Protokoll der Sitzung vom 28.09.2017

Ein anderes und aus meiner Sicht noch viel größeres Problem als diese Fakeprofile stellen aber die Inhalte dar, die zum Teil in großer Zahl und anonym verbreitet werden. Dabei kann es sich auf der einen Seite um falsche Nachrichten handeln, es sind aber zunehmend auch beleidigende, diffamierende und volksverhetzende Inhalte feststellbar, die zu einer massiven Verschärfung des Diskurses und der Diskussion geführt haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben in den vergangenen Monaten und Jahren mit Sicherheit alle über die Fraktionen dieses Hauses hinweg solche beleidigenden, bedrohenden und diffamierenden Inhalte bekommen. Aber das geht nicht nur uns so, so geht es ehrenamtlich Tätigen in Vereinen, den Kommunen und sonstigen Einrichtungen, die sich diesen zunehmenden Anfeindungen ausgesetzt sehen. Die Debattenkultur im Netz ist zum Teil aggressiv, verletzend und nicht selten auch hasserfüllt. Eine zunehmende Anzahl dieser Postings, dieser Beiträge, hat objektiv strafbare Inhalte, verletzt damit die Rechte Einzelner oder gefährdet den öffentlichen Frieden. Ich möchte betonen, dass es dabei völlig gleich ist, aus welchen vermeintlich politischen oder auch sonstigen Motiven heraus solche Anfeindungen stammen. Ich möchte alle dazu ermuntern, solche strafbaren Inhalte zur Anzeige zu bringen; denn die sächsische Justiz wird solche Straftaten konsequent verfolgen, wenn die dazu notwendigen Strafanzeigen und Strafanträge gestellt sind.

Das besondere Problem an solchen Hassbotschaften im Netz ist, dass sie fast eine unbegrenzte Reichweite haben und dass sie sich im Nachhinein überhaupt nicht wieder zusammenfassen oder entfernen lassen. Um diese Verbreitung von Hassbotschaften einzudämmen, hat der Bund, nachdem er zunächst erfolglos eine einvernehmliche Lösung angestrebt hat, eine gesetzliche Verpflichtung zum Löschen entsprechender Inhalte im Netz getroffen.

Um dieses Gesetz jetzt zu stoppen – es ist auch schon gesagt worden –, ist es zu spät. Es wurde Anfang September verkündet und wird zum 1. Oktober in Kraft treten. Auch in dieser Diskussion, die sich vorher eröffnet hat, habe ich durchaus kritische Anmerkungen gemacht, zum Beispiel zu der Frage, ob die Zuständigkeit des Bundesamtes für Justiz tatsächlich für diese Löschung richtig ist. Ich meine, in so einem Spannungsfeld, wo es um die

Meinungsfreiheit des Einzelnen, zuletzt auch um die Pressefreiheit geht, sollte eine Institution in der Verantwortung sein, die der staatlichen Sphäre entzogen ist, zum Beispiel in der Art der Landesmedienanstalt oder Ähnliches. Es müssen nicht diese bestehenden Anstalten sein.

Und auch die föderale Diskussion über die Zuständigkeit des Bundes oder der Länder ist eine Frage, die man sicherlich diskutieren kann, aber festhalten muss man auf der anderen Seite ganz deutlich, dass der Staat das ebenfalls grundgesetzlich geschützte Persönlichkeitsrecht seiner Bürger auch im Netz wirksam schützen und dafür Sorge tragen muss, dass strafbare Inhalte beseitigt werden. Wenn Internetkonzerne nicht willens oder in der Lage sind, ihren Pflichten freiwillig nachzukommen, dann

muss der Staat dem notfalls auf anderem Weg Nachdruck verleihen.

Vielen herzlichen Dank, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Für die Staatsregierung sprach Herr Staatsminister Gemkow. Ich sehe keinen weiteren Redebedarf. Die zweite Aktuelle Debatte ist abgeschlossen und damit auch der Tagesordnungspunkt beendet.

Meine Damen und Herren! Ich rufe auf den

Tagesordnungspunkt 2

Befragung der Staatsminister

Für die Staatsregierung berichtet zunächst Herr Staatsminister der Justiz, wiederum Kollege Sebastian Gemkow – der ist jetzt schwer gefordert –, zum Thema Verbesserung der Situation von ehemaligen DDR-Heimkindern. Hierfür stehen Ihnen nach § 54 Abs. 2 der Geschäftsordnung bis zu 10 Minuten zur Verfügung. Anschließend haben die Fraktionen für eine Dauer von insgesamt 35 Minuten die Möglichkeit, dem Herrn Staatsminister Fragen zu seinem Bericht sowie zu einem weiteren Themenkomplex zu stellen. Als weiteren Themenkomplex hat die Fraktion der CDU das Thema „Reaktion der Justiz auf Beeinträchtigungen ihrer Dienststellen und deren Bedienstete durch sogenannte Selbstverwalter und Reichsbürger“ benannt.

Es gilt wieder die Festlegung, dass in der ersten Fragerunde nur Fragen zum Berichtsthema der Staatsregierung gestellt werden. In der zweiten Runde können diese Fragen sowohl zu diesem Thema als auch zu dem von der CDU-Fraktion genannten Themenkomplex gestellt

werden. Ich erteile jetzt Herrn Staatsminister der Justiz Sebastian Gemkow das Wort. Wir hören zunächst den Bericht des Staatsministers.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Auch mehr als 25 Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands ist die Aufarbeitung und Wiedergutmachung des staatlichen Unrechts in der ehemaligen DDR noch nicht abgeschlossen. Zwar wurde auf diesem Gebiet viel erreicht, aber trotzdem besteht immer noch Handlungsbedarf. Dabei sollen heute die Interessen der ehemaligen Kinder und Jugendlichen stärker in den Blick gerückt werden, weil diese Opfergruppe bislang zu wenig Beachtung in der Öffentlichkeit erfahren hat.

Die politische Verfolgung und Inhaftierung von Menschen in der ehemaligen DDR hat sich nahezu zwangsläufig auch immer auf deren Familie und gerade auch auf ihre Kinder ausgewirkt, denn oft war die Verurteilung der

Eltern zugleich mit der Einweisung ihrer Kinder in Heime verbunden, so dass diese Kinder ebenfalls Opfer staatlich organisierter Freiheitsentziehung geworden sind. Die Kinder wurden damit gewissermaßen in Familienhaft genommen, und trotzdem werden ehemalige DDRHeimkinder keineswegs automatisch rehabilitiert, auch wenn sie wegen der politisch motivierten Inhaftierung ihrer Eltern in das Heim gekommen sind.

Die Justizministerinnen und Justizminister der Länder haben sich schon auf ihrer Frühjahrskonferenz im Juni 2016 einstimmig dafür ausgesprochen, dass die Situation für die Betroffenen unbefriedigend ist und Veränderungen herbeigeführt werden müssen. Die Freistaaten Sachsen und Thüringen haben daraufhin Ende letzten Jahres einen gemeinsamen Gesetzentwurf eingebracht, um die Rechtslage für DDR-Heimkinder zu verbessern. Diese Initiative aus dem Osten war, wie sich daran unschwer erkennen lässt, von parteiübergreifendem Konsens getragen. Obwohl der Bundesrat schon im Februar beschlossen hatte, den Gesetzentwurf in den Deutschen Bundestag einzubringen, müssen wir heute leider feststellen, dass er dort nicht beraten worden ist. Viele Betroffene müssen also immer noch auf eine Wiedergutmachung warten, obwohl ihre Eltern schon lange rehabilitiert worden sind. Die Konsequenz der fehlenden Beratung im Bundestag ist außerdem, dass der Gesetzentwurf demnächst der Diskontinuität anheimfallen wird. Für mich steht aber außer Frage, dass das gesetzgeberische Anliegen auch weiterhin verfolgt werden muss. Deshalb haben wir schon in der letzten Sitzung des Bundesrates einen erneuten Anlauf genommen und den Gesetzentwurf wieder gemeinsam mit Thüringen eingebracht.

Ich möchte an dieser Stelle kurz skizzieren, worum es eigentlich geht. Kinder und Jugendliche, deren Eltern in der ehemaligen DDR politisch verfolgt und inhaftiert waren, sind häufig in Heime eingewiesen worden, und zwar selbst dann, wenn es andere Familienangehörige gegeben hat, bei denen man sie ohne Weiteres hätte

unterbringen können. Nicht selten haben die Behörden der ehemaligen DDR diesen Weg bewusst gewählt, um die schon inhaftierten Eltern noch zusätzlich zu disziplinieren.

Aber auch für die Kinder bedeutete das in der Regel großes Leid. Psychische Beeinträchtigungen und weitreichende Auswirkungen auf den weiteren Lebensweg dieser Menschen waren die Folge dieses Handelns. Viele Betroffene waren nicht nur in ihren persönlichen, sondern auch in ihren beruflichen Entwicklungen eingeschränkt. Manche leiden bis heute unter den Folgen.

Trotzdem gibt es im geltenden Recht immer noch große Hindernisse, Entschädigung und Rehabilitation für das erlittene Unrecht zu erhalten. Das liegt vor allem daran, dass die betroffenen Kinder nachweisen müssen, dass die Heimeinweisung ein Akt der politischen Verfolgung war.

Diesen Nachweis zu führen bereitet sehr vielen Betroffenen ganz große Schwierigkeiten. Die Sachverhalte liegen oft Jahrzehnte zurück. Akten wurden vernichtet, sind zum Teil unvollständig oder haben schon damals die Umstände der politischen Verfolgung verschleiert. Zeugen gibt es heute nur noch wenige. Sonstige Beweismittel sind rar. Mitunter haben noch nicht einmal die Betroffenen konkrete Erinnerungen an die Heimeinweisung, weil sie damals einfach noch zu jung gewesen sind.

Die Folge ist, dass eine ganze Reihe von Betroffenen die gebotene Rehabilitierung nicht in Anspruch nehmen kann. Entschädigung, soziale Ausgleichsleistung: alles Fehlanzeige. Dieses Ergebnis, meine sehr geehrten Damen und Herren, verfehlt den Sinn der strafrechtlichen Rehabilitierung und geht an der Lebenswirklichkeit in der ehemaligen DDR vorbei.

Das Rehabilitierungsgesetz dient der Wiedergutmachung staatlichen Unrechts in der DDR, das als Systemunrecht den Einzelnen zum Objekt gesellschaftspolitischer Auseinandersetzungen und Zielsetzungen degradierte. In der DDR wurden Menschen aus politischen Gründen verfolgt und eingesperrt. Heimeinweisungen von Kindern waren damit entweder notwendige Folge politischer Verfolgung oder sogar ein zusätzlicher Akt dieser Verfolgung. Ganze Familien wurden auf diese Art und Weise auseindergerissen und zerstört. Zweifellos haben die Kinder darunter nicht weniger gelitten als ihre Eltern – vielleicht sogar noch mehr.

Deshalb ist es nicht länger hinnehmbar, dass politisch verfolgte und inhaftierte Eltern zwar rehabilitiert werden, gleichzeitig aber ihre in Heimen untergebrachten und mitbetroffenen Kinder das Nachsehen haben. Es ist unsere Aufgabe, die Situation der Betroffenen schnell und effektiv zu verbessern.

Genau hier setzt unsere Gesetzesinitiative an. Wir wollen Beweisschwierigkeiten beseitigen, wir wollen eine wiederholte Antragstellung ermöglichen und die Antragsfristen verlängern.

Zum ersten Punkt: Wir brauchen eine Vorschrift zur Beweislastumkehr. Waren die Eltern nachweislich aus

politischen Gründen inhaftiert und ihre Kinder gleichzeitig in einem Heim untergebracht, dann liegt es nahe, dass auch die Heimunterbringung politisch motiviert war. Möge das Gericht im Einzelfall auch etwas anderes feststellen: Grundsätzlich sollten wir jedenfalls keine weitergehenden Nachweise von ehemaligen Heimkindern mehr verlangen.

Zum zweiten Punkt: Die Neuregelung wird dazu führen, dass viele künftige Fälle anders entschieden werden, weil die Beweislast dann anders aussieht. Das Problem dabei: Wie helfen wir denjenigen, die an eben dieser Beweislast schon einmal gescheitert sind? Auch dazu gibt der vorliegende Entwurf eine Antwort. Für genau diese Fälle wird eine Regelung geschaffen, nach der ein Antrag auf Rehabilitierung noch einmal gestellt werden darf. Nur so können wir bislang benachteiligte Kinder und Jugendliche letztlich von dieser Neuregelung profitieren lassen.

Schließlich zum dritten Punkt: Mit dem Entwurf greifen wir zugleich ein anderes drängendes Thema auf, nämlich die Frist für die Rehabilitierungsanträge, die aktuell bis zum 31. Dezember 2019 läuft. Behalten wir diese Frist bei, dann können ab 2020 keine Anträge mehr gestellt werden. Auch das ist in meinen Augen ein unhaltbarer Zustand, denn bis heute verzeichnen die zuständigen Stellen neue Anträge in beträchtlicher Zahl. Betroffene werden oft erst bei der Klärung ihrer Rentenzeiten wieder mit dem Thema konfrontiert. Dass sich daran ab 2020 etwas grundlegend ändern sollte, ist kaum zu erwarten.

Gerade auch im Hinblick auf die angestrebten Verbesserungen für ehemalige Heimkinder brauchen wir eine weitere Verlängerung der Frist. Gelingt es uns, diese Regelung umzusetzen, dann müssen wir den Betroffenen auch ausreichend Zeit lassen, entsprechende Anträge zu stellen. Sonst wären die Mühen vergebens, und wir brauchten letztlich auch diese grundsätzlichen Änderungen nicht herbeizuführen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte abschließend noch zu den zu erwartenden Kosten sprechen. Diese Kosten werden zwischen Bund und Land geteilt; der Bund trägt 65 % der Kosten, die Länder tragen 35 %.

Die Betroffenen erlangen im Wege der Rehabilitierung zunächst eine juristische und moralische Wiedergutmachung, und zwar dadurch, dass ein Gericht die jeweilige Maßnahme, die damals getroffen worden ist, für rechtsstaatswidrig erklärt. Aber das ist nach dem Gesetz nur der erste Schritt.

Eine erfolgreiche Rehabilitierung führt für die Heimkinder zu einem Ausgleichsanspruch für die Nachteile, die durch die Heimunterbringung entstanden sind. Die Betroffenen können einen Antrag auf Kapitalentschädigung stellen. Für jeden angefangenen Kalendermonat der Heimunterbringung wird ein Beitrag in Höhe von 306,78 Euro gewährt.

Darüber hinaus können sie eine monatliche besondere Zuwendung, die sogenannte Opferrente, erhalten, wenn

sie mindestens 180 Tage im Heim untergebracht waren und in ihrer wirtschaftlichen Lage besonders beeinträchtigt sind. Diese Zuwendung beläuft sich auf maximal 300 Euro im Monat.

Mit den vorgesehenen gesetzlichen Änderungen geht aller Voraussicht nach eine höhere Anzahl von Anträgen auf Kapitalentschädigung und auch auf Opferrente einher. Dazu kommt, dass in einer Reihe von abgeschlossenen Verfahren neue Anträge gestellt werden können. Deswegen ist eine genaue Prognose zur Anzahl der Anträge, die auf die Gesetzesänderung zurückgehen, im Moment noch nicht möglich. Wir haben vorläufige Schätzungen angestellt, nach denen für den Freistaat Sachsen mit etwa 50 solcher Anträge zu rechnen sein wird.

Nach den bisherigen Erfahrungen und bei Annahme eines durchschnittlichen Heimaufenthalts von 36 Monaten würden für die Gewährung der Kapitalentschädigung einmalig etwa 190 000 Euro auf den Freistaat Sachsen entfallen. Geht man zusätzlich von 25 Personen aus, die Opferrente beziehen könnten, müsste der Freistaat dafür rund 30 000 Euro im Jahr aufwenden.

Weitere finanzielle Belastungen ergeben sich daraus, dass die Frist zur Stellung von Anträgen auf Rehabilitierung über den 31. Dezember 2019 hinaus verlängert werden soll. Deshalb ist auch zukünftig mit weiteren Anträgen zu rechnen. Wir schätzen die Anzahl an Bewilligungen auf etwa 50 pro Jahr.

Trotzdem, meine sehr geehrten Damen und Herren, sollten wir, wie ich glaube, diese anfallenden Kosten nicht scheuen. Es handelt sich um eine vergleichsweise abgrenzbare Größenordnung. Zum anderen sollte uns die effektive Rehabilitierung der DDR-Heimkinder ein gesellschaftspolitisches Anliegen sein, das groß genug ist, diese Mehrausgaben zu rechtfertigen. Ich denke, es handelt sich um gut angelegtes Geld, das der Genugtuung von Opfern des DDR-Unrechts dient und erlittenes Leid zumindest ein klein wenig mildern kann.

Vielen herzlichen Dank zunächst für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU, den LINKEN, der SPD und der Staatsregierung)

Vielen Dank, Herr Minister. Wir kommen jetzt zur ersten Fragerunde. Es beginnt die CDU-Fraktion.

Vielen Dank, Herr Staatsminister Gemkow, für die Ausführungen.

Frage 1: Bedarf es des neuen Gesetzes tatsächlich, oder könnten die Gerichte nicht mit einer entsprechenden Auslegung der bisherigen Regelung die Situation der Heimkinder in rehabilitierungsrechtlicher Hinsicht verbessern?

Vielen Dank für die Frage. – Bisher ist es so, dass der Bundesgerichtshof in seiner Rechtsprechung festgestellt hat, dass

diese sogenannte, wie er es nennt, mittelbare Verfolgung, wie sie letztlich bei der nachgelagerten Heimunterbringung von Kindern inhaftierter Eltern erfolgte, nicht ausreicht, um einen Anspruch nach dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz zu statuieren.

Das heißt, schon aufgrund der Befassung der Gerichte war deutlich, dass eine Auslegung des Rechts nicht dazu führen wird, dass man dieser Ungerechtigkeit begegnen kann, sondern dass am Gesetz grundsätzlich etwas geändert werden muss. Das wird hiermit getan.