Protokoll der Sitzung vom 16.11.2017

Deshalb meine Bitte an Sie als einbringende Fraktion: Lassen Sie uns die Lösungen sachlich und analytisch angehen, ein Schritt nach dem anderen.

(Valentin Lippmann, GRÜNE: Machen wir!)

Meine Damen und Herren, die Bediensteten der sächsischen Polizei verdienen unsere volle Aufmerksamkeit. Wir sollten hier nicht kleinteilig an Reformen herumdoktern, sondern ganzheitlich ein Konzept im Auge behalten, das wir abarbeiten und stets kontrollieren.

(Zuruf des Abg. Rico Gebhardt, DIE LINKE)

Zunächst wollen wir aber die PS – Herr Gebhardt, PS steht in diesem Fall für Polizeistärke – auf die Straße bringen.

(Valentin Lippmann, GRÜNE: Wir reden schon seit fünf Jahren darüber!)

Wenn wir dann feststellen, dass wir an der einen oder anderen sensiblen Stelle nachjustieren, dass wir auch über längere Öffnungszeiten sprechen müssen oder dass wir noch ein zusätzliches Revier brauchen, dann sind wir gern bereit, darüber zu sprechen. Das werden wir auch sehr verantwortungsvoll mit unserer sächsischen Polizei gemeinsam beraten.

(Zuruf des Abg. Rico Gebhardt, DIE LINKE)

Bis dahin allerdings werden wir den Antrag ablehnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der Staatsregierung)

Für die Fraktion DIE LINKE spricht jetzt Herr Kollege Stange.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vorliegende Antrag begehrt in der Konsequenz, in jeder Stadt, in jeder Gemeinde mit 10 000 Einwohnern und mehr ein Revier einzurichten. Kollege Lippmann, wir sind uns in dem Grundziel einig, dass wir mehr Polizei in der Fläche brauchen, dass wir auch über die Polizeirevier- und -standortstruktur neu nachdenken müssen. Darin sind wir uns völlig einig.

Allerdings hat der vorliegende Antrag zwei Probleme; das eine ist das Kriterium 10 000 Einwohner und das andere das Kriterium Einhalten der 20 Minuten – als strenges Kriterium.

Ich begründe Ihnen das. Es sind 37 Reviere, die eingerichtet werden müssten, Kollege Voigt, und wenn man das mit 75 oder 80 über den Daumen ausrechnet, liegen wir

bei 2 960 Bediensteten, die wir bräuchten. Ich kann im Moment nicht erkennen, dass diese Zahl, zumindest solange der Herr Unland auf der Schatzschatulle sitzt, irgendwann umgesetzt wird.

(Zuruf des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE)

Auch bei den 1 000 zusätzlich werden wir frühestens – wir haben doch gemeinsam gerechnet, Kollege Lippmann, wir einigen uns –, sagen wir mal, im Jahr 2024, da bin ich gnädig, ankommen. Bis dahin haben wir Zeit, am Feinkonzept zu schrauben, weil wir sie vorher einfach nicht haben und sie auch nicht in den Revieren einsetzen können.

(Zuruf des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE)

Das ist Fakt. Fakt ist aber auch, wenn wir das Kriterium 10 000 Einwohner ansetzen, haben wir in Gemeinden wie zum Beispiel Mülsen oder Hohenstein-Ernstthal – ist mir gerade entfallen, aber auch dort – einen Betreuungsschlüssel. Wir können eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung von Straftätern oder von Schwarzfahrern vornehmen; das können wir ab dem Jahr 2025 machen.

(Zuruf des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE)

Aber weil wir dann dort so viele Beamte und einen hohen Betreuungsschlüssel haben, sollten wir das vielleicht so einrichten, dass wir die Schwarzfahrer mit der Streife fahren, das wäre kriminalpräventiv, meine Damen und Herren. Aber jetzt im Ernst: Ein solches Kriterium kann man nicht anlegen, wenn man ernsthaft an der Revier- und Standortstruktur arbeiten will.

Eine Anmerkung noch – mir läuft die Zeit davon –: 20 Minuten Eintreffzeit.

(Christian Piwarz, CDU: Haben wir Redezeit festgelegt? – Unruhe)

Fakt ist – jetzt lasst mich doch mal ausreden –, dass wir die Eintreffzeiten regelmäßig abfragen. Ja, wir haben wachsende Eintreffzeiten. Aber wir haben einen deutlichen Unterschied zwischen ländlichem Raum und urbanen Zentren. Aufgrund der hohen Einwohnerzahl und der hohen Sachverhaltszahl in den Oberzentren sind dort die Eintreffzeiten enorm angestiegen und liegen enorm höher. Man erreicht das nicht mit einer anderen Revierstruktur, das relativ zügig einzurichten. Wir können über Leipzig und Dresden sprechen und im Übrigen das Umland Leipzig nicht mehr durch Leipzig betreuen usw. Da bin ich bei Ihnen, aber strenges Kriterium 20 Minuten heißt, dass wir in Zukunft erst einmal zum geklauten Fahrrad fahren bzw. zum Opfer und dann, weil 20 Minuten eingehalten werden müssen, überlegen, ob wir noch zu Leib und Leben fahren. Da ist es mir lieber, dass es nach Dringlichkeit, und zwar nach sachlicher Dringlichkeit, entschieden und nicht ein solches Kriterium angelegt wird.

(Zuruf des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE)

Alles in allem: Lasst uns bitte erst einmal einen Schritt machen, nämlich eine echte Evaluierung bei der Polizei,

und zwar der Arbeit der Polizei und des Personalbedarfs. Und dann kommen wir dazu, die Revierstruktur zu überarbeiten. Wir werden uns daran halten.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN)

Kollege Stange sprach für DIE LINKE. Als Nächster sprechen Sie, Herr Kollege Pallas, für die SPD-Fraktion.

(Unruhe)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute auf Antrag der GRÜNEN über die Präsenz der Polizei in der Fläche im Freistaat Sachsen. Es ist für viele Menschen aktuell ein sehr wichtiges Thema. Auch wir Sozialdemokraten arbeiten schon länger an dieser Frage. Insofern finde ich es gut, dass wir heute darüber diskutieren und Stellung beziehen können.

Die Kernaufgabe, die wir lösen müssen, ist, wie wir den Rückbau des Staates der letzten Jahre wieder rückgängig machen können. Am Beispiel der Polizei wurden die Auswirkungen dieser Einsparpolitik am schmerzhaftesten deutlich. Das subjektive Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger ist durch den Polizeiabbau schlechter geworden. Das müssen wir alle hier ernst nehmen; denn auch ein Mensch, der sich nicht sicher fühlt, ist unfrei, weil er sich in seinem Handeln selbst einschränkt. Deshalb mehr Polizeipräsenz. Für eine Erhöhung der Polizeipräsenz brauchen wir wirkungsvolle, aber auch machbare Konzepte, lieber Valentin Lippmann.

Dem vorliegenden Antrag merkt man an, dass er mit der heißen Nadel gestrickt und nicht ganz durchdacht ist, er ist plakativ, hält aber einer näheren Betrachtung nicht stand. Sie müssen sich nur die Frage stellen, ob eine massive Aufstockung der Anzahl der Polizeireviere wirklich eine bessere Abdeckung der gesamten Fläche im Freistaat Sachsen bringt.

Wäre es nicht wichtiger, dass mehr Polizeistreifen unterwegs sind und es nicht nur Reviere in den Orten gibt, die eben auch Verwaltungspersonal binden? Schon deshalb sind Ihre Vorschläge – es ist gut, dass Sie es als Vorschläge gekennzeichnet haben – nicht wirklich gut, weil sie den Kern des Problems verfehlen.

Es ist ein typischer Oppositionsantrag. Alles gut. Deshalb kann man es Ihnen auch verzeihen. Aber es ist ebenso gut, dass wir als SPD in der Koalition als Regierungsfraktion Verantwortung übernehmen und das Problem wirklich lösen wollen.

Wie wollen wir die Polizei weiterentwickeln? Nicht erst jetzt haben wir festgestellt, dass die Beschlüsse zum Stellenabbau vor zehn Jahren und letztlich auch in der Folge die Strukturreform „Polizei 2020“ falsch waren, weil sie einen Rückzug der Polizei aus bestimmten Gebieten in Sachsen zur Folge hatten.

Es wurde eben nicht 27 Jahre lang alles richtig gemacht. Aus einer Präventionspolizei – wir haben das gehört – wurde eine reine Auftragspolizei. Es gibt Orte in Sachsen, die schon seit Monaten keinen Polizisten oder Funkstreifenwagen mehr gesehen haben. Die Mehrheit der Bevölkerung wünscht sich eine Polizei, die vor Ort ist, eine Polizei zum Anfassen. Sie wünscht sich den Dorfpolizisten genauso wie den Streifenbeamten, der auch tagsüber mal Zeit hat für ein Gespräch über den Gartenzaun.

Wir Sozialdemokraten wollen eine Polizei, die vor Ort ist. Es geht vor allem um die tatsächlich im Polizeidienst eingesetzten Männer und Frauen, nicht in erster Linie um Gebäude und Strukturen. Wir wollen, dass die Polizei auch in sächsischer Randlage oder in Orten präsent ist, die in den letzten Jahren Einwohner verloren haben. Was denn sonst?! Wir wollen eine Polizei, die im Ernstfall schnell vor Ort ist – egal, ob in Leipzig, im Kurort Rathen oder in Reichenbach im Vogtland. Wir wollen, dass die Polizei ausreichend Zeit hat, um mit Bürgern zu sprechen, aber auch mit unterschiedlichsten Trägern von Präventionsaufgaben und anderen Institutionen Kontakt zu halten. Das ist wichtig, um problematische Entwicklungen der Gesellschaft frühzeitig zu erkennen und ihnen präventiv entgegentreten zu können, bevor Straftaten begangen werden.

Wir wollen eine Polizei, die große Einsatzlagen bewältigen kann, ohne dass die Angehörigen der Bereitschaftspolizei über Monate nicht aus den Stiefeln kommen. Wir wollen eine Polizei, die wieder in der Lage ist, ausreichend Verkehrskontrollen durchzuführen, um die Sicherheit im Straßenverkehr zu erhöhen. Und wir wollen eine Polizei, die auch bei Phänomenen der Massenkriminalität Straftaten ausermittelt, jedem Ansatz nachgeht, die Aufklärungsquote weiter erhöht und damit zukünftige Straftaten verhindert.

Wie kommen wir dahin? Natürlich benötigen wir zuerst das Personal. Als SPD und mit unserem Koalitionspartner zusammen haben wir dafür gesorgt, dass mehr Polizisten ausgebildet werden. Ab kommendem Jahr sind

700 Beamte in Ausbildung, zunächst einmal bis 2021, einzustellen. Mit Blick auf die unterschiedlichen Vorschläge zur Verteilung der 1 000 Stellen ist, denke ich, die Frage erlaubt, ob wir nicht den hohen Einstellungskorridor noch länger aufrechterhalten müssen.

Die gegenwärtig vorgesehenen 1 000 Stellen müssen sinnvoll im Land verteilt werden. Dabei gilt es, alle Dienstzweige der Polizei je nach Aufgabe zu stärken. Das wird, lieber Kollege Lippmann, in dem Antrag der GRÜNEN leider vernachlässigt. Auch die Bereitschaftspolizei braucht Zuwachs. Wir haben immer noch weit mehr Versammlungslagen als vor sechs oder sieben Jahren. Diese haben sich seit 2010 verdoppelt. Dabei lasse ich 2015 unberücksichtigt. Wir müssen auch die Kriminalpolizei stärken, um konsequent an der Kriminalitätsbekämpfung arbeiten zu können.

Vor allem aber müssen wir die Präsenz erhöhen. Das ist die heutige Kernfrage. Ein neues Revier macht nicht

automatisch mehr Präsenz und benötigt weit mehr Personal als nur den Streifendienst. Deshalb wäre eine reine Revierzahlerhöhung nicht sinnvoll.

Meiner Meinung nach brauchen wir eine Mischung aus mehreren Schritten. Zunächst müssen wir mit Blick auf die Sachsenkarte weiße Flecke identifizieren, die unterversorgt sind. An diesen Orten gilt es, den Streifendienst bestehender Reviere personell zu stärken. Wir sollten auch die Zahl der Bürgerpolizisten flächendeckend erhöhen, und zwar in Stadt und Land. Das sind aus meiner Sicht die wohl wichtigsten Kommunikatoren der Polizei mit der Bevölkerung. Kurzfristig gilt es, eine fachfremde Verwendung der Bürgerpolizisten im Streifendienst zu beenden.

Als Nächstes könnten Polizeistandorte, in denen jetzt nur tagsüber Polizisten sind, aufgewertet werden, indem beispielsweise dort Streifenbeamte eingesetzt werden, die 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche verfügbar sind und vom nächstgelegenen zuständigen Polizeirevier geführt werden.

Im Einzelfall kann die Neugründung eines Reviers notwendig sein. Das Wichtigste aber ist, meine Damen und Herren: Lassen Sie uns keine neue Strukturreform durchführen. Die Polizei braucht nach den großen Reformen der letzten Jahre, die große Unruhe verursacht haben, die nötige Ruhe, um die Aufgaben ordentlich bewältigen zu können. Dazu gehört, die Analyse und Maßnahmen gemeinsam mit der Polizei zu planen und nicht über ihre Köpfe hinweg mit plakativen Vorschlägen aus dem Parlament zu kommen.

Über all diese Themen, meine Damen und Herren, reden wir längst innerhalb der Koalition, um sie zu lösen. Der hier vorliegende Antrag hilft dabei leider nicht weiter. Daher lehnen wir ihn ab.

Vielen Dank.