Auch hier ist keine Aussprache vorgesehen. Ich frage dennoch: Möchte jemand das Wort ergreifen, möchte jemand reden? – Das ist nicht der Fall. Herr Michel, wieder an Sie die Frage: Möchten Sie sprechen?
Meine Damen und Herren! Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung des Haushalts- und Finanzausschusses in der Drucksache 6/13137 ab. Wer zustimmen möchte, zeige das bitte an. – Die Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Bei keinen Gegenstimmen, zahlreichen Stimmenthaltungen ist der Drucksache zugestimmt worden. Dieser Tagesordnungspunkt ist beendet.
Meine Damen und Herren! Das Präsidium hat eine Redezeit von 10 Minuten je Fraktion festgelegt. Die Reihenfolge kennen Sie: CDU-Fraktion, dann DIE LINKE, die SPD-Fraktion, danach die AfD-Fraktion, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und die Staatsregierung, sofern das Wort gewünscht ist.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Jugendstrafvollzug in freien Formen in Sachsen ist seit vielen Jahren fester Bestandteil unserer Gesetzgebung. Es ist eine Alternative zum herkömmlichen Strafvollzug und ein Angebot an die jungen Straftäter, außerhalb der Justizvollzugsanstalten einen strukturierten Alltag mit familiärer Bindung, klaren Regeln und gegenseitigem Respekt zu erfahren, um sich so schneller wieder in den Alltag ohne Rückfallgefahr eingliedern zu können.
Die Mindestverweildauer beträgt neun Monate. Dazu wird im Vorfeld eine Prüfung auf Eignung des Straftäters durch den Jugendstrafvollzug in Zusammenarbeit zwischen den Abteilungsleitern und der Diagnostik durchgeführt. Es erfolgt eine intensive Vorbereitung auf die Übernahme in das Projekt.
Es handelt sich hierbei nicht um Gewalt- oder Sexualstraftäter, sondern um Jugendstraftäter mit geringen Straftaten, die bereit sind, sich auf dieses Projekt einzulassen und die Regeln der dort vorgegebenen Tagesaufgaben einzuhalten. Diese sind an die normalen Lebensumstände von Familien im Alltag angepasst und umfassen darüber hinaus ein soziales Training und die Auseinandersetzung mit der Straftat sowie den geschädigten Opfern. Die Vermittlung christlicher Werte und Normen ist dabei fester Bestandteil des Konzepts.
Bisher sind 35 junge Männer in das Seehausprojekt eingebunden gewesen. Zwei Drittel davon haben das anspruchsvolle Programm geschafft und konnten es erfolgreich abschließen. Von dem Drittel, die abgebrochen haben, sind einige wegen Regelverstößen oder Fluchtgefahr von Seehaus e. V. zurückgeschickt worden. Andere haben sich selbst entschieden zu gehen, und zwar mit der Begründung, dass sie sich den Anforderungen nicht gewachsen fühlen. Das ist nicht ungewöhnlich, denn die meisten dieser jungen Männer haben bisher noch nie in ihrem Leben etwas zum Abschluss gebracht. Viele davon sind Schulabbrecher, haben Jugendhilfemaßnahmen
Deshalb ist eine Quote von zwei Dritteln, die das Programm erfolgreich abgeschlossen haben, ein Erfolg.
Dennoch gibt es natürlich immer wieder Bemühungen, auf jeden Einzelnen individuell einzugehen, um einen erfolgreichen Abschluss zu erreichen. Die Vermittlungsquote derer, die das Projekt abschließen, liegt immerhin bei 95 %. Das zeigt, dass eine gute Vorarbeit geleistet wurde.
Ich begleite Seehaus seit seiner Entstehung 2011 hier in Sachsen. Die Vorbehalte, mit denen man in der Öffentlichkeit einer solchen Einrichtung anfangs begegnet ist, waren zum Teil deprimierend. Neben den inhaltlichen Aufgaben mit den Straftätern bekam die erforderliche Öffentlichkeitsarbeit einen großen Stellenwert. Das hat sich nach ausführlicher Informationstätigkeit verbessert, sodass sich der Träger nun nach den abgeschlossenen Baumaßnahmen in der neuen Einrichtung und der damit verbundenen Erweiterung von sieben auf 14 Plätze noch intensiver der inhaltlichen Arbeit widmen kann.
Die Diskussion um die angeblich zu intensive Abstellung auf den christlichen Glauben gegenüber den Jugendlichen, die man dem Bericht entnehmen kann, halten wir für völlig unangemessen. Seehaus e. V. ist Mitglied im Diakonischen Werk und steht damit natürlich auf christlicher Grundlage. Die Bewerber werden hierüber ausführlich vorab informiert.
In den ersten drei Wochen wird mit den jungen Männern in der Bibel gelesen, damit sie die Bibel kennenlernen und für sich entscheiden können, ob sie sich mit dem christlichen Glauben auseinandersetzen wollen oder nicht.
Das Kennenlernen des christlichen Glaubens ist ein Angebot, und jeder trifft am Ende seine eigene Entscheidung, ohne Auswirkungen auf das restliche SeehausProgramm. Die jungen Männer werden in keiner Weise in ihrem Glauben oder Nicht-Glauben eingeschränkt, Gottesdienstbesuche sind immer freiwillig.
Kritisch wurde das Auslegen von Flyern in der Einrichtung angesprochen – sicherlich zu Recht. Diese wurden im Zusammenhang mit einem Treffen der e. V. Allianz – sprich: Freikirche, evangelische Kirche, methodistische Kirche usw. – ausgelegt und sind danach wieder entfernt worden.
Ferner wurden im Bericht angebliche Freiheitseinschränkungen angesprochen. Das entspricht so nicht der Tatsache. Das Gelände wird regelmäßig mit der gesamten
Gruppe verlassen, zum Beispiel zum Frühsport, bei anderen Sportangeboten, Arbeitseinsätzen im Rahmen der Ausbildung oder bei Freizeitveranstaltungen. Ab einer bestimmten Stufe können auch Sportvereine oder dergleichen außerhalb des Geländes besucht werden.
Ich selbst habe einen Besuch im Sächsischen Landtag organisiert und war mit dieser Gruppe von Jugendlichen im Gespräch. Wir halten das Projekt für ein gutes Zukunftsmodell zur Resozialisierung und Wiedereingliederung in ein selbstbestimmtes normales Leben. Wir sollten es weiterhin positiv begleiten, unterstützen und das Gespräch zur Umsetzung der Betreuungsangebote mit dem Träger suchen.
Meine Damen und Herren! Ich rufe die Fraktion DIE LINKE auf. Herr Abg. Bartl, bitte; Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Sächsische Jugendstrafvollzugsgesetz, das am 12. Dezember 2007 durch den Landtag der 4. Wahlperiode beschlossen wurde und am 1. Januar 2008 in Kraft getreten ist, beinhaltet als eines der Merkmale der Entwicklung eines modernen Strafvollzugs – hier: des Jugendstrafvollzugs – in § 13 als mögliche neue Vollzugsart den Jugendstrafvollzug in freien Formen. So lange ist es also noch nicht her, dass es dieses Jugendstrafvollzugsgesetz in Sachsen gibt. Das war eine der Neuerungen in dem Jugendstrafvollzugsgesetz, die wir als eines der ersten Länder nach der entsprechenden Reform eingebaut haben.
So weit, so gut. Damit trat zu dem bis dahin im Strafvollzugsgesetz des Bundes mit der Anwendbarkeit von Jugendstrafvollzug geregelten klassischen Form der Vollziehung der Jugendstrafe im offenen Vollzug oder im geschlossenen Vollzug eine dritte Vollzugsart hinzu, die in anderen Ländern – zum Beispiel im skandinavischen Raum – inzwischen mit viel Erfolg erprobt worden ist.
Jugendliche Heranwachsende im Alter von 14 bis 23 Jahren, die bereit sind, im Besonderen am Resozialisierungsprozess mitzuwirken – an sich zu arbeiten, wie man landläufig sagt –, können, wenn sie nach Einschätzung des Vollstreckungsleiters – das ist der zuständige Jugendrichter, der es letzten Endes prüfen und entscheiden muss – geeignet sind und dem selbst zustimmen – es selbst wollen! –, die ihnen auferlegte Jugendstrafe dann in einer freien Form des Jugendstrafvollzugs verbüßen.
Das Sächsische Staatsministerium der Justiz hat, wie es Frau Kollegin Dombois schon zum Ausdruck brachte, als Träger einer solchen Einrichtung den Seehaus e. V. Baden-Württemberg bestimmt. Mit der von diesen betriebenen Einrichtungen Seehaus Störmthal bei Leipzig wurde im Jahr 2011 der erste junge Mann aufgenommen. Es ist letzten Endes tatsächlich so und wird von uns auch nicht in Abrede gestellt – insoweit danken wir dem
Seehaus e. V. für die von ihm geleistete Arbeit –, dass die dort in dem Projekt mit ihrer Zustimmung untergebrachten Gefangenen in ihrer Mehrheit eine günstige Entwicklung in der Sozialprognose genommen haben. Wir haben wesentlich geringere Rückfallquoten und Ähnliches mehr.
Es ist – auch das hat Frau Kollegin Dombois zumindest zart angedeutet – durchaus kein Zuckerlecken. Wenn man heute in der „SZ“-online nachliest, sieht man, dass es einen Beitrag gibt, der sich mit der Situation dort befasst – offensichtlich auf Gesprächen mit Absolventen beruhend. Es ist dort – auf der Internetseite des Seehaus e. V. auch so bezeichnet – ein Erziehungsprogramm gewissermaßen die Grundlage. Der Tagestakt beginnt 05:45 Uhr mit Morgensport und endet 22:00 Uhr. Ansonsten gibt es getaktet für alles Einheiten. Diese Einheiten sind eingebunden in Schule, in Arbeit, in Berufsvorbereitung, in Sport, in Hausarbeit und gemeinnützige Tätigkeit und eine etwas umstrittene Problematik in Seehaus Störmthal: die Vermittlung christlicher Werte und Normen.
Das ist das, was als Programminhalt im Internetauftritt von Seehaus e. V. Störmthal selbst dargestellt wird. Die Vermittlung christlicher Werte und Normen gehöre zum ganz normalen Programm der Umerziehung, der Erziehung, wie immer man das bezeichnen will.
Auch wenn die Aussagekraft der vorliegenden Evaluation des Jugendstrafvollzugs durch den Kriminologischen Dienst wegen geringer Fallzahlen begrenzt ist – Frau Kollegin Dombois hat die Zahlen bereits genannt –, legen verschiedene Indikatoren dennoch nahe, dass diese Form der Haftverbüßung viele Vorteile gegenüber dem normalen offenen Vollzug und erst recht gegenüber dem geschlossenen Vollzug aufweist. Die meisten Jugendstrafgefangenen, die das Seehaus-Projekt bis zur Haftentlassung durchlaufen haben, nehmen anschließend ein Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnis auf. Ihr Rückfallrisiko wird von Praktikern und Fachleuten als geringer eingeschätzt und ist es in der Praxis letzten Endes auch.
Maßnahmen des Übergangsmanagements werden von ihnen häufiger in Anspruch genommen. Sie sind motivierter, haben häufig eine positive Erwartungshaltung an ihr Leben nach der Haft und ein höheres Selbstwertgefühl als Mitgefangene, die aus dem regulären Vollzug entlassen werden. Kurz gesagt: Sie weisen tendenziell eine bessere Resozialisierung auf, was das Hauptziel eines jeden Strafvollzugs und vor allem des Jugendstrafvollzugs sein muss.
Freie Vollzugsformen mögen zwar an der einen oder anderen Stelle teurer sein – werden aber die entstehenden gesellschaftlichen Folgekosten berücksichtigt, wenn 70 % der Insassen des geschlossenen Jugendstrafvollzugs nach ihrer Entlassung wieder straffällig werden, relativiert sich dieser Kostenansatz, den wir in den offenen Vollzug investieren, und rentiert sich allemal.
Wir begrüßen es daher durchaus, wenn die Kapazität des Seehaus-Projektes in diesem Jahr von sieben auf 14 Plätze verdoppelt wird, zumal der größte Teil des Geldes – auch für die bauliche Art ist das zu berücksichtigen – vom
Aber in diesem Projekt ist nicht alles eitel Sonnenschein; auch das hat Frau Kollegin Dombois bereits gesagt. Immerhin ein Drittel – nicht mehr und nicht weniger – der bislang dort untergebrachten Jugendstrafgefangenen, die nicht zu den komplizierten gehören, bricht ab. Man hat sich bisher regelmäßig solche Jugendstrafgefangenen ausgesucht, bei denen sowohl vom angelasteten Kriminalitätsphänomen her, von der Delinquenz her, als auch von den erkennbaren persönlichen Eigenschaften keine drastischen Kompliziertheiten vorhanden sind, also keine bestimmten massiven Abhängigkeiten etc.
Wenn ein Drittel davon dennoch wegen Disziplinverstößen oder Regelverstößen rückverlegt werden muss oder auch, weil sie selbst zurück wollen, dann müssen wir uns das natürlich schon näher ansehen. Und dann ist ein Punkt, dass Betreffende, die selbst darum gebeten haben, in die JVA in den geschlossenen Vollzug zurückverlegt zu werden, sagen: Der Alltag ist dort einfach zu streng reglementiert.
Körperkontakt zwischen den Gefangenen zum Beispiel – sei es nur ein freudiges Abklatschen mit den Händen – sei unzulässig und mit Strafe bedroht. Weiterhin sei die einzige Möglichkeit für die Jugendlichen, das Gelände zu verlassen, wenn sie ihre betreuende Familie sonntags zum Gottesdienst begleiten.
Sorry, so ist es aus den Reflexionen zu lesen. – Allgemein ist die starke Ausrichtung auf den christlichen Glauben, zum Beispiel bei einer morgendlichen verpflichtenden Lektüre der Bibel, bei einer Quote von über 70 % der Bevölkerung in Sachsen, die konfessionslos ist, bei diesem Projekt zu hinterfragen. Diese Frage muss man aufwerfen. Selbst wenn ein Trägerverein ein christlicher ist, muss in einer vom Strafvollzug des Freistaates Sachsen genutzten Einrichtung Bekenntnis- und Konfessionsfreiheit gelten.
Es war im Ausschuss – so wie ich es verstanden habe – Konsens, dass bezüglich der Abbrecherquote eine Überarbeitung des Konzeptes durch den Träger erforderlich ist und diese angemahnt werden muss. Da kann man nicht drum herumreden. Einfach zu sagen „Das kann so weiter durchgehen“ war zumindest im Verfassungs- und Rechtsausschuss nicht unisono. Hier muss man nachsteuern.