Protokoll der Sitzung vom 28.01.2015

Auf dem Weg zur inklusiven Hochschule – Studium und Beschäftigung für

Menschen mit Behinderung und chronischen Krankheiten erleichtern

Drucksache 5/ 6/729, Antrag der Fraktionen CDU und SPD

Die Fraktionen können hierzu wieder Stellung nehmen. Es beginnt die CDU-Fraktion, danach folgen SPD, DIE LINKE, AfD, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn sie das wünscht. Ich erteile nun Frau Abg. Fiedler das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Behinderung darf kein Hindernis sein, ein Studium aufzunehmen. Zu einem gleichberechtigten und selbstbestimmten Leben gehört es, dass jeder behinderte Mensch, der es möchte und die Zugangsvoraussetzungen erfüllt, an einer Hochschule studieren kann – „Eine Hochschule für Alle“, wie der Titel des Positionspapiers der Hochschulrektorenkonferenz zu diesem Thema überschrieben ist.

Zur Bewältigung des Hochschulalltags brauchen Menschen mit Behinderungen mehr Unterstützung und Hilfe als Menschen ohne Beeinträchtigungen. Dabei geht es nicht nur um finanzielle Unterstützung; es geht um Entgegenkommen, Flexibilität, Qualifizierung, Beratung und Begleitung.

Vieles ist in den vergangenen Jahren schon getan worden für barrierefreie Lernmethoden, barrierefreies Bauen, barrierefreie Informationen und barrierefreie Wege. Diese Anerkennung des Geleisteten ist verbunden mit einem herzlichen Dankeschön an alle, die an Verbesserungen der Situation von Behinderten an unseren Hochschulen tagtäglich arbeiten – herzlichen Dank.

Aber wir wollen noch besser werden, und Schritte dafür formuliert der vorliegende Antrag. In einem ersten Schritt wollen wir mehr erfahren über die Situation von behinderten Studierenden und Mitarbeitern an unseren Hochschulen, um für Probleme Lösungen zu suchen und das Bewusstsein für die Anforderungen an eine inklusive Hochschule zu schärfen. Dafür soll die Studie erstellt werden.

Erste konkrete Maßnahme zur Verbesserung ist unser Vorschlag zur Errichtung einer barrierefreien Internetplattform „Studieren mit Behinderung und chronischen Krankheiten“, auf welcher Informationen zu den einzelnen Hochschulstandorten aufgeführt werden.

Barrierefreiheit, insbesondere im Bereich der Gebäude, ist unverzichtbar für die selbstbestimmte Teilnahme am Hochschulalltag. Barrierefrei heißt, dass Gebäude ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe nutzbar sind. Die Sächsische Bauordnung sieht dafür klare Regelungen vor und wir wollen, dass diese

konsequent und mit nicht nachlassendem Engagement angewandt werden.

Wo wir als mobile Menschen kein Hindernis sehen, steht für manchen Behinderten eine unüberwindliche Hürde. Hier kann die Einbeziehung der Betroffenen helfen, Lösungen zu finden. Das sind nicht immer nur große Maßnahmen. Die Errichtung von Blindensystemen, Ruheräumen oder elektrischen Türöffnungen, um einige konkrete Beispiele zu nennen, können eine kleine, aber wichtige Hilfe sein.

Wir haben in der letzten Legislaturperiode im Hochschulausschuss auf Antrag der SPD-Fraktion eine Anhörung zum Thema „Zur Situation von Studierenden mit Behinderung und chronisch Kranken an sächsischen Hochschulen“ durchgeführt und dabei schon eine Reihe von guten Anhaltspunkten bekommen.

Barrierefreiheit stellt für jeden Hochschulcampus eine besondere Herausforderung dar, da viele Gebäude im Bestand saniert werden und es größter Anstrengung bedarf, diese nicht ursprünglich barrierefrei errichteten Gebäude barrierefrei zugänglich zu machen. Trotzdem – auch das will dieser Antrag deutlich machen – wollen wir diesen wichtigen Gesichtspunkt bei jeder Sanierung und selbstverständlich bei jedem Neubau beachten.

Ich weiß, dass vonseiten des Staatsbetriebes Sächsisches Immobilien- und Baumanagement, der für den Freistaat baut, sehr sorgfältig und gewissenhaft geplant wird und die Pläne auch eng mit den zukünftigen Nutzern und selbstverständlich auch mit den Vertretern der Menschen mit Behinderung abgestimmt werden. Wir wollen – deshalb haben wir es explizit noch einmal formuliert –, dass Menschen mit Beeinträchtigungen noch stärker in die Planung eingebunden werden. Es gibt unterschiedliche Anforderungen. Bei Gehbehinderung sind es andere als bei Blindheit oder kognitiven Behinderungen. Es ist eine große Herausforderung, alle Bedürfnisse zu beachten. Aber diese Anstrengungen, die Aufmerksamkeit für das Thema in all dieser Vielfalt, lohnen sich und sind für eine inklusive Hochschule unumgänglich.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU und der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben das Thema inklusive Gesellschaft als zentralen Punkt in unserem Koalitionsvertrag festgehalten. Wir brauchen einen übergreifenden Landesaktionsplan für alle Bereiche.

(Ja, genau! und Beifall des Abg. Horst Wehner, DIE LINKE)

Heute schlagen wir dem Landtag ganz konkrete Maßnahmen für den Hochschulbereich vor, die wir zügig angehen möchten. Dafür bitte ich um Ihre Zustimmung.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Die SPD-Fraktion, bitte; Herr Abg. Mann.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Eine der lobenswerteren Stunden der vergangenen Legislaturperiode war die fraktionsübergreifende Entschließung zur Integration und Inklusion im sächsischen Schulwesen. Wie der Name schon sagt, umfasst diese aber nur den Bereich der Schulbildung. So dürfte der Ihnen nun vorliegende Antrag die erste parlamentarische Entschließung im Bereich Inklusion in der Hochschule sein, der eine Mehrheit findet und mithin durchaus den Horizont erweitert.

Kurzum: CDU und SPD dokumentieren mit diesem Antrag und nicht zuletzt in ihrem Koalitionsvertrag, dass für die Große Koalition der Auftrag der Inklusion nicht vor den Hochschulen endet. In Würdigung der gerade erfolgten Einbringung durch Kollegin Fiedler freue ich mich, sagen zu können, dass wir uns bei den im Antrag beschriebenen Punkten schnell einig waren – danke auch hierfür.

Im Antrag geht es aber eben nicht mehr nur darum, Absichtserklärungen infolge der Ratifizierung der UNBehindertenrechtskonvention in Deutschland niederzulegen; es geht um ganz konkrete weitere Schritte, den rechtlich verbrieften Rahmen und Anspruch einer diskriminierungs- und chancengleichen Bildung an den sächsischen Hochschulen einzulösen. Dazu wollen wir hierbei ausdrücklich das Engagement der Hochschulen stärker unterstützen.

Schon jetzt sei gesagt: Dieser Antrag ersetzt nicht den sich bereits in Erarbeitung befindlichen Aktions- und Maßnahmenplan zur Umsetzung der UN-BRK. Nein, im Gegenteil, wir dokumentieren mit diesem Antrag – auch mit der Einbringung dieses Antrags als erstem im Bereich Wissenschaft und Hochschule –, dass uns dieser Auftrag wichtig und im Zweifelsfall auch teuer ist. Konkret wollen wir mit dem Antrag eine Studie, die für die Studierenden und Beschäftigten den Stand, aber auch die Defizite im Bereich der Barrierefreiheit der Studien- und Lehrsituation, der Informations- und Beratungsangebote ihrer Interessenvertretung ganz im Sinne von „nichts über uns ohne uns“ und des Nachteilsausgleichs und damit auch ihrer individuellen Lebenssituation erfasst.

Unbestritten ist hier im Plenum sicherlich, dass Studierende mit Behinderung oder chronischen Krankheiten derzeit an den Hochschulen deutlich unterrepräsentiert sind. Warum das aber so ist, was sich bereits getan hat

und erfolgreich war, ist bisher in Sachsen kaum erfasst. Wir wollen diese Studie, um zu erfassen, was getan werden muss und kann.

Wir wollen zum Zweiten den Dialog über die Konzipierung konkreter Aktions- und Maßnahmenpläne an jeder Hochschule schon jetzt beginnen. Ich hoffe, Sie stimmen mir zu, dass es nicht kritikwürdig ist, dass wir damit nicht warten wollen, bis es den allgemeineren Aktionsplan 2015 gibt – nicht zuletzt, weil manches zusammen mit der bereits begonnenen Diskussion über die Hochschulentwicklungsplanung 2025 gedacht und im Zweifelsfall auch gemacht werden muss.

Als dritten konkreten, auch im Koalitionsvertrag festgehaltenen Schritt wollen wir eine barrierefreie Internetplattform für Studierende und chronisch Kranke einführen, die Zugang und Teilhabe für diese Gruppen erleichtern soll. Gerade wurde schon von Frau Fiedler gewürdigt: Bei Bauvorhaben soll es nicht mehr nur um die formalen Kriterien der Sächsischen Bauordnung gehen, sondern wir wollen auch die Betroffenen bei der Planung und Realisierung direkt und stärker einbeziehen.

An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass wir mit entsprechend begleiteten Projekten nicht nur gute Erfahrungen gesammelt und eine Verbesserung für diese Gruppe erreicht haben, sondern auch bessere Bedingungen für Menschen mit Mobilitäts- oder Sinneswahrnehmungseinschränkungen – Stichworte: „Studieren mit Kind“, „Seniorenstudium“ – verzeichnen, die auch anderen Gruppen der Gesellschaft zugute kommen.

Meine Damen und Herren, Sie sehen: Wir machen uns auf den Weg zu einer inklusiven Hochschule. Wir tun dies ernsthaft und durchaus nicht unkritisch gegenüber dem bisher erreichten Stand. Dafür bitten wir um Ihre, um breite Zustimmung im Parlament, vor allem aber um solidarische Unterstützung bei der Umsetzung; denn hier wie in vielen anderen Bereichen gilt: Wer nicht bereit ist zu teilen, wird auch keine gleichberechtigte Teilhabe reklamieren können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU, den GRÜNEN und des Abg. Horst Wehner, DIE LINKE)

Für die Linksfraktion Herr Abg. Wehner, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch vonseiten der LINKEN werden Sie natürlich Zustimmung erhalten; die Mehrheit haben Sie schon.

Herr Mann, wenn Sie sagen, dass Sie sich auf den Weg machen, dann gestatten Sie mir bitte zu ergänzen: Das hätte längst passieren können, wenn Sie, meine Damen und Herren von der CDU, den guten Anliegen der SPD in der vergangenen Legislatur gefolgt wären. Heute sage ich: Herzlichen Glückwunsch, liebe SPD, dass Sie es geschafft haben, die CDU so bereitwillig zu diesem Antrag zu bewegen.

(Beifall des Abg. Mario Pecher, SPD)

Frau Fiedler, gestatten Sie mir dennoch einen kleinen Hinweis: Menschen mit Beeinträchtigung brauchen möglicherweise Hilfe. Aber den defizitären Ansatz sollten wir wegdenken. Nach dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen geht es darum, dass Menschen mit Beeinträchtigungen – seien es körperliche, geistige, seelische oder Sinnesbeeinträchtigungen – ihre Rechte tatsächlich wahrnehmen können. Aus diesem Grund müssen die räumlichen Verhältnisse geändert werden, nicht weil diese Menschen Hilfe brauchen.

(Einzelbeifall bei der Staatsregierung)

Dieser Ansatz ist mir wichtig.

Meine Damen und Herren von CDU und SPD, Ihr Antrag geht noch ein bisschen weiter. Deshalb finde ich ihn gut. Sie denken nicht nur an die Studierenden, sondern auch an die Beschäftigten. Darüber haben wir nämlich keine genauen Erkenntnisse: Wie sind an den Hochschulen und Universitäten eigentlich die Arbeitsbedingungen für Menschen mit Beeinträchtigungen?

Ursprünglich hatte ich mich gefragt: Wozu brauchen Sie noch eine Studie? In der vergangenen Legislatur haben wir über die Situation dieser Studierenden sehr ausführliche Informationen erhalten. Sie wissen, dass auch der Beauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderungen im Jahr 2011 eine Studie in Auftrag gab. Zu deren Erstellung wurden immerhin 724 Studierende über ihre jeweilige Situation an den Universitäten befragt. Dabei sind ganz interessante Erkenntnisse herausgekommen. Der überwiegende Anteil der Studierenden leidet unter psychischen Beeinträchtigungen. Wir wissen noch nicht, ob das an den Studienbedingungen liegt oder ob sie schon mit diesen Beeinträchtigungen an die Universität gekommen sind.

Bemerkenswert ist, dass die Menschen, die wir als Behinderte – ob es körperlich oder Sinnesbeeinträchtigte, zum Beispiel Seh- oder Hörbehinderte, sind – immer im Blick haben, in der Studentenlandschaft einen äußerst geringen Anteil ausmachen. Das kann an den örtlichen Gegebenheiten liegen.

Dann erlaube ich mir noch folgenden Hinweis: Eine inklusive Hochschule dürfen Sie nicht allein an den räumlichen Barrieren messen. Sie müssen auch die Kommunikations- und die didaktischen Barrieren im Blick haben, weil manche Studierende einen anderen Ablauf für die Bewältigung ihres Studiums brauchen. Insoweit gibt es noch enormen Handlungsbedarf, aber auch, was die organisatorischen Dinge betrifft.

Bei allem Guten, was Sie erreichen wollen, wäre es mir sehr viel lieber gewesen, wenn Sie zunächst den Aktions- und Maßnahmenplan, der alle Ressorts betrifft, auf den Weg gebracht hätten. Im Koalitionsvertrag legen Sie sich darauf fest, aber in Abhängigkeit von dem Bundesteilhabegesetz. Das erschließt sich mir nicht; denn mittlerweile

wissen wir, dass dieses Gesetz im Jahr 2015 wahrscheinlich nicht kommt; es wird vielleicht im Jahr 2016 kommen.

So geraten wir in immer größeren Zeitverzug, wenn es um die wirkliche Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen geht. Der gegenwärtige Zeitpunkt wäre günstig gewesen, weil die Umsetzung, die Herstellung der Barrierefreiheit und die Schaffung einer inklusiven Gesellschaft ohne Geld nicht zu machen sind. Haushaltsverhandlungen führen wir jetzt für 2015 und 2016. Wenn wir jetzt keine entsprechenden Regelungen treffen, verschiebt sich das Ganze erneut. Angesichts dessen habe ich Bedenken hinsichtlich der Frage, wie glaubwürdig das ist, was Sie hier in Angriff nehmen.

Wir unterstützen Ihren Antrag und werden Sie kritisch begleiten. Bitte halten Sie auch Wort, was den globalen Aktions- und Maßnahmenplan betrifft, und lassen Sie da nicht so viel Zeit verstreichen.

Danke sehr.

(Beifall bei den LINKEN und vereinzelt bei der SPD)