Meine Damen und Herren von CDU und SPD und Herr Homann! Was sind denn gleiche Chancen? Kann man die messen oder definieren? Ist es ein Zeichen gleicher Chancen, wenn das Kind eines Bäckers Anwalt und das Kind eines Anwalts Bäcker wird? Ein handwerklicher Beruf ist mindestens genauso wichtig wie ein akademischer.
Bereits jetzt sind handwerkliche Leistungen schwer zu bekommen und werden demnächst wohl mit Gold aufgewogen.
Die Abschaffung der verbindlichen Bildungsempfehlung ist der grundlegende Fehler, weil wir damit das Gymnasium weiter stärken und die Oberschule weiter schwächen, weil wir zu viele spezialisierte Akademiker ausbilden und zu wenige Handwerker erhalten.
Die Folgen lassen sich in den ersten Klassen der Grundschulen ablesen. Manche Kinder können schon lesen.
Vielen Dank, Herr Präsident! Frau Wilke, ist Ihnen bekannt, dass die Bildungsempfehlung nicht durch eine politische Entscheidung verändert worden ist, sondern durch ein Gerichtsurteil? Ist Ihnen bekannt, welche Auswirkungen das auf das Anmeldeverhalten hatte?
Manche Kinder können schon lesen, andere noch nicht einmal Stift oder Schere benutzen. Schule kann aber Defizite in der Entwicklung der Kinder, die sich im Laufe der ersten sechs Lebensjahre bis zur Einschulung aufgebaut haben, nicht mehr beheben.
(Unruhe – Glocke des Präsidenten – Dirk Panter, SPD: Bei dem Quatsch kann man nicht ruhig bleiben, Herr Präsident!)
Schulsozialarbeit kann hier nur die Symptome dämpfen. Die Ursachen werden im Umfeld der Elternhäuser gelebt. Wir als AfD-Fraktion schlagen vor, die Lebensbedingungen der Eltern zu verbessern, damit sie ihre Kinder besser fördern können.
Das war Frau Kollegin Wilke für die AfD-Fraktion. – Gestatten Sie mir noch einen Hinweis: Wer eine Bemerkung, eine Kurzintervention starten möchte, dem steht hier das Mikrofon zur Verfügung. Die Kurzintervention bezieht sich automatisch auf den vorhergegangenen Redebeitrag. Das wäre ein Angebot. Ansonsten sollten wir auch kontroverse Diskussionen aushalten.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir GRÜNE haben jahrelang für ein Landesprogramm Schulsozialarbeit gekämpft. Ja, die Einführung ist natürlich ein Erfolg. Aber nein, die Umsetzung ist es bis jetzt noch nicht. Es gab viele Ankündigungen. Es wurden sehr große Erwartungen geweckt. Es ist viel Geld ins System gegeben worden – 30 Millionen Euro im aktuellen Haushalt. Sie haben den
weiteren Ausbau an den Oberschulen zum nächsten Schuljahr jetzt angekündigt. Man könnte fast sagen: Koalition und Staatsregierung erzwingen nach Jahren des Nichtstuns einen Start von null auf hundert.
Meine Damen und Herren, darunter darf aber die Qualität am Ende nicht leiden. Schulsozialarbeit wird Anfang August an allen sächsischen Oberschulen zur Pflicht. Das ist in acht Wochen. Was passiert, wenn an den Oberschulen keine 100-Prozent-Besetzung der mindestens einen geforderten Vollzeitstelle gelingt? Gemäß der Richtlinie steht dann die Förderung komplett infrage. Für mich wirkt es ein wenig wie über das Knie gebrochen, weil davon auszugehen ist, dass es nicht allen Oberschulen sofort gelingt, die notwendigen Fachkräfte zu binden. Wenn zum Beispiel im Landkreis Nordsachsen Sozialarbeiter in Vollzeit nur schwer zu finden sind, heißt das dann am Ende, dass gar nichts mehr gefördert wird? Ist diese Herangehensweise wirklich zielführend? Würden sich auf dem Arbeitsmarkt die Stellen suchenden Sozialarbeiter nur so drängeln, dann könnte ich das Herangehen nachvollziehen. Aber wir haben bereits jetzt einen regelrechten Kannibalismus zwischen den Trägern um die immer weniger werdenden Fachkräfte.
Was ist gewonnen, meine Damen und Herren, wenn die Fachkräfte von der Jugendarbeit in die Schulsozialarbeit wechseln und dann die Angebote der offenen und mobilen Jugendarbeit nicht mehr aufrecht erhalten werden können? Da finden sich vielleicht ganz schnell rechtsextreme Gruppen, die diese Lücken füllen. Das haben wir alles schon in Sachsen erlebt. Aber das kann nicht wirklich jemand hier ernsthaft wollen, meine Damen und Herren.
Der Kampf um die besten Köpfe ist auch im Sozialbereich entbrannt. In vielen Bereichen der sozialen Arbeit werden wir es absehbar mit einem massiven Fachkräftemangel zu tun haben. Da brauchen wir jetzt eine regelrechte Fachkräfteoffensive. Wir müssen dafür sorgen, dass Hochschulabsolventen in den verschiedenen Regionen in Sachsen auch attraktive Berufsperspektiven für sich finden. Das heißt aber auch, attraktive Rahmenbedingungen für attraktive Stellen, weil die anderen Bundesländer auch locken und das oftmals mit besseren Konditionen. Genauso wenig darf der Fachkräftemangel dazu führen, dass das Fachkräfteangebot in der Jugendhilfe aufgeweicht und die Frage der fachlichen Eignung nachrangig betrachtet wird.
Im Moment können die Träger entscheiden, ausnahmsweise auch Menschen in der Schulsozialarbeit einzusetzen, die keine entsprechende Ausbildung haben. In Verbindung mit dem Fachkräftemangel kann sich das zu einer sehr gefährlichen Abwärtsspirale in Bezug auf die Qualität von Schulsozialarbeit entwickeln, meine Damen und Herren.
Es reicht ja nicht aus, Schulsozialarbeit nur finanziell zu fördern. Wer Schulsozialarbeit in Sachsen wirklich etablieren will, muss auch für die Stärkung der Schulsozialarbeit als Beruf und als Berufsbild sorgen. Jetzt haben Sie in Ihrem Debattentitel noch von gleichen Chancen
gesprochen. Da frage ich Sie: Haben Schulen in freier Trägerschaft wirklich die gleichen Chancen, Schulsozialarbeit zu finanzieren? Die Oberschulen bei den öffentlichen Trägern kommen ja jetzt in den Genuss der 100-%Förderung. Sie haben versprochen, auch die Beteiligung der Oberschulen in freier Trägerschaft zu prüfen. Ich erwarte, dass Sie das Ergebnis einmal vorstellen und offenlegen.
Wird es einen angemessenen Ausgleich für die Schulen in freier Trägerschaft geben? Wie sieht er aus? Wer von gleichen Chancen redet, Herr Schreiber, muss auch dafür sorgen. Sie können sich ja dazu äußern.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! Mit dem Ausbau des Landesprogramms „Schulsozialarbeit“ dürfte ein schon seit Langem bestehendes Anliegen von Schulen den Rahmen bekommen, den eine erfolgreiche Sozialarbeit braucht: Kontinuität. Das ist deshalb gut, weil die sächsischen Lehrer durch Schulsozialarbeit von jener Aufgabe entlastet werden, die grundsätzlich nichts mit deren Tätigkeit zu tun hat, aber immer mehr Zeit erfordert: nämlich die Erziehungsarbeit.
Wer aber glaubt, durch Schulsozialarbeit gleichen sich Bildungschancen an, der irrt. Schulsozialarbeit führt allenfalls dazu, dass Unterricht wieder störungsfreier abläuft und Lehrer sich um das kümmern können, wofür sie da sind, nämlich Wissen zu vermitteln.
Kürzlich konnte ich zwei Beiträge lesen: einmal in der „FAZ“: „Die Eltern mehr in die Pflicht nehmen, die Fürsorgepflicht für die eigenen Kinder kann nicht einfach an die Schule delegiert werden“, oder auch bei welt.de: „Überforderte Eltern, schwierige Kinder. An deutschen Schulen sind mindestens 87 000 Mädchen und Jungen verhaltensauffällig. Lehrer machen dafür vor allem die Eltern verantwortlich.“ Diese Artikel machen deutlich, wo die eigentlichen Probleme liegen – im Elternhaus. Dies zu erkennen ist deshalb wichtig, weil der Grundstein für den Schulerfolg im Vorschulalter gelegt wird. Schulsozialarbeit ist somit nichts anderes als Symptombehandlung. Wer wirklich bessere Bildungschancen will, muss die Elternarbeit in den Fokus rücken.
Mit Frau Kollegin Kersten sind wir am Ende der ersten Rederunde angekommen. Wir eröffnen die zweite Rederunde. Das Wort
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank erst einmal für die dann doch sehr lebhaft gewordene Debatte, insbesondere an Frau Wilke. Frau Wilke, Ihr Redebeitrag zeigt eindeutig, dass wir anscheinend auch im Landtag Landtagssozialarbeit brauchen, damit Sie die Dinge einmal so wahrnehmen, wie sie tatsächlich sind, und nicht so, wie es vielleicht in Ihrer komischen Weltvorstellung stattfindet, denn die Welt hat sich auch seit den Jahren, von denen Sie hier reden, irgendwie weitergedreht. Die gesamte Gesellschaft hat sich entwickelt, ich sage nicht weiterentwickelt, weil Weiterentwickeln immer so etwas Positives mit sich bringt. Ich glaube, unsere Gesellschaft hat sich nicht nur positiv entwickelt, sondern wir haben auch negative Entwicklungen, um die wir uns kümmern müssen, aber für die Gesamtgesellschaft kann Politik allein nur bedingt etwas ausrichten.
Herr Homann hat es schon getan, ich möchte es noch einmal für unsere Fraktion tun: mich bei den Schulsozialarbeitern bedanken, die in Hülle und Fülle an vielen sächsischen Schulen tätig sind.