Protokoll der Sitzung vom 31.08.2017

Wer eine tatsächlich gebotene dynamische, systematische Verfassungsauslegung vornimmt, darf nicht spekulieren. Er muss den abstrakten Gehalt und das Wertesystem der Verfassung auf den Lebenssachverhalt anwenden, wie er sich heute darstellt. Wenn Artikel 6 Abs. 1 Grundgesetz die Ehe gegenüber der wilden Ehe ohne Vertrag privilegiert, steht dies der Gleichstellung einer gleichgeschlechtlichen Ehe mit Vertrag nicht entgegen. Dies gilt umso mehr, als es der Lebenswirklichkeit in unserem Land und der Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung entspricht.

Meine Damen und Herren! Es wäre völlig verfehlt, wenn der Landtag beschließen würde, die Staatsregierung auf eine Klage gegen diese Regelung zu verpflichten. Es mag sein, dass es auch in der CDU viele Mitglieder gibt, die

der Ehe für alle skeptisch gegenüberstehen. Das ist ihr gutes Recht. Aber wenn wir einmal die Perspektive der Kanzlerin einnehmen, dann hat sie im Bundestag die Abstimmung zu diesem Thema freigegeben, weil sie eine breite gesellschaftliche Mehrheit erkannte, die für diese Neuregelung war. Gegen die Entscheidung einer so breiten gesellschaftlichen Mehrheit sollen unseres Erachtens die klagen, die sie wieder abschaffen, die das Rad der Geschichte zurückdrehen wollen. Wer aber dieses wichtige Anliegen unterstützt, kann und darf eine Klage nicht erheben und sich nicht durch eine Klage unglaubwürdig machen.

Wir möchten Sie alle bitten, diesen Antrag mit uns abzulehnen.

(Beifall bei der SPD, der CDU und den GRÜNEN)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Abg. Meier, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Als der Parlamentarische Rat 1948/49 die Ehe unter grundgesetzlichen Schutz stellte, da dachten viele Herren und insgesamt vier Frauen, die beteiligt waren, sicher noch nicht daran, dass es einmal die Mehrheit der Deutschen befürworten würde, eine Ehe für alle einzuführen. Selten war die AfD mit einer Aussage so dicht an der Wahrheit.

(Zuruf von der AfD: Eine Unverschämtheit!)

Ihre Argumentation macht aber auch deutlich: In den Fünfzigerjahren fühlen Sie sich am pudelwohlsten.

Doch seitdem hat sich die Gesellschaft hier weiterentwickelt, und das, meine werten Damen und Herren, ist auch gut so. Die Vorherrschaft des Mannes in der Ehe gibt es heute nicht mehr. Das Schuldprinzip bei Scheidungen wurde abgeschafft, und wie viel Engagement und zähes Durchhaltevermögen, das es gekostet hat, können wir heute anhand des Kampfes für die Ehe für alle sehen. Tatsächlich hat es bis zum Jahr 2017 gedauert, bis – mehr durch einen gelungenen Schachzug eines grünen Bundestagsabgeordneten als durch die Einsicht der Bundesregierung – die Lebenspartnerschaft zwischen zwei Menschen gleichen Geschlechts anerkannt wurde als das, was es ist: eine Ehe. Dieser gesellschaftliche Fortschritt ist aber offensichtlich an der AfD vorbeigegangen.

(Zuruf von der AfD: Stimmt doch gar nicht!)

Sie wollen weiter diskriminieren. Aber die übergroße Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland – wir haben es gerade schon gehört – ist sich einig: Die Ehe zwischen Mann und Frau ist genauso viel wert wie die Ehe zwischen zwei Frauen oder zwei Männern.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Aber auch Ihr Antrag läuft ins Leere. Sie zitieren in Ihrer Begründung ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2002.

(Dr. Frauke Petry, AfD: Falsch gelesen!)

Sie haben in Ihrer Begründung nicht bis zu Ende zitiert. Ich wiederhole das noch einmal, obwohl es Frau Petry in ihrer Rede ja auch vorgetragen hat: „Um dem Schutzauftrag der Ehe Genüge zu tun, ist es insbesondere Aufgabe des Staates einerseits, alles zu unterlassen, was die Ehe schädigt oder sonst beeinträchtigt.“ Frau Petry hat aber in ihrer Rede nicht gemerkt, dass ihre Argumentation genau mit diesem Zitat wie ein Kartenhaus zusammenfällt. Sie ist uns nämlich die Erläuterung schuldig geblieben, inwiefern eine Ehe zwischen Mann und Frau beschädigt wird, wenn auch zwei Männer bzw. zwei Frauen eine Ehe schließen dürfen. Wem wird dadurch irgendetwas weggenommen? Welches Grundrecht wird hier eigentlich verletzt? Das frage ich Sie.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU und den LINKEN)

Sie haben darauf keine sachliche Antwort, weil es die schlicht und einfach nicht gibt. Wenn Sie schreiben – darauf hat Sarah Buddeberg schon hingewiesen –, eine Ehe zwischen Mann und Frau sei besonders schützenswert, da nur aus ihr gemeinsame Kinder hervorgehen, so führt auch das in die Irre. Denn nur, weil aus einer gleichgeschlechtlichen Ehe grundsätzlich keine gemeinsamen Kinder hervorgehen können, heißt das nicht, dass diese Ehe ungleich behandelt werden muss. Füreinander Verantwortung zu übernehmen – das ist der Zweck der Ehe. Eine Ehe ist nicht zwangsläufig auf Kinder ausgerichtet. Ich zitiere gern wieder das Bundesverfassungsgericht, das sagt: „Weder gibt es in jeder Ehe Kinder, noch ist jede Ehe auf Kinder ausgerichtet.“ Selbstverständlich kann es in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften gehütete Verhältnisse geben, die das Aufwachsen von Kindern fördern.

Ich kann das Hohe Haus nur bitten, diese Klage hier nicht anzustreben. Sachsen hat ja 2001 – das gehört auch zur Ehrlichkeit – schon einmal gemeinsam mit Thüringen gegen die eingetragene Lebenspartnerschaft geklagt. Damals gab es eine krachende Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht. Ersparen Sie uns diese Schmach erneut und kommen Sie endlich da an, wo wir sind, nämlich im Jahr 2017.

Wir werden selbstverständlich ablehnen.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

Frau Dr. Petry, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist interessant, Herr Modschiedler, wie Sie versuchen zu ergründen, warum wir diesen Antrag gestellt haben.

Wo sind Sie denn? Ich sehe Sie gar nicht. – Ach da. Wunderbar.

(Zuruf des Abg. Martin Modschiedler, CDU)

Allein – Sie liegen völlig falsch.

Und ich werde Ihnen auch gern erklären, was uns neben dem völlig legitimen Antrag an die Staatsregierung von Ihrer Kompetenz, von Ihrem Antragsrecht vom Bundesverfassungsgericht Gebrauch zu machen, in der Tat noch vorschwebt.

Wir sind nämlich hier in diesem Hohen Hause – und ja, auch nicht ganz zufällig vor der Bundestagswahl – mit einer Frage konfrontiert, die in der Tat jeden persönlich etwas angeht. Und deswegen interessiert uns insbesondere von der CDU-Fraktion, wie Sie in dieser Frage positioniert sind.

(Patrick Schreiber, CDU: Ihnen geht es gar nicht um die Homo-Ehen, sondern um Wahlkampf!)

Denn 17 Bundestagsabgeordnete der CDU aus Sachsen haben diesem Gesetz im Bundestag, wie Sie wohl wissen, Ihre Zustimmung verweigert.

(Frank Kupfer, CDU: Das ist billiger Stimmenfang, ganz billig! – Zuruf von der AfD)

Und es kommt uns tatsächlich so vor, und Ihr Redebeitrag – der leider substanziell ziemlich arm war, um es vorsichtig auszudrücken –, offenbart, dass offensichtlich die CDU-Fraktion vor dieser inhaltlichen Positionierung ungeheuer große Angst zu haben scheint.

(Zuruf der Abg. Sarah Buddeberg, DIE LINKE)

Aber wir sind hier im Hohen Haus ja für die Bürger und Wähler da und die interessieren sich für Ihre Position.

(Beifall bei der AfD – Zurufe von der CDU)

Deswegen lassen Sie uns darüber reden, welche Möglichkeiten es für Ihre Fraktion gibt. Sie könnten alle verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Ehe für alle in den Wind schlagen, wie es andere Parteien ohne Überraschung tun; sei es aus Überzeugung oder aus Opportunismus. Das muss jeder für sich entscheiden.

Sie könnten Ihre wertkonservative Einstellung, so sie noch vorhanden ist, komplett über Bord werfen und de facto das hier in Frage und, meine Damen und Herren, zur Überprüfung gestellte Gesetz mit dem Grundgesetz für vereinbar erklären.

Sie könnten allerdings auch verfassungsrechtliche Bedenken haben und wären damit bundesweit nicht allein und würden, wenn auch nicht die Mehrheit – das ist richtig, Frau Buddeberg – der Bürger repräsentieren, aber doch große Teile der Klientel, die sie vorgeben zu vertreten.

Vielleicht haben Sie auch als großer Koalitionspartner in der Koalition der Staatsregierung diese nicht mehr unter Kontrolle, sondern lassen sich vom kleineren Koalitionspartner unter Druck setzen. Und deswegen leiten Sie die Normenkontrollklage nicht ein. Dann müsste fairerweise Ihre Fraktion auf eine Neubildung des Kabinetts hinwirken.

(Beifall bei der AfD – Martin Modschiedler, CDU: Dann leiten Sie sie doch ein! – Zuruf des Abg. Patrick Schreiber, CDU)

Oder die sächsische CDU-Fraktion hält das Gesetz für verfassungswidrig und hat die Staatsregierung unter Kontrolle, weigert sich jedoch schlicht und ergreifend aus politischem Kalkül vor der Bundestagswahl – das, was Sie uns vorwerfen, machen Sie dann ebenso –, einen Normenkontrollantrag zu erwirken.

Damit verhalten Sie sich hier im Landtag aber auch rechtsstaatsfeindlich, weil Sie die offensichtliche Unvereinbarkeit des Bundesgesetzes mit Verfassungsrecht hinnehmen.

Es gäbe auch eine letzte Option: Die Zustimmung zum vorliegenden Antrag. Und ich bin mir sicher, dass einige der Abgeordneten das gerne täten. Denn eine verfassungswidrige Rechtsgrundlage, meine Damen und Herren, schafft Fakten mit fraglicher Bestandskraft, und daran sollten Sie einmal denken.

Meine Damen und Herren! Sicherlich gibt es Meinungen, dass gleichgeschlechtliche Paare allein durch die Erweiterung des Ehebegriffs mehr gesellschaftliche Wertschätzung erfahren würden. Es sind die gleichen Meinungen, die die biologischen Geschlechter am liebsten durch soziale Geschlechter ersetzen möchten und einfach vergessen haben, dass es einen wesentlichen Unterschied zwischen Gleichbehandlung und Gleichmacherei gibt.

(Sarah Buddeberg, DIE LINKE: Sie haben keine Ahnung!)

Frau Meier, für Sie sind Väter und Mütter offenbar das Gleiche, Vater und Vater oder Mutter und Mutter. Aber ich bin froh, dass es der Mehrheit der Bevölkerung in dieser Frage nach wie vor anders geht.

(Beifall bei der AfD)

Wer so wie Sie hier im Hohen Hause mit tradierten Begriffen von Ehe und Familie in dieser Gesellschaft umgeht, der gefährdet die dem Grundgesetz zu Grunde liegende Werteordnung

(Patrick Schreiber, CDU: Sagen Sie!)

und das grundlegende Prinzip, dass tatsächlich alle Macht vom Staatsvolk ausgeht, nämlich genau das – Herr Schreiber, vielleicht wissen Sie das auch noch –, was wir heute als Demokratie bezeichnen. Aber vielleicht ist morgen der Begriff der Demokratie den Genderbegriffsmühlen zum Opfer gefallen, weil dem einen oder anderen der Begriff des Staatsvolkes schon zu weit geht.