Protokoll der Sitzung vom 17.05.2017

Es folgt die SPDFraktion noch einmal. Herr Vieweg, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zuerst einmal auf die Vorrede von Herrn Sodann eingehen. Herr Sodann, ich hoffe, Sie kennen das neue Kompetenzzentrum für Kultur und Kreativwirtschaft in Sachsen, Sitz in Dresden und Leipzig, Hauptsitz in Chemnitz.

2,5 Millionen Euro Anschubfinanzierung gab es dafür. Das war eine Forderung, die aus der Branche selbst kam. Sehr geehrter Herr Sodann, ich gehe davon aus, dass Sie unserem Antrag, den die Koalition vor wenigen Monaten eingebracht hat, zugestimmt haben.

(Franz Sodann, DIE LINKE: Nachdem Sie unseren vorher abgelehnt haben! – Patrick Schreiber, CDU: Was?! Das würden wir nie tun!)

Ich möchte Sie bitten, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir handeln und dieses Kompetenzzentrum eingerichtet haben, welches sich selbst organisiert. Das ist eine Forderung der Branche, die wir gern gemeinsam umsetzen.

Ich komme zum zweiten Punkt. Dazu fehlte mir noch eine Aussage. Wir haben die Förderpolitik im Freistaat umgestellt. Wenn man heute als Solo-Selbstständiger oder als Gründer an das Ministerium herantritt, dann erhält man Innovationsgutscheine, einzelbetriebliche Förderung,

Gründungsberatung oder Gründungsförderung. Ich gehe davon aus, dass der Minister dazu gleich noch etwas sagen wird.

Zu den Handlungsfeldern, die es auf Bundesebene zu klären gilt, sage ich Ihnen Folgendes: Unser Handeln folgt einem Gleichbehandlungsgrundsatz: Selbstständige, Arbeiter und Angestellte müssen in der Sozialversicherung gleichbehandelt werden. Wenn ich an das Thema Gleichbehandlung denke, dann fallen mir auch Fälle aus dem Kreativbereich ein. Es geht um den Bereich der Journalistinnen und Journalisten, die durch Tarifverträge geschützt sind. Die Kollegen wie beispielsweise der Cutter, die im technischen Bereich tätig sind, sind es nicht. Es gibt hier eine Gerechtigkeitslücke, die wir schließen müssen. Sie gilt aber für Ost und West gleichermaßen.

Wenn es um das Thema Altersvorsorge geht, dann brauchen wir – das sage ich auch als ehemaliger Selbstständiger – einen erleichterten Zugang zu der sozialversicherungspflichtigen Krankenversicherung genauso wie zur Rentenversicherung. Wir müssen Brücken anbieten. Wir müssen auf Bundesebene, das werden wir auch tun, unsere sächsischen Interessen artikulieren.

Ich komme kurz auf das Thema Arbeitslosenversicherung zu sprechen. Im Moment ist es so, dass man als Selbstständiger nur in die Arbeitslosenversicherung hineinkommt, wenn man in der Biografie eine abhängige Beschäftigung nachweisen kann. Hierbei muss es zukünftig möglich sein, um Einkommensverluste und Altersarmut zu vermeiden, einen erleichterten Zugang zu ermöglichen.

Das alles sind Herausforderungen, die wir als Sachsen aus dem Sächsischen Landtag heraus formulieren müssen. Das sollten wir fachlich klären. Dafür sind die Ausschüsse da. Wir müssen es am Ende des Tages auf die Bundesebene spiegeln. Trotzdem ist mir an dieser Stelle Folgendes wichtig: Die Herausforderungen gelten für Ost und West gleichermaßen.

Bitte kommen Sie zum Ende.

Insoweit lautet mein Fazit in dieser zweiten Runde wie folgt: Nicht alle Themen, die Sie in den Sächsischen Landtag einbringen und die unserer Aufmerksamkeit bedürfen, eignen sich für Ihre Ost-WestSpaltung.

Meine Kollegin Raether-Lordieck wird in der nächsten Runde noch einmal auf die spezifischen Herausforderungen von Frauen und Selbstständigkeit eingehen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und des Staatsministers Martin Dulig)

Es folgt die AfDFraktion. Zunächst gibt es aber eine Kurzintervention.

Danke, Frau Präsidentin. Ich möchte zwei Dinge noch einmal klarstellen. Erstens hat dies nichts mit einer Ost-West-Debatte zu tun oder damit, dass wir unseren Anspruch als Regionalpartei wiedergefunden haben.

(Alexander Krauß, CDU: Das steht im Titel drin! – Zuruf des Abg. Rico Gebhardt, DIE LINKE)

Genau so ist es. Herr Krauß, wer lesen kann, ist klar im Vorteil.

Herr Vieweg, es geht darum, dass die Generation, die sich nach dem Jahr 1990 selbstständig gemacht hat, in dem Alter ist. Deswegen reden wir jetzt über diesen Zeitpunkt. Das möchte ich zum ersten Punkt sagen.

Zweitens wurde meine Frage nicht beantwortet, die ich vorhin gestellt hatte. Drei Länder haben etwas in den Bundesrat zum Thema Krankenversicherung eingebracht. Es ist mit Mehrheit dort beschlossen worden. Ich habe keine Antwort darauf bekommen, wie sich die Sächsische Staatsregierung an dieser Stelle verhalten und abgestimmt hat. Das würde mich interessieren.

(Beifall bei den LINKEN)

Herr Vieweg, bitte.

Sehr geehrte Frau Kollegin NeuhausWartenberg, bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass der Staatsminister heute noch in der Aktuellen Debatte sprechen wird. Ich möchte Ihnen Folgendes empfehlen: Gehen Sie einmal zu den Veranstaltungen, die die Staatsregierung anbietet. Sie lernen eine ganze Generation von Unternehmerinnen und Unternehmern kennen, die überhaupt nicht in diesen Ost-West-Schranken unterwegs sind.

(Luise Neuhaus-Wartenberg, DIE LINKE: Das hat doch damit gar nichts zu tun!)

Sie arbeiten in nationalen und internationalen Netzwerken und Plattformen. Das ist die Realität hier im Freistaat. Vor diesen Herausforderungen stehen wir. Frau Kollegin, Ihre Spaltungsdebatte hilft uns dabei nicht.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Frau Wilke, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich komme noch einmal auf die von Frau Nahles angedachten Lösungen der Zwangsversicherung für Selbstständige zu sprechen. Diese sind kontraproduktiv. Sie rauben Jungunternehmern die Spielräume für Investitionen und das Überstehen der immer riskanten Startphase. Selbst der berühmte Paketauslieferer, Kurierfahrer oder Pizzabote ist ein potenzieller Spediteur, der langfristig anderen Lohn und Brot verschaffen kann.

Wenn wir uns den wirklichen Problemen der Sozialversicherungssysteme stellen möchten, dann brauchen wir einen ehrlichen Kassensturz. Alle bestehenden Verpflichtungen müssen bilanziert werden, auch die Beamtenpensionen und Sozialhilfe. Erwirtschaften müssen sie nämlich immer die gleichen: die produktiv arbeitende Bevölkerung. Über nennenswerte Reserven verfügen weder eine Bundesversicherungsanstalt noch der Staat. Die Zahlen schlummern natürlich schon in den Rechnern der Bundesarbeitsministerin. Holen wir sie dort heraus. Die Traumzeiten vom Schlaraffenland sind vorüber. Erst mit der Bilanz aller Verpflichtungen können wir die Belastungsgrenzen des Systems wirklich einschätzen und versuchen, eine gerechte Verteilung der gewaltigen Verpflichtungen zu ermitteln, auch für die Selbstständigen.

Ein berufsständisches Versorgungssystem wie bei unseren freien Berufen – Ärzten, Architekten usw. – könnte ein Weg sein. Grundsätzlich müssen wir die Steuer- und Abgabenlast verringern, um die Anwartschaften bedienen zu können. Der Staat muss aufhören, Geld für Unfug zu verschwenden. Ich erspare mir und Ihnen die entsprechenden Beispiele.

(Zuruf von den LINKEN: Danke!)

Es ist auch ein Irrglaube, unsere neu hier Lebenden könnten künftig unsere Renten bezahlen. Realität ist, dass die meisten noch nicht einmal ihren eigenen Lebensunterhalt bestreiten können. Das ginge nur, wenn wir unsere Wirtschaft auf das Niveau der Dritten Welt absenken, und das will ja wohl niemand.

Ich möchte abschließend festhalten: Unsere Wirtschaft braucht mutige Selbstständige. Der Weg dahin ist schwer genug. Wir sollten es ihnen nicht noch schwerer machen, und ich danke Ihnen.

(Beifall bei der AfD)

Wird von der Fraktion GRÜNE noch das Wort gewünscht?

(Valentin Lippmann, GRÜNE: Wir haben keine Redezeit mehr, Frau Präsidentin!)

Nein, acht Sekunden lohnen sich wirklich nicht. CDU und LINKE hätten noch die Möglichkeit, einen Beitrag zu

halten. Wird das gewünscht? – Dann die Linksfraktion, bitte. Herr Tischendorf.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie Sie wissen, bin ich aktiver Gewerkschafter bei ver.di, und natürlich fehlt in dieser Debatte die Gewerkschaft nicht. Deshalb habe ich mich gemeldet. Jetzt werden Sie einmal in den Aha-Effekt kommen. Wissen Sie, wo die meisten Solo-Selbstständigen organisiert sind? Das sind bundesweit über 30 000 bei ver.di. Wir sind die mitgliederstärkste Interessenvertretung von Solo-Selbstständigen. Natürlich spielen die prekären Probleme, die hier angesprochen wurden, und die Arbeits- und Lebensbedingungen von Selbstständigen in unserer Bundesfachgruppe eine Rolle.

Jetzt habe ich etwas für Herrn Vieweg. Ich sage Ihnen: Die ehemals staatlich subventionierten Ich-AGs, einst die Wunderwaffe von Rot-Grün, von Herrn Schröder, sind die Hauptverlierer in dieser Sache, und das sind diejenigen, die die Mitglieder in Scharen zu ver.di treiben, und zwar in Ost und in West – so weit zur Ost-West-Debatte.

Wir haben uns in der Bundesfachgruppe bei ver.di darüber unterhalten, was mit dem gesetzlichen Mindestlohn ist. Ich kann es gleich sagen: Es ist kein pauschales Allheilmittel. Das muss man von vornherein wissen, wenn man das einführt, insbesondere nicht für Solo-Selbstständige. Die Erwerbsbedingungen – das kennen Sie auch – in den verschiedenen Branchen und Berufen sind sehr unterschiedlich. Man kann nicht alle über einen Kamm scheren. Ein Beispiel: Ein hoch qualifizierter IT-Spezialist verdient weit mehr als 100 Euro Stundenlohn, ein Dozent für Fremdsprache – übrigens auch hoch qualifiziert – bekommt je nach Träger zwischen 15 und 35 Euro Stundenlohn. Wenn man einmal eine freie Journalistin, wie ich sie kenne, fragt, was sie verdient – sie schreibt für ein Zeilenhonorar von 20 bis maximal 50 Cent. Sie kommt kaum auf zehn Euro pro Stunde. Wohlgemerkt: Wir reden hier erst einmal nur vom Umsatz, wir reden noch nicht von dem, was derjenige eigentlich verdient.

Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsförderung hat vor drei Jahren ausgerechnet, dass rund ein Viertel der inzwischen mehr als zwei Millionen SoloSelbstständigen in Deutschland weniger als 8,50 Euro pro Arbeitsstunde verdient. Hinzu kommen ungleiche Zahlungsbedingungen und Kosten in der sozialen Sicherung. Das ist beispielsweise davon abhängig – wir hörten es –, ob jemand in der Künstlersozialkasse ist, ob jemand Zugang zur gesetzlichen Rentenversicherung hat oder nicht. Zu zahlen sind aber nicht nur eine eventuelle Gewerbesteuer, wenn sie denn anfällt, sondern auch Beiträge zur IHK, zur Handwerkskammer und zu weiteren Fachverbänden.

Deshalb darf meiner festen Überzeugung nach ein beauftragter Solo-Selbstständiger für den Auftraggeber brutto nicht billiger sein als fest angestellte Beschäftigte in einem vergleichbaren Branchenunternehmen. Das ist die Botschaft, die wir brauchen. Wenn in der Bundesrepublik die Mindestforderung für Honorare in verschiedenen

Bereichen erhoben wird, kann das nur auf der Grundlage einer Berechnung auf Monatsbasis erfolgen. Hier sollten wir uns nicht die Augen verwischen, da Selbstständige erfahrungsgemäß unstetig arbeiten. Sie haben nicht durchgängig immer die gleichen Aufträge. Deshalb muss man das auch finanziell ausgleichen.

Es braucht auf der Auftraggeberseite zu dem sozialen Sicherungssystem für Selbstständige eine klare finanzielle Unterstützung, um sie besser abzusichern und für Auftraggeber endgültig den Anreiz zu beseitigen, dass Selbstständige als Billigkonkurrenz von abhängig Beschäftigten missbraucht werden. Das fordern wir als Gewerkschaften ganz klar.

(Beifall bei den LINKEN)

Klar, es gibt das Bundesgesetzbuch, das kennen Sie auch. Darin steht: Sittenwidrig handelt, wer als Auftraggeber unter zwei Drittel des ortsüblichen Lohnes Aufträge vergibt. Aber Sie wissen auch, wie schwer es ist, als Selbstständiger dagegen anzugehen. Deshalb fordern wir, dass die Gewerkschaften ein Verbandsklagerecht dafür haben, um die Interessen der Beschäftigten zu vertreten. Das ist eine klare Forderung. Ich denke, der Herr Staatsminister kann sich dazu äußern.

Das umlagefinanzierte System der Rente wurde bereits mehrmals angesprochen. Ich will es nicht ausgiebig wiederholen. Ich denke, das umlagefinanzierte System ist die richtige Botschaft. Es schafft Ausgleich zwischen den gut und weniger gut Verdienenden. Es fordert übrigens weniger Bürokratie bei der Prüfung, ob überhaupt alle vorsorgen. Es macht komplizierte Übergänge – auch das kennen wir – zwischen unterschiedlichen Systemen überflüssig. Es gewährleistet allen das gleiche Leistungspaket der gesetzlichen Rentenversicherung und ist vor allem nicht den Marktrisiken kapitalgedeckter Systeme ausgesetzt. Also ganz klar: nein, keine weiteren Versorgungssysteme gerade für diesen Bereich.

Wir wollen, dass nach unseren Vorstellungen etwa für Gründerphasen, aber auch für Zeiten der Auftragslosigkeit, der Weiterbildung, in Familienphasen oder bei Krankheit für Sicherheit gesorgt ist.