Protokoll der Sitzung vom 27.06.2018

Abenteuerlich wird es, wenn diejenigen, die eben noch behauptet haben, Bildungsfreistellung sei der sprichwörtliche Todesstoß für die sächsischen kleinen und mittelständischen Unternehmen, einen Augenblick später – und das werden wir heute sicher aus der CDU-Fraktion wieder hören – die geringe Reichweite eines solchen Gesetzes beanstanden. Nur 1 bis 2 % der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer würden von ihrem Recht Gebrauch machen. Das mag ja so sein, allerdings schafft so ein Gesetz auch keine Verpflichtung, an Weiterbildungsmaßnahmen teilzunehmen; vielmehr schafft es das Recht, dies zu tun.

Wenn wir uns die 1 bis 2 % in Sachsen einmal anschauen: Wir haben in Sachsen circa 1,6 Millionen sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse von Menschen, die in Sachsen arbeiten. Das heißt, 1 bis 2 % wären 16 000 bis etwas über 30 000 Menschen, die immerhin dieses Recht zunächst in Anspruch nehmen wollten, und das ist keine Kleinigkeit.

An dieser Stelle kurz zu den prinzipiellen Einwendungen aus der Anhörung. Es kam, wie erwartet, das Argument, dass dieses Recht zur Weiterbildung eine unangemessene Belastung für die Kleinst- und Kleinunternehmen darstel

len würde. Genau dafür, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, haben wir in unserem Gesetzentwurf den Anspruch auf eine Entschädigungspauschale für Kleinunternehmen eingebaut. Gerade in Kleinunternehmen bleibt Weiterbildung ein Thema, welches längst nicht gelöst wurde und wo auch Bildungsgutscheine und Weiterbildungsschecks nicht den nötigen Drive erreicht haben. Weiterbildung findet nach wie vor zuallererst in Großunternehmen statt.

Dafür stellen diese sowohl die Freistellung als auch die finanziellen Mittel zur Verfügung. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in kleinen und mittelständischen Unternehmen sind und bleiben benachteiligt. An dieser Stelle müssen wir gute Bedingungen schaffen, auch im Interesse der kleinen Unternehmen.

Das Argument, der Fachkräftemangel sei ein Hindernis für ein größeres Engagement bei der Weiterbildung, ist Unsinn. Es ist vielmehr umgekehrt: Betriebe wie Behörden profitieren davon, wenn ihre Beschäftigten durch Weiterbildung nach stetiger Verbesserung ihrer Fähigkeiten streben. Wer sich am Markt behaupten möchte, der braucht Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, deren Wissen und Können stets auf der Höhe der Zeit sind.

Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels kommt es zu Situationen, in denen im Betrieb Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an einer Stelle eingesetzt werden müssen, wofür sie ursprünglich nicht ausgebildet sind. Gut, wenn sie durch Weiterbildung rechtzeitig für neue Aufgaben fit gemacht werden!

Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Etwas befremdet haben mich und meinen Kollegen Gerd Lippold im Rahmen der Anhörung die Klagen der Verbandsvertreter von Kommunen und Landkreisen. Sie sind für mich und meine Fraktion in der Substanz letztlich nicht nachvollziehbar.

Wie die Verbandsvertreter der Handwerker sind alle für mehr und intensivere Weiterbildung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber letztlich nicht dazu bereit, das Recht auf Weiterbildung mitzutragen.

Die sachverständige Professorin Sabine Schmidt-Lauff von der Universität der Bundeswehr in Hamburg hat es in der Ausschussanhörung klar ausgedrückt: „Der grüne Entwurf für ein sächsisches Bildungsfreistellungsgesetz ist systematisch, vollständig und umsetzbar.“ Deshalb, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist es an dieser Stelle müßig, noch einmal über einzelne Punkte zu streiten.

Unsere Botschaft ist unmissverständlich: Wir wollen dieses Gesetz.

Statt der gleich einsetzenden Krittelei an einzelnen Details hätten wir uns eine konstruktive Zusammenarbeit nach der Anhörung gewünscht. So wären wir durchaus bereit dazu gewesen, den Vorschlag des Sachverständigen Prof. Klemm vom Volkshochschulverband aufzugreifen, zunächst ein Pilotprojekt Bildungsfreistellung über vier Jahre zu starten, wenn es dafür die entsprechenden Signa

le aus der Koalition gegeben hätte. Dieses Signal ist leider nicht gekommen, und auch keine weiteren.

Mit Blick auf die Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion kann ich nur hoffen, hoch verehrter Kollege Homann, dass Sie recht bald wieder in eine Situation kommen, in der Sie sich offen zur Bildungsfreistellung bekennen können. Ich würde mich darüber freuen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Man kann der Auffassung sein, dass der vorgelegte Gesetzentwurf nicht die abschließende Antwort auf alle Herausforderungen im Kontext der Weiterbildung und des lebenslangen Lernens ist – gewiss nicht; das hat auch niemand behauptet –, aber – das ist das Entscheidende – der Entwurf verspricht eben, einen wichtigen Beitrag zum Thema Weiterbildung durch das Recht auf Weiterbildung zu leisten.

In diesem Sinne, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen – ich sage es noch einmal –, bitte ich ganz herzlich um Ihre Zustimmung.

Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN – Rico Gebhardt, DIE LINKE: Wir stimmen zu!)

Meine Damen und Herren! Für die CDU-Fraktion spricht Herr Abg. Heidan. Bitte sehr, Herr Heidan, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Zais, wenn Sie hier schon den Präsidenten der Handwerker von Sachsen erwähnen, dann gestatten Sie mir auch zu sagen, dass er gesagt hat, es sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe für unsere Gesellschaft, Weiterbildung zu betreiben – das ist richtig. Sie müssen aber auch gucken, wer es bezahlen soll.

Ich möchte meinen Redebeitrag mit einem Zitat von Konrad Adenauer beginnen. Er hat gesagt: Wir leben alle unter dem gleichen Himmel, aber wir haben nicht den gleichen Horizont. Sie haben hier ganz deutlich gezeigt, dass Sie mit Ihrem Gesetzentwurf nur einen Teil der Gesellschaft in der Weiterbildung betrachten.

Es ist Aufgabe eines jeden Einzelnen, sich weiterzubilden, ob das im betrieblichen Sinne ist oder in der eigenen Biografie. Es ist notwendig – das ist sicherlich richtig.

Es kann aber nicht sein, dass Sie alle Aufgaben den Arbeitgebern übertragen, die es letztlich bezahlen müssen.

Ich habe mir Ihren Gesetzentwurf sehr aufmerksam angeguckt. Ich würde Ihnen Folgendes ins Stammbuch schreiben wollen: Gesamtkosten von 750 000 Euro – ohne Verwaltung; die haben wir schnell einmal ausgeblendet. Sie haben keine Ahnung.

Ich sage es noch einmal: Sie haben keine Ahnung, weil wir in Sachsen 149 000 Firmen haben, die weniger als zehn Beschäftigte haben. Ich rechne einmal sehr konservativ.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Sie sind ja auch konservativ!)

Ich gehe nur einmal von einem Arbeitnehmer aus, der Ihren Anspruch, den gesetzlichen Anspruch, den Sie in dem Gesetz formulieren, mit acht Wochen Vorankündigung beim Arbeitgeber etc. wahrnimmt. Wenn Sie nur einen nehmen, was kostet er Sie für die fünf Tage? Sagen wir einmal, wir haben einen Durchschnittslohn von 17,40 Euro. Das hat das Statistische Landesamt in Kamenz im Jahr 2016 erfasst. Nehmen Sie noch die Sozialkosten dazu. Dann sind wir bei ungefähr 25 Euro pro Stunde. Das nehmen Sie mal acht. Dann sind wir bei 200 Euro. Das nehmen Sie mal fünf. Dann sind wir bei 1 000 Euro. Das ist eine gute Rechnung. 1 000 Euro kostet es ein Unternehmen, das den Arbeitnehmer fünf Tage freistellen muss.

Ich will gar nicht davon reden, dass Sie gegen die tariflichen Bestimmungen verstoßen, weil die Tarifpartner nämlich gar nicht gefragt werden.

Es mag aus Sicht der Arbeitnehmer sehr deutlich sein, dass es sehr schön ist, wenn man sich einmal fünf Tage oder länger – wie Sie in Ihrem Gesetzentwurf formuliert haben, dass man es sogar übertragen kann – weiterbilden kann.

Jeder Urlaub muss bis zum 31. März des folgenden Jahres genommen werden. Sie ermöglichen mit Ihrem Gesetz, dass man ihn auch bis in das nächste Jahr, bis zum 31. Dezember, übernehmen kann.

Jetzt sagen Sie, wir wollen kleine Unternehmen fördern, dass sie es möglich machen können. Sie können es aber gar nicht, weil sie es nicht bezahlen können.

Ich sage es Ihnen noch einmal: Wir haben hier in Sachsen mehr als 149 000 Unternehmer, die zu 90 % unsere Unternehmerschaft abbilden. Wenn sie die 1 000 Euro bezahlen müssen, wie ich es in meinem kleinen Beispiel vorgetragen habe, dann sind es 149 Millionen Euro, welche die Arbeitgeberseite tragen muss. Dabei kommen Sie mit Ihren Kosten von 750 000 Euro um die Ecke gebogen. Es wäre vielleicht gut, wenn Sie einmal eine Weiterbildung im kleinen Einmaleins machten.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Wird ja immer der Unterricht gekürzt in Mathematik! Das ist das Problem!)

Das kann man ja auch mit Weiterbildung machen, aber es kommt immer darauf an, wer es bezahlt.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Ach, okay! Auch neu!)

Ich habe eingangs gesagt, dass Sie in ein tarifvertragliches Hoheitsrecht eingreifen wollen mit den Regelungen, die Sie formulieren. Es sind gerade die kleinen Firmen – weil es statistisch gar nicht erfasst wird –, die Weiterbildung betreiben.

Sie wissen selbst, ich führe einen kleinen Baubetrieb, der genau in diese Kategorie fällt. Wir bilden unsere Mitarbeiter in den Wintermonaten aus, wenn es nicht so schlimm ist, dass man es Freitag und Sonnabend anbietet. Es sind große Konzerne, die uns bei den neuen Technolo

gien unterstützen. Das machen wir schon alles. Es wird aber statistisch nicht erfasst.

Das, was Sie hier so schlechtreden, dass es nicht gemacht würde, hauptsächlich in kleinen Betrieben, das stimmt überhaupt nicht. Reden Sie mit den Handwerkskammern. Sie werden es Ihnen bestätigen.

Aus diesem Grund ist Ihr Bildungsfreistellungsgesetz, wie Sie es hier vorgeschlagen haben, nicht praktikabel, weil es a) nicht der Wirklichkeit entspricht, wie Sie es aufgezeigt haben, und b) auch die tarifvertraglichen Bestimmungen konterkarieren würde. Ich glaube, die Arbeitgeber haben dabei noch ein Wort mitzureden. Von daher werden wir Ihren Gesetzentwurf gut begründet ablehnen.

Vielen Dank.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Frau Zais, Sie wünschen?

Eine Kurzintervention.

Aber bitte.

Herr Heidan, wenn Sie sagen, ich hätte einen begrenzten Horizont

(Frank Heidan, CDU: Das habe ich nicht gesagt!)

das haben Sie gesagt –, weil ich die Perspektive der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sozusagen einnehme, dann muss ich Ihnen antworten – nach dem, was ich hier, jetzt gehört habe –, dass Ihr Horizont kleinkariert ist.

Ich möchte noch etwas zu dem Thema sagen, es müssten die Tarifpartner zustimmen usw. Natürlich ist es gut, wenn das Thema Weiterbildung eine Rolle in Tarifverträgen spielt. Wir sind aber die Legislative und dazu in der Lage, ein Gesetz zu machen.

Ich weiß nicht, ob Sie die Demokratie begriffen haben. An dieses Gesetz – Ihre Fraktion wird nicht müßig, es laufend zu betonen – wären dann die Seiten gebunden. So einfach ist es.

Vielleicht sollten Sie, bevor Sie mir sozusagen Dinge unterstellen, einfach eine Weiterbildung in Sachen Demokratie machen.