch zukünftig dann wieder mit gesetzlicher Duldung personell unterbesetzt bleibt?
Ich habe den Eindruck, dass Sie sich der Konsequenzen Ihres Vorgehens nicht so richtig bewusst sind und sich diese auch nicht bewusst machen wollen. Anders lässt sich zum Beispiel nicht erklären, dass die Koalition den Gesetzentwurf ohne eine Anhörung durchpeitschen wollte, gemäß dem Motto „Nur nicht so genau hinsehen“.
Wir haben dann trotzdem auf eine Anhörung bestanden, und die Sachverständigen haben in der Anhörung deutlich gemacht, dass unbegleitete minderjährige ausländische Kinder und Jugendliche eine spezifische anspruchsvolle Unterstützung benötigen.
Ich kann da auch die Sozialministerin nicht verstehen. Auf meine Frage, wie unbegleitete minderjährige Ausländer in Sachsen untergebracht sind, verweisen Sie, Frau Klepsch, auf die Zuständigkeit der örtlichen Jugendämter. Es ist für mich unverständlich, dass Sie sich selbst für die Auswirkungen Ihres Erlasses vom September 2015 offensichtlich nicht interessieren. Sie müssen doch erst einmal auswerten, welche Folgen solch temporäre Standardunterschreitungen in der Praxis haben, bevor Sie so etwas ins Gesetz schreiben. Das ist doch Vogel-StraußPolitik, mal ehrlich.
Wir finden das falsch, zumal nach dem bundesweiten Verteilschlüssel – Herr Homann, Sie haben es angesprochen – Sachsen noch fast 600 unbegleitete minderjährige Ausländer aufnehmen muss. Ich sage es deutlich, Frau Klepsch: Schauen Sie da bitte noch einmal genau hin; Standards zu senken, das geht mit einem Federstrich, aber Standards wieder aufzubauen, das dauert Jahre.
Gibt es noch Redebedarf vonseiten der Fraktionen? – Das ist nicht der Fall. Dann bitte ich jetzt Frau Staatsministerin Klepsch.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich möchte mich auf das Gesetz, auf den Inhalt des Gesetzes konzentrieren. Die Worte, die schon von unse
Diese Kinder und Jugendlichen kommen aus unterschiedlichen Gründen zu uns hierher ins Land; Herr Homann ist darauf eingegangen. Nach dem, was ich in Einrichtungen, die ich in unserem Land besucht habe – und in denen hervorragende Arbeit von den örtlichen Trägern geleistet wird –, von Kindern und Jugendlichen, denen ich persönlich begegnen konnte, erlebt habe, Herr Zschocke, hat jede/jeder, den ich getroffen habe, den eigenen Rucksack bei sich gehabt. Wir sollten immer wieder genau dort hinschauen und nicht oberflächlich darüber weggehen. Genau das machen wir mit diesem Gesetz.
Seit dem 1. November 2015 – meine Vorredner sind bereits darauf eingegangen – sind unsere Landkreise und kreisfreien Städte in die bundesweite Verteilung der nach Deutschland eingereisten unbegleiteten minderjährigen Kinder und Jugendlichen einbezogen. Zuvor – auch darauf ist Herr Homann bereits eingegangen – ist die Verteilung anders erfolgt: Kinder und Jugendliche sind in dem Landkreis, in der kreisfreien Stadt aufgenommen worden, wo sie angekommen sind.
Die Zahl der von den Jugendämtern unterzubringenden und zu betreuenden ausländischen Minderjährigen hat sich vom November 2015 an mehr als verdreifacht. Damals waren es rund 800 und mit Datum heute verzeichnen wir 2 509 unbegleitete minderjährige Ausländer.
Ja, der Zustrom stellte und stellt den Freistaat, vor allem aber unsere Landkreise, kreisfreien Städte und die Träger der freien Jugendhilfe vor die Aufgabe, die Kinder und Jugendlichen mit vorhandenen Mitteln, mit verfügbaren Fachkräften, ehrenamtlichen Helfern und teilweise auch beruflichen Quereinsteigern kindeswohlgerecht unterzubringen und zu betreuen.
Da dies im Großen und Ganzen – ich denke, darin stimmen Sie mir zu – auch mit der Unterstützung eines großen Teils der Bevölkerung so gut bewältigt werden konnte, möchte ich an dieser Stelle allen, die daran mitgewirkt haben, ein ganz großes, herzliches Dankeschön aussprechen.
Nun zum vorliegenden Gesetzentwurf. Ja, er bestätigt die Grundentscheidung, die vom Freistaat Sachsen aufzunehmenden unbegleiteten ausländischen Minderjährigen auf alle Landkreise, kreisfreien Städte nun nach dem Verhältnis der Einwohnerzahl zu verteilen. Darüber hinaus soll die Verwaltungskostenpauschale die Landkreise und kreisfreien Städte von dem Sach- und Personalaufwand entlasten. Der Aufwand, der durch die Aufnahme entsteht, das sind Amtsvormundschaften, das ist im Allgemeinen der Sozialdienst und das ist auch im Bereich der wirtschaftlichen Jugendhilfe.
Die Pauschale mit 843,50 Euro pro Quartal soll beginnend ab diesem Monat, anknüpfend an die Zahl der von den Landkreisen und kreisfreien Städte im jeweils voran
gegangenen Quartal betreuten unbegleiteten ausländischen Kinder und Jugendlichen sowie den zwischenzeitlich volljährig gewordenen, für die noch Hilfe gewährt wird – auch auf diese wurde bereits eingegangen –, dann vierteljährlich gezahlt werden.