Selbst der Islam bietet neue Perspektiven, egal ob und wie sehr er nun zu Sachsen gehört. Zumindest tragen die Verzehrgewohnheiten der Muslime zur Stabilisierung des Schaffleischpreises bei. Auch die sogenannten HalalLebensmittel sind ein Zukunftsmarkt, wobei ich sehr gespannt bin, wie sich das Bundesverfassungsgericht, wenn es zwischen Tierwohl, das heißt der betäubungslosen Schächtung, und der Ausübung der Religionsfreiheit und den daraus resultierenden Verzehrgewohnheiten abwägen muss, entscheidet.
Warum nun diese Debatte und unsere Sorge? In Mitteleuropa haben wir zur Kenntnis zu nehmen, dass Nahrung im Überfluss und in hoher Qualität verfügbar ist. Hier tritt nun langsam das ein, was Karl Marx schon sagte: Die Anhäufung von Quantitäten führt zum Umschlag in eine neue Qualität. Seit der Hunger weg ist und Lebensmittel im Sonderangebot verramscht werden, werden zunehmend landwirtschaftliche Produktionsprozesse hinterfragt, was grundsätzlich nicht zu kritisieren ist, denn es gibt immer Dinge, die man besser machen kann.
Dazu kommt natürlich, dass eine hart an der 5-%-Grenze lavierende Partei ihr Alleinstellungsmerkmal verloren hat. Das war einmal die Friedenspolitik. Aber seitdem sich Deutschland unter Führung eines grünen Außenministers an Einsätzen im Ausland beteiligt hat, seitdem das Thema Atomkraft im Grunde geklärt ist und auch der Umweltschutz in allen Parteien verankert ist, werden neue Themen gesucht. Dazu bietet es sich eben an, 100 % der Verbraucher vertreten zu wollen auf Kosten von 3 % der Landwirte. Der Grünen-Chef Hoftöter macht in diesem Sinne seinem Namen alle Ehre.
Er zieht gegen moderne Landwirtschaft zu Felde und programmiert Leitbilder, die vielleicht wünschenswert, aber völlig unrealistisch sind. Verstärkt werden diese unrealistischen Wunschvorstellungen durch eine im Verdrängungswettbewerb stehende Presse und die Funkmedien, bei denen sich Empörung besser verkaufen lässt als Aufklärung. Wir erleben auch in dieser Diskussion eine indirekte Proportionalität zwischen Wissen und Emotionalität.
Sorgen macht mir auch, wenn ein ganzer Berufsstand diffamiert wird. Was soll der Berufsnachwuchs, der sich vielleicht für einen Beruf in der Landwirtschaft mit Verantwortung für Haus, Hof und Stall entscheidet, davon halten,
wenn er ständig der Gefahr ausgesetzt ist, öffentlich diffamiert zu werden, und sich Leute auf dem Rücken derer profilieren wollen, die sie eigentlich ernähren?
Meine nächste Sorge ist, dass bäuerliche Landwirtschaft zwar gewünscht wird, aber keiner mehr Landwirt sein will. Das heißt, der Weg ist frei für Kapitalanleger und Investorenmodelle, bei denen dann eine anonymisierte, nicht nachhaltige, an Quartalsberichten orientierte Landwirtschaft Einzug halten wird, die wir alle nicht wünschen, mit der Folge, dass die Wertschöpfung im ländlichen Bereich abfließt.
In diesem Sinne wollte ich noch andeuten, dass bei dieser investorenorientierten Landwirtschaft eine Nachjustierung über Grundstücksverkehrsgesetz –
– und Reichssiedlungsgesetz wahrscheinlich wenig Abhilfe schaffen wird. – Der Rest dazu dann eine Runde später.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach dieser hitzigen Debatte heute Vormittag sollte es etwas leichter fallen, über Landwirtschaft zu sprechen, aber auch hierüber wird kontrovers diskutiert. Kollege Heinz hat es schon angedeutet.
Auf der vergangenen Grünen Woche wurde demonstriert und gegendemonstriert und gegen die Gegendemonstration wieder gegendemonstriert. Landwirtschaft wird öffentlich diskutiert, und das ist gut so. Ich denke, das bringt auch Veränderungen mit sich. Es ist ein sachlicher und fachlicher Dialog. Hierbei prallen verschiedene Meinungen aufeinander: die einen unter dem Motto „Wir haben es satt!“ und die anderen unter dem Motto „Wir machen Euch satt!“. Letzteres ist durchaus zu verstehen.
Meine Damen und Herren! Wir sind uns in der Regierungskoalition darüber einig, dass wir sowohl Verantwortung im globalen, aber auch im regionalen Bereich haben. Wir wissen, dass Landwirtschaft nur mit der Natur und nicht gegen die Natur durchzuführen ist. Wir haben gemeinsame Interessen und ich denke, das trifft auf alle in diesem Hohen Haus zu. Die gemeinsamen Interessen liegen in den Nahrungsmitteln, in sicheren, hochwertigen und schmackhaften Lebensmitteln, aber auch in bezahlbaren Lebensmitteln. Das dürfen wir nicht vergessen, denn die Gestaltung der Agrarpolitik ist im Prinzip das, was am meisten diskutiert wird. Die genannten Ziele sollen unter Einhaltung der Forderungen an unsere Landwirte, die Natur nicht zu belasten, erreicht werden.
Wir müssen die Rahmenbedingungen so ausgestalten, dass Landwirtschaft immer noch Landwirtschaft bleibt und dass der Landwirt davon leben kann. Wir vergessen bei der Diskussion immer wieder, dass Landwirtschaft Wirtschaft ist. Das sollten wir immer im Auge behalten.
Die Grundlage unserer Politik sind die europäische Agrarpolitik und unser Koalitionsvertrag. Wir haben darin einige Festlegungen getroffen. Wir werden die Beschlüsse der Münchner Agrarministerkonferenz von Dezem
ber 2013 umsetzen und daran festhalten, auch wenn der eine oder andere – von der 5-%-Partei ist hier gesprochen worden – Direktzahlungen abschaffen will. Es ist durchaus richtig, wenn für öffentliche Leistungen öffentliche Mittel zur Verfügung gestellt werden. Aber ich denke, wir sollten den Unternehmen Zeit lassen, dort Veränderungen herbeizuführen. Die Unternehmen brauchen nicht nur Zeit, sondern auch Verlässlichkeit der Politik. Das ist unser Job. Wir sollten den Bauern und den bäuerlichen Betrieben diese Zeit und auch diese Sicherheiten geben.
Ich denke, dass einzelne Forderungen sowohl der grünen Seite als auch der anderen Seite bereits umgesetzt worden sind. Mit dem Greening und den Verschiebungen innerhalb dieser beiden Säulen ist schon einiges passiert. Daran sollten wir festhalten.
Eines der großen Themen – von Kollegen Heinz schon angesprochen und auch am Rande der Grünen Woche stark diskutiert – ist die Art und Weise der Nutztierhaltung. Es ist gut, dass darüber in der Öffentlichkeit diskutiert wird. Es gibt bereits Veränderungen und durchaus auch Erfolge. Das macht deutlich, dass auch die Bauern großes Interesse am Tierwohl haben. Ich persönlich mache mir aber Sorgen bezüglich der Entwicklung zur industriellen Tierhaltung und zu den sogenannten Megaställen. Das sehe ich sehr kritisch, vor allem die damit verbundenen globalen, aber auch nationalen Risiken und Nebenwirkungen, die wir hierzu haben. Dennoch sollten in dem Zusammenhang unsere bäuerlichen und unsere mittelständischen Betriebe vor unfairen Wettbewerbsbedingungen geschützt werden. Jedoch entspricht – das betone ich besonders – die in der Öffentlichkeit zugespitzte Debatte, dass größere Betriebe per se nicht tierwohlgerecht arbeiten würden, nicht den Tatsachen.
Im Koalitionsvertrag auf Bundesebene hat die SPD höhere Tierschutzstandards festgeschrieben. Die Ställe müssen den Bedürfnissen der Tiere angepasst werden und nicht umgekehrt.
In der ersten Umsetzung auf Bundesebene hat Minister Schmidt unter anderem den „Kompetenzkreis Tierwohl“ eingerichtet. Erste Maßnahmen wurden kürzlich vorgestellt. Mit den Empfehlungen dieses Kompetenzkreises sind unter anderem wesentliche Forderungen der SPD laut Koalitionsvertrag bestätigt worden. Wichtig ist die Transparenz in der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung, besonders in den Fragen, die alle diskutieren: Haltungsbedingungen, Medikamenteneinsatz und Tiergerechtigkeit.
Meine Damen und Herren! In Sachsen bewirtschaften circa 11 % der Betriebe 60 % der Nutzfläche mit einem Durchschnitt von 857 Hektar je Betrieb, also fünfmal so groß wie der Bundesdurchschnitt. Wir sollten es in Zukunft vermeiden, groß gegen klein –
– und „bio“ gegen konventionell auszuspielen und pauschalen Wertungen zu unterziehen. Es gibt Agrargenossenschaften, die auf 1 000 Hektar Ökolandwirtschaft betreiben, und es gibt konventionelle Betriebe, die vorbildlich Naturschutz betreiben.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Damen und Herren! Aktuell scheinen gesellschaftliche Missverhältnisse immer neue politische Missverständnisse auszulösen. Kürzlich forderten – Originalzitat eines Organisators – „medial verwurstete Bösewichte“ öffentlich ein, dass mehr mit ihnen als über sie gesprochen wird.
Meine Damen und Herren! Die Parallelen zu Dresden sind nur oberflächlicher Natur. In diesem Fall – mein Kollege von der SPD-Fraktion wies bereits darauf hin – handelt es sich um den von den konventionellen Gegenspielern initiierten Aufstand: „Wir machen Euch satt!“. Aufgestanden wurde da gegen die alljährliche Großdemo „Wir haben Agrarindustrie satt!“ von Tierschützern, Ökoverbänden und Ökobauern.
Die Demonstrationen der Satt-Haber einerseits und der Satt-Macher andererseits sind Teil eines notwendigen gesellschaftlichen Diskurses. Aus meiner Sicht verläuft dieser ziemlich erfolgreich. Der größte Erfolg für mich besteht darin, dass beispielsweise die grüne Gentechnik in Deutschland bisher nicht Fuß fassen konnte und sich aus Deutschland jetzt zurückgezogen hat. Manchmal kommt dieser Diskurs auch zu spektakulären Ergebnissen, als wir vom bundesweiten Tierhaltungsverbot für den Schweinebaron Straathof aus Sachsen-Anhalt erfahren konnten.
Satt-Macher und Satt-Haber wollen offensichtlich beide das Gleiche, nämlich eine nachhaltige Landwirtschaft, nur verstehen beide etwas anderes darunter. Aber, meine Damen und Herren, Nachhaltigkeit ist messbar, und sie wird gemessen. Dazu gibt es auch in Sachsen zahlreiche Informationen über ökologische, ökonomische und soziale Indikatoren. Diese weisen sehr dezidiert nach, auf welchem Gebiet es Fortschritte gibt und wo wir negative Entwicklungen verzeichnen müssen.
Dazu gebe ich Ihnen ein paar Beispiele: Die Flächeninanspruchnahme – an dieser Stelle immer wieder diskutiert – im Jahr 2013 mit rund 5 Hektar am Tag geht ganz klar an der Zielvorgabe in Sachsen von 2 Hektar pro Tag vorbei und ist viel zu hoch. Bei der Biodiversität können wir
trotz spektakulärer Einzelerfolge im Artenschutz auf lange Zeit nicht an unserem vorgesehenen Ziel, bis zum Jahr 2020 den Artenschwund abzubremsen, andocken. Die Hälfte der Farn- und Samenpflanzen und rund 60 % der Biotoptypen sind in Sachsen gefährdet.
Ein weiteres Thema, das wir demnächst wieder hier auf der Tagesordnung haben werden, sind die Stoffeinträge in Boden, Luft und Wasser. Sie überschreiten im Einzelfall nach wie vor die ökologische Belastungsgrenze. Ein Hauptemittent ist nach wie vor die Landwirtschaft. Darüber gilt es zu reden. Sie werden in der nächsten Zeit Gelegenheit dazu haben. Wir haben gerade wieder den Waldzustandsbericht übermittelt bekommen. Auch dort zeigt es sich wieder: Stickstoff ist nach wie vor ein Problem für – in diesem Fall – das Ökosystem Wald. Es erfordert eine immer aufwendigere und teurere Symptombehandlung.
Inzwischen legte auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen ein neues Gutachten vor. Dort forderte er – zum wiederholten Mal im Übrigen – eine nationale Stickstoffstrategie. Der SRU geht davon aus, dass es um eine Halbierung der Stickstoffeinträge gehen muss, wenn wir nationale und europäische Qualitätsziele überhaupt noch erreichen wollen. Das ist tatsächlich ambitioniert.