Protokoll der Sitzung vom 13.12.2017

Die Herausforderung besteht darin, diese Interessen so vernünftig zu harmonisieren, dass beide Grundsätze gewährleistet sind: ein höchstmögliches Maß an kommunaler Selbstverwaltung, wie sie auch die Sächsische Verfassung vorgibt, und gleichzeitig ein wahrendes Rechtsinstrument, was diese Interessen in einen Ausgleich bringt.

Ich bitte Sie insoweit um Zustimmung zur Gesetzesvorlage, freue mich und scheue auch nicht die Diskussion, die sicherlich in dem Hohen Hause noch folgen wird.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Für die Fraktion DIE LINKE, Herr Abg. Schollbach, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute über eine etwas umfangreichere Änderung unserer Kommunalverfassung. Einiges davon ist redaktioneller Natur, einiges ist reine Symbolpolitik ohne praktische Folgen, wieder anderes ist der Versuch, die Folgeprobleme der wenig

durchdachten Einführung der Doppik auf kommunaler Ebene in den Griff zu bekommen. Einiges ist notwendig, um Fehler vorhergehender Kommunalrechtsnovellen auszubügeln, und manches ist einfach nur lächerlich.

Zwei Beispiele dazu: Es wird festgelegt, dass die kreisfreien Städte künftig Migrations- und Integrationsbeauftragte haben müssen. Allerdings gibt es diese Beauftragten in der Praxis der drei sächsischen Großstädte bereits seit über einem Vierteljahrhundert, meine Damen und Herren. Interessanter wäre schon die Beantwortung der Frage gewesen, ob es künftig auch in den kreisangehörigen Gemeinden bei einem bestimmten Anteil an Migranten derartige Beauftragte geben sollte. Dazu sagt dieser Gesetzentwurf leider nichts.

Zweites Beispiel: das Herumgeholper bei der Besetzung kommunaler Ausschüsse. Bei der vorletzten Gemeindeordnungsänderung wurde die Möglichkeit eingeräumt, kommunale Ausschüsse statt durch Wahl im Wege der Benennung nach dem Stärkeverhältnis der Fraktionen zu besetzen. Da auch damals mit heißer Nadel gestrickt wurde, entstanden dabei zwei unterschiedliche Regelungen für die Ausschussstellvertretung: eine einfache und vernünftige für die nach dem Benennungsverfahren gebildeten Ausschüsse und eine andere, viel weniger praktikable für die herkömmlich gewählten Ausschüsse. Für die letztgenannten war nur ein einziger Vertreter für jedes Ausschussmitglied vorgesehen, bei ehrenamtlichen Räten in der Praxis ungünstig, weil bei einem kurzfristigen Ausfall des Ausschussmitgliedes nicht selten auch der Vertreter verhindert ist, an der Ausschusssitzung teilzunehmen.

Im Falle des Benennungsverfahrens hingegen kann jedes Fraktionsmitglied ein verhindertes Ausschussmitglied vertreten, in der kommunalpolitischen Praxis, die durch die Ehrenamtlichkeit geprägt ist, eine sehr vernünftige Regelung.

Anstatt diese vernünftige Regelung zu verallgemeinern, nehmen Sie sie wieder zurück und ersetzen diese durch eine bürokratische Bestimmung, die Sie dann beim zweimaligen Nachbessern – einmal davon live im Ausschuss – immer mehr verhunzen und so die kommunalpolitische Arbeit in der Praxis völlig unnötig erschweren. Über die Eleganz von Gesetzeswortlauten und -formulierungen will ich gar nicht reden.

Es gibt im Gesetzentwurf durchaus einige brauchbare Lösungen vorhandener Probleme, aber leider deutlich mehr Verschlimmbesserungen. Es gibt unbeholfene Versuche, Probleme zu lösen, die in der Praxis niemand hatte. Darüber hat sich ja bereits der Sächsische Städte- und Gemeindetag in seiner vernichtenden Stellungnahme mit bemerkenswert deutlicher Kritik beklagt.

Unter dem Strich wird das Kommunalrecht nach der Novelle eher schlechter als besser sein. Es mehren sich die logischen Widersprüche und die Brüche in der Systematik. Das Schlimmste an diesem Gesetzentwurf sind nicht etwa nur die unbeabsichtigten Fehler, die kleinen Lässlichkeiten, sondern es sind die Verschlechterungen,

die nicht aus Versehen passieren, sondern von der Koalition ganz bewusst und mit voller Absicht herbeigeführt werden.

Ich möchte hierbei insbesondere auf die umfangreichen Änderungen zur Ortschaftsverfassung und zur Stadtbezirksverfassung eingehen. Einziger Sinn und Zweck dieser Änderungen ist ein massiver und besonders dreister Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung der sächsischen Landeshauptstadt.

(Beifall des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE)

Nun bestreiten die Herren Hartmann von der CDUFraktion und Pallas von der SPD-Fraktion – beide aus Dresden – immer wieder, dass es sich um eine Lex Dresden handle. Ich möchte diese Behauptung von Ihnen einmal widerlegen. Ihre Standardphrase lautet immer: Die Landeshauptstadt soll sich nicht so wichtig nehmen, die Gemeindeordnung gelte schließlich für alle sächsischen Städte und Gemeinden.

Nun, weit gefehlt, meine Damen und Herren! Es lässt sich ganz klar und eindeutig nachweisen, dass es sich ausschließlich um eine Lex Dresden handelt und dass dieses Gesetzgebungsverfahren im Sächsischen Landtag dazu missbraucht wird, um einen Beschluss des rot-grün-roten Stadtrates zu konterkarieren, mit dem die demokratische Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger gestärkt werden sollte.

(Beifall der Abg. Valentin Lippmann und Katja Meier, GRÜNE – Zuruf des Abg. Mario Pecher, SPD)

Ich beweise Ihnen das noch. Herr Pecher, ich glaube, Sie sind da nicht ganz auf der Höhe der Zeit. Ursprünglich wollten Sie ja, um das zu kaschieren, die Anwendbarkeit der Ortschaftsverfassung generell und landesweit einschränken. Nach dem Aufschrei der betroffenen Ortschaften aus den Landkreisen, einem Kollateralschaden Ihres Entwurfs, begrenzen Sie das Verbot jetzt auf die drei kreisfreien Städte.

Da in Leipzig, meine Damen und Herren, die Diskussionen um eine Einführung der Ortschaftsverfassung noch gar nicht so weit gediehen sind und Chemnitz nicht einmal eine Stadtbezirksverfassung hat, geht es folglich ausschließlich darum, das bereits beschlossene Vorhaben in Dresden noch auf den letzten Metern zu stoppen.

Ich will Ihnen auch beschreiben, was wir vorhatten. Es sah vor, dass mit der Einführung der sogenannten Ortschaftsverfassung, die bisher nur für die in den Neunzigerjahren eingemeindeten Stadtteile galt, diese ab 2019 stadtweit gelten sollte. Was hätte die Umsetzung dieses Vorhabens mit der Kommunalwahl 2019 konkret bedeutet?

(Christian Piwarz, CDU: Machen Sie doch ordentliche Politik! Sie sind doch morgen beim Stadtrat in Dresden)

Herr Kollege Piwarz, ich weiß, Sie regen sich wieder ein bisschen auf. Das Problem ist, dass Ihr kommunalpolitischer Sprecher, Christian Hartmann, Sie offensichtlich nicht darüber aufgeklärt hat, dass Sie in wenigen Minuten im Sächsischen Landtag ein Gesetz beschließen werden, das einen einzigen Zweck hat, nämlich den, die Beschlüsse des Stadtrates der Landeshauptstadt Dresden zu konterkarieren. Das haben Sie offensichtlich übersehen.

(Zuruf des Abg. Christian Piwarz, CDU)

Deshalb zwingt er mich gerade dazu, die Konsequenzen Ihrer Gesetzgebung zu erläutern, und das werde ich auch tun, da können Sie noch so sehr dazwischen krakeelen. Ich warte.

(Unruhe bei der CDU)

Meine Damen und Herren!

Ich warte so lange, bis Sie sich beruhigt haben. Ich habe genug Redezeit, da müssen Sie sich keine Sorgen machen. Sie können jetzt mit Frau Kuge ins Zwiegespräch gehen und ich werde Ihnen weiter ausführen.

Meine Damen und Herren! Anstelle der vom Stadtrat eingesetzten Beiräte mit reinen Beratungsrechten hätte es künftig von den Bürgern gewählte Ortschaftsräte in den Stadtteilen mit eigenständigen Entscheidungskompetenzen gegeben.

Zweitens: Der Stadtrat und seine Ausschüsse wären von vielen Detailaufgaben, die keine stadtweite, sondern nur stadtteilbezogene Bedeutung haben, entlastet worden. Diese Detailaufgaben hätten künftig die zehn neuen Ortschaftsräte wahrgenommen. Damit wäre ehrenamtliche Arbeit sinnvoll auf mehrere Schultern verteilt worden.

Drittens: Wie die Menschen in den eingemeindeten Ortschaften hätten alle Menschen über besonders wichtige Stadtteilfragen auch durch Bürgerentscheide entscheiden können.

Und schließlich viertens: Für alle Teile der Stadt, egal ob sie schon zu Zeiten von August dem Starken zu Dresden gehörten oder ob sie vor 1945, zwischen 1945 und 1990 oder nach 1990 eingemeindet wurden, hätten die gleichen Regeln für die demokratische Teilhabe und Mitbestimmung gegolten.

All das war bereits demokratisch entschieden worden, übrigens auf der Basis von Wahlprogrammen, die den Wählerinnen und Wählern vor der letzten Wahl bekannt gewesen sind und offenkundig deren Zustimmung erfahren haben. Bei diesem Vorhaben handelt es sich nicht etwa um etwas Exotisches oder Experimentelles, sondern um etwas, das in den Stadtteilen anderer deutscher Großstädte eine schlichte Selbstverständlichkeit ist; ich verweise etwa auf die Bayerische Gemeindeordnung sowie auf jene von Nordrhein-Westfalen, Hessen und BadenWürttemberg, die ja 1993 die Blaupause für die Sächsische Gemeindeordnung war. Die einfache, klare und

vernünftige Regelung aus Baden-Württemberg schlagen wir Ihnen heute übrigens in unserem Gesetzentwurf vor. Sie wäre wesentlich sinnvoller als das, was die Koalition hier vorgelegt hat.

Was in anderen deutschen Großstädten selbstverständlicher Kernbestandteil kommunaler Selbstverwaltung ist und bis zur heutigen Gesetzesänderung auch in Dresden, Leipzig und Chemnitz möglich gewesen wäre, nämlich die Übertragung umfangreicher Kompetenzen an die Bürgerinnen und Bürger bzw. deren gewählte Vertretungen in den Stadtteilen, soll nun in Sachsen mit aller Macht verhindert werden. Was zählen da schon die Erfahrungen aus anderen deutschen Großstädten? Was zählen demokratische Entscheidungen? Schließlich haben wir die beiden Landtagspolizisten Hartmann und Pallas, die es natürlich besser wissen und dafür sogar ganz bewusst in Kauf nehmen, heute im Landtag eine Demokratiebremse für ganz Sachsen zu schaffen.

Beim Kollegen Hartmann kann ich das vielleicht noch nachvollziehen, meine Damen und Herren. Er handelt ja schließlich nicht ganz uneigennützig. Als Ortsvorsteher der Ortschaft Langebrück vertritt er ja 6 % der Dresdner Bevölkerung, die bereits jetzt in den Genuss der Ortschaftsverfassung kommen, und er will natürlich mit aller Macht verhindern, dass die große Mehrheit von 94 % der Einwohnerschaft die gleichen Rechte bekommt. Er verteidigt die Privilegien einer kleinen Minderheit von 6 %, zu der erst selbst gehört. Außerdem ist er als Chef der Dresdner CDU ganz an der Seite seiner Ratsfraktion, der so viel Demokratie ohnehin suspekt war und die auch deshalb dagegen gestimmt hat.

Demokratische Entscheidungen vor Ort, bei denen man selbst unterlegen ist, werden durch das Hineinregieren von oben korrigiert. Dieses Vorgehen sagt so einiges über das Demokratieverständnis der CDU in Sachsen aus. Das ist aber auch nicht weiter überraschend; nichts anderes haben wir erwartet.

Was sagt eigentlich Herr Pallas von der SPD? Er versucht uns allen Ernstes eine – in Anführungszeichen – verbesserte Stadtbezirksverfassung, gewissermaßen eine BonsaiVersion der Ortschaftsverfassung, als Alternative und echte Verbesserung zu verkaufen. Das mit dem Bonsai ist hier wörtlich gemeint: Die Stadtbezirksbeiräte sollen nur winzige Entscheidungsrechte erhalten, sie sollen ihren Vorsitzenden nicht selbst wählen, sondern ihn vom Oberbürgermeister vorgesetzt bekommen, und in den Rechten gegenüber dem Stadtrat sollen sie auch weiterhin deutlich gegenüber den Ortschaftsräten zurückgesetzt sein. Selbstverständlich soll den Bürgerinnen und Bürgern in den Stadtbezirken auch das Recht auf stadtteilbezogene Bürgerbegehren und Bürgerentscheide verwehrt bleiben.

Meine Damen und Herren, wir sehen: Es handelt sich um eine komplette Veralberung der Bürgerinnen und Bürger und der Öffentlichkeit; denn Sie gewähren großzügig, die ohne nennenswerte Kompetenzen ausgestatteten Stadtbezirksbeiräte mit einem hohen zusätzlichen organisatorischen und finanziellen Aufwand bei der Kommunalwahl

direkt zu wählen. Auf gut Deutsch: Die Wurst bekommt ihr nicht, aber ihr dürft trotzdem danach springen. Dies allen Ernstes als Fortschritt zu bezeichnen, dazu muss man schon Sozialdemokrat sein. Herr Pallas, ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, wenn Sie morgens in den Spiegel schauen, aber ich verstehe jetzt besser, warum viele Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten vor Ort dem eigenen politischen Personal auf Landes- und Bundesebene zutiefst misstrauen.

Meine Damen und Herren, etwas anderes als die Ablehnung des Gesetzentwurfes werden Sie von uns nicht ernsthaft erwarten.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN – Christian Piwarz, CDU: Meine Herrn!)

Die SPD-Fraktion, Herr Abg. Pallas, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Schollbach, geht es Ihnen jetzt besser? Wenn diese Art der Rede notwendig war, um die letzte Möglichkeit zu nutzen, noch einmal nachzutreten, dann sei Ihnen das gegönnt. Aber diese Art von Häme und Unterstellung ist nicht mein Fall, nicht der Fall der SPD. Im Gegenteil: Ich werde Ihnen genau begründen, warum uns einerseits Beteiligung und Mitwirkung trotzdem sehr wichtig sind und wir dies auch tun, andererseits aber auch die Gesamtgemeinde im Blick behalten – was bei Ihnen leider nicht der Fall ist.

(Beifall bei der SPD)

Mit der vorliegenden Kommunalrechtsnovelle wird ein weiterer wichtiger Teil des Koalitionsvertrags umgesetzt. Der SPD-Fraktion war es wichtig, bei vielen Änderungen auch die Vorschläge der kommunalen Familie und die Ergebnisse der Anhörung aufzugreifen. Bereits im Entwurf finden sich viele Vorschläge des SSG, die wir auch von vielen einzelnen kommunalpolitischen Akteuren kennen, und natürlich war die Kritik des SSG am Gesetzentwurf bemerkenswert. Bei einzelnen Punkten fiel sie sehr differenziert aus. Da wurde gelobt, jedoch auch teilweise sehr hart, aber gut argumentierend kritisiert, und ich konnte auch die grundsätzliche Kritik am Verfahren und an der ausbaufähigen Einbindung der kommunalen Familie nachvollziehen.

Im Sommer kam der Gesetzentwurf in den Landtag, und als SPD-Fraktion war es uns wichtig, möglichst viele Kritikpunkte zu lösen. Deshalb wurden viele dieser Punkte im Rahmen der Anhörung des Innenausschusses von Sachverständigen aufgegriffen oder auch gezielt von uns erfragt und mündeten in einen Änderungsantrag, der am 30. November im Innenausschuss beschlossen wurde. Wir greifen darin eigene Punkte auf, bei denen – aus unserer Sicht zu Recht – durch die Kommunen Änderungsbedarf angezeigt wurde.

Es waren aber auch ganz aktuelle Fragen enthalten, zum Beispiel Vereinfachungen und Erleichterungen für die Kommunen im Haushaltsrecht, etwa die Befreiung von der Pflicht zum Nachtragshaushalt bei zu ersetzenden Investitionen oder konkrete Erleichterungen bei dem nachzuholenden Jahresabschluss.

Der von den Koalitionsfraktionen geänderte Gesetzentwurf steht nun zur Abstimmung, und natürlich dient die Debatte auch dazu, zu klären, was eigentlich geändert wird. Mein Kollege Volkmar Winkler wird in der zweiten Runde noch einen Überblick aus sozialdemokratischer Sicht geben. Ich möchte mich zunächst auf ein Schwerpunktziel konzentrieren, das Sie bereits im Koalitionsvertrag finden: den Ausbau der Mitbestimmungs- und Beteiligungsrechte in den Kommunen.