Protokoll der Sitzung vom 17.05.2017

Mit weit mehr als 250 000 Unternehmen deutschlandweit, Umsätzen von 146 Milliarden Euro und 1,6 Millionen Erwerbstätigen steht diese Branche nach der Automobilindustrie und dem Maschinenbau auf Platz 3 der Bruttowertschöpfungskette. Laut einer IHK-Umfrage von 2014 gibt es in Sachsen allein 26 000 solcher Unternehmen. Die Zahl dürfte noch etwas höher liegen, da nur Unternehmen in Betracht kamen, die bei der IHK gemeldet sind, und uns leider noch keine neueren, belastbaren Zahlen vorliegen. Denn die Fortschreibung des Kultur- und Kreativwirtschaftsberichts hier in Sachsen lässt auf sich warten, Herr Dulig.

(Zuruf von den LINKEN)

Die IHK stellt fest: 15 % aller Unternehmen in Leipzig und jeweils 10 % der Unternehmen in Dresden und Chemnitz gehören der Kultur- und Kreativwirtschaft an. Dieser Anteil liegt höher als in der Bundesrepublik insgesamt. Damit dürfte die Kultur- und Kreativwirtschaft zu einem der wichtigsten Zweige auch in Sachsen gehören. Doch zu welchem Preis?

35 % der in ihr Tätigen erwirtschaften einen Umsatz unter 17 500 Euro. 38 % zählen zu den Solo-Selbstständigen: Sie haben selbst keine Mitarbeiter, tragen aber erheblich zum Erfolg der Kultur- und Kreativwirtschaft bei. Besonders die künstlerisch Tätigen, sei es in der Musikwirtschaft, in der Presse, auf dem Buchmarkt, in der Designwirtschaft etc., leben häufig in prekären Lebensverhältnissen. Im Schnitt verdienen diese nämlich 16 000 Euro im Jahr, Frauen immer noch weniger als Männer. Von diesen „enormen“ Summen sollen sie sich dann noch selbst versichern, Rücklagen für Anschaffungen bilden und aufgrund der derzeitigen Rentenpolitik auch dafür noch privat Vorsorge leisten? Und leben wollen, sollen, dürfen sie auch noch davon.

Dieser Missstand geht einher mit der Ausweitung von Arbeitszeiten, der Forderung nach ständiger Erreichbarkeit, mangelnder sozialer Absicherung – weil man sich diese schlicht nicht leisten kann. Eigenlohndumping, kurz Selbstausbeutung, ist an der Tagesordnung.

Doch was passiert, wenn der Druck zu groß wird und ich kein soziales Auffangnetz außer dem von Hartz IV habe? Wenn ich genau weiß, dass ich nie eine Rente über dem Grundsicherungsniveau bekommen werde? Wenn der Regelfall ist, dass ich bis zu meinem Tod arbeiten werde? Viele tun das jetzt schon.

Dazu müssen wir uns einfach nur einmal die Zahlen der über 65-jährigen Solo-Selbstständigen in der Bundesrepublik anschauen. In den letzten 10 Jahren hat sich ihre Zahl mehr als verdoppelt: 240 000 Rentnerinnen und Rentner gehen noch solch einer Selbstständigkeit nach – aus dem einfachen Grund, weil ihre Rente schon jetzt nicht zum Leben reicht

(Alexander Krauß, CDU: Da gibt es solche und solche!)

und weil sie es nicht geschafft haben oder es ihnen nicht möglich war, für ihr Alter entsprechend vorzusorgen. Das, meine Damen und Herren, ist ein Armutszeugnis für Deutschland.

(Beifall bei den LINKEN)

2 460 Euro muss ich mittlerweile verdienen – und das 45 Jahre lang –, um eine Rente von 1 100 Euro zu erwirtschaften. Bei dem derzeitigen Mindestlohn – halte ich das 45 Jahre lang durch – erreiche ich noch nicht einmal dieses Grundsicherungsniveau. Ich weiß nicht, wie lange wir uns das noch leisten können, in dieser Situation und auch in einem Wirtschaftszweig, der ständig wächst und der im Zuge von Industrie 4.0 auch schneller und stärker wachsen wird.

Viele der heute und morgen Studierenden müssen in Zukunft ihren Arbeitsbereich selbst definieren, gar erfinden. Für die Tausenden Solo-Selbstständigen, auch in der Kultur- und Kreativwirtschaft hier in diesem Land, müssen wir endlich debattieren, wie wir branchenspezifisch – ich betone: branchenspezifisch – zu existenzsichernden Mindesthonoraren kommen und wie wir diese Selbstständigen in die Sozialsysteme einbinden: Rente, Krankenversicherung, Arbeitslosenversicherung. Das

muss aber so geschehen, dass sie sich das dann auch leisten können: indem ihre Beiträge am wirklichen Verdienst bemessen und nicht pauschalisiert berechnet werden.

Es gilt, die Künstlersozialkasse auszubauen, vielleicht zu weiten und finanziell besser auszustatten. Wissen Sie, Sie rühmen sich immer der Kreativität, des kreativen Potenzials, der Innovationsfähigkeit, der kulturellen Vielfalt in diesem Land. Sie lassen es aber zu, dass dieser Reichtum, den wir in unserem Land haben, auf Kosten vieler sich selbst ausbeutender Kreativer und Künstler geht, und gönnen ihnen eine Perspektive in die Zukunft, die da heißt: Altersarmut. Das können wir nicht zulassen. Das muss sich ändern. Darum auch diese notwendige Aktuelle Debatte in diesem Haus.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Für die CDUFraktion Herr Abg. Heidan, bitte.

(Zuruf von den LINKEN: Er muss das jetzt wieder auf die Bauarbeiterschiene heben!)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Neuhaus-Wartenberg, Sie werden sicherlich überrascht sein, wenn ich Sie an dieser Stelle jetzt einmal lobend erwähne.

(Oh-Rufe von den LINKEN – Zuruf des Abg. Rico Gebhardt, DIE LINKE)

Genau: Das ist ein Thema – das haben Sie jetzt sicherlich nicht erwartet –, dem wir uns schon lange stellen müssen. Ich will Ihnen hier nur einmal ein paar Zahlen nennen, die ich aus den Angaben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales herausgefischt habe, gerade für Ostdeutschland.

(Zuruf des Abg. Rico Gebhardt, DIE LINKE)

Nein, ich nehme nur die Zahlen vom Osten.

(Vereinzelt Heiterkeit bei den LINKEN – Beifall bei der CDU)

Selbstständige ab 65 Jahre bekommen im Durchschnitt 980 Euro Rente. Die Altersgruppe 55 bis 65 Jahre wird einmal 1 460 Euro bekommen. Jetzt können Sie einmal raten, woran das liegt. Die über 65-Jährigen haben eine Erwerbsbiografie mit 35 Jahren DDR.

(Zuruf von den LINKEN: Gab es da Pflichtversicherungen? Hallo!)

Aber das will ich hier jetzt nicht weiter vertiefen.

Auch die Ruheständler im Handwerk haben ungefähr 74 % des Nettoeinkommens ihrer westdeutschen Kollegen. Weniger als 30 % der Handwerker zahlen nach Ablauf der 18 Jahre, das sind 216 Monate, weiter in die gesetzliche Rentenversicherung ein – nur in meinem Bereich der sogenannten zulassungspflichtigen Handwerker. Im B-1-Handwerksbereich sind es weniger als ein Viertel, die sich auf die freiwillige Pflichtversicherung einlassen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, gerade von der Fraktion DIE LINKE! Spielen Sie jetzt bitte nicht den Heiligen Martin, der sich an dieser Stelle den Problemen widmet.

(Luise Neuhaus-Wartenberg, DIE LINKE: Martina!)

Sehen Sie das einmal in Gänze. Sehen Sie es auch einmal unter dem Aspekt, was Sie noch anders politisch machen wollen.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Was wollen wir denn?!)

Danach reden wir nämlich einmal darüber. Ich meine, dass die Handwerkerpflichtversicherung überholt ist. Reden wir einmal über die Wahlfreiheit. Reden wir hier über die Möglichkeiten.

Vor Ihnen steht ein Handwerksmeister, der 216 Monate in die gesetzliche Krankenkasse eingezahlt hat. Davon können Sie heute gerade einmal mit der Frau schön Abendessen gehen. Vielleicht können Sie noch zwei oder

drei Freunde mitnehmen. Das ist nämlich so gering. Ich sehe es an meinen Bescheiden, die ich jährlich von der Deutschen Rentenversicherung erhalte.

Reden wir bitte schön einmal über die Dinge, die Sie hier in diesem Hohen Haus und auf Bundesebene ständig negieren. Reden wir über die Berücksichtigung verschiedener Einnahmequellen, zum Beispiel über Mieten und Verpachtungen oder über Sonderabschreibungen. Reden wir über die Erbschaftsteuer. Ich kann meinen Betrieb ebenfalls nicht so aufstellen, dass ich mir monatlich 1 000 Euro des Betriebsvermögens entnehme. Reden wir auch einmal über diese Dinge, dann klären wir bitte auch diese Dinge.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Gerne!)

Ja. Sie möchten sie noch erhöhen.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Richtig!)

Sie führen hier in diesem Hohen Haus eine Neiddebatte. Sie bringen eine Neiddebatte in Bezug auf die selbstständigen Handwerker auf die Tagesordnung.

(Zuruf des Abg. Rico Gebhardt, DIE LINKE)

Das haben Sie doch schon gemacht.

(Zuruf des Abg. Rico Gebhardt, DIE LINKE)

Herr Gebhardt, das haben Sie doch schon gemacht. Es geht um die höher Verdienenden usw.

(Georg-Ludwig von Breitenbuch, CDU: Das legt ihr fest!)

Ich muss wirklich einmal einen Schluck trinken. Das ist in der Tat so.

(Zuruf von den LINKEN)

Nein, die Wahlfreiheit muss erhalten bleiben. Das haben Sie in Ihren politischen Debatten, die außerhalb der heutigen Aktuellen Debatte geführt werden, sicherlich nicht in Ihrem Programm. Deswegen funktioniert es nicht. Sie picken sich einen Teil heraus und machen nichts weiter. Sie stellen sich vor die Leute und möchten, wie bereits gesagt, den Heiligen Martin spielen. Das funktioniert nicht. Bringen Sie Konzepte auf die Tagesordnung. Danach reden wir weiter. Vielleicht machen Sie daraus einen Antrag. Ich bin gern bei Ihnen, weil ich weiß, wovon ich rede.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Es folgt die SPDFraktion noch einmal. Herr Vieweg, bitte.