Ich durfte vor einigen Jahren in Amerika eine Obdachloseneinrichtung besuchen und habe dort die Zustände gesehen. Ich bin dankbar, dass wir in Deutschland und im Freistaat Sachsen sind. Denn diese Zustände sollten bei uns nie so eintreffen und sich vorfinden.
Meine Damen und Herren! Die zweite Aktuelle Debatte ist damit abgeschlossen. Ich schließe den Tagesordnungspunkt. Wir kommen zu
Den Fraktionen wird das Wort zur allgemeinen Aussprache erteilt. Es beginnt die CDU-Fraktion mit Herrn Abg. Hartmann. Danach folgen DIE LINKE, SPD, AfD, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn sie es wünscht. Herr Hartmann, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sprechen jetzt über das Zweite Gesetz zur Fortentwicklung des Kommunalrechts, einen Gesetzentwurf der Staatsregierung.
Lassen Sie mich einleitend deutlich machen: Elementare Grundlage allen kommunalpolitischen Handelns im Freistaat Sachsen ist neben der Verfassung die Gemeinde- und Landkreisordnung. Die Novellierung dieses Gesetzes erforderte daher viel Augenmaß und Fingerspitzengefühl. Schließlich regelt es den Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung.
Mit der Novellierung der Sächsischen Gemeindeordnung haben wir das Ziel verbunden, die Landkreise, Städte und Gemeinden bei der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben leistungsfähiger und effizienter zu machen. Besonders wichtig war es uns dabei, die wirtschaftlichen Grundlagen zu stärken, den kreisfreien Städten mehr Flexibilität bei der Ausgestaltung der Mitwirkungsrechte im Stadtbezirksrecht und den Gemeinden in der Regelung des Ortschaftsrechts zu geben, Kommunen größeren Spielraum bei finanziellen und vermögensrechtlichen Fragen zu eröffnen. Alles in allem handelt es sich um ein sehr umfangreiches Artikelgesetz mit zahlreichen Neuerungen, von denen ich dann einige näher vorstellen will.
Noch ein Satz zum Verfahren: Der Entwurf der Sächsischen Staatsregierung war Grundlage einer umfassenden Anhörung im Innenausschuss dieses Hohen Hauses. Wir haben eine ganze Reihe von Anregungen aufgenommen, Regelungen im Gesetzentwurf konkretisiert oder ergänzt und bringen sie heute mit den Beschlussempfehlungen des Innenausschusses so zur Diskussion und hoffentlich zur Zustimmung in diesem Hohen Hause.
Was betrifft nun die Regelungen im Einzelnen? Die Stadtbezirksverfassung und das Ortschaftsrecht waren an der Stelle wesentliche Punkte, mit denen wir uns auseinandergesetzt haben. So wurde die Stadtbezirksverfassung neu gefasst und die kreisfreien Städte erhalten mehr Flexibilität bei der Ausgestaltung der lokalen Mitwirkungsrechte von Stadtbezirksbeiräten. Die Möglichkeit der Einführung der Stadtbezirksrechte bleibt auf die kreisfreien Städte beschränkt. Wir haben uns durchaus vorstellen können, den Korridor zu eröffnen. Es gab auch
hierbei deutliche Hinweise des SSG, es genau systemisch auch an der Stelle auf die kreisfreien Städte zu beschränken.
Der Grundsatz der Benennung der Stadtbezirksbeiräte bleibt bestehen. Gleichwohl eröffnen wir die Möglichkeit durch Beschluss der Hauptsatzung, zukünftig auch Stadtbezirksbeiräte direkt wählen zu können. Das erfolgt in Analogie an das Wahlrecht von Ortschaftsräten.
Im Übrigen kann eine Vielzahl von Aufgaben an den Stadtbezirksbeirat übertragen werden. Diese leiten sich durch die Entscheidungsbefugnisse des Gemeinderates über die Hauptsatzung an den Stadtbezirksbeirat ab. Dabei sollen dem Stadtbezirksbeirat auch angemessene Haushaltsmittel zur Erfüllung seiner Aufgaben zur Verfügung gestellt werden. Gleichermaßen soll auch der Stadtbezirksbeirat bei der Entscheidung von Leitern örtlicher Verwaltungen – so sie vorhanden sind – mitwirken können.
Wir haben uns auch umfassend mit der Stärkung und der Ausgestaltung des Ortschaftsrechtes beschäftigt. Hierbei sei klargestellt: Unsere Sicht und auch der Grundgeist der Sächsischen Gemeindeordnung in seiner Fassung – wie im Mai 1993 in Kraft getreten – waren es, im Rahmen von Gebietsänderungen innerhalb einer Gesamtgemeinde die Möglichkeit zu eröffnen, dass beitretende Gemeinden, eingemeindete Strukturen auch ihre Ortsidentifikation im Rahmen der Gesamtgemeinde weiter bewahren können und gemeinschaftlich im Sinne einer Gesamtgemeinde agieren.
Wir haben nunmehr mit dem Gesetzentwurf klargestellt, dass die Einführung von Ortschaftsverfassungen in Gemeindeteilen möglich ist, deren Gebietsänderungen nach dem 1. Mai 1993 erfolgt sind.
Wir haben, wohl wissend, dass solche Prozesse eine entsprechende Entscheidungszeit brauchen, eine Übergangsfrist geschaffen, die den kreisangehörigen Kommunen eröffnet, bis zum 31. Dezember 2024 das Ortschaftsrecht in ihren Gemeinden unabhängig von dieser Stichtagsregelung noch einführen zu können.
Wir haben die Mitwirkungsrechte von Ortschaftsräten gestärkt, in denen wir zum Tatbestand der Mitwirkung die gemeindliche Planungshoheit, die Entscheidung über Vermietung, Verpachtung und Veräußerung von Grund
Zur Erfüllung der wahrgenommenen Aufgaben haben die Ortschaften entsprechend angemessene Haushaltsmittel zu erhalten. Auch das ist klargestellt. Es ist auch klargestellt, dass es in dem Zusammenhang auf eine Abstufung ankommt, nämlich im Verhältnis der Entscheidungsbefugnisse der Gesamtgemeinde und der Zuständigkeit der Ortschaft. Zukünftig kann im Übrigen auch der Ortschaftsrat nicht nur den Ortsvorsteher, sondern in Abstimmung mit diesem auch ein anderes sachkundiges Mitglied des Ortschaftsrates zu Beratungen des Gemeinderates oder seiner Ausschüsse entsenden.
Wir haben im Weiteren in der Sächsischen Gemeindeordnung Klarstellungen zur Vertretungsregelung im Gemeinderat getroffen. Unser Ziel ist, dass es eine nicht personengebundene Vertretung in Gemeinderäten oder in den Ausschüssen des Gemeinderates gibt, sodass die Ausschussmitglieder und die Vertreter bis zur dreifachen Höhe personenungebunden die Interessen der entsprechenden Fraktion auch bei Abwesenheit des Ausschussmitgliedes vertreten können.
Die Zusammensetzung der Ausschüsse im Benennungsverfahren haben wir harmonisiert. Die Regelungen finden nunmehr für alle Möglichkeiten der Sitzverteilung innerhalb der Ausschüsse Anwendung. Zu den kommunalen Beauftragten haben wir klargestellt, dass es nicht nur um die Frage des Ausländerbeauftragten, sondern um mehr geht, nämlich um die Fragen der Aufnahme von Migration und Integration. Insoweit ist diese klarstellende Begrifflichkeit auch der Debatte der letzten Jahre und der Konkretisierung der Aufgabeninhalte richtig und sachgerecht geschuldet.
Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen haben wir an dieser Stelle ebenfalls in den Regelungskatalog der Gemeinde- und Landkreisordnung aufgenommen, als dass die Kommunen an der Stelle dafür Sorge tragen müssen, dass sie auch die Interessen von Kindern und Jugendlichen bei Entscheidungen berücksichtigen. Welches Instrument sie dabei wählen, ist tatsächlich originärer Bestandteil der kommunalen Selbstverwaltung und muss im Ermessen der Gemeinde selbst stehen. Insoweit haben wir es bei der Zielstellung belassen, ohne die Instrumente vorzugeben. Ich glaube, sie sind von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich zu bewerten und in ihrer Anwendung zu formulieren.
Ebenfalls gelockert haben wir die bisher geltenden Beschränkungen für Hinderungsgründe von Mitarbeitern von Rechtsaufsichtsbehörden und Rechnungsprüfungsämtern. Da besteht zukünftig auch die Möglichkeit, im Gemeinderat mitzuwirken, soweit ich nicht Teil der konkreten rechtsaufsichtlichen Prüfungsbehörde oder des Rechnungsprüfungsamtes bin, was genau diese Gemeinde prüft oder kontrolliert.
Zwei wesentliche Punkte sind aus unserer Sicht ebenfalls die Regelungen zur Veräußerung kommunalen Vermögens. Wir haben hier eine Genehmigungsfiktion einge
führt. Diese Genehmigungsfiktion führt dazu, dass der Antrag auf Veräußerung von Vermögensgegenständen innerhalb von sechs Wochen zu entscheiden ist. Liegt diese Entscheidung der Rechtsaufsicht nicht vor, gilt der Antrag als genehmigt.
Dem vorangestellt ist eine zweiwöchige Frist für die Vollständigkeit der Antragsunterlagen. Das heißt, die ersten zwei Wochen besteht für die Rechtsaufsicht die Möglichkeit, darauf hinzuweisen, dass die Unterlagen unvollständig sind. Tut sie das nicht, gilt auch an der Stelle die Einreichung der Unterlagen als vollständig. Dann folgen noch einmal vier Wochen für die Entscheidungsgrundlage. Das heißt, nach sechs Wochen ist in jedem Fall – auch für die Kommunen, falls sie nicht selbst Fehler im Verfahren gemacht haben – klar, dass diese Veräußerung möglich ist oder eben auch nicht.
Die Privatisierung öffentlicher Einrichtungen und Unternehmen, das heißt, die Entscheidung darüber, ob kommunales Vermögen veräußert wird, wird an die Regelung des kassatorischen Bürgerbegehrens gebunden. Das heißt, die Entscheidung des Gemeinderates wird erst mit einer Dreimonatsfrist rechtswirksam. Das heißt, nach der Entscheidung werden die Fristen für ein kassatorisches Bürgerbegehren abgewartet, um dann die Entscheidung zu vollziehen. Das ist aus unserer Sicht auch im Interesse der Gesamtgemeinde eine sinnvolle Regelung, um nicht letztendlich mögliche Entscheidungen einer Bürgerschaft gegen eine Entscheidung des Gemeinderates zu verhindern.
Wir haben die Spendenregelung in der Sächsischen Gemeindeordnung konkretisiert. Sie wissen, mit der letzten Novelle der Sächsischen Gemeindeordnung haben wir eine Regelung hinsichtlich der Annahme von Spenden aufgenommen. Sie diente vor allen Dingen dem Schutz der Amtsträger vor dem Vorwurf möglicher Bevorteilung oder Korruption. Die Praxis hat gezeigt, dass die Regelung gut gedacht ist, aber in der praktischen Anwendung nicht alle Problemlagen aufgenommen wurden. Deswegen haben wir uns erneut mit dieser Spendenregelung beschäftigt.
Diese Spendenregelung sieht nunmehr vor, dass es eine Bagatellgrenze von 50 Euro gibt – die sogenannte Kuchenspende, beispielsweise bei Kuchenbasaren –, die von einer solchen entsprechenden Genehmigung freigestellt sind. Spenden bis 1 000 Euro können listenmäßig zusammengefasst werden und durch den Gemeinderat bestätigt werden. Die Spendeneigenwerbung ist zukünftig nicht mehr nur auf den Bürgermeister beschränkt, sondern kann durch leitende Bedienstete vorgenommen werden. Letzten Endes haben wir auch den Regelungsbereich dahin gehend konkretisiert, dass Museen, Archive und Bibliotheken von der Regelung ausgenommen sind.
Das kommunale Wirtschaftsrecht haben wir ebenso gestärkt; insbesondere in der Frage der Mitwirkung bei Prüfrechten als auch bei der Definition nicht wirtschaftlicher Unternehmen.
Das kommunale Haushaltsrecht hat sich an der Stelle an die Praxis angepasst. Hierunter fallen aus unserer Sicht insbesondere der Verzicht auf die Fortschreibung des Finanzplanes im zweiten Jahr der Haushaltsplanung, der Verzicht auf die öffentliche Bekanntgabe des Jahres- und Gesamtabschlusses, die Erleichterung bei der Erstellung eines Nachtragshaushaltes. Das war insbesondere ein Ausfluss der Anhörung, in der deutlich geworden ist, dass gerade in der Entscheidung, wenn eine Investition im Haushalt geplant ist, diese aus objektiven Gründen nicht umsetzbar ist, eine Investition in gleicher Höhe mit ähnlicher Folgewirkung auch ersetzt werden kann durch Beschluss des Gemeinderates, ohne dass eine Nachtragshaushaltspflichtigkeit eintreten muss.
Wir erleichtern die Regelung zur Nachholung der Jahresabschlüsse und wir erleichtern auch den Kommunen die entsprechende Steuerung dieses Prozesses. Hinsichtlich der Aufstellung der Gesamtabschlüsse haben wir eine Präzisierung vorgenommen und insoweit noch einmal – das gilt mit Blick auf die Herausforderungen der Kommunen – die Zeit für das Vorliegen der Jahresabschlüsse für den Gesamtabschluss mit einer Frist auf das Jahr 2023 verlängert.
Die Regelungen tragen aus unserer Sicht in ihrer Gesamtheit dazu bei, dass das Verwaltungsverfahren in den Kommunen verschlankt und vereinfacht wird und die administrativen Voraussetzungen insgesamt auch für das Haushaltsrecht bei der Aufgabenerledigung erleichtert werden.
Wir haben eine Fortbildungspflicht für kommunale Vertreter aufgenommen. Das ist aus unserer Sicht sehr wichtig. Wenn die Kommune kommunale Vertreter in Gesellschafterversammlungen und Aufsichtsratsgremien entsendet, gilt für uns, dass sie auch entsprechend qualifiziert und geschult sein müssen, um diese Aufgaben wahrzunehmen. Hier ist diese Fortbildungspflicht aufgenommen. Aus unserer Sicht liegen die Kosten einer solchen Fortbildungspflicht bei denen, die entsprechend diese Aufgabe zu erfüllen haben, das heißt bei den entsprechenden Unternehmen.
Ein Satz sei mir auch zu der Frage der Qualifikationsanforderung der Fachbediensteten für das Finanzwesen gestattet: Uns ist sehr bewusst, dass es eine große Herausforderung für die Kommunen – gerade für die kleineren – ist, im Rahmen des demografischen Wandels bei der Personalsituation qualifiziertes Personal zu finden. An dieser Stelle haben wir eine erste Erleichterung vorgenommen, was die Frage der Berufserfahrung betrifft, und zwar von drei auf zwei Jahre.
Was die Qualifikation als solches betrifft, so muss ich deutlich sagen, ist unsere Fraktion der Auffassung, dass, wenn der Finanzbedienstete ein weitestgehendes Recht bis hin zu der Frage der Verhängung von Haushaltssperren für die Kommune hat, er auch über die entsprechenden Qualifikationsnachweise verfügen muss.
Es muss aber auch Aufgabe der Staatsregierung und dieses Hohen Hauses sein, die Kommunen bei der Perso
nalgewinnung und Qualifizierung der Stellenbewerber zu unterstützen. Ob das entsprechende ergänzende Angebote an der Verwaltungshochschule Meißen sind, ob das die Frage einer Kapazitätserweiterung der Verwaltungsfachhochschule Meißen ist, ob das entsprechende Möglichkeiten für berufsbegleitende Qualifikationen sind, diese Fragen werden wir weiter miteinander diskutieren. Klar muss aber auch sein: Wer eine entsprechende Kompetenz und Entscheidungsbefugnis hat, muss auch den entsprechenden Qualifikationsanforderungen genügen.
Aus unserer Sicht haben wir heute einen Gesetzentwurf vorliegen, der aus Sicht der Staatsregierung die Problemkreise aufgenommen hat, die Hinweise und Anregungen des Sächsischen Städte- und Gemeindetages ebenso berücksichtigt wie die Zielsetzung, die wir vertreten haben. Ich glaube, dass die Koalition heute mit diesem mittlerweile vorliegenden Gesetzentwurf auch einen wesentlichen Beitrag für eine ordentliche Kommunalverfassungsrechtlichkeit in diesem Land leistet.
Ein letzter Satz sei mir dahin gehend gestattet deutlich zu machen: Wenn wir über kommunale Herausforderungen reden, dann reden wir über unterschiedliche Sichtweisen. Wir reden nicht nur über unterschiedliche Sichtweisen der Aufgabenbetrachtung eines Landkreises oder einer kreisangehörigen Kommune. Wir reden auch über unterschiedliche Sichtweisen von kreisfreien Städten, Mittelzentren und kleinen Kommunen mit ehrenamtlichen Bürgermeistern. Wir reden über unterschiedliche Sichtweisen von Bürgermeistern und Gemeinderäten, von unterschiedlichen Sichtweisen von Gemeinderäten und Kreisräten, von Betrachtung einer Rechtsaufsicht versus der Frage der Prüfrechte von Gesellschafterversammlungen. All diese Faktoren gilt es gleichermaßen zu berücksichtigen und ernst zu nehmen.
Die Herausforderung besteht darin, diese Interessen so vernünftig zu harmonisieren, dass beide Grundsätze gewährleistet sind: ein höchstmögliches Maß an kommunaler Selbstverwaltung, wie sie auch die Sächsische Verfassung vorgibt, und gleichzeitig ein wahrendes Rechtsinstrument, was diese Interessen in einen Ausgleich bringt.