Protokoll der Sitzung vom 27.06.2018

Letzter Punkt aus Sicht meiner Fraktion: Menschliche Schicksale können keinem egal sein, und trotzdem bleibt es zum Schluss in der konsequenten Frage von beiden Seiten des Asylrechts bei der Entscheidung, dass diejenigen, die eine Perspektive haben, hier auch eine Perspektive einschließlich Integrationsleistung bekommen müssen, und diejenigen, die diese Perspektive nicht haben, auch konsequent zurückgeführt werden. Dann hilft es uns gar nichts, dass die eine Seite den Anspruch der moralischen Integrität für sich hat und versucht, den anderen die Ecke des Schmuddelkindes zuzuweisen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Frau Abg. Nagel, möchten Sie erwidern? – Das ist nicht der Fall. Wir setzen die Aussprache fort. Für die SPD-Fraktion Herr Abg. Pallas, bitte.

(Enrico Stange, DIE LINKE, unterhält sich über die Reihen hinweg mit einem Abgeordneten der CDU.)

Herr Pallas, wollen wir noch etwas warten, bis die Kollegen sich fertig gestritten haben?

(Albrecht Pallas, SPD: Wenn sie denn zum Ende kommen, die Kollegen; ich weiß es nicht!)

Herr Stange, wollen Sie zum Ende kommen? Ansonsten bitte ich Sie, den Raum zu verlassen und das Gespräch mit dem Kollegen der CDU-Fraktion draußen weiterzuführen, ohne sich zu kloppen.

(Stellenweise Heiterkeit – Albrecht Pallas, SPD: Das kriegen die beiden hin, Herr Präsident!)

Herr Pallas, bitte sehr.

Vielen Dank, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Gesetz zur Regelung des Vollzugs der Abschiebungshaft und des Ausreisege

wahrsams, das wir heute in zweiter Lesung debattieren, schließen wir an die Debatte an, die wir vor einigen Monaten hier im Plenum des Sächsischen Landtags beim Vorschaltgesetz zum Ausreisegewahrsamsvollzugsgesetz geführt haben. Bereits damals war klar, dass das Gesetz nur ein Interim ist und an einem Vollgesetz gearbeitet würde, und über dieses Vollgesetz sprechen wir heute.

Die Grundfrage ist: Brauchen wir diese Instrumente, Ausreisegewahrsam und Abschiebehaft? Dabei komme ich nach gründlicher Abwägung zu einer gänzlich anderen Entscheidung als die Kollegin Nagel von den LINKEN. Ganz egal, wie sich bestimmte bundesdeutsche Scheindebatten jetzt weiterentwickeln, wir müssen Aufnahme und Entscheidung über Bleiberecht in Deutschland besser steuern; das ist doch klar. Ein Teil der Geflüchteten oder Asylbewerber wird Bleiberecht bekommen. Andere bekommen kein Bleiberecht und werden geduldet, und wieder andere müssen unser Land wieder verlassen.

Im ersten Schritt setzen wir natürlich auf Freiwilligkeit. Da kann ich nur dick unterstreichen, was der Kollege Hartmann zu den entsprechenden Anreizen sagte, die da gesetzt werden, oder auch Beratungen, die auch in Sachsen angeboten werden. Aber es wird immer auch Menschen geben, die dem nicht freiwillig nachkommen, so nachvollziehbar das ist. Dann bleibt eben nur das Instrument der Abschiebung. Auch da gibt es Abstufungen; das ist doch völlig klar. Es ist auch die Erfahrung der vielen letzten Jahre, auch vor 2015, dass das so ist.

Fakt ist: Es gibt Fälle, in denen die vollziehbare Ausreisepflicht nur unter Zuhilfenahme eines dieser beiden Instrumente, Ausreisegewahrsam oder Abschiebungshaft, durchgesetzt werden kann, und es wird sie auch künftig geben, ob man das nun will oder nicht, ob es einem gefällt oder nicht. Es ist ein Fakt. Wir als SPD akzeptieren diesen Fakt und akzeptieren auch die auf Bundesebene getroffene Grundsatzentscheidung, dass im Aufenthaltsgesetz diese beiden Zwangsinstrumente, um die Durchsetzung der Ausreisepflicht zu sichern, eingeführt wurden. Wir akzeptieren auch, dass wir sie auch in Sachsen zur Anwendung bringen. Das entlässt uns aber als Gesetzgeber nicht aus der Verantwortung, wie wir diese Instrumente im Freistaat Sachsen vollziehen wollen. Denn es sind – damit haben Sie auch völlig recht – sehr eingriffsintensive Instrumente.

Vor diesem Hintergrund stellt sich eine ganze Reihe von Fragen, die im parlamentarischen Verfahren nicht nur uns, sondern sicher auch die anderen Fraktionen beschäftigt haben. Das betrifft dienstrechtliche Fragen oder auch Fragen nach Gefahren für die Bewohner, aber auch durch die Bewohner für Beschäftigte oder auch das Umfeld um die Einrichtung. Es ging aber zuvörderst auch um die Frage: Wie wollen wir im Freistaat Sachsen mit Menschen umgehen, die aufgrund eines richterlichen Beschlusses in dieser Einrichtung sind, Menschen, die keine Straftäter oder nicht wegen Straftaten in Haft sind? Wie stellen wir sicher, dass diese Menschen dort nur Beschränkungen unterworfen werden, die zum Vollzug der

Abschiebehaft oder des Ausreisegewahrsams erforderlich oder aus Gründen der Sicherheit und Ordnung in der Einrichtung unerlässlich sind? Wie können wir den Bedürfnissen besonders schutzbedürftiger Personen

Rechnung tragen, und wie können wir den untergebrachten Personen eine reelle Chance geben, immer noch freiwillig auszureisen? Denn das ist auch ein Fall, der mitgedacht werden muss. Und wie können wir sicherstellen, dass die untergebrachten Personen eine angemessene medizinische und soziale Betreuung erhalten, dass sie hinreichend über den weiteren Verfahrensablauf informiert und beraten sind und dass sie Zugang zu rechtlicher Beratung und Kontakt zu einschlägig tätigen Hilfsorganisationen erhalten?

Diese Fragen waren auch Hauptgegenstand der Anhörung, die Ende März im Innenausschuss stattgefunden hat. Im Ergebnis hat die Koalition einen Änderungsbedarf für den Gesetzentwurf erkannt. Das Spannende an der Anhörung war, dass es eben nicht nur, einmal lapidar gesagt, die üblichen verdächtigen Abschiebegegner waren, die Kritik vorgetragen haben, sondern uns auch die Praktiker aus anderen Ländern, in denen es bereits solche Einrichtungen gibt, ganz konkrete Vorschläge an die Hand gegeben haben, wie wir den Gesetzentwurf qualifizieren können – und das haben wir getan, meine Damen und Herren.

Wir haben einen Änderungsantrag mit wesentlichen materiellen Verbesserungen eingebracht. Ich möchte nur auf einige wenige Punkte eingehen. Es war ein umfangreicher Katalog an Veränderungen.

Erstes Stichwort: Betreuung der Untergebrachten. Wir stellen klar, dass es eben nicht nur um das Kindeswohl oder um das Wohl Minderjähriger geht, das besonders beachtet werden muss, sondern dass es überhaupt um die Belange besonders Schutzbedürftiger geht. Das war so klar im Entwurf nicht geregelt. Das haben wir entsprechend nachgeschärft.

Wenn man sich die Praxis anderer Bundesländer anschaut, dann wird man erkennen, dass es überhaupt nur in extrem wenigen Fällen, also ganz selten dazu kommen wird, dass Minderjährige in Abschiebehaft genommen werden. Ich verweise auf den Sachverständigen Dr. Rinösl, den für diesen Bereich zuständigen Dezernatsleiter der Bezirksregierung Detmold. Er hat dazu in der Anhörung ausgeführt, dass er sich einen solchen Ausnahmefall allerhöchstens vorstellen könnte, wenn es sich um einen Minderjährigen handelt, der kurz vor der Volljährigkeit steht, aber bereits ein massives Vorstrafenregister hat.

Viel öfter werden andere Gründe für Schutzbedürftigkeit vorkommen: Behinderung, schwere Erkrankung, ältere Menschen oder schwangere Personen oder Menschen, die in der Vergangenheit Opfer von Folter, Vergewaltigungen waren oder sonstige Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben. Es ist nicht ausgeschlossen, dass ein Gericht auch in so einem Fall eine der beiden Maßnahmen bejaht, und dann müssen die Einrichtung und die dort tätigen Bediensteten damit angemessen

umgehen können. Das war sozusagen die Richtschnur für uns.

Stichwort freiwillige Ausreise. Durch den Änderungsantrag wird die Einrichtung verpflichtet, eine nachträgliche Entscheidung der Untergebrachten zur freiwilligen Ausreise aktiv zu unterstützen; denn es darf nicht passieren, dass Menschen in Abschiebungshaft oder Ausreisegewahrsam bleiben, weil sich keine Behörde zuständig fühlt, sich konkret zu kümmern, dass die Person freiwillig ausreisen kann, was im Übrigen auch für die Gesellschaft günstiger wäre.

Stichwort Rechtsberatung. Im Vorschlag der Staatsregierung war vorgesehen, dass Bewohner der Einrichtungen entsprechende Informationen über Rechtsberatung nur auf Wunsch erhalten. Die Anhörung hat klar ergeben, dass da dringender Nachsteuerungsbedarf war. Auch uns war das zu wenig, deswegen haben wir im Änderungsantrag klargestellt, dass die untergebrachten Personen nicht nur verpflichtend Informationen über Rechtsberatung erhalten sollen, sondern eben auf Wunsch auch eine durch die Einrichtung vermittelte kostenlose ausländerrechtliche Rechtsberatung bekommen. Das ist noch einmal eine deutliche Qualifizierung.

Letztes Stichwort: Hilfsorganisationen. Es war uns wichtig, ein Signal dafür zu setzen, dass die Arbeit der einschlägig tätigen Hilfsorganisationen nicht an der Tür der Abschiebungshafteinrichtung endet und dass die Angehörigen dieser Organisationen eine andere Rolle haben als die normalen Besucher. Für Geflüchtete und Asylsuchende generell leisten die Zivilgesellschaft und deren Akteure eine wichtige und oft auch emotional sehr fordernde Arbeit. Gerade in der Ausnahmesituation für die Untergebrachten ist es wichtig, dass sie Kontakt zu den betreffenden Hilfsorganisationen halten können. Daher haben wir im Änderungsantrag ähnliche Regelungen für die Hilfsorganisationen getroffen, wie sie bereits für Parlamentsabgeordnete oder den Sächsischen Ausländerbeauftragten enthalten waren. Besuche von Angehörigen der Hilfsorganisationen sollen nicht beaufsichtigt werden. Es wird keine inhaltliche Überprüfung der mitgeführten Schriftstücke, Unterlagen oder Datenträger erfolgen. Das ist, denke ich, noch einmal eine deutliche Steigerung im Stellenwert dieser Organisationen, die wir mit dem Änderungsantrag vornehmen.

Das sind nur einige der Punkte, welche durch den Änderungsantrag der Koalition im Innenausschuss in den Gesetzentwurf eingebracht wurden und aus SPD-Sicht den Gesetzentwurf erst zustimmungsfähig gemacht haben.

Das Gesetz ist nun zustimmungsfähig. Wir werden heute dem Gesetz über die Abschiebungshaft und den Ausreisegewahrsam im Freistaat Sachsen zustimmen.

Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Meine Damen und Herren! Für die AfD-Fraktion spricht jetzt Herr Abg. Urban. Sie haben das Wort, Herr Urban.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Seit der rechtswidrigen Grenzöffnung 2015 versucht die Große Koalition, das Volk mit diversen Lügen zu beruhigen:

Erstens. Wir haben alles richtig gemacht, aber 2015 darf sich niemals wiederholen. – Hier versagt die Logik.

Zweitens. Es kommen nur noch wenige. Nein, weltweit sind 68 Millionen Menschen auf der Flucht. Die nächste Welle rollte bereits aus Richtung Iran, Pakistan und Bangladesh heran.

Drittens. Kein europäisches Land kann die Probleme allein lösen. – Doch, die Schweiz zum Beispiel.

Viertens. Wir helfen Italien und Griechenland, damit die Migranten dort bleiben. – Nein, die Migranten werden dort einfach durchgewunken.

Frau Merkels Plan, aus Illegalität Legalität zu machen, ist darum gescheitert.

Die Einführung des Gesetzes ist begrüßenswert, aber sie erfolgt viel zu spät.

(Beifall bei der AfD)

Heute stellt sich angesichts der Situation im Freistaat fast die Frage der Sinnhaftigkeit einer solchen Einrichtung. Vorgesehen sind 24 Plätze für Haft und 34 Plätze für Gewahrsam. Derzeit leben aber in Sachsen 11 000 Menschen, die ausreisepflichtig sind,

(Zuruf der Abg. Juliane Nagel, DIE LINKE)

die meisten aus Indien, Pakistan, Tunesien und Marokko. In keinem dieser Länder herrscht Krieg. Hinzu kommen um die 700 Mehrfachintensivtäter, die auf freiem Fuß sind.

2017 scheiterten mehr als 1 000 Abschiebungen in Sachsen, da die Migranten meist untertauchten. Innenminister Wöller täuscht Sachsens Bevölkerung, wenn er behauptet, dass der Rechtsstaat hart durchgreife, wenn der Ausreisepflicht nicht nachgekommen werde.

Das harte Durchgreifen stellt sich dann so dar: Bei 1 000 gescheiterten Abschiebungen hat Sachsen 2016 nur neun Anträge auf Anordnung von Abschiebungshaft gestellt, von denen zwei abgelehnt wurden.

Mit nur 58 Haftplätzen wird sich das Problem der nicht umsetzbaren Abschiebungen nicht lösen lassen. Zudem muss der Steuerzahler für diese Einrichtung die Kosten tragen: 10 Millionen Euro für die Errichtung sowie mehrere Millionen Euro jährlich für deren Unterhaltung.

Die geplante Einrichtung ist Symbolpolitik, denn sie kann die Politik der offenen Grenzen nicht korrigieren. Solange abgelehnte Asylbewerber nach Abschiebungen jederzeit erneut nach Deutschland einreisen dürfen, bleiben Abschiebungen ohne Sinn.

Ich möchte drei weitere Aspekte hervorheben, erstens das Fehlen einer bundeseinheitlichen Regelung, zweitens den sogenannten Ausreisegewahrsam und drittens den Richtervorbehalt.

Zu erstens. Die Abschiebung wird in den Bundesländern uneinheitlich gehandhabt. Im Moment ist es für einen Ausreisepflichtigen reiner Zufall, ob er in die Zuständigkeit einer Ausländerbehörde fällt, die mittels Abschiebungshaft abschiebt oder eben nicht. Zu befürchten ist ein Abschiebevermeidungstourismus innerhalb Deutschlands.

Zu zweitens. Der Ausreisegewahrsam spielt in der sächsischen Praxis keine Rolle. Die Zahl der Gewahrsamsplätze wäre daher deutlich zu reduzieren.

Zu drittens. Abschiebungshaft ist keine Strafhaft, sondern die verwaltungsrechtliche Vollstreckung der Ausreisepflicht. Andere europäische Staaten praktizieren Abschiebungshaft als Verwaltungshaft ohne gerichtliche Anordnung, zum Beispiel Frankreich.