Protokoll der Sitzung vom 30.08.2017

Insgesamt müssen wir sagen – Herr Kirmes hat es bereits deutlich ausgeführt –: Friedfertigkeit, Freiheit, Demokratie, Achtung der Menschenrechte und Beachtung rechtsstaatlicher Maxime sind im Grundgesetz und der Sächsi

schen Verfassung gut geschützt, und es bedarf ihrer Staatszielbestimmung nicht.

In der Anhörung zu diesem Gesetzentwurf hatte ich gefragt, ob das, was mit dem vorgeschlagenen Artikel 7 a bewirkt werden soll, nicht ohnehin bereits durch andere grundgesetzliche Regelungen bewirkt wird. Daraufhin hatte der Sachverständige Herr Prof. Haack sehr passend geantwortet: „Ich halte den juristischen Rahmen, der uns im Grundgesetz zur Verfügung steht, für ausreichend und gelungen. Er bietet im Spiel der Kräfte in der freien Zivilgesellschaft einen gelungenen und gediegenen Rahmen, um die Anliegen, die mit dieser Klausel verfolgt werden sollen, zu verwirklichen, und ich sehe nicht, dass dieser Artikel den Rahmen verschieben, ändern oder einschränken könnte. Das halte ich juristisch für zweifelhaft.“

Dem stimmen wir ausdrücklich zu. Insgesamt lehnt die AfD-Fraktion den Gesetzentwurf ab. Wir sind der Auffassung, dass eine Verfassung schlankgehalten werden muss. Der Landesgesetzgeber sollte nicht jedem Trend hinterherlaufen; das würde nur zu einem unnötigen und unübersichtlichen Aufblähen des Gesetzestextes führen. Eine Verfassung muss generell-abstrakt sein und sollte nicht dem jeweiligen Zeitgeist hinterherlaufen.

Vielen Dank.

(Vereinzelt Beifall bei der AfD)

Nun die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, meine Damen und Herren, Frau Abg. Meier; bitte sehr.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von den LINKEN, ich glaube, wir sind uns wirklich einig in diesem Haus: Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus, Neofaschismus haben in diesem Freistaat nichts zu suchen. Wir sind uns sicher auch darüber einig, dass den Bestrebungen auf allen Ebenen entgegengetreten werden muss – angefangen beim Ministerpräsidenten, über Landräte, Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, bis hin zu uns Abgeordneten, aber selbstverständlich auch den Bürgerinnen und Bürgern.

So ehrenwert Ihr Ansinnen ist, liebe LINKE-Fraktion, schon in der Verfassung deutlich zu machen, dass fremdenfeindliches, nationalsozialistisches und antisemitisches Gedankengut keinen Platz im Freistaat haben, so wenig bringt uns aber Ihr Vorschlag in der Sache weiter, hier einen neuen Artikel in die Verfassung aufzunehmen. Sie wissen es alle: Staatszielbestimmungen sind wenig justiziabel – Herr Kirmes hat es ausgeführt. Aus dem von den LINKEN vorgeschlagenen Artikel 7 a der Sächsischen Verfassung lassen sich eben keine subjektiv einklagbaren Rechte Einzelner oder gar Ermächtigungsnormen für staatliches Handeln ableiten.

(Klaus Bartl, DIE LINKE: Warum haben wir es dann im Grundgesetz stehen?)

Der Mehrwert dieses Gesetzentwurfes hält sich leider in Grenzen, dafür greifen aber die vorgeschlagenen Regeln sehr weit – meines Erachtens zu weit – in die Grundrechte ein, die unsere demokratische Gesellschaft tragen, allen voran die Meinungsfreiheit.

Frau Meier, gestatten Sie eine Zwischenfrage? – Herr Bartl, bitte.

Danke, Herr Präsident. Danke, Frau Kollegin. Frau Kollegin, wenn Sie sagen, es hilft nicht weiter als Staatsziel, weil es nicht justiziabel ist – meinen Sie, es war ein Fehler, den Umweltschutz als Staatsziel in Artikel 10 aufzunehmen?

Ich glaube, das war damals in den Neunzigerjahren einfach eine andere Debatte, und ich finde es richtig, dass der Umweltschutz drin steht, aber ich halte nicht viel davon, unsere Verfassung hier weiter aufzublähen. Der Umweltschutz ist auch wirklich nicht justiziabel, denn sonst wären wir schon weiter in diesem Land.

(Zuruf des Abg. Rico Gebhardt, DIE LINKE)

Das Grundgesetz schützt die Bürgerinnen und Bürger eben auch darin, keine Meinung zu haben und sich nicht zu äußern, geschweige denn hier zu handeln. Vor diesem Hintergrund sehe ich den Abs. 3 des vorgeschlagenen Artikels 7 a auch äußerst kritisch. Hier sollen nämlich das Land einerseits und die Bürgerinnen und Bürger andererseits dazu verpflichtet werden, die Wieder- und Neubelebung rassistischer, fremdenfeindlicher und antisemitischer Bestrebungen nicht zuzulassen. Einmal abgesehen davon, dass in der 4. Legislaturperiode schon einmal darüber diskutiert wurde, was Nicht-Zulassen eigentlich heißt, ist das viel zu schwammig, viel zu unklar. Es muss doch klar sein, dass eine demokratische Gesinnung weder verordnet noch mit staatlichen Zwangsmitteln durchgesetzt werden kann.

(Beifall des Abg. Svend-Gunnar Kirmes, CDU)

In einer demokratischen Ordnung des Grundgesetzes vollzieht sich die Meinungsbildung von unten nach oben und nicht umgekehrt.

Daher steht es dem Staat nicht zu, die Meinungsbildung des Volkes im Sinne einer bestimmten Meinung zu steuern oder zu beeinflussen. Herr Kirmes hat es gesagt: Soweit es sich bei der entsprechenden Betätigung um Straftaten handelt, sind diese bereits heute verboten. Sie haben auf § 130 StGB hingewiesen, wenn es um die Verhöhnung der Opfer des Nationalsozialismus geht.

Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, einem Punkt, dem ich schon im Ausschuss zugestimmt habe, werden wir auch heute zustimmen. Das ist ein sehr begrüßenswerter Teil Ihres Gesetzentwurfs. Sie wollen nämlich in Artikel 18 und 116 der Sächsischen Verfassung den Begriff „Rasse“ endlich streichen. Naturwissenschaftler und Sozialwissenschaftler sind sich seit Jahrzehnten einig: Es gibt keine Rassen!

Dass sich der Landtag zu dieser Änderung nicht durchringen kann, liegt nicht an der mangelnden Erkenntnis der Notwendigkeit – diese wird vonseiten der Koalition, zumindest von einem Teil, durchaus gesehen –, sondern eher an blinder Prinzipienreiterei.

Aber lassen Sie mich zum Schluss doch noch einmal kurz etwas zu den Staatszielbestimmungen sagen: Meines Erachtens wäre es sinnvoller, statt über Begrifflichkeiten und den Sinn von Staatszielbestimmungen zu diskutieren, über konkrete Maßnahmen im Kampf gegen Rechtsextremismus zu diskutieren. Wir brauchen eine zivilgesellschaftliche Auseinandersetzung und eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung statt juristischer Definitionsdiskussionen.

Wir dürfen zum Beispiel nicht die Stärkung der Aufarbeitung des Nationalsozialismus in Sachsen aus den Augen verlieren. Diese läuft nämlich Gefahr, neben der Aufarbeitung der DDR-Diktatur an Bedeutung zu verlieren. Wichtig und konkret gut umsetzbar ist die Weiterentwicklung – vor allem die finanzielle Unterstützung – von Projekten zur Extremismusprävention. Dazu werden wir morgen noch einmal sprechen. Hier gibt es, angefangen bei den Schulen bis hin zu den Justizvollzugsanstalten, großen Handlungsbedarf.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das sind die Maßnahmen, die der Freistaat Sachsen hier im Landtag unterstützen sollte. Wir beantragen ziffernweise Abstimmung, um dem Rechnung zu tragen.

Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Das war die erste Runde.

Gibt es Redebedarf für eine weitere Runde? – Am Mikrofon 6 gibt es eine Wortmeldung. Herr Kirmes, Sie wünschen?

Nur eine Kurzintervention.

Bitte sehr.

Frau Meier hat gerade davon gesprochen, dass nur ein Teil der Koalition die Änderung des „Rasse“-Begriffs befürworte. Ich habe eindeutig gesagt, dass auch ich für eine Änderung bin, und habe sogar einen Vorschlag unterbreitet. Meines Erachtens wäre es richtig und ausreichend, wenn man den Begriff ganz streichen würde.

(Beifall des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE)

Das würde alles besagen.

Das wollte ich richtiggestellt haben. – Danke.

Frau Meier, Sie möchten erwidern?

Ja. – Das ist im Ausschuss so nicht klar geworden. Ich habe das soeben sehr wohl vernommen. Aber Sie wären durchaus frei gewesen, hier einen Änderungsantrag einzubringen. Das hat die CDU nicht gemacht.

(Zuruf von der CDU: Wir haben auch nie gesagt, dass wir jetzt die Verfassung ändern wollen!)

Meine Damen und Herren! Gibt es weitere Wortmeldungen aus den Reihen der Fraktionen? – Das ist nicht der Fall.

Ich frage die Staatsregierung: Wird das Wort gewünscht? – Herr Staatsminister Gemkow, bitte sehr. Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Der vorgelegte Gesetzentwurf sieht eine Änderung der Verfassung des Freistaates Sachsen vor. Die Verfassung soll ein neues Staatsziel erhalten: den Schutz des friedlichen Zusammenlebens und die Gewaltfreiheit. Der Freistaat und seine Bürger sollen verpflichtet werden, rassistischen, fremdenfeindlichen und antisemitischen Aktivitäten entgegenzutreten. Zivilgesellschaftliches Engagement gegen Rassismus und Fremdenhass seien vom Freistaat zu fördern. Außerdem solle das Wort „Rasse“ aus der Verfassung gestrichen werden. Die Verwendung des Begriffs „Rasse“ leiste rassistischem Gedankengut Vorschub. Stattdessen soll von „rassistisch benachteiligt“ oder „aus rassistischen Gründen“ die Rede sein.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Gesetzentwurf verfolgt ohne Zweifel ehrenwerte Motive. Auch ich verurteile fremdenfeindliche, rassistische, antisemitische und nationalsozialistische Bestrebungen auf das Schärfste, und extremistischer Gewalt jedweder Form erteile ich eine klare Absage.

Natürlich verdient zivilgesellschaftliches Engagement gegen Fremdenhass und Intoleranz unser aller Anerkennung und Förderung. Trotzdem ist der juristische Mehrwert der vorgeschlagenen Verfassungsänderungen gering. Das hat die Anhörung der Sachverständigen sehr deutlich ergeben.

Das vorgeschlagene Staatsziel „Schutz des friedlichen Zusammenlebens“ ist nämlich eine staatstheoretische Selbstverständlichkeit. Die Friedenssicherung im Innern ist nicht nur Aufgabe des Staates, sondern sie ist letztlich Grundlage seiner Legitimation. Eine ausdrückliche Regelung über das Rechtsstaatsprinzip hinaus braucht es dazu aber nicht.

Unsere Verfassung bildet bereits eine ausreichende Grundlage für den Kampf gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Grundrechte wie das Diskriminierungsverbot, das – anders als ein Staatsziel – auch vor Gericht durchsetzbar ist, sowie die Verfassungsgrundsätze der Demokratie und des Rechtsstaates bieten dafür heute schon ausreichend Gewähr.

Prof. Dr. Haack hat in der Expertenanhörung ausgeführt, dass ein Staatsziel „Kampf gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“ in einem intensiven Spannungsverhältnis zu den Grundrechten der Meinungsfreiheit, der Pressefreiheit und der Versammlungsfreiheit stünde. Der Staat kann seine Bürger eben nicht zu einer bestimmten Geisteshaltung verpflichten. Die Leistungsfähigkeit des vorgeschlagenen Staatsziels wäre damit also äußerst eingeschränkt. An dem Bekenntnis des Grundgesetzes zur Gleichbehandlung aller Menschen besteht trotzdem kein Zweifel.

Zusammenfassend: Den vorgeschlagenen Verfassungsänderungen fehlt letztlich der juristische Mehrwert. Dem wichtigen Anliegen der Bekämpfung von Rassismus und Fremdenhass wäre mit bloßen Programmsätzen nicht geholfen.

Gefordert ist aber jeder Einzelne, jeden Tag gegen Intoleranz, Menschenfeindlichkeit und Hass einzustehen – mutig, mitmenschlich und offenherzig. Je mehr wir alle uns so verhalten, desto stärker wird sich eine Kraft entfalten, die unser Land einen Ort sein lässt, an dem Menschen glücklich sein und friedlich zusammenleben können.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Meine Damen und Herren! Wir kommen nun zur Abstimmungsrunde. Aufgerufen ist das „Gesetz für ein tolerantes und friedliches Zusammenleben in einem weltoffenen Sachsen“.

(Klaus Bartl, DIE LINKE, signalisiert Redebedarf.)