Protokoll der Sitzung vom 06.09.2018

Die uns vorgelegte Bestandsaufnahme ist durchaus begrüßenswert. Ob wir jedoch mit dieser Großen Anfrage und der nachfolgenden zweiten Großen Anfrage der Damen und Herren der AfD-Fraktion in dieser Hinsicht einen Schritt nach vorn gemacht haben, darf bei näherer Betrachtung durchaus bezweifelt werden. Aus den vielen Fragen der AfD-Fraktion geht eines als Arbeitshypothese der Fragestellerin deutlich hervor: dass vor allem Nichtdeutsche an der Organisierten Kriminalität beteiligt seien und dass die Organisierte Kriminalität demnach durch die Flüchtlingskrise nach oben geschnellt sei. So die Hypothese.

Gerade jedoch für Nordafrika und Südeuropa sind die Zahlen – auf sehr niedrigem Niveau – nochmals zurückgegangen. Das lässt sich entsprechend nachlesen. Im Jahr 2015 gab es aus Nordafrika keinen einzigen Verdächtigen, aus Asien gab es nur einen einzigen. Ich verweise auf die Tabellen auf den Seiten 7 und 44 ff.

Im Jahr 2016 sah die Lage übrigens nicht wesentlich anders aus. Auch hierzu kann man auf Seite 2 der GA vom 22.12.2017 nachlesen.

Die Kategorie „Asien“ beinhaltet neben den MaghrebStaaten auch Länder wie Syrien und Afghanistan, also jene Länder, aus denen die Flüchtlinge insbesondere zu uns gekommen sind.

Insofern ist es verfehlt, davon auszugehen, mit der Flüchtlingskrise florierte die Organisierte Kriminalität in Sachsen. Damit lässt sich in der Tat kein Zusammenhang herstellen. Wir reden bitte immer noch von Organisierter Kriminalität, nicht von Kriminalitätsdelikten, die durchaus auch im Zusammenhang mit Raub, Drogenhandel und Ähnlichem stehen könnten. Wir reden von Organisierter Kriminalität mit bandenmäßigen Strukturen.

Gleichwohl stimmt es, dass Verdächtige besonders aus Ost- und aus Südosteuropa kommen. Das ist zweifelsohne so. Tatverdächtige kommen insbesondere aus dem Baltikum, aus Polen, Tschechien und Rumänien. Hier sind die bekannten Probleme der Drogenkriminalität und des bandenmäßigen Diebstahls erheblich. Man muss allerdings sehen, dass diese Zahlen sehr schwanken. Das gilt nicht nur für die Tatverdächtigen, sondern auch für die sogenannten Ermittlungskomplexe, das heißt die Organisationen, welche der Organisierten Kriminalität verdächtig sind.

Hintergrund ist die Tatsache, dass ein Ermittlungserfolg sich bei den geringen Fallzahlen bereits in den Verhältniszahlen deutlich bemerkbar macht. Wenn man also eine solche Struktur der OK ausgehoben hat, hat das zur Folge, dass die Kriminalitätsbelastung schlagartig nach unten geht. Daher sind die Muster von Jahr zu Jahr auch recht verschieden. So lässt es sich in Tabelle auf Seite 8 f. auch nachlesen. Entsprechendes gilt auch für die Schadenssumme, die allerdings einen deutlich negativen Trend ausweist und von 68 Millionen Euro im Jahr 2007 bis auf 522 000 Euro im Jahr 2015 zurückgegangen ist.

Erlauben Sie mir noch einige Anmerkungen zur Art der Fragestellungen seitens der AfD-Fraktion. Viele der Fragen lassen vermuten, die AfD glaube, der sächsische Staat sammle in einem Ausmaß Daten über alle möglichen Vorgänge, die aus unserer Sicht schlichtweg nicht realistisch sind.

Gute Statistiken in allen Ehren, jedoch nur wenn hieraus ein Verwendungszweck klar ersichtlich ist, machen selbige Sinn. Schließlich bedeuten differenzierte Statistiken immer auch einen erheblichen Aufwand bei der Dateieneingabe und Datenpflege.

Daher erhebt die Sächsische Staatsregierung natürlich nicht, welcher Szene oder welchem Milieu ein Tatverdächtiger angehört, siehe Frage 56. Ebenso wird nicht statistisch und systematisch erfasst, welches Land Rückzugsraum – was immer das auch sein soll – der Täter ist, in Frage 13. Ähnliches gilt für Tatspezialisierungen. Hierzu kann die Staatsregierung zu Recht nur auf Deliktbereiche eingehen.

Dass die AfD-Fraktion im jüngst eingebrachten Entschließungsantrag einige der gemachten Angaben zur statistischen Erhebungspraxis als unglaubhaft bezeichnet,

nun ja, dazu kann ich nur sagen, desgleichen lässt auf eine erhebliche Ermittlungsnaivität bei der Fragestellerin schließen. Als würde die Polizei bei jeder Ermittlung 30 bis 50 Kennzahlen erheben. Das ist weder praktikabel, noch ist es einsatztechnisch notwendig.

Im Übrigen ergibt sich, dass die Staatsregierung alle Problembereiche mit großen Anstrengungen in den Blick nimmt. Das sind insbesondere Drogenhandel, bandenmäßiger Diebstahl und Hehlerei, Wohnungseinbruchserien, Schleuserkriminalität und im Übrigen auch die gesamte organisierte Onlinekriminalität, die sämtlich zum Gegenstandsbereich der Großen Anfrage zählt.

Speziell die Grenzkriminalität ist Organisierte Kriminalität, insbesondere Drogenhandel und Diebstahl. Hier sei auf folgende Maßnahmen der Staatsregierung verwiesen. Es gibt drei gemeinsame Fahndungsgruppen: Elbe, Neiße und jene von Bundes- und Landespolizei. Es gibt seit dem Jahr 2014 den deutsch-polnischen Polizeivertrag. Im Jahr 2015 folgte das Ganze für Tschechien in einer entsprechenden Kooperation. Es bestehen Sicherheitsstammtische in Städten und Grenzregionen. Zudem gibt es eine gemeinsame Schleierfahndung im grenznahen Raum, auch gemeinsam mit den tschechischen und polnischen Beamten. Schließlich soll es auch Videoüberwachung an diversen Grenzbrücken etwa in Görlitz, Hagenwerder und Ostritz geben.

(Sebastian Wippel, AfD: Wo? Gibt es doch gar nicht!)

Speziell gegen die Drogenkriminalität gibt es grenzüberschreitende Ermittlungsteams, Spiegelverfahren, den Einsatz der Joint-Investigation-Teams und eine stärkere Ausrichtung der Fahndungsmaßnahmen nach operativen Lagebildern gemeinsam mit der Bundespolizei, dem Zoll und den Behörden der Tschechischen Republik sowie überhaupt eine umfängliche Zusammenarbeit mit tschechischen Behörden – genannt sei die tschechische Arbeitsgruppe Crystal – und Kontakte zwischen LKA und MPC. Jede Polizeidirektion in Sachsen verfügt übrigens über feste Ansprechpartner auf tschechischer Seite.

Summa summarum gilt also, dass die CDU und die Sächsische Staatsregierung die Organisierte Kriminalität durchaus ernst nehmen und ihr entgegentreten, gerade auch im internationalen Verbund. Anders ist es auch nicht zu schaffen.

Dass nicht alles zum Besten steht, will ich gar nicht verhehlen, jedoch, so bedauerlich Sie es finden mögen, niemand wird die Organisierte Kriminalität komplett verhindern können, auch die Kolleginnen und Kollegen der AfD nicht, schon gar nicht mit dieser Anfrage.

Erlauben Sie mir abschließend noch einige grundsätzliche Anmerkungen zur sogenannten Ausländerkriminalität.

Erstens. Ausländer sind häufig deswegen tatverdächtig, weil es spezifische Delikte gibt, die nur durch sie begangen werden können, beispielsweise nach Asyl-, Aufenthalts- und Freizügigkeitsgesetz.

Zweitens. Ausländische Tatverdächtige sind nicht notwendigerweise Migrantinnen und Migranten, sondern oft solche Personen, die sich nur vorübergehend in Deutschland aufhalten, zum Beispiel Touristen oder Personen, die gerade wegen krimineller Zwecke einreisen, beispielsweise aus dem südosteuropäischen Raum. Hierzu gehört etwa mit dem Drogenhandel auch ein erheblicher Bereich der Organisierten Kriminalität. Natürlich kann und muss man das beklagen, doch dergleichen ist gerade kein Beleg dafür, dass Ausländer oder Flüchtlinge per se krimineller wären als deutsche Staatsbürger.

Drittens. Selbst wenn die Kriminalität unter Ausländern höher ist als unter Deutschen, sollte man sich vor rassistischen Schnellschüssen verwahren. Ausländer waren und sind in der Regel hinsichtlich Alter, Geschlecht, sozialen Status und Bildungsstand oft schwächer als der Durchschnittsdeutsche. Wenn man das in den Vergleich setzt, dann kommt man zu einer ganz anderen Beurteilungsgröße.

Nicht primär kulturelle Merkmale sind ursächlich dafür, dass wir bisweilen in bestimmten Deliktkategorien unter Ausländern eine höhere Kriminalität beobachten als unter Deutschen, sondern es sind oft Merkmale, die auch unter deutschen Vergleichsgruppen das Risiko, kriminell zu werden, steigern. Selbstverständlich ist das schlimm. Es mag auch als Grund dafür dienen, eine bestimmte Art von Migration zu begrenzen oder bestimmte Integrationsmaßnahmen ins Werk zu setzen, die in ähnlicher Weise auch für die Reintegration und Prävention von Straftaten bei deutschen Straftätern verwendet werden. Eine erhöhte Kriminalität von Ausländern, wie sie mitunter in den Statistiken sichtbar wird, ist in dem Fall kein Argument für rassistische Deutungen der Kriminalität.

Deswegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, bleibt trotz aller Herausforderungen, auch bei Mehrfachintensivstraftätern, die wir auch in Sachsen zur Kenntnis nehmen, auch auf Deliktfeldern, auf denen wir eine höhere Präsenz von ausländischen Tatverdächtigen zur Kenntnis nehmen, der Blick auf Sach- und Augenmaß und keine pauschale Verknüpfung zwischen Flüchtlingen, Migranten und der Kriminalitätsentwicklung im Grundsatz.

Ich zitiere noch einmal Christian Morgenstern, adressiert an den Einreicher: „Weil, so schließt er messerscharf, nicht sein kann, was nicht sein darf.“ Insoweit, meine sehr geehrten Damen und Herren, herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Herr Wippel, Sie wünschen?

Eine Kurzintervention.

Bitte sehr.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Kollege Hartmann! Ich weiß nicht, auf

welche Große Anfrage Sie gerade geantwortet haben; denn die Dinge, die Sie gerade thematisiert haben, gerade im letzten Teil Ihres Redebeitrags, haben schlicht und ergreifend nichts mit der Großen Anfrage zu tun und auch nichts mit der Interpretation, die wir bezüglich der Zahlen vorgelegt haben. Es ist im Übrigen auch halb gar, weil es schlicht und ergreifend nicht stimmt,

(Zuruf der Abg. Dagmar Neukirch, SPD)

aber wir wollen heute nicht grundsätzlich über Ausländerkriminalität reden und Kriminalitätsbelastung im Einzelnen. Das haben wir an anderer Stelle hier schon oft genug gemacht.

Ich wollte Sie noch einmal darauf hinweisen, dass derjenige aus Ihrer Propagandaabteilung, der Ihnen den Wunschzettel der Regierung geschrieben hat, den Sie vorgetragen haben, über das, was alles passiert, offensichtlich nicht aufgepasst hat; denn es findet tatsächlich keine Videoüberwachung an den Grenzübergängen in Görlitz und Hagenwerder statt. Das sind Fakenews.

(Valentin Lippmann, GRÜNE: Ha, ha! – Beifall des Abg. Enrico Stange, DIE LINKE)

Herr Hartmann, Sie möchten erwidern? – Das ist nicht der Fall.

Meine Damen und Herren! Wir setzen die Aussprache fort. Für die Fraktion DIE LINKE spricht Herr Abg. Stange. Bitte sehr, Herr Stange. Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Hartmann, ich habe gerade mit meinem Beifall für meine Fraktion etwas durcheinandergebracht, aber Respekt für die sachliche Darstellung. Das war korrekt.

Meine Damen und Herren! Schon als ich die Große Anfrage der AfD-Fraktion nach ihrer Einreichung im Frühjahr 2017 zur Kenntnis genommen und gelesen hatte, drängte sich mir der Eindruck auf, dass es der AfD nicht tatsächlich um die Erhellung von Wesensmerkmalen, Struktur und Deliktfeldern der Organisierten Kriminalität oder auch um die entsprechende Aufklärungsarbeit der sächsischen Polizei geht, sondern sie vielmehr ihren Hütchenspielertrick nach dem Motto „Wo ist der kriminelle Ausländer?“ in eine Große Anfrage gegossen hat.

(Lachen der Abg. Karin Wilke, AfD)

Dass auch die Mitgliedschaft eines Polizeibeamten in den Reihen der AfD-Fraktion nichts zum Verständnis der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik beitragen konnte, stellt die Große Anfrage grandios unter Beweis. Deshalb Ihnen und allen nochmals zur Kenntnis: Delikte im Bereich der Organisierten Kriminalität sind im ganz überwiegenden Fall Kontrolldelikte. Deshalb trifft die folgende Kernaussage über die PKS also auch auf die Organisierte Kriminalität im Besonderen zu. Die PKS sagt nichts über die tatsächliche Kriminalität im Bezugszeitraum aus, sondern ist lediglich eine Projektion der Arbeit der Ermittlungsbehörden.

(Sebastian Wippel, AfD: Sie sind ganz schön schlau!)

In diesem Sinne sind die geringen OK-Fallzahlen in Sachsen ein Ausdruck der viel zu geringen Kapazitäten zur Bearbeitung von Organisierter Kriminalität

(Sebastian Wippel, AfD: Genau das habe ich gesagt!)

und also des zu geringen Personalbestandes der entsprechenden Ermittlungsbehörden. Halten Sie inne. Sie werden gleich noch aufschreien.

(Heiterkeit bei den LINKEN)

Ihr Unverständnis dieser Zusammenhänge durchzieht die Große Anfrage und findet seinen Ausdruck schließlich auch im vorliegenden Entschließungsantrag. Deshalb behandle ich beide im Zusammenhang.

Im Übrigen: Es ist keine komplexe Anfrage, sie ist nur massiv aufgebläht. Das hat auch der Kollege Hartmann schon festgestellt.

Die Große Anfrage ist nicht nur methodisch untauglich zusammengestellt, die Anzahl der Fragen ist zudem künstlich aufgebläht, indem alle Fragen jeweils für die nach Ihrer Auffassung zu identifizierenden Personengruppen entsprechend der kleinen Rassenkunde der AfD, Ost-, Südosteuropa, Nordafrika, Asien etc.,

(Sebastian Wippel, AfD: Schämen Sie sich!)

gestellt wurden. Die AfD-Fraktion interessiert sich also dafür, welche Ausländer aus welchen Ländern den Sachsen was angetan haben,