Protokoll der Sitzung vom 30.05.2018

geht, ob Krieg droht, sondern mehr um die Frage der Sanktionen. Ich möchte mich in meinem Beitrag darauf konzentrieren, was Gegenstand der Aktuellen Debatte unter diesem Titel sein muss: ob nämlich von Russland eine Bedrohung ausgeht.

Will Russland Krieg? Wie nahezu alle, die sich in Deutschland damit befassen, würde ich das überzeugt zurückweisen. Aber man sollte sich klarmachen, dass es andere Europäer gibt, die sich durchaus durch Russland bedroht sehen. Fragen wir die Bewohner der baltischen Staaten – soweit sie nicht selbst russischer Abstammung sind –, so fürchten viele, es könnte ihnen ähnlich ergehen wie der Krim. Sie haben einst zur Sowjetunion gehört und den Eindruck gewonnen, Russland würde sich gern Gebiete sichern, die schon einmal zur Sowjetunion gehört haben. Das halte ich für verständlich.

Es geistert immer noch die Mär durch den politischen Raum, die Krim habe sich durch ein Referendum Russland angeschlossen. Nehmen wir zur Kenntnis, dass dieses Referendum keinen rechtsstaatlichen Anforderungen genügt. Das hat übrigens auch die UNO erkannt. Die UNO-Vollversammlung hat per Beschluss vom 24. März 2014 das Referendum für ungültig erklärt.

Meine Damen und Herren! Will Russland Krieg? Russland ist – zumindest im Bereich der früheren Einflusssphäre der Sowjetunion in Europa – bereit, diesen Einfluss notfalls auch mit Waffengewalt wiederherzustellen. Es interpretiert dies lediglich als Ausdruck nationalen Selbstbewusstseins und nicht als kriegerischen Akt. Es rechtfertigt solche Maßnahmen damit, dass die NATO ihren Einfluss – entgegen dem Versprechen nach 1989, osteuropäische Staaten nicht aufzunehmen – nach Osten ausgeweitet habe und an der Grenze zu Russland Manöver abhalte. Dabei verletzt Russland unter anderem die Regeln der Schlussakte der KSZE, in der die Sowjetunion selbst durchgesetzt hatte, dass die Nachkriegsordnung eine Unverrückbarkeit der Grenzen in Europa festgeschrieben hatte.

Das wird nicht mit militärischen Mitteln beantwortet, denn die Antwort mit militärischen Mitteln würde Eskalation bedeuten. Darauf verlässt sich Russland. Stattdessen haben die Europäische Union und andere Staaten Sanktionen verhängt. Diese sind jetzt Gegenstand der Debatte. Deshalb beharren viele Politikerinnen und Politiker auf den Sanktionen gegen Russland.

Sind diese Sanktionen wirksam? Sie tun weh, sowohl Russland als auch den Europäern, den Deutschen und den Sachsen. Für sich genommen, haben sie Russland nicht in die Knie gezwungen, doch der Schaden in Russland ist trotzdem erheblich. Aber es entsteht eben auch Schaden bei uns.

Finden wir die Manöver richtig, die an der russischen Grenze stattfinden? – Nein. Wenn Sie mich fragen: Ich finde das falsch. Ich finde, dies sollte nicht stattfinden, und wir müssen uns mit friedlichen Mitteln und nicht mit militärischen Drohgebärden auseinandersetzen. Ich meine aber auch, das sollte für alle Seiten gelten.

(Beifall bei der SPD)

Was haben die vergangenen Wochen gelehrt? Das eine tun, ohne das andere zu lassen. Wir müssen über Sanktionen sprechen, aber nicht unabhängig davon, wofür es diese Sanktionen gibt. Erste Schritte sind getan. Die Umsetzung des Abkommens von Minsk wird wieder aktiviert. Es sollen Gespräche im sogenannten Normandie-Format geführt werden. Der NATO-Russlandrat soll erneut zusammentreten. Damit könnte man den Konflikt im Donbass versuchen zu lösen. Dann müsste auch die Problematik der Krim angefasst werden. Es wäre sinnvoll, für die Krim eine ihre machtpolitische Lage justierende und für die Bevölkerung kulturell adäquate Lösung zu suchen, die dann auch demokratisch legitimiert werden müsste. Im Gegenzug ließen sich Sanktionen Stück für Stück abbauen.

Meine Damen Herren! Willy Brandt und Egon Bahr haben mit der Politik des Wandels durch Annäherung zur Nachkriegsordnung und zur Schlussakte der KSZE beigetragen. Diesen Weg sollten wir heute weitergehen. Dabei sollten aber die Vertragspartner an dem festhalten, was sie damals vereinbart haben.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Die AfD-Fraktion; Herr Abg. Urban, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! „Meinst du, die Russen wollen Krieg?“ – Wir diskutieren heute in dieser Debatte unser Verhältnis zu Russland. Das Gedicht „Meinst du, die Russen wollen Krieg?“ und sein Dichter Jewgeni Jewtuschenko stehen sowohl für die Hochzeit des Kalten Krieges als auch für das Ende der brutalen kommunistischen Diktatur unter Stalin in der Sowjetunion. Damals standen sich der Westen und der Osten hoch aufgerüstet gegenüber, beide Seiten bereit für einen Atomkrieg.

Kann man die heutige Konfrontation zwischen den NATO-Staaten und Russland mit dem Kalten Krieg der Sechzigerjahre vergleichen? – Ja, man kann es, und man sollte es auch; denn das Ergebnis einer Konfrontationspolitik mit Russland, wie sie vor allem die USA und in Deutschland die CDU betreiben, kann ein Krieg sein – schneller, als mancher Parteistratege der CDU das vielleicht glaubt.

Seit 2014, seit dem gewaltsamen Putsch in Kiew und dem Anschluss der Krim an Russland, führt die Bundesregierung einen Sanktionskrieg gegen Russland, und als Anmerkung: Die UNO hat die Verletzung der ukrainischen Grenzen kritisiert, nicht den rechtsstaatlichen Verlauf des Referendums. Auch das ist eine Falschdarstellung.

(Lachen des Abg. Harald Baumann-Hasske, SPD)

Die Sanktionen, gefordert von den USA, in Europa durchgesetzt von der Bundesregierung, haben nur ein Ziel: Abgrenzung gegen Russland. Die Wirtschaftssanktionen schaden vor allem europäischen Unternehmen und vernichten dabei Hunderttausende Arbeitsplätze. Allein in Deutschland sollen 90 000 Jobs verloren gegangen sein.

Anders als erwartet nutzen die Sanktionen der russischen Wirtschaft. Die Landwirtschaft und die Lebensmittelindustrie boomen mit zweistelligen Wachstumsraten.

Immer mehr Unternehmen, auch deutsche Unternehmen, bauen ihre Produktionsstätten in Russland, um die Sanktionen zu umgehen, und schaffen dort Arbeitsplätze. Die Sanktionspolitik, für die die deutsche CDU wie keine andere Partei steht, baut keinen wirtschaftlichen oder politischen Druck auf: Nein, sie richtet politischen und wirtschaftlichen Schaden an.

Zum Wirtschaftskrieg tritt nun mehr und mehr die militärische Konfrontation. Die Zahl der NATO-Truppen an der russischen Westgrenze wächst immer weiter. Und, ja, auch in Sachsen sehen wir inzwischen Militärtechnik in Richtung Osten auf der Straße und auf der Schiene rollen.

Laut US-General Neller wird im Herbst ein NATOGroßmanöver mit 45 000 Soldaten an der russischen Grenze stattfinden, davon über 10 000 deutsche Soldaten. Dass die Bundeswehr kaum über einsatzfähige Flugzeuge, Hubschrauber oder Panzer verfügt, stört die CDUVerteidigungsministerin dabei überhaupt nicht. Ihr ist nur wichtig, dass Deutschland bei dieser militärischen Konfrontation unbedingt dabei ist.

Solche Großmanöver, solche militärischen Machtdemonstrationen erinnern nun tatsächlich an die Zeit des Kalten Krieges. Im Unterschied zu damals hat Deutschland heute keine einsatzfähige Armee mehr. Im Unterschied zu damals stehen heute nur noch amerikanische Atomwaffen in Deutschland, zu deren Einsatz die Bundesrepublik nicht gefragt wird.

So wie bei den Wirtschaftssanktionen, ist Deutschland auch bei der militärischen Konfrontation heute nur noch Spielball US-amerikanischer Geopolitik. Weder die Wirtschaftssanktionen noch die militärische Konfrontation sind im Interesse Deutschlands. Damit macht die CDU nicht nur eine antirussische Politik, sie macht auch eine antideutsche oder – wenn Sie wollen – eine antisächsische Politik.

„Meinst du, die Russen wollen Krieg?“ Nein, das wollen sie nicht, und auch die Deutschen wollen keinen Krieg. In allen Zeiten waren es die Eliten der Länder – Herrscher, Politiker –, die die Menschen gegeneinander aufgehetzt und in den Krieg geschickt haben. Oder um es mit den Worten Jewtuschenkos zu sagen: „Politiker haben einen elenden Job. Sie bauen an den Abgründen zwischen den Menschen.“

Die AfD steht für ein Ende der Sanktionspolitik und für ein Ende der militärischen Konfrontation.

Vielen Dank

(Beifall bei der AfD – Dr. Stephan Meyer, CDU: Völlig undifferenziert!)

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN; Herr Dr. Lippold, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! „Meinst du, die Russen wollen Krieg?“ – „Chotjat li russkie voiny“.

Sie haben diese Gedichtzeile von Jewgeni Jewtuschenko im Titel der Debatte zitiert, liebe LINKE, um im Rest des Titels nicht die Beziehung zu den Russen, sondern zu Russland zu thematisieren.

(Zuruf des Abg. Enrico Stange, DIE LINKE)

Genau das spannt bereits den Rahmen auf für die Breite und für die Komplexität der Debatte – damals, heute und möglicherweise auch morgen.

Mein Großvater war im Herbst 1939 froh, endlich seinen Wehrdienst abgeleistet zu haben und zurück zu können in das zivile Leben und zu seinem geliebten Beruf als Telefontechniker. Aber er durfte die Uniform nicht ausziehen. Stattdessen verlegte er Leitungen bis an den Ural. Das zerbombte Telefonnetz zu Hause durfte er erst viele Jahre später reparieren, nach der Rückkehr aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft in Frankreich.

Weder die amerikanischen Bewacher im Kriegsgefangenenlager noch die sowjetischen Soldaten, noch die Franzosen wollten ihr friedliches Leben hinter sich lassen und in einen grausamen Krieg ziehen. Nein, die Russen wollen keinen Krieg, ebenso wie die Franzosen, die Deutschen, die Amerikaner.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU und der SPD)

Deshalb ist es auch so wichtig, dass all diese Menschen, dass Mütter und Großmütter, Väter und Großväter mit Kindern und Enkeln überall auf der Welt Kontakt haben können, damit sie sich kennen und verstehen lernen. Besonders wichtig ist das auf unserem Kontinent, der in den letzten hundert Jahren von den verheerendsten Kriegen der Menschheitsgeschichte verwüstet wurde. Beide gingen von Deutschland aus. Beide Kriege haben – auch und besonders in Russland – unendliches Leid verursacht. Ich bin völlig bei Ihnen, liebe Linksfraktion, wenn Sie mit dem Titel der heutigen Aktuellen Debatte anregen wollen, mehr als bisher für Kontakte zwischen Menschen, Vereinen, Verbänden und Unternehmen in Sachsen und in Russland zu tun. So viel zur Verbesserung der Beziehung der Völker.

Nun zu den Staaten, denn diesen Bogen ziehen Sie auch im Titel der Debatte. Was Beziehungen zwischen Staaten angeht, hat die Weltgemeinschaft aus den dunkelsten Kapiteln der Geschichte des 20. Jahrhunderts vor allem eines gelernt: die unbedingte Notwendigkeit der Einhaltung gemeinsamer Grundsätze.

(Zuruf des Abg. Enrico Stange, DIE LINKE)

Diese haben in der Charta der Vereinten Nationen ihren Niederschlag gefunden, meine Damen und Herren. Dazu zählt die unbedingte Achtung der territorialen Integrität und politischen Unabhängigkeit und die Beilegung von internationalen Streitigkeiten mit friedlichen Mitteln. Weil das Völkerrecht eine Grundlage gemeinsamer Existenz ist, muss Rechtsbruch auch hier, wie überall, wo jemand Recht bricht, einen Preis haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn wir uns damit abfinden, dass die Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen das Völkerrecht in einer Art Salamitaktik auf beiden Seiten des Atlantiks wieder durch das Recht des Stärkeren ersetzt werden, dann werden wir bald wieder anfangen, unter Straßen und Plätzen Bunker zu errichten.

Diese Prinzipien in der Charta der Vereinten Nationen sind unveräußerlich. Sie sind die einzige Haltelinie, die uns vor dem erneuten Versinken in ein Zeitalter der gewaltsamen, am Ende auch kriegerischen Auseinandersetzung und Durchsetzung von Machtinteressen trennt.

Somit bedeutet die Antwort auf den ersten Teil des Titels Ihrer Aktuellen Debatte, dass die Russen natürlich keinen Krieg wollen, und die Zustimmung zur Förderung von Kontakten zwischen den Menschen eben nicht gleichzeitig, dass man sich auch tolerant gegenüber klaren Verletzungen des Völkerrechts zeigt.

Doch ich bin hoffnungsvoll, was die Annäherung nicht nur der Völker, sondern auch der Staaten auf der Basis gemeinsamer Grundsätze angeht. Dieser Prozess läuft jetzt gerade an. Auslöser sind aber nicht Ihre aktuellen Debatten, sondern eine gänzlich unberechenbare, völlig skrupellose America-First-Politik aus dem Weißen Haus. Am Ende wird aber nicht „America first“ stehen, sondern „America alone“.

Am Ende steht die weitestgehende Isolierung derer, die den Regelbruch zur Methode machen, und auf dem Weg dahin werden zwangsläufig neue Allianzen entstehen. Dieser Prozesse ist bereits in Gang gekommen, meine Damen und Herren.

Mehr in der zweiten Runde.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir gehen in die zweite Runde.

(Gunter Wild, fraktionslos: Was?)

Ach, Herr Wild, bitte schön. Entschuldigung!