berichtete ein junger Flüchtling zu den Praktiken der Schlepperorganisationen. Die Schlepper nehmen die Not der Flüchtlinge billigend in Kauf und hoffen, dass andere Menschen helfen. Das ist auch ein Dilemma, und das müssen Sie auch so ehrlich ansprechen.
einer Kriminalitätsform, die das Schlimmste beschreibt, was wir als Menschen erleben können; denn Organisierte Kriminalität hat immer das Ziel, Geld und Macht zu erlangen. Nach Schätzungen – die Zahlen sind nur anhand von Flüchtlingsäußerungen ermittelt – bezahlt der Flüchtling zwischen 3 000 und 6 000 Dollar für ebendiese Überquerung, dieses Schleppen aus Afrika nach Europa. Das macht im Jahr etwa 5 bis 6 Milliarden Dollar für die Schlepperorganisationen aus. Die Not der Menschen, der Flüchtlinge, wird eben von Kriminellen genutzt, und auch darüber müssen wir sprechen, wenn wir über die Seenotrettung sprechen.
Kriminelle Organisationen mit diesem Finanzvolumen können eine Gefahr für ganze Staaten werden. Mit dem Geld, meine sehr geehrten Damen und Herren, werden die Krisen in Afrika noch weiter verschärft. Es ist nämlich ein Kreislauf, dass das Geld in Waffen wandert, dass Menschen diese Waffen in Afrika nutzen und andere wieder damit unterdrücken. Diesen Kreislauf können wir in Europa nicht akzeptieren.
Die Schlepper nutzen die Hilfsangebote der ehrenamtlichen Retter auf See schamlos aus. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich habe Respekt vor jedem Menschen, der sich für andere Menschen einsetzt. Aber die Schlepper nutzen die Not der Flüchtlinge schamlos aus.
Dies ist ein Dilemma, und darüber, meine sehr geehrten Damen und Herren, brauchen wir in der Gesellschaft und auch hier im Hohen Haus eine ehrliche Diskussion; denn es ist nicht nur so, dass man das eine machen und das andere nicht lassen kann. Wir brauchen deutlich mehr Druck –
– gegen diese Schlepperorganisationen, damit eben die Not der Flüchtlinge nicht im Tod im Mittelmeer endet.
Wir hörten gerade Herrn Kollegen Schiemann. Er sprach für die CDU-Fraktion. Jetzt spricht Frau Nagel für die Fraktion DIE LINKE.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Schiemann, Sie haben mir eine wunderbare Vorlage geliefert. Ich teile Ihre Analyse: Die Menschen steigen auf Boote, die nicht fahrtauglich sind, begeben sich in großes Risiko. Daran sieht man ja, in welchen Risiken, in welch unsicheren Situationen die Menschen leben, sodass sie diesen Schritt überhaupt gehen. Aber ich mache mal einen Punkt.
Die libysche Küstenwache wird derzeit von der Europäischen Union massiv mit Geld aufgepumpt. Mit wem kooperiert die libysche Küstenwache? Mit Schleppern, mit Organisierter Kriminalität. Das ist genau das Phänomen, das Sie hier beschrieben haben und das Sie bekämpfen wollen; es wird aber durch die Bundesrepublik und die Europäische Union hinterrücks unterstützt. Das ist ein Skandal.
Der zweite Punkt: Bleiben Sie bei Ihren Gedanken nicht stehen, gehen Sie einen Schritt weiter, fragen Sie, wie Menschen gerettet werden können, wie das, was eigentlich auf der Hand liegt, betrieben werden kann.
Es muss staatliche Seenotrettungsprogramme geben. Es kann nicht NGOs überlassen werden, Menschenleben zu retten. Diesen gedanklichen Schritt müssen Sie dann auch gehen, wenn Sie hier Schlepper anprangern.
Ich will den GRÜNEN im Weiteren dafür danken, dass sie dieses Thema auf die Tagesordnung gebracht, diese Debatte angeregt haben. Ich will den zweiten Teil des Titels der Debatte an den weitergehenden Anfang stellen: „Das andere Sachsen handelt“. Sie haben Mission Lifeline erwähnt. Aber man muss noch weiter gehen. In den letzten Monaten, in den letzten Wochen haben wir einen wunderbaren, einen starken, einen humanistischen Aufbruch in Sachsen erlebt: In Dresden wie jetzt vor dem Landtag, in Leipzig, in Chemnitz, in Freiberg, in Bautzen, in Görlitz und anderen Städten sind viele Menschen auf die Straße gegangen, haben sich der „Seebrücke“ angeschlossen – gegen die Kriminalisierung von Seenotrettungsorganisationen, für das Recht auf Leben, für das Menschenrecht auf Flucht. Das war ein ganz großartiges Zeichen.
Ich kann das weiterführen. Es sind großartige NGOs. Das ist nicht nur die Dresdner Mission Lifeline, das sind die Ärzte ohne Grenzen, SOS Mediterrane, Sea-Watch, Jugend Rettet usw. usf. Das sind tapfere Seeleute wie Claus-Peter Reisch, der Kapitän der „Lifeline“, und es sind die vielen ehrenamtlich tätigen Menschen, die praktisch auf diesen Schiffen Lebensrettung leisten. Ihnen gilt zuerst der Dank. Das ist sozusagen das Antlitz eines anderen Sachsens, einer anderen Bundesrepublik, was wir ganz aktiv hier auf den Straßen oder im Mittelmeer spüren.
Trotz dieser positiven Bilder müssen wir konstatieren, dass wir es mit einem Tiefpunkt zu tun haben, einem „Tiefpunkt der Menschlichkeit“ – das ist übrigens ein Zitat von dem CDU-Kollegen Elmar Brok aus dem Europäischen Parlament –, einem Tiefpunkt der Europäischen Union und auch einem Tiefpunkt der bundesrepublikanischen Politik.
Die Debatte kann ja nicht aktuell genug sein. Schauen wir auf das, was in den letzten Tagen wieder passiert ist. Die „Aquarius II“, das NGO-Schiff von Ärzte ohne Grenzen, ist wiederum fünf Tage im Mittelmeer herumgeirrt, an Bord 58 Menschen, darunter 18 Kinder. Es wurde herausgezögert. Es wurde sich dem Anlegen verweigert. Dafür ist vor allem die neue italienische Regierung verantwortlich. Dafür sind wir aber als Bundesrepublik mitverantwortlich, für dieses humanitäre Drama, das sich inzwischen regelmäßig auf dem Mittelmeer abspielt.
Es setzt sich fort, was wir im Juni erleben mussten, was wir in den letzten Monaten bzw. schon über ein Jahr erleben mussten: – –
Dazu komme ich gleich. NGO-Schiffe stechen in See, retten Menschen und werden an der langen Hand ausgebootet. Es wurde bereits beschrieben, wie die Situation auf den Schiffen ist. Es ist eine humanitäre Katastrophe. Die Schiffe sind, wie Sie wissen, jetzt auch mit der Aquarius II, weitestgehend beschlagnahmt. Im Gegenzug dazu steigt die Zahl der Todesopfer im Mittelmeer. Das können wir als demokratischer Staat, als demokratische Gesellschaft nicht dulden.
Im Juni 2018, kurz nachdem die Lifeline und die SeaWatch beschlagnahmt wurden und die Aquarius und die Open Arms festgesetzt waren, ertranken im Mittelmeer 629 Menschen. Im Mai waren es noch 48. UNHCR geht davon aus, dass inzwischen jeder siebte Mensch bei der Überfahrt über das Mittelmeer stirbt. Im ersten Halbjahr 2017 war es noch einer von 38. Ich möchte die Zahlen kurz fortsetzen. Man kann sie zusammenzählen. Das sind gesicherte Zahlen. Wahrscheinlich sind sie noch mit Dunkelziffern zu erhöhen. Seit 2014 starben bei der Überfahrt übers Mittelmeer 17 000 Menschen. Wer bei diesen Zahlen nicht wütend wird und wer angesichts dieser konzertierten verhinderten Lebensrettung nicht von einer Verrohung von Politik sprechen mag, dem ist nicht zu helfen. Über die deutsche Verantwortung daran werde ich in der zweiten Rederunde sprechen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin bereits ganz froh, dass wir in diesem Hohen Hause zumindest bisher Einigung darüber haben, dass Seenotrettung nichts Kriminelles ist. Das fand ich sehr beachtlich. Denn das ist in der öffentlichen Debatte nicht immer so, dass das anerkannt ist.
Meine Damen und Herren! Wo bewegen wir uns? Wir stehen einerseits zwischen dem Bedürfnis der Bürgerinnen und Bürger Europas bzw. großer Teile von ihnen nach Sicherheit, die ebendiese Teile der Bevölkerung durch die Zuwanderung von Flüchtlingen bedroht sehen, und andererseits der Hilfsbereitschaft anderer Bürgerinnen und Bürger Europas, die erkennen, dass die Menschen, die sich unter Todesgefahr und Entbehrungen auf den Weg machen und die gefährlichste Etappe auf der Flucht über das Mittelmeer antreten, zunächst einmal Menschen sind, die sich in Lebensgefahr befinden und gerettet werden müssen.
Meine Damen und Herren! Niemand kann leugnen, dass es Schlepperbanden gibt, die sich die Hilfsbereitschaft
von Europäern zunutze machen und Flüchtende mutwillig in Gefahr bringen, damit diese gerettet werden. Das veranlasst einige Regierungen Europas, vor allem die Italiens, gerettete Flüchtlinge nicht mehr ins Land zu lassen, eigene staatliche Rettungsaktionen wie Mare Nostrum, die es bis 2014 noch gab, einzustellen und private Hilfsaktionen zu kriminalisieren. Nur so geht das nicht!
Schauen wir genau hin, was da geschieht! Das, was die italienische Regierung betreibt und was auch die österreichische Ratspräsidentschaft der EU gutheißt, ist das organisierte Wegschauen. Sie leugnen einfach den Umstand, dass es unter den Flüchtenden einen großen Anteil gibt, der Grund zur Flucht hat und denen das auch regelmäßig anerkannt wird, wenn sie denn die Chance dazu haben. Sie leugnen den Umstand, dass alle, die an Bord solcher Schiffe sind, sich in einer Notsituation befinden, die ihr Leben bedroht. Wer die Nothilfe für Menschen, die mit dem Tode bedroht sind, deshalb verurteilt, weil diese Menschen selbst schuld seien, sich in diese Situation zu begeben, wer die Rettung als Pull-Effekt verunglimpft und wer den Tod von Tausenden als Kollateralschaden einer Abwehr von Schleusern begreift, der ist weit weg von dem christlichen oder humanistischen Menschenbild unserer Kultur, dessen wir uns doch so gern rühmen.
Meine Damen und Herren! Das organisierte Wegschauen der italienischen Regierung: Eine solche Politik kann man sich allenfalls als Staat erlauben und das auch nur, weil die Herrschaft der Rechtsordnung bisher auf Staaten und ihre Repräsentanten nur bedingt anwendbar ist. Jede Bürgerin und jeder Bürger, der wüsste, dass ein Boot in Seenot ist, und die Mittel hätte, die Passagiere zu retten, würde sich unter der Geltung unseres Strafrechts einer Straftat der unterlassenen Hilfeleistung nach
§ 323 c StGB schuldig machen, wenn er es nicht täte: „Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.“ Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang der Abs. 2: „Ebenso wird bestraft, wer in diesen Situationen eine Person behindert, die einem Dritten Hilfe leistet oder leisten will.“ Meine Damen und Herren! Da kann man nur froh sein, dass sich ein Staat wie Italien nicht an deutsche Strafgesetze zu halten braucht. Sonst müsste er helfen, wenn er nicht kriminell handeln will.
Ein wenig absurd ist der Vorwurf aus Deutschland schon, die Seenotrettung durch private Unternehmen sei kriminell. Unsere Rechtsordnung sagt, dass diejenigen kriminell sind, die andere daran hindern, Hilfe zu leisten. Meine Damen und Herren! Eigentlich ist es staatliche Aufgabe, Seenothilfe zu leisten. Eigentlich ist es staatliche Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Fluchtursachen gar
nicht erst entstehen und dass sie bekämpft werden. Eigentlich ist es staatliche Aufgabe, dass niemand sich in Lebensgefahr begeben muss, um das eigene Leben zu retten, wenn er verfolgt ist. Das alles geschieht nicht.
Meine Damen und Herren! Sie haben von mir einen moralisch klaren und rechtlich sauber begründeten Standpunkt gehört. Die Gegner dieses Standpunktes werden mich deshalb gern als Gutmenschen titulieren. Einerseits –