Juliane Nagel

Sitzungen

6/1 6/4 6/9 6/11 6/16 6/17 6/18 6/19 6/20 6/24 6/26 6/32 6/40 6/43 6/44 6/49 6/51 6/52 6/54 6/57 6/58 6/60 6/62 6/65 6/67 6/70 6/71 6/72 6/73 6/74 6/75 6/79 6/80 6/81 6/82 6/83 6/89 6/90

Letzte Beiträge

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen!
Zahlreiche Menschen sind in Deutschland von Wahlen ausgeschlossen,
Menschen, die nach Auffassung des Gesetzgebers nicht das richtige Alter haben, also Kinder und Jugendliche, psychisch Beeinträchtigte – wir wissen aus der aktuellen Rechtsprechung, dass das nicht ganz legitim ist – und eben Menschen, die hier ohne deutsche Staatsbürgerschaft leben und nicht aus dem EU-Ausland kommen – obwohl sie hier lange leben, arbeiten, zur Schule gehen und Steuern zahlen, obwohl sie die Sprache beherrschen und selbstverständlich die demokratischen Strukturen dieses Staates kennen.
Mehr Möglichkeiten zur politischen Partizipation, finalisiert durch das aktive und passive Wahlrecht, ist eine sehr alte Forderung der Selbstorganisation der Migrantinnen und Migranten, so zuletzt bei der Kampagne „Wir wählen“ zur Bundestagswahl. Wer hier lebt, der gehört dazu, unabhängig vom Pass, so ihr Slogan.
Diese Kämpfe für ein Wahlrecht reichen bis in die 1970er- und 1980er-Jahre zurück, als im Westen die sogenannten Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter ihr Recht einforderten, mitzuwählen. Wir wissen, dass es erfolglos war.
Bei den ersten freien und demokratischen Kommunalwahlen im Bereich des Ostens dieser Republik im Mai 1990 genossen Ausländerinnen und Ausländer, die seit mehr als zwei Jahren in der DDR lebten, dagegen das passive und aktive Wahlrecht. Daran will ich noch einmal erinnern; denn diese progressive Regelung ist dann leider bei den Wendeereignissen unter die Räder gekommen.
Während zumindest das Kommunalwahlrecht für EUBürgerinnen und -Bürger durch den Vertrag von Maastricht im Jahr 1992 auch in nationales Recht übernommen wurde und nun in Artikel 28 des Grundgesetzes verankert ist – darauf wurde schon hingewiesen –, trifft es für mehr als vier Millionen volljährige Menschen in Deutschland nicht zu. Sie haben keinen deutschen und keinen EU-Pass, leben hier aber seit durchschnittlich 16 Jahren. Dabei wäre es ein Leichtes, genau diese Einfahrtsschneise – das wurde auch in der Anhörung erwähnt, die Implementierung des kommunalen Wahlrechts für EU-Bürgerinnen und -Bürger hat den Grundsatz, dass nur deutsche Staats
bürger und Staatsbürgerinnen, nur deutsche Staatsangehörige, wahlberechtigt sein können – zu durchbrechen. Hier gilt es anzuknüpfen.
Die Grundsatzfrage – auch darauf wurde schon Bezug genommen –, wer zum Staatsvolk gehört und wer nicht, wird in der politischen Debatte doch sehr verschieden beantwortet. Das Meinungsspektrum konnten wir auch in der Anhörung zum Gesetzentwurf – darauf hat Kollegin Zais schon hingewiesen – zur Kenntnis nehmen. Die Debatte darum – und das ist das Problem – wird aber zumeist ideologisch geführt. Die Vertreter am ganz rechten Rand dieses Parlaments werden uns hier wohl auch gleich mit Blut- und Bodenrhetorik belästigen.
Die Frage, wer ist das Volk, ist allerdings nicht unabänderlich, sondern unterliegt im hohen Maße gesellschaftlichen Wandlungen. So waren die Urteile des Bundesverfassungsgerichtes von 1990 – also vor fast 30 Jahren – auch seinerzeit schon umstritten. Sie sind in der Folgezeit noch umstrittener geworden. Auch heute widersprechen zahlreiche Verfassungsrechtlerinnen und Verfassungsrechtler – Frau Wallrabenstein aus der Anhörung wurde schon benannt – dieser Rechtsprechung und verweisen darauf, dass ein Wahlrecht auch für Menschen ohne deutschen Pass aus dem Demokratieprinzip abgeleitet werden könne. Kurz und knapp – und das ist eigentlich vollkommen logisch –: Möglichst alle, die von der Ausübung der Staatsgewalt betroffen sind, sollen auch gleichberechtigt an der Konstituierung dieser Staatsgewalt beteiligt werden. Darauf verweist auch der uns vorliegende Gesetzentwurf, welchen wir hier diskutieren.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Anteil von Migrantinnen und Migranten ohne deutschen Pass hat sich in den vergangenen Jahren stetig erhöht. Er liegt bundesweit – um das hier noch einmal zu benennen – bei circa 11,5 % oder 9,4 Millionen Menschen, das sind Zahlen aus 2017, und hat sich seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1990 damit mehr als verdoppelt. Selbst in Sachsen können wir auf einen kläglichen, aber immerhin auf einen Ausländeranteil von 4,4 % verweisen. Die Realität einer Einwanderungsgesellschaft, die uns diese Zahlen ganz eindeutig belegen, befeuert die Debatten um die Entkopplung von Staatsangehörigkeit und politischen Mitbestimmungsrechten, und dies zu Recht.
Die Menschen, die hier leben, sollen auch mitgestalten können. Das ist vollkommen klar für uns als Linksfraktion. Wir dürfen schließlich auch nicht vergessen, es wurden die Migrantenbeiräte erwähnt. Es gibt Mitbestimmungsinstrumentarien, die auch in Sachsen noch nicht wirklich ausgestaltet und durchgesetzt sind, aber am Wahlrecht an und für sich hängen noch andere politische Mitbestimmungsmöglichkeiten, zum Beispiel die Teilnahme an kommunalen Bürgerbegehren oder an Volksentscheiden oder Volksbegehren auf Landesebene.
Da möchte ich ein aktuelles Beispiel nennen: Die Migrantinnen und Migranten ohne deutsche Staatsbürgerschaft können sich zum Beispiel nicht an dem derzeit laufenden
Volksantrag zum längeren gemeinsamen Lernen beteiligen, obwohl ihre Kinder vom sächsischen Schulwesen betroffen sind, obwohl die Kinder und Jugendlichen ohne deutsche Staatsbürgerschaft sehr wohl in die sächsischen Schulen gehen und dann natürlich auch Einfluss haben müssen. Sie sind ausgeschlossen.
Um noch einmal Bezug auf den Kollegen Voigt zu nehmen: In den politischen Debatten um das Wahlrecht – nicht nur das kommunale Wahlrecht – wird immer wieder das Thema Einbürgerung entgegengestellt. Das hat schon das Bundesverfassungsgericht 1990 gemacht. Dass das Wahlrecht die Menschen einerseits vom Schritt der Einbürgerung abhalten würde, oder andererseits, dass sich die Betroffenen doch einbürgern lassen könnten, sind die Argumente, welche man immer wieder hört. Ich meine, das ist Unfug, weil Deutschland europaweit die niedrigsten Einbürgerungsquoten hat. Das hat aber nichts mit dem Thema Wahlrecht zu tun hat, sondern damit, dass die gesetzlich produzierten Hürden für eine Einbürgerung sehr hoch liegen. Das hiesige Einbürgerungsrecht ist in den vergangenen Jahren immer wieder verschärft worden, zuletzt 2016 in Bezug auf die Erlangung oder die Erteilungsvoraussetzungen für eine Niederlassungserlaubnis.
Länder – das ist ein anderes Beispiel –, die schon lange ein kommunales Wahlrecht praktizieren, zum Beispiel Dänemark, Schweden oder die Niederlande, weisen dagegen besonders hohe Einbürgerungsquoten auf. Das ist ein interessanter Zusammenhang. Jenseits dessen möchte ich aber betonen, dass es eine höchst individuelle Entscheidung ist, ob ein Mensch sich einbürgern lassen will oder nicht, die wir nicht zu bewerten, aber auch nicht zu sanktionieren haben, zum Beispiel durch das Vorenthalten des Wahlrechts.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN! Wir halten es für richtig und wichtig, dieses Thema im Landtag aufzugreifen. Wir sind der Meinung, dass wir als Freistaat Sachsen gerade mutig sein können und mit diesem Thema voranschreiten sollten und gegebenenfalls eine veränderte Rechtsprechung herausfordern könnten. Ich bin sicher, dass die Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter am
Bundesverfassungsgericht heute anders entscheiden
würden als 1990, auch aufgrund der veränderten gesellschaftlichen Situation.
Als Linksfraktion teilen wir in diesem Sinne die Grundintention des Gesetzentwurfs von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und werden dem auch zustimmen. Ich möchte aber deutlich machen, dass wir als LINKE klar eine radikalere Veränderung durch eine Grundgesetzänderung, konkret in Artikel 28 und Artikel 38. präferieren würden und die entsprechende Anpassung des Europa- und Bundeswahlgesetzes. Entsprechende Anträge zur Ermöglichung des Wahlrechts für Drittstaatler hat die LINKEBundestagsfraktion in der Vergangenheit regelmäßig gestellt, zuletzt 2014. Mit diesem Schritt würde eine bundesweit einheitliche Lösung für alle Wahlen auf allen
Ebenen ermöglicht werden, vor allem aber würde das Wahlrecht nicht nur – und das „nur“ meine ich nicht despektierlich – auf die kommunale Ebene zurückgeworfen werden und damit auf die Ebene, auf der keine Gesetze erlassen werden können.
Sehr geehrte Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen! Der geschätzte und scharfsinnige Autor und Journalist Heribert Prantl prognostizierte im Hinblick auf das 1990er-Urteil des Bundesverfassungsgerichts gegen die Einführung des sogenannten Ausländerwahlrechts, dass man eines Tages „das Karlsruher Urteil so befremdet liest, wie man heute die vergilbten Pamphlete gegen das Frauenwahlrecht liest“. Das hat er 1994 gesagt. 25 Jahre später und im hundertsten Jahr des Frauenwahlrechts stünde uns eine weitere Demokratisierung des Wahlrechts zunächst auf kommunaler Ebene im Freistaat Sachsen wohl mehr als gut zu Gesicht.
Vielen Dank.
Auch ich möchte von meinem Recht Gebrauch machen, eine persönliche Erklärung abzugeben.
Ich komme aus der Stadt Leipzig. Die Stadt Leipzig war Anfang der Neunzigerjahre eine Art Modellstadt für die Videoüberwachung öffentlicher Räume. Stationäre Polizeikameras finden sich noch heute in der Stadt Leipzig.
Vier sind es an der Zahl. Das legitimiert schon das bestehende Polizeigesetz.
Ich hätte mir aber gewünscht, dass, statt mit dem neuen Polizeigesetz eine Ermächtigung zu schaffen, Videoüberwachung auszuweiten und in Zukunft sogar Ordnungsämtern die Möglichkeit in die Hände zu geben, Videoüberwachung im öffentlichen Raum zu errichten, die bestehende Videoüberwachung evaluiert wird, um festzustellen, welche Effekte sie tatsächlich bringt.
Ich bin mit zahlreichen Expertinnen und Experten der Meinung, dass Videokameras im öffentlichen Raum keine Kriminalität verhindern, sondern sie nur verdrängen. Ich möchte nicht in einem Freistaat Sachsen leben, in dem perspektivisch viele Straßen in den Städten videoüberwacht sind und sich Menschen nicht mehr unbeobachtet frei bewegen können.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen!
„Wer bestellt, bezahlt!“ So lautet die zynische Überschrift des hier vorliegenden Antrages.
Meine sehr geehrten Damen und Herren der demokratischen Fraktionen! Allein dieser Titel führt das Menschenbild der Antragstellerin vor Augen. Was die AfD mit ihrem Antrag suggeriert: Geflüchtete sind lästige Kostenfaktoren und nicht in erster Linie Menschen. Genau das finde ich unsäglich.
Ich freue mich aber über die Worte meines Vorredners, Herrn von Breitenbuch, dass er uns zustimmt. Ich verstehe das ein bisschen als Absage an eine Koalition mit den Herren und Damen von der AfD.
Zu Beginn meiner Ausführungen will ich zum wiederholten Mal klarstellen, wie die Dinge liegen. Herr Barth hat das wieder runtergeleiert, und das ist einfach falsch. Im September 2015 hat Deutschland von seinem Selbsteintrittsrecht, was in der Dublin-III-Verordnung verankert ist, Gebrauch gemacht. Deutschland hat sich bereit erklärt, Geflüchtete zur Durchführung des Asylverfahrens aufzunehmen, ohne dass es dafür die originäre Zuständigkeit hatte. Dass das legal ist, hat der Europäische Gerichtshof im Jahr 2017 bestätigt.
Deutschland hat in dieser schwierigen Situation zumindest für kurze Zeit Solidarität gezeigt, europäische Solidarität gezeigt und hat Schlimmeres verhindert, was passiert wäre, wenn die Menschen vor verschlossenen oder wieder eingezogenen Grenzen gestanden hätten. Das Gerede von Grenzen im Schengen-Raum und von illegaler Masseneinwanderung, wie es im Punkt I.1 Ihres Antrages veran
kert ist, ist nichts als grober Unfug und nichts anderes als die Reformulierung falscher rechter Hetze.
Zum Antrag der AfD-Fraktion. Die AfD will vom Bund die volle Erstattung der Asylkosten und von der Staatsregierung Transparenz über die Kosten, die insbesondere seit dem Jahr 2015 entstanden sind. Das ist eine Debatte, die wir seit dem Jahr 2015 regelmäßig und intensiv geführt und an der wir uns als Linksfraktion auch beteiligt haben.
Wir wissen, dass die Gesamtkosten für die Aufnahme, die Versorgung, die Betreuung und vor allem die Integration von Geflüchteten über die Phase von der Antragstellung bis zur Entscheidung, für die der Bund seit dem Jahr 2015 eine Pauschale zahlt, weit hinausgeht. Aus unserer Sicht beginnt mit der Zuweisung an die Kommunen die eigentliche Integration. Menschen dürfen in Wohnungen ziehen, sie dürfen zur Schule gehen, nehmen eine Ausbildung oder eine Arbeit auf, sie lernen die deutsche Sprache, sie werden zum Teil dieser Gesellschaft. Das heißt aber auch, dass vor allem die Kommunen die Kosten zu tragen haben, die sie aufgrund ihrer strukturellen Unterfinanzierung – darüber müssen wir auch reden – nicht aus eigener Kraft stemmen können. Hierbei ist der Bund in der Pflicht, hierbei sind aber auch die Länder in der Pflicht. Was hierzu bisher geleistet wurde, reicht aus unserer Sicht nicht aus.
Um dies zu erkennen, brauchen wir den Antrag der AfDFraktion allerdings nicht. Die Linksfraktion hat bereits im Jahr 2014 im Bundestag – also dort, wo das Thema tatsächlich hingehört – begehrt, die Höhe der Erstattung der Kosten für Unterkunft massiv anzuheben, und die komplette Übernahme der Sozialleistungen für Geflüchtete durch den Bund gefordert. Mit diesem Antrag hat meine Partei vorausschauend agiert – in einer Zeit, in der der Anstieg der Zahl Geflüchteter schon klar absehbar war – und dort zum Handeln aufgefordert, wo das Anliegen auch wirklich hingehört.
Hier im Sächsischen Landtag haben wir als Linksfraktion zudem in den letzten vier Jahren mehrfach Vorschläge für eine bessere finanzielle Unterstützung der Kommunen über das Flüchtlingsaufnahmegesetz gemacht. Wir sind da ein bisschen weitergekommen. Wir halten aber – und da erinnere ich an die Diskussion vor ein paar Monaten zum neuen Flüchtlingsaufnahmegesetz – auch die neue Pauschale nicht für auskömmlich, insbesondere im Hinblick auf die Kostenentwicklung in den kreisfreien Städten.
Mit unserem Entwurf für ein sächsisches Integrationsgesetz, das auch in den nächsten Monaten zur Diskussion und Beschlussfassung stehen wird, schlagen wir zudem eine kommunale Integrationspauschale vor, die dort ansetzt, wo das Flüchtlingsaufnahmegesetz aufhört, und vor allem die kommunale Infrastruktur stärken soll.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, das Finanzgeflecht zwischen Bund, Ländern und Kommunen ist ein kompliziertes, und wir als LINKE meinen, dass die BundLänder-Kommunen-Finanzbeziehungen solidarisch und aufgabengerecht neu gestaltet werden müssen. Diese
Debatte darf aber nicht an der Debatte über die Kosten für Asyl aufgezogen werden. Das ist eine weitaus komplexere und kompliziertere Debatte, die wir miteinander führen müssen und die wir auch führen wollen.
Schluss muss aber sein mit der Spaltung der Gesellschaft, die die AfD mit diesem Antrag neu anheizen will – und das über drei Jahre nach 2015. Das ist eigentlich unsäglich.
Schlussendlich – und das ist eine Botschaft, die ich hier bewusst setzen will – handelt es sich bei den Menschen, um die es hinter diesen Asylkosten geht, also bei den Geflüchteten, um neue Mitbürgerinnen und Mitbürger, die Teil dieser Gesellschaft werden sollen oder zum Teil auch schon sind. Sie sind eben nicht in erster Linie Kostenfaktoren, sondern tragen zu einer funktionierenden Gesellschaft bei. Aus Leistungsempfängern, die sie natürlich erst einmal sind, werden aber langfristig Steuerzahlerinnen und Steuerzahler – Menschen, die mit ihrer Tätigkeit, mit ihrem Tun etwas zum Gemeinwesen beitragen. Langfristig – das sagen auch diverse Studien von Wirtschaftsinstituten – wird dieses Land von Zuwanderung auch durch Asyl profitieren.
Dafür muss jetzt investiert werden – da hat der Freistaat investiert –, er muss aber noch mehr investieren in Bildungsinfrastruktur, in Integrationsmaßnahmen und auch in die interkulturelle Öffnung aller Poren dieser Gesellschaft, damit die Emigranten, die Geflüchteten nicht wieder abhauen, wenn sie das überhaupt dürfen. Dafür müssen auch Barrieren gesenkt werden, die insbesondere Asyl suchenden Menschen in den Weg gelegt werden, wenn es um Bildung, Arbeit und Teilhabe an dieser Gesellschaft geht.
Schlussendlich werden wir diesen Antrag ablehnen. Er belebt wieder eine Hetze, die wir hier über Jahre schon seit 2015 immer wieder hören mussten, verbreitet wieder einmal Unwahrheiten, er greift viel zu kurz in der Frage der Finanzierung der Kommunen und ist vor allem schlicht und ergreifend überflüssig.
Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Änderung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes haben wir Ihnen bereits vor mehr als zwei Jahren vorgelegt. Das war eine Änderung, die Mindeststandards für eine menschenwürdige Unterbringung und Versorgung geflüchteter Menschen durch die Umsetzung von EU-Normen vorsah und die kommunale Ebene entlastet hätte.
Nun liegt uns ein Gesetzentwurf vor, der die lange fällige Umsetzung der Garantien der EU-Aufnahmerichtlinie weiter ignoriert und stattdessen eine weitere Verschlechterung der Situation für geflüchtete Menschen, die in Sachsen Schutz suchen, bedeuten wird. Das Gesetz umfasst drei Bestandteile, wir haben das schon gehört: die gemeindescharfe Wohnsitzauflage, die Neuregelung der Asylpauschale und die Verlängerung der Wohnsitzverpflichtung in den Erstaufnahmeeinrichtungen für bestimmte Geflüchtete.
Ich will mich hier vor allem auf den dritten Punkt der Änderung konzentrieren, der aus Sicht meiner Fraktion erhebliche Einschnitte für die betroffenen Menschen bedeuten wird. Den Weg für diese landesgesetzliche Regelung ebnete eine von zahlreichen Asylrechtsverschärfungen der letzten Jahre, nämlich das Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht. Damit wurde die längere Wohnsitzverpflichtung für Geflüchtete aus den vermeintlich sicheren Herkunftsstaaten bereits eingeführt. Diese müssen seit diesem Zeitpunkt bis zur Ausreise oder Abschiebung in den Erstaufnahmeeinrichtungen wohnen bleiben. Das wird in Sachsen schon so praktiziert.
Nun will der Freistaat Sachsen von der Ermächtigung in § 47 Abs. 1 b Asylgesetz Gebrauch machen und auch Menschen mit einer sogenannten niedrigen Bleibeperspektive bis zu 24 Monate in den Erstaufnahmeeinrichtungen einsperren. Ich sage hier bewusst „einsperren“, weil das Leben in Erstaufnahmeeinrichtungen kein Zuckerschlecken ist, sondern mit zahlreichen Widrigkeiten und Einschränkungen verbunden ist.
In der Anhörung im Innenausschuss im September wurde diese beabsichtigte Neuregelung von Sachverständigen kritisiert. Dabei ging es erstens um die Asylsuchenden, deren Wohnsitzverpflichtung sich aus der Bleibeperspektive ableiten soll. Die Sachverständige Kathleen Neundorf von der Lutheruniversität in Halle vertrat die Auffassung, dass der § 47 Abs. 1 b Asylgesetz den Bundesländern keineswegs die Definitionshoheit über bestimmte Menschen ohne oder mit irgendeiner Bleibeperspektive in die Hand gibt, wie es das Land Sachsen mit einer vollkommen willkürlichen Bestimmung der 20-%-Anerken
nungswahrscheinlichkeit hier aber macht. Aus der Definition „ohne Bleibeperspektive“, wie sie im Bundesgesetz verankert ist, wird hier in Sachsen auf einmal eine „geringe Bleibeperspektive“. Woher kommt die Zahl 20 %? Warum sollen Menschen aus demselben Herkunftsland, aber mit möglicherweise verschiedenen Fluchtgründen automatisch über einen Kamm geschoren werden? In Wirklichkeit geht es doch darum, mit dem Vehikel der Bleibeperspektive das individuelle Recht auf Asyl anzutasten. Rechte von Menschen werden an eine statistische Wahrscheinlichkeit gekoppelt. Individuelle Schicksale verschwinden hinter einer Wahrscheinlichkeitsrechnung. Ich sage es klar: Wir finden das Konstrukt der Bleibeperspektive gefährlich.
Es ist ein reines Fantasiekonstrukt. Es berechnet sich aus einem Konglomerat von Zahlen und trifft auf die individuellen Menschen einfach nicht mehr zu.
Das hat keine Auswirkungen auf das Asylverfahren – noch nicht. Der Begriff ist in der Bundesrepublik nicht rechtlich hinterlegt, hat aber bereits erhebliche Auswirkungen. Sie können sich die Ausbildungsförderung und andere Lebensbereiche anschauen.
Es hat bereits bestimmte Auswirkungen auf das Leben von Menschen.
Ich habe schon gesagt, dass das rechtlich nicht fassbar ist, da eine Bleibeperspektive erst am Ende eines fairen Asylverfahrens steht. Sie legen hier eine Bleibeperspektive fest und sortieren Menschen zumindest auf ihre Zugangsmöglichkeiten zu bestimmten Lebensbereichen in dieser Gesellschaft. Aus der Zugehörigkeit zu einer Gruppe kann längst keine Schlussfolgerung für den Erfolg bzw. Misserfolg des individuellen Asylantrags gezogen werden. Um es plastisch zu machen: Einer homosexuellen Algerierin kann nicht dieselbe Bleibeperspektive zugeschrieben werden wie einer heterosexuellen Algerierin. Der Begriff macht es aber einfach. Die Regelung wird es in Bezug auf die Wohnverpflichtung in Erstaufnahmeeinrichtungen ebenfalls machen.
Das zweite Problem liegt in der unzulänglichen Definition der Schutzquote. Sowohl der sächsische Flüchtlingsrat als auch die Sachverständige Neundorf wiesen in der Anhörung darauf hin, dass der von der Staatsregierung hier angelegte Begriff der Schutzquote, berechnet aus der Gesamtzahl der Entscheidungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, nicht belastbar ist. Die Gesamtschutzquote kann keine Auskünfte über die inhaltlichen Entscheidungen des BAMF über Asylanträge treffen. Vielmehr wäre die bereinigte Schutzquote zugrunde zu legen, bei der formelle Entscheidungen, zum Beispiel
Dublin-Entscheidungen oder unzulässige Asylanträge, bereits herausgerechnet werden. Auch die bereinigte Schutzquote – das kommt noch hinzu – bildet nicht die Zahl der Menschen ab, die unter dem Strich einen Schutzstatus bekommen.
Wir wissen, dass eine große Zahl von Geflüchteten vor Gericht Erfolg mit ihren Klagen gegen ablehnende Asylentscheidungen hat. Der Sächsische Flüchtlingsrat – um es an dieser Stelle plastisch zu machen – berechnete die Veränderung der Quote am Beispiel von afghanischen Geflüchteten. Lag deren Gesamtschutzquote von Januar bis August 2018 bei 35,85 %, betrug die bereinigte Schutzquote 49,42 %. Im Vergleichszeitraum 2017 kletterte die Schutzquote für afghanische Geflüchtete durch das Herausrechnen formeller Entscheidungen und Korrekturen durch erfolgreiche Rechtsmittel gar auf 61,2 %. Sie sehen, was für drastische Unterschiede in den Zahlen die verschiedenen Quotenbestimmungen ausmachen. Die Differenz ist erheblich und entscheidet mit diesem Gesetz im Zweifelsfall darüber, wie Geflüchtete leben müssen. Das finden wir unglaublich.
Drittens sind die Konsequenzen dieser Regelung unzumutbar. Die Verpflichtung, in der Erstaufnahmeeinrichtung zu wohnen, zieht eine Reihe von Restriktionen nach sich. Zum einen ist da die Residenzpflicht zu nennen. Stellen Sie sich vor: Eine dieser Regelung unterlegene geflüchtete Person, die in Schneeberg untergebracht ist, darf sich zwei Jahre möglicherweise nur im Erzgebirgskreis bewegen.
Des Weiteren ist der Sozialleistungsbezug – das kritisieren wir grundsätzlich, weil wir das für menschenunwürdig halten – auf Sachleistungen beschränkt. Mit der Einschränkung des Zugangs zu Bildung und zum Arbeitsmarkt – auch darauf wurde in der Sachverständigenanhörung hingewiesen – wird Sachsen hier ein weiteres Mal gegen die EU-Aufnahmerichtlinie verstoßen. Wir diskutieren das ja auch in Bezug auf die Schulpflicht von Kindern in Erstaufnahmeeinrichtungen. Nach drei Monaten – sagt die EU-Aufnahmerichtlinie – muss dieser Zugang gewährt werden. Bei Menschen im Asylverfahren muss zudem nach neun Monaten der Zugang zum Arbeitsmarkt gewährt werden. Auch das sagt die EUAufnahmerichtlinie.
Hinzu kommt, dass zahlreiche Geflüchtete trotz abgelehnten Asylantrages aus ganz verschiedenen Gründen nicht abgeschoben werden können. Das ist ein Thema, das hier immer wieder einmal besprochen wird. Für diese werden mögliche Bleiberechtsregelungen für langjährig Geduldete entsprechend den §§ 25 a und b Aufenthaltsgesetz im Ergebnis der Neuregelung weitestgehend obsolet; denn sie werden trotz jahrelangen Aufenthalts keine Chance haben, Teil dieser Gesellschaft zu werden. Damit produzieren Sie die Problemfälle, über die Sie dann im Endeffekt trefflich lamentieren.
Zwar – das wurde von Herrn Anton schon angesprochen – sollen von der Regelung Minderjährige mit ihren Eltern ausgenommen werden. Schön. Doch was ist mit all den
anderen Schutzbedürftigen, die die EU-Aufnahmerichtlinie definiert: Schwangere, Menschen mit Behinderungen, alte Menschen, Opfer von Gewalt, Folter und Menschenhandel? Was ist mit Kindern, die andere Sorgeberechtigte als ihre Eltern bei sich haben? Die nett gemeinte und unterstützenswerte Ausnahmeregelung greift viel, viel zu kurz und fällt auch hier ein weiteres Mal hinter die Norm der EU-Aufnahmerichtlinie zurück. Die Verlängerung der Verweildauer von Geflüchteten in den Erstaufnahmeeinrichtungen wird drastische Konsequenzen für die Betroffenen haben. Das Leben ohne Privatsphäre – wir können das auch heute schon in Erstaufnahmeeinrichtungen beobachten –, ohne Bewegungsfreiheit, ohne Zugang zu Integrationsmaßnahmen ist psychisch belastend, leistet Erkrankungen, leistet Depressionen und auch Gewalt Vorschub.
Wir lehnen diese Neuregelung entschieden ab und appellieren an die anderen Fraktionen, den aus unserer Sicht rechtlich unsicheren Neuregelungen mit weitreichenden Konsequenzen eben nicht zuzustimmen. Gerade den Kollegen von der SPD, die sich ja medial sehr stark gegen die Ankerzentren ausgesprochen haben, möchte ich auf den Weg geben: Wer diesen Regelungen in dem Flüchtlingsaufnahmegesetz zustimmt, macht seine eigene Positionierung zu Ankerzentren eigentlich zur Farce.
Das habe ich erklärt. Ich finde, die Neuregelungen dieses Flüchtlingsaufnahmegesetzes gehen für mich Hand in Hand mit dem Konzept Ankerzentren.
Nicht weniger grundsätzlich ist unsere Kritik an der Wohnsitzauflage für anerkannte Geflüchtete. Dies hat bereits in zahlreichen Ausschusssitzungen eine Rolle gespielt. Wir haben das hinlänglich begründet. Wir halten die Wohnsitzauflage für anerkannte Geflüchtete auch weiterhin für integrationsfeindlich und grundrechtseingreifend, auch wenn es in dem vorliegenden Gesetzentwurf im Grunde nur darum geht, die gemeindescharfe Wohnsitzauflage für kreisangehörige Gemeinden auch verpflichtend zu machen.
Wir bleiben dabei: Wir lehnen dieses Instrument grundsätzlich ab und setzen auf weiche Anreize für alle Menschen, in den Regionen zu bleiben – nicht, weil sie gezwungen werden, sondern weil sie sich dort wohlfühlen und dort Lebenschancen haben.
Am Rande gesagt: Anhand einer Kleinen Anfrage von mir lässt sich auch gut sehen, dass die Kreise und kreisfreien Städte das Instrument sehr verschieden und auch noch sehr zurückhaltend anwenden und vielfach über den immensen damit verbundenen Verwaltungsaufwand
klagen.
Last but not least das Thema Asylpauschale: Dies war in den vergangenen Haushaltsverhandlungen immer wieder ein ausführliches Thema. Als Linksfraktion haben wir uns tendenziell für das Modell der Spitzabrechnung positioniert, weil so mit einem gewissen Verwaltungsaufwand – das muss man zugestehen und somit auch entgelten – die
Landkreise und Kommunen eins zu eins die Kosten für Unterbringung, Versorgung und Betreuung von zugewiesenen Geflüchteten erstattet bekämen. Eine Pauschale wird immer ungerecht sein, das hat auch die Anhörung gezeigt. Die Stadt Leipzig hat dort vorgerechnet, wie sich die neu festgesetzte Pauschale für die Stadt Leipzig – und ähnlich kann man auch für die Stadt Dresden rechnen – auswirken wird. Für die Stadt Leipzig beträgt die Deckungslücke mit Blick auf die neu geregelte Pauschale in diesem jetzt vorliegenden Gesetz unter Berücksichtigung des gesetzlich vorgesehenen Sonderausgleichs immerhin noch circa 6 800 Euro pro Leistungsempfängerin und Leistungsempfänger.
Wir bezweifeln, dass die nun festgelegte Asylpauschale flächendeckend in Sachsen für die unteren Unterbringungsbehörden auskömmlich ist. Klipp und klar – das begründet vor allem unsere Ablehnung – lehnen wir den für die Kommunen im Gesetz und auch in der Formel von Prof. Lenk festgesetzten Eigenanteil in Höhe von 11 % ab. Alles in allem meinen wir, dass der vorliegende Gesetzentwurf Ablehnung verdient. Er spart wichtigen EU-Normen entsprechende Neuregelungen aus, bedeutet für bestimmte Geflüchtete eine handfeste Verschlechterung der Lebensbedingungen und schafft immer noch keine Grundlage für eine auskömmliche Finanzierung der unteren Unterbringungsbehörden.
Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu doch späterer Stunde haben wir noch ein wichtiges Thema auf der Tagesordnung: den Sonderbericht des Rechnungshofes zur Unterbringung und Organisation der Erstaufnahme der Flüchtlinge bzw. Geflüchteten im Freistaat Sachsen. Der Bericht blickt auf die originäre Zuständigkeit des Freistaates, die Aufnahme Geflüchteter in Erstaufnahmeeinrichtungen in den Haushaltsjahren 2014 bis 2017 – ein Thema, das uns nicht mit dieser Spezifik, aber im Allgemeinen hier schon des Öfteren beschäftigt hat, so auch heute.
An den Beginn möchte ich eine politische Aussage stellen, nämlich, dass die Aufnahme der Hunderttausenden Geflüchteten im Jahr 2015 unabwendbar war. Wir stehen zu diesem Akt, der in einer schwierigen Situation die einzig denkbare humanitäre Antwort war. Die Bundesregierung hat, wie Sie wissen, von einer Ausnahmeregelung in der Dublin-III-Verordnung, vom sogenannten Selbsteintrittsrecht, Gebrauch gemacht und damit europäische Solidarität auch in schweren Zeiten gezeigt. Die oft behauptete Krise konnte aus unserer Sicht erst durch diesen Akt verhindert werden, und man kann nicht oft genug betonen, dass auch in Sachsen das staatliche Handeln in diesem Bereich durch eine großartige, engagierte zivilgesellschaftliche Gruppe unterstützt, flankiert und maßgeblich mitgestemmt wurde.
Doch zum Thema. Der Bericht des Rechnungshofes zeigt, dass Sachsen den Anstieg der Zahl der Geflüchteten zwar bewältigt hat, aber er weist auf zahlreiche Probleme in den institutionellen Abläufen hin:
erstens – bei der Erfassung der Zugangszahlen von geflüchteten Menschen und deren Registrierung sowie der daraus fließenden Berechnung von Kapazitäten. Von 69 000 im Jahr 2015 registrierten Geflüchteten blieben nur circa 40 000 in Sachsen; dies ist inzwischen hinlänglich bekannt. Damit löst sich aber auch die Projektionsfläche der Angstmache von rechtsaußen ganz schnell in Luft auf. Das Problem, die erheblichen statistischen Abweichungen in 2015 – dies arbeitet der Rechnungshofbericht auf –, setzt sich bis in die Folgejahre fort. Von den 2016 registrierten 14 860 Geflüchteten blieben nur 8 645. Dito 2017: Es verblieben 5 900 von knapp 9 200.
Daraus folgt – das ist der Knackpunkt – eine verfälschte Grundlage für die Kapazitätsplanung in Erstaufnahmeeinrichtungen, und im laufenden Jahr deutet sich Ähnliches an: Prognostiziert wurden 15 000 Geflüchtete, bis Ende Oktober 2018 waren erst 7 500 gekommen. Die Differenz zwischen den Zugangszahlen – registriert und tatsächlich dageblieben oder auch Prognosen und tatsächlich eingetretene Zugänge – führte schlussendlich dazu, dass Einrichtungen fertiggestellt wurden, die nie in Betrieb gingen. Auch wurden bis ins Jahr 2017 Plätze vorgehalten, die immense Kosten verursachten – das gehört ebenfalls in diese Problembeschreibung –, obwohl sie bereits stillgelegt waren.
Auch die tatsächlich vorhandenen Plätze in den Erstaufnahmeeinrichtungen sind bis heute nur zu einem geringen Teil belegt und bewegen sich bei weit unter 50 % bzw. sogar unter 25 %. Auch dies frisst Geld.
Es gibt aus der Sicht meiner Fraktion zwei wichtige politische Essenzen aus der Untersuchung des Rechnungshofes in Bezug auf diesen Teil der Erstaufnahme:
Zum einen hat es die Landesverwaltung auch nach dem unerwartet großen temporären Anstieg der Zahl Geflüchteter in Sachsen nicht vermocht, belastbare Kapazitätsplanungen vorzulegen.
Zum anderen: Nicht die Geflüchteten sind schuld an sinnlosen Mehrkosten in Millionenhöhe, sondern die Fehlplanungen der zuständigen Verwaltungseinheiten. Dies kann man im Bericht sehr gut nachlesen.
Zweitens. Auch für die Zukunft plant das SMI laut Rechnungshof mit dem Unterbringungs- und Standortekonzept „ZAB 2020“ weiterhin teure Überkapazitäten. Wir gehen noch mit der Empfehlung mit, die Kapazitäten angemessen zu reduzieren und dabei die Zahl der Stand-byKapazitäten zulasten der in Betrieb befindlichen Plätze zu erhöhen. Ausreichend wäre laut Rechnungshof der Betrieb von drei Erstaufnahmeeinrichtungen in den drei Großstädten Chemnitz, Dresden und Leipzig, was auch in Bezug auf die infrastrukturelle Anbindung und Wahrnehmung von Integrationsmöglichkeiten oder Kontakten von Vorteil wäre. An diesem Punkt weisen wir dringend darauf hin, dass die Bedarfe spezifischer Schutzbedürftigengruppen, wie Frauen, LSBTTIQ sowie körperlich und psychisch Beeinträchtigte – gerade auch in Anbetracht der beabsichtigten Verlängerung der Wohnverpflichtung –, durch spezielle, an den Bedürfnissen der Personengruppen bemessene Einrichtungen bedacht werden müssen.
Natürlich bleibt die Zahl der zukünftigen Zugänge eine große Unbekannte, vor allem aufgrund der fehlenden belastbaren Prognosen auch vonseiten der Bundesebene. Eine von den realen Entwicklungen abhebende Planung, wie sie uns der Rechnungshof – allerdings in Bezug auf die Kapazitätsbedarfsberechnung – durch die Landesdirektion zur Kenntnis gibt, ist aus unserer Sicht nicht hinnehmbar. Hier muss definitiv feinmaschiger und intensiver geschaut und gerechnet werden.
Das Problem der unflexiblen Planung und unterbleibenden Anpassung von Strukturen an den realen Bedarf zieht sich bis in die Bereiche Stellenausstattung der ZAB und der Landesdirektion in diesem Bereich sowie bis zur Materialbevorratung, worauf ich an dieser Stelle nicht näher eingehen möchte. Der Rechnungshof empfiehlt, die Personalausstattung in der Zentralen Ausländerbehörde an den tatsächlichen Bedarf anzupassen und das Lagerkonzept zu bearbeiten sowie – was wir unterstützen – Materialbestände an Hilfsorganisationen abzugeben.
Unseren klaren Dissens zur Einschätzung des Landesrechnungshofes möchten wir in Bezug auf die Empfeh
lung zur Beschaffenheit von Erstaufnahmeeinrichtungen formulieren. Schließlich geht es bei der Asylerstaufnahme um Menschen. Hierbei ist nicht das alleinige Kriterium der Wirtschaftlichkeit anzulegen, sondern die menschenwürdige Unterbringung und Versorgung der schutzsuchenden Personen, um die es geht. Wir widersprechen dem Rechnungshof ganz klar, wenn es darum geht, große Erstaufnahmeeinrichtungen zu schaffen, die wir jedoch in Sachsen noch nicht haben – Gott sei Dank! Der Rechnungshof empfiehlt, Lager – so kann man sie nennen – mit Kapazitäten von mindestens 1 000 Plätzen zu schaffen. Das Gleiche gilt für die Planung mit kompletter Auslastung. Selbst das SMI plant nur mit 90-prozentiger Auslastung als Puffer für Problemlagen. Der Rechnungshof empfiehlt eine hundertprozentige Auslastung, zumindest kann man es so herauslesen. Wir wissen: Je größer und enger die Erstaufnahmeeinrichtungen gestaltet sind, desto größer ist die Belastung für die Bewohnerinnen und Bewohner, und desto größer ist auch immer das Konfliktpotenzial.
An dieser Stelle möchte ich wiederholt kritisch anmerken – das hatten wir heute Mittag bereits gesagt –, dass der Freistaat Sachsen weiterhin auf verbindliche qualitative Kriterien für die Ausgestaltung der Erstaufnahme, wie sie mit der EU-Aufnahmerichtlinie auferlegt werden, verzichtet. Konkret betrifft das unter anderem den Umgang mit schutzbedürftigen Personen, den Zugang zu Sprachkursen, zu Schule, Arbeit usw. usf., aber zum Beispiel auch bessere Gewaltschutzmechanismen, als wir sie jetzt haben. Hier hinein sollten Planung und Geld investiert werden und nicht in leere Plätze und überflüssiges Personal.
Summa summarum: Wir fordern die Staatsregierung auf, sich der wesentlichen Kritik und eines Teils der Empfehlung des Rechnungshofes im Hinblick auf das Unterbringungskonzept „ZAB 2020“ anzunehmen sowie ein Personal- und Bevorratungskonzept zu erstellen, wie es auch sehr dezidiert im Bericht steht.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang daran, dass meine Fraktion ab 2014 in diesem Haus immer wieder gefordert hat, ein ordentliches Konzept für die Aufnahme, die menschenwürdige Unterbringung und Betreuung von Geflüchteten zu erarbeiten und in diese Erarbeitung auch den Landtag, also uns alle, sowie NGOs einzubeziehen. Vielleicht wäre dann manches besser oder anders gelaufen.
Der Bericht des Rechnungshofes fördert Informationen über massive Fehlplanungen der Verwaltung zutage. Gerade mit dem Blick auf dieses so sensible Thema, mit dem wir es zu tun haben, das Thema Asyl, und die rassistische Stimmungsmache, die auch aus diesem Haus immer wieder zu vernehmen ist,
halten wir das für grob fahrlässig und erwarten ein schnelles und bestimmtes Umsteuern.
Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sachsen startete mit den sogenannten Wegweiserkursen im Dezember 2015 ein wichtiges und richtiges Angebot, bundesweit einmalig und später – das wurde hier schon hinlänglich ausgeführt – auch bundesweit in abgewandelter Form übernommen und in Sachsen ab 2017 als Regelangebote fortgeführt.
Anhand der Zahlen der Teilnehmenden lässt sich aus Sicht meiner Fraktion nicht viel Kritisches ablesen. Es lässt sich eher ablesen, dass das Projekt erfolgreich ist. Dass nicht alle Asylsuchenden teilnehmen, wie es heute medial nachlesbar war, hat vielfältige Gründe. Das können individuelle Gründe der Menschen sein, die in den Erstaufnahmeeinrichtungen sind, strukturelle und auch finanzielle Gründe.
Der Antwort der Staatsregierung auf den Berichtsteil des Antrages können wir zudem entnehmen, dass es eine fortlaufende Weiterentwicklung des Angebotes gibt, ein Qualitätsmanagement und spezifische Angebote, die für Analphabetinnen und Analphabeten und Zweitschriftlernende entwickelt werden, dass Zusatzmodule entwickelt werden und dass insgesamt bis dato 80 Kulturmittlerinnen und Kulturmittler für den sogenannten Werteteil der Angebote ausgebildet wurden. Es ist absolut begrüßenswert und aus unserer Sicht bei „Arbeit und Leben“ und dem sächsischen Volkshochschulverband, die die Landeskoordination Erstorientierung bilden, sehr gut aufgehoben. Dem Entwurf des Doppelhaushalts – das können wir als Linksfraktion nur begrüßen – ist zudem zu entnehmen, dass es in den nächsten zwei Jahren weitergeht.
Machen wir es noch einmal plastisch und nicht so formal: Eine geflüchtete Person kommt nach einer beschwerlichen Flucht endlich an einen festen Punkt, kann den Asylantrag stellen, bekommt Bett und Nahrung. Von Wohnen möchte ich im Hinblick auf die Massenunterkünfte, die die Erstaufnahmeeinrichtungen in Sachsen sind, nicht sprechen, auch nicht vom Zur-Ruhe-Kommen. Er oder sie unterliegt einer Residenzpflicht, zahlreichen Restriktionen, zum Beispiel der Residenzpflicht, einem
Arbeitsverbot. Es gibt keinen Zugang zu regulären Bildungseinrichtungen.
Es beginnt die Phase der Ungewissheit, des Wartens, der monotonen Tagesabläufe, oft in einer sehr stressigen Umgebung. Was passt da besser, als die von ehrenamtlichen Initiativen koordinierten Freizeit- und Interaktionsangebote, Sprachlern- und sonstige ehrenamtlich organisierte Betätigungen? Was passt besser als vom Staat angebotene Kurse, die eine Orientierung sowohl in sprachlicher Hinsicht als auch im Hinblick auf das neue Lebensumfeld bieten?
Frau Köpping und auch beide Fraktionen, wir sind vollkommen bei Ihnen. Die Erstorientierungskurse sind eine gute Sache, und nichts macht die Lernenden zugänglicher, wie das in Sachsen auch praktiziert wird, als die Vermittlung von Inhalten durch Muttersprachlerinnen und Muttersprachler.
Nun liegt uns heute ein Antrag vor, der auf Mai 2018 datiert, zumindest die Antwort darauf, zufälligerweise korrespondierend mit einem Termin der Integrationsministerin in der Erstaufnahmeeinrichtung in Leipzig, die von einer gemeinsamen Pressemitteilung der Landeskoordination Erstorientierung und dem SMGI begleitet wurde. Uns liegt ein Antrag vor, dessen Berichterstattung sechs Monate alt ist. Sorry, aus meiner Sicht ist das eine Art Schaufensterantrag, den wir heute diskutieren. Wir werden dem zustimmen und begrüßen sowohl, dass insbesondere Frauen und Familien zur Teilnahme mittels Gewährleistung von Kinderbetreuung motiviert werden sollen, als auch die Evaluierung.
Es sind eigentlich Selbstverständlichkeiten, die wir hier beschließen sollen, Maßnahmen, die zum operativen Geschäft der Staatsregierung gehören müssten. Darum möchte ich meine Rede nutzen, um zum Ende vielleicht auf die Herausforderungen hinzuweisen, die im Hinblick auf die Erstaufnahmeeinrichtungen aus unserer Sicht pressieren, die wirklich angegangen werden müssten.
Es betrifft erstens die Erkennung und Behandlung der besonderen Schutzbedürftigkeit nach EU-Aufnahmerichtlinie. Das ist in dem Antrag auf die Erstorientierungskurse angetippt. Diese Erkennung und daraus folgende Maßnahmen von Schutzbedürftigkeit finden in Sachsen systematisch nicht statt. Während Kinder, Schwangere oder Menschen mit Behinderungen noch recht einfach identifiziert werden können, ist dies bei Opfern von Menschenhandel, von Folter oder bei Menschen mit psychischen Störungen schon schwieriger. Hier fehlt ein professionelles institutionalisiertes Screening, und es fehlen Folgemaßnahmen für die Betroffenen. Da sind spezifische Erstorientierungskurse, wie von den Antragstellerinnen in dem vorliegenden Antrag ausgedacht und vom SMGI in ihrer Notwendigkeit verneint, wahrscheinlich eher das nachrangigere Problem.
Zweitens. Es braucht eine stabile und unabhängige Verfahrensberatung. Menschen, die vor einem Asylverfahren, vor Anhörungen und gegebenenfalls vor dem Einlegen von Rechtsmitteln gegen falsche Entscheidungen des
BAMF stehen, brauchen Wissen darüber, was auf sie zukommt und mit welchen Rechten und Pflichten sie ausgestattet sind. Eine unabhängige Rechtsberatung hat für alle Seiten Vorteile. Sie wird in Sachsen – so zumindest mein Eindruck – weiter verteufelt und eben nicht finanziert. Erstorientierungskurse können diesen Mangel nicht kompensieren. Sie gehen in eine ganz andere Richtung.
Drittens – und das ist das Wesentliche: Es braucht den Zugang zu Bildung in den Erstaufnahmeeinrichtungen für die dort Untergebrachten. Das Thema Bildungszugang, insbesondere für schulpflichtige Kinder und Jugendliche, hat in den letzten Wochen und Monaten und auch schon länger in Sachsen an Fahrt aufgenommen. Sachsen verstößt – und darauf will ich explizit hinweisen – gegen die EU-Aufnahmerichtlinie, indem jungen Menschen in den Erstaufnahmeeinrichtungen weiterhin der Zugang zu regulärer Bildung auch nach drei Monaten verwehrt bleibt. Im Oktober dieses Jahres lag ihre Zahl bei über 100, und das ist ein Wachstum der Zahlen.
Ich könnte Weiteres aufführen. Es braucht ein wirksames Gewaltschutzkonzept, Partizipationsmöglichkeiten für die Untergebrachten oder das Abwenden des unsäglichen Ankerkonzeptes. Die kommende Novelle des Sächsischen Flüchtlingsaufnahmegesetzes greift all diese Notwendigkeiten nicht auf und weist in eine vollkommen falsche Richtung. Das werden wir hier sicher noch diskutieren.
Insofern, um zum Schluss zu kommen: Erstorientierungskurse und deren Weiterentwicklung ja, auf jeden Fall. Es ist auch gut, dass wir das heute diskutieren. Aber richten Sie – und da muss ich mich eher an diese Seite der Regierungsbank wenden – endlich den Blick auf die anderen Schieflagen bei der Erstaufnahme von Geflüchteten in Sachsen.
Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der AfD! Es ist schön, dass Sie sich freuen, dass ich jetzt dazu sprechen werde.
Mit dem vorliegenden Antrag beweist die Fraktion der AfD in diesem Landtag ein weiteres Mal, wie kleingeistig, weltfremd und beschränkt sie ist – und sie macht sich wieder einmal der Anstachelung der öffentlichen Meinung auf Basis falscher Fakten schuldig.
Schauen wir in die Begründung Ihres Antrages. Hierin stehen Mutmaßungen und Falschbehauptungen – Zitat –: „Es wird ein Signal für eine nie da gewesene Wanderungsbewegung geben durch den Pakt. UN-Staaten verpflichten sich.“ Das stimmt einfach nicht. Sie machen Propaganda und das machen Ihre Kolleginnen und Kollegen auf Bundesebene noch ein wenig stärker. Über die Haltung der CDU, die gerade zu vernehmen war, bin ich wirklich schockiert. Sie machen einen Kniefall vor der AfD. Das kann ja eigentlich nicht sein.
Wir haben uns für die hoffentlich kommende Übereinkunft der internationalen Staatengemeinschaft nicht zu entschuldigen – so klang das nämlich vorher in dem Redebeitrag –, sondern müssen eher fragen, was sie bringen wird, und hier liegt der Hase im Pfeffer. Dazu werde ich gleich noch kommen.
Zuerst möchte ich – da es noch keiner vor mir gemacht hat –, noch einmal einen Blick auf die Zahlen werfen. Genau wie die Zahl der weltweit flüchtenden Menschen steigt die Zahl der Menschen, die migrieren, aus verschiedenen Gründen. Laut UN lebten 2017 schätzungsweise 258 Millionen Menschen nicht mehr in ihrem Geburtsland. Das sind fast 50 % mehr als im Jahr 2000. Aber ordnen wir das ein. Der Anteil von Migrantinnen und Migranten in der Weltbevölkerung hat seitdem von 2,8 % auf 3,4 % zugenommen. Das ist nun wirklich keine Zahl, die solche Aufstände in diesem kleinen Land Deutschland erzeugen kann.
Betrachten wir die weltweiten Migrationsbewegungen – und das will ich auch nicht verhehlen oder verschweigen –, ist Deutschland nach den USA und nach Saudi-Arabien eines der weltweit größten Einwanderungsländer – und das nicht nur durch Flucht. Andererseits führt Europa selbst Platz 2 der Auswanderungskontinente an, sprich: 61 Millionen Europäerinnen und Europäer haben ihre
Geburtsregion verlassen. Europa ist nicht nur Ziel von Migration, sondern durchaus auch Auswanderungsregion.
Im Jahr 2017 schaffte es schlussendlich auch Deutschland in die Top 20 der Auswanderungsländer. Sie müssen ja auch ein Interesse daran haben, dass die Menschen, die auswandern, auch bestimmte Garantien in den Ländern haben, in die sie auswandern.
Die Ursachen von Migration können vielfältiger nicht sein. Nur ein kleinerer Teil der Migration entfällt weltweit auf flüchtende Menschen. So weit zu Ihrer Propaganda. Wir wissen, dass sich die geflüchteten Menschen vor allem in nicht europäischen Ländern aufhalten.
Mangelnde Zukunftschancen, Menschenrechtsverletzungen, diktatorische Herrschaftsverhältnisse, aber auch die zunehmende Zahl von Umweltkatastrophen als Auswirkung des Klimawandels, den Sie ja frisch fröhlich leugnen als AfD, sind die eine Seite. Menschen werden gezwungen zu migrieren. Auf der anderen Seite allerdings stehen die ganz normalen Effekte einer sich globalisierenden Welt, von sich internationalisierenden Wirtschaftskreisläufen und Arbeitsmärkten, Neugier auf die Welt, Freiwilligendienste, Studienaufenthalte und Erwerbstätigkeit in anderen Ländern. All diese Bewegungen – das beweist die Migrationsforschung – setzen sich auch immer über die bestehenden Regularien hinweg. Das wird so sein, das ist so.
Die Aufgabe, die aus diesen Befunden folgt, ist eigentlich recht klar: Die Weltgemeinschaft muss dafür sorgen, dass niemand unfreiwillig den eigenen Lebensstandort verlassen muss. Auf der anderen Seite gilt es, mehr Möglichkeiten zu schaffen, freiwillige Migration zu ermöglichen, irreguläre Migration also zu legalisieren. Wir sind dabei klar auf der Seite der UN. Die unsichere Migration, die Menschenleben gefährdet, muss verhindert werden, allerdings nicht durch restriktive Mittel wie Grenzzäune oder bewaffnete Einheiten. Migration muss als ganz normales Phänomen anerkannt und sichere, legale Wege müssen geschaffen werden.
Es ist völlig klar, dass dies – das wurde hier auch schon ausgeführt – nur im Rahmen einer internationalen Übereinkunft wie in anderen Bereichen, sei es das Weltklima, sei es das Postwesen, und nicht mittels Kleinstaaterei möglich ist. Der Dreiklang muss aus Sicht der LINKEN lauten: Fluchtursachen bekämpfen, globale Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit ermöglichen und soziale und demokratische Rechte für jede Einzelne und jeden Einzelnen dort garantieren, wo sie oder er lebt.
Seit Juli dieses Jahres liegt nun das Ergebnis eines zweijährigen Prozesses vor, in den die Bundesregierung involviert war, zu einem Global Compact for Migration. An diesem Prozess haben 192 von 193 UN-Mitgliedsstaaten mitgewirkt. Sowohl die Bekämpfung der Gründe, aus denen Menschen unfreiwillig ihre Herkunftsländer verlassen müssen, als auch die Erleichterung von Einwanderung etwa durch eine liberalere Visafreigabe und
nicht sozial- und rechtsstaatliche Garantien für Migrantinnen und Migranten befinden sich unter den 23 vereinbarten Punkten, die im Dezember in Marrakesch offiziell unterzeichnet werden sollen.
Aber – und das ist kein Geheimnis – so gut und umfassend aus unserer Sicht die Zielmarken definiert sind, so unverbindlich kommt der Pakt daher. Das, was Sie kritisieren, kritisieren wir aus einer anderen Perspektive. Was jetzt von den Regierungsparteien auf Bundesebene und von zahlreichen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in den Medien eilig gegen die AfD ins Feld geführt wird – nationalstaatliche Souveränitätsrechte werden nicht eingeschränkt, es gibt keine Sanktionsmöglichkeiten in Bezug auf die Punkte des Paktes, alle im Pakt enthaltenen Regelungen bekräftigen bereits bestehende menschenrechtliche Garantien –, ist zwar alles richtig, markiert aber ganz klar die Grenze dieses Paktes.
Was die AfD Hand in Hand mit den rechten Regierungen – das verbindet sie, weil die Frage gestellt wurde, warum so viele Länder nicht unterzeichnen – von Österreich, Ungarn, Australien und allen voran der USA unter Donald Trump hier macht, ist nichts anderes als viel Lärm um eigentlich recht wenig. Schlimmer ist: Die rechten Kampagnen gegen den Migrationspakt basieren auf Fake News. Hier wird faktisch das neonazistische Irrbild des „großen Austausches“ an die Wand geworfen, wo es doch eigentlich nur um den ersten kleinen Schritt und das Anerkennen geht, dass Migration ein globales und vielfältiges Phänomen ist.
Es ist vollkommen absurd und weltfremd, was Sie uns hier erzählen.
Wenn es die Weltgemeinschaft mit ihrer Zielbestimmung ernst meinen würde, Maßnahmen für eine gesicherte, geordnete und legale Migration auf den Weg zu bringen, muss die Form über eine eher symbolische Übereinkunft hinausgehen. Vor allem aber müssen die Ursachen der unfreiwilligen Migrationsbewegungen in den Blick genommen werden. Diese wurzeln unverkennbar in der Kolonialisierung und der neoliberalen Ausbeutung der Länder des globalen Südens durch den globalen Norden. Das müssen wir ab und zu bedenken.
Sie basieren auf der Zerstörung der Umwelt und auf der Kriegspolitik des Westens und seiner Verbündeten. Schauen wir nach Afghanistan und in den Irak. Daran können Sie das gut sehen.
Lange ließe sich noch über die fehlgeleitete Entwicklungshilfepolitik sprechen, darüber, dass die Bundesrepublik auf dem Weg ist, mit diktatorischen Regimen, vor allem in Afrika, Pakte abzuschließen, die vorwiegend der Migrationsabwehr dienen sollen. Genau diese Ansätze,
die aus der westlichen Welt kommen, verschärfen das Problem eher, als eine Lösung zu bieten.
Noch ein Wort zur CDU. Was Ihre Partei jetzt auf Bundesebene, aber auch in Persona des sächsischen Ministerpräsidenten macht, kommt – ich habe das schon am Anfang gesagt – einem Einknicken vor der AfD gleich. Eine Debatte über den Pakt in Politik und Gesellschaft ist wichtig und richtig. Warum fällt Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, und vor allem dem Ministerpräsidenten, der seinerzeit im Bundestag war, als der Auftrag erteilt wurde,
das erst jetzt ein? Ihre Partei hätte sich in Regierungsverantwortung auf Bundesebene, aber auch hier dieses Themas annehmen und die Diskussion anstoßen können. Warum haben Sie das nicht früher gemacht?
Wir lehnen den hier vorliegenden Antrag aus tiefster Überzeugung ab. Er basiert auf einer national-chauvinistischen Grundhaltung, auf falschen Informationen und blendet nicht zuletzt aus, dass Migration historisch betrachtet nicht nur vollkommen normal ist, sondern dass insbesondere Europa und Deutschland davon profitiert haben und noch profitieren.
Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch von meiner Fraktion auf jeden Fall einen Dank an den Sächsischen Ausländerbeauftragten. Wir hätten sicherlich die letzte Chance, mit Ihnen in der Legislaturperiode den Bericht hier zu erörtern, gern genutzt, auch explizit einen kritischen Blick auf die letzten drei, vier Jahre zu werfen. Das können Sie dann im Protokoll nachlesen. Auch ich werde meine Rede zu Protokoll geben und wünsche noch ein
letztes gutes Jahr. Wir werden kritisch auf Ihre Arbeit blicken, wünschen aber auch Ihrer Geschäftsstelle weiterhin Engagement bei den Herausforderungen.
Vielen Dank.
Vor uns liegt der Jahresbericht des Sächsischen Ausländerbeauftragten 2017. Jährlich können wir anhand dessen – zeitverzögert – die Entwicklungen verfolgen, die es in Sachsen in den Bereichen Einwanderung und Migration und Integration gegeben hat.
Das Jahr 2017 kennzeichnete vor allem ein weiterer Rückgang der Zahlen geflüchteter Menschen. Kamen im Jahr 2016 noch 14 860 nach Sachsen, waren es im Jahr 2017 noch 9 138 Menschen. Währenddessen stieg die Zahl der EU-Bürgerinnen und -bürger um 6 826 auf nun 63 703 – Tendenz weiter steigend.
Die in Sachsen lebenden und nach Sachsen kommenden Migrantinnen und Migranten sind verschieden, haben verschiedene Bedarfe und Problemlagen. Das bilden auch die Interviews ab, die in dem Jahresbericht aufgenommen worden sind. Damit folgt der Sächsische Ausländerbeauftragte auch dem Drängen meiner Fraktion, seinem gesetzlichen Auftrag nachzukommen und dem Landtag über die Situation der im Freistaat Sachsen lebenden Ausländer Bericht zu erstatten.
Was hören wir in den Interviews? Zufriedenheit, Wohlfühlen, Angekommen sein. Viel Positives, das wohl kaum repräsentativ für die Wahrnehmungen aller Migrantinnen und Migranten, vor allem Geflüchteter, und das vor allem nach Chemnitz sein dürfte. Aber wir hören auch Kritik und Anregungen. Zum Beispiel von Herrn Khaled aus Syrien, der in Limbach-Oberfrohna lebt. Er sagte: „In Limbach gibt es einen Syrer, der als Zahnarzt arbeitet. Seine Frau ist auch Zahnärztin, aber weil sie ein Kopftuch trägt, bekommt sie keine Arbeit.“ Wir hören den Wunsch nach mehrsprachigen Formularen und Bürgersprechstunden von Adela Cerna aus Tschechien, die jetzt in Leipzig
lebt, oder das Plädoyer von Elaha Fakhri aus Afghanistan, jetzt Leipzig: „Die Situation in Afghanistan ist nicht sicher. Hier gibt es falsche Behauptungen deutscher Politiker. Ich wünsche mir, dass Deutschland keine Menschen in Kriegsgebiete zurückschickt werden.“
Was im Bericht fehlt, sind Bezugnahmen und Konsequenzen aus dem Gesagten aus Sicht des Sächsischen Ausländerbeauftragten.
Im vorliegenden Bericht werden viele Herausforderungen benannt: Wir brauchen gezielte Förderungen, den Abbau von Barrieren, Sprachlernangebote, Zugang zu Schule, Ausbildung und Arbeit und zu Wohnungen, eine adäquate psychosoziale Versorgung der vielen traumatisierten Geflüchteten. An vielen Baustellen arbeitet das SMGI. Woran es der Arbeit bzw. dem Bericht des SAB mangelt, sind Konzept und Strategie. Es tut mir sehr leid, wenn ich ein weiteres Mal an den Amtsvorgänger Martin Gillo erinnern muss: Der hatte ein Ziel, das er politisch durchsetzte: die Verbesserung der Wohn- und Lebenssituation von Geflüchteten und konkret: den Heim-TÜV. Das war nicht nur eine Broschüre. Das war ein langfristiges Kontrollinstrument, das Veränderungen brachte. Ein solches empathisches, zielstrebig verfolgtes Projekt zur realen Verbesserung der Lebenssituation von Migrantinnen und Migranten in Sachsen fehlt seitdem. Das kann auch die halbherzige Weiterführung des Heim-TÜV nicht wettmachen.
Dabei gibt es so viele Baustellen, gerade wenn wir den Blick auf Bildungs-, Ausbildungs- und Arbeitswege von Migrantinnen und Migranten, insbesondere Geflüchteten, richten.
Stichwort: Bildungsabschlüsse für die über 18-jährigen Geflüchteten. Über zwei Jahre hat sich die Staatsregierung Zeit gelassen, die Lücke zu kitten, die Anfang 2016 mit der Schließung der Berufsschulen für volljährig werdende Geflüchtete gerissen wurde. Zwei Jahre sind wertvolle Zeit, die für die Betroffenen vergeudet wurden. Die Kartoffel aus dem Feuer geholt hat schlussendlich die Integrationsministerin. Im April dieses Jahres hat sie einen Lösungsansatz präsentiert, und die Staatsregierung hat Geld für ein sachsenweites Beschulungsprojekt freigegeben. Doch wo waren Sie in diesem Prozess, Herr Mackenroth?
Stichwort: Ausbildungsduldung und „Spurwechsel“. Auch in Sachsen können Migrantinnen und Migranten seit August 2016 die in § 60 a Abs. 2 Satz 4 AufenthG normierte Duldung als Rechtsanspruch in Anspruch nehmen. Dies schützt sie während einer dreijährigen Ausbildungsdauer plus potenziell anschließenden zwei Jahren Erwerbsarbeitstätigkeit vor dem Vollzug der Ausreisepflicht. Eine gelinde gesagt bescheuerte Regelung, weil sie den Betroffenen und den ausbildenden Unternehmen keinerlei Sicherheit gibt, wie es ein echtes Aufenthaltsrecht bieten würde. Immer wieder versagen sächsische Ausländerbehörden Ausbildungsduldungen bzw. die dafür notwendige Beschäftigungserlaubnis. Auch Abschiebungen aus
Ausbildungsverhältnissen müssen beklagt werden, wie
vor wenigen Wochen, als eine junge Frau im Zuge der brutal von Sachsen organisierten Sammelabschiebungen aus einer Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau nach Georgien abgeschoben wurde.
Sachsen folgt mit seinem Erlass zur Ausbildungsduldung einer besonders restriktiven Gangart. Hinzu kommen unterschiedliche Praxen der unteren Ausländerbehörden, was selbst Sie so bejahen, Herr Mackenroth. Wir wünschen uns in dieser Sache ein engagiertes Streiten für eine Veränderung des bestehenden Erlasses zur Ausbildungsduldung, aber auch eine Mitwirkung an einer bundesgesetzlichen Veränderung und der Etablierung eines sogenannten Spurwechsels vom Asyl- ins Aufenthaltsrecht. Sie, Herr Mackenroth, haben diesen entgegen Ihren Parteikolleginnen auf der Bundesebene öffentlich bejaht.
Zum Schluss noch kritische Worte zum Beitrag des SAB zum Thema „Drei Lehren aus Köln“.
Die Kritik ist nicht neu und wurde von meiner Fraktion bereits im Innenausschuss geübt. Mit diesem Beitrag überschreitet der SAB seine Kompetenzen aus unserer Sicht eindeutig; ja, er nutzt das Amt für CDU-Politik und Forderungen nach Law and Order gegenüber straffällig gewordenen Migrantinnen und Migranten.
Dabei will ich nicht falsch verstanden werden: Straftaten müssen geahndet und aufgeklärt werden. Darüber hinaus braucht es ein differenziertes Repertoire an Präventionsmaßnahmen, auch für die sehr heterogene Gruppe von Migrantinnen und Migranten. Wenn der SAB in seinem Artikel behauptete, dass Straftaten von Migrantinnen und Migranten von Teilen der sogenannten Unterstützerszene, namentlich des linksextremen Spektrums verharmlost werden würden, und ein Plädoyer für einen starken Staat gehalten wird, dann lese ich hier vor allem den CDUPolitiker Geert Mackenroth – gegebenenfalls Ursachenanalyse als missverstandene Legitimation.
Dabei wissen wir: Die Zahl der durch Zuwandererinnen und Zuwanderer verübten Kriminalität ist auch im vergangenen Jahr nicht gestiegen, wie es vom SMI selbst behauptete worden war. Und dabei wissen wir, dass die Ethnisierung von Straftaten Rechtspopulistinnen und -populisten und Neonazis in die Hände spielt – siehe Chemnitz.
Was wir uns von einem SAB erwartete hätten? Eine Suche nach Ursachen von Kriminalität unter Migrantinnen und Migranten, aber auch einen konzertierten Blick auf politisch motivierte Gewalt gegen Migrantinnen und Migranten, eine kritische Medienanalyse über ethnisierende Darstellungen oder die Vorstellung von Präventionsprojekten.
Sehr geehrter Herr Mackenroth, Kritik gehört zum Geschäft, und wir werden auch weiterhin Kritik üben, wenn wir Dissense zu Ihrem Tun und Äußerungen haben. D‘accord sind wir, dass die Funktion des Ausländerbeauftragten so nicht mehr zeitgemäß ist. Die Gruppe der Betroffenen ist größer und die Herausforderungen auch. Wir wünschen uns einen Landesmigrationsbeauftragten,
der oder die fachlich geeignet ist und nicht aus den Reihen des Landestags bestellt wird – siehe unser Integrationsgesetz.
In diesem Sinne: Einen engagierten, emphatischen Streiter für die Belange von Menschen ohne deutschen Pass haben wir in den letzten Jahren nicht erlebt; entsprechend niedrig sind unsere Erwartungen für das letzte Jahr der Amtsperiode.
Wir wünschen Ihnen und Ihren durchaus engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nichtsdestotrotz ein gutes Händchen und bleiben gespannt.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Schiemann, Sie haben mir eine wunderbare Vorlage geliefert. Ich teile Ihre Analyse: Die Menschen steigen auf Boote, die nicht fahrtauglich sind, begeben sich in großes Risiko. Daran sieht man ja, in welchen Risiken, in welch unsicheren Situationen die Menschen leben, sodass sie diesen Schritt überhaupt gehen. Aber ich mache mal einen Punkt.
Die libysche Küstenwache wird derzeit von der Europäischen Union massiv mit Geld aufgepumpt. Mit wem kooperiert die libysche Küstenwache? Mit Schleppern, mit Organisierter Kriminalität. Das ist genau das Phänomen, das Sie hier beschrieben haben und das Sie bekämpfen wollen; es wird aber durch die Bundesrepublik und die Europäische Union hinterrücks unterstützt. Das ist ein Skandal.
Der zweite Punkt: Bleiben Sie bei Ihren Gedanken nicht stehen, gehen Sie einen Schritt weiter, fragen Sie, wie Menschen gerettet werden können, wie das, was eigentlich auf der Hand liegt, betrieben werden kann.
Es muss staatliche Seenotrettungsprogramme geben. Es kann nicht NGOs überlassen werden, Menschenleben zu retten. Diesen gedanklichen Schritt müssen Sie dann auch gehen, wenn Sie hier Schlepper anprangern.
Ich will den GRÜNEN im Weiteren dafür danken, dass sie dieses Thema auf die Tagesordnung gebracht, diese Debatte angeregt haben. Ich will den zweiten Teil des Titels der Debatte an den weitergehenden Anfang stellen: „Das andere Sachsen handelt“. Sie haben Mission Lifeline erwähnt. Aber man muss noch weiter gehen. In den letzten Monaten, in den letzten Wochen haben wir einen wunderbaren, einen starken, einen humanistischen Aufbruch in Sachsen erlebt: In Dresden wie jetzt vor dem Landtag, in Leipzig, in Chemnitz, in Freiberg, in Bautzen, in Görlitz und anderen Städten sind viele Menschen auf die Straße gegangen, haben sich der „Seebrücke“ angeschlossen – gegen die Kriminalisierung von Seenotrettungsorganisationen, für das Recht auf Leben, für das Menschenrecht auf Flucht. Das war ein ganz großartiges Zeichen.
Ich kann das weiterführen. Es sind großartige NGOs. Das ist nicht nur die Dresdner Mission Lifeline, das sind die Ärzte ohne Grenzen, SOS Mediterrane, Sea-Watch, Jugend Rettet usw. usf. Das sind tapfere Seeleute wie Claus-Peter Reisch, der Kapitän der „Lifeline“, und es sind die vielen ehrenamtlich tätigen Menschen, die praktisch auf diesen Schiffen Lebensrettung leisten. Ihnen gilt zuerst der Dank. Das ist sozusagen das Antlitz eines anderen Sachsens, einer anderen Bundesrepublik, was wir ganz aktiv hier auf den Straßen oder im Mittelmeer spüren.
Trotz dieser positiven Bilder müssen wir konstatieren, dass wir es mit einem Tiefpunkt zu tun haben, einem „Tiefpunkt der Menschlichkeit“ – das ist übrigens ein Zitat von dem CDU-Kollegen Elmar Brok aus dem Europäischen Parlament –, einem Tiefpunkt der Europäischen Union und auch einem Tiefpunkt der bundesrepublikanischen Politik.
Die Debatte kann ja nicht aktuell genug sein. Schauen wir auf das, was in den letzten Tagen wieder passiert ist. Die „Aquarius II“, das NGO-Schiff von Ärzte ohne Grenzen, ist wiederum fünf Tage im Mittelmeer herumgeirrt, an Bord 58 Menschen, darunter 18 Kinder. Es wurde herausgezögert. Es wurde sich dem Anlegen verweigert. Dafür ist vor allem die neue italienische Regierung verantwortlich. Dafür sind wir aber als Bundesrepublik mitverantwortlich, für dieses humanitäre Drama, das sich inzwischen regelmäßig auf dem Mittelmeer abspielt.
Es setzt sich fort, was wir im Juni erleben mussten, was wir in den letzten Monaten bzw. schon über ein Jahr erleben mussten: – –
Dazu komme ich gleich. NGO-Schiffe stechen in See, retten Menschen und werden an der langen Hand ausgebootet. Es wurde bereits beschrieben, wie die Situation auf den Schiffen ist. Es ist eine humanitäre Katastrophe. Die Schiffe sind, wie Sie wissen, jetzt auch mit der Aquarius II, weitestgehend beschlagnahmt. Im Gegenzug dazu steigt die Zahl der Todesopfer im Mittelmeer. Das können wir als demokratischer Staat, als demokratische Gesellschaft nicht dulden.
Im Juni 2018, kurz nachdem die Lifeline und die SeaWatch beschlagnahmt wurden und die Aquarius und die Open Arms festgesetzt waren, ertranken im Mittelmeer 629 Menschen. Im Mai waren es noch 48. UNHCR geht davon aus, dass inzwischen jeder siebte Mensch bei der Überfahrt über das Mittelmeer stirbt. Im ersten Halbjahr 2017 war es noch einer von 38. Ich möchte die Zahlen kurz fortsetzen. Man kann sie zusammenzählen. Das sind gesicherte Zahlen. Wahrscheinlich sind sie noch mit Dunkelziffern zu erhöhen. Seit 2014 starben bei der Überfahrt übers Mittelmeer 17 000 Menschen. Wer bei diesen Zahlen nicht wütend wird und wer angesichts dieser konzertierten verhinderten Lebensrettung nicht von einer Verrohung von Politik sprechen mag, dem ist nicht zu helfen. Über die deutsche Verantwortung daran werde ich in der zweiten Rederunde sprechen.
Warum fliehen Menschen aus dem südlichen Teil der Erde, vom Kontinent Afrika? Sie fliehen vor Militärdiktaturen, vor Folter, vor wirtschaftlicher Ausbeutung und vor klimatischen Verwerfungen. Was kann man aktuell beobachten? Vor allem durch die Bundesrepublik Deutschland vorangetrieben, werden Pakte mit Diktaturen abgeschlossen, um Migrationsab
wehr zu betreiben. Die Handelspolitik wird nicht verändert, damit sich die Staaten dort selbst regenerieren können.
Nein, das wird nicht gemacht. Es wird militarisiert. Es wird Geld reingepumpt. Die libysche Küstenwache ist so ein Beispiel. Das ist der falsche Weg. Das ist keine Fluchtursachenbekämpfung.
Ich wollte im zweiten Redebeitrag fokussieren, welche Verantwortung Deutschland mitträgt. Mare Nostrum ist hier schon mehrfach angesprochen worden. Mit Mare Nostrum konnten innerhalb eines Jahres 150 000 Menschenleben gerettet werden, eine immense Zahl, die private Seenotrettungsorganisationen so wahrscheinlich nicht erreichen. Warum hat Italien dieses Programm eingestellt? Weil es europäische Staaten nicht mitfinanzieren wollten. Das Programm war milliardenschwer, und die Staatengemeinschaft, darunter Deutschland als größter Player in der EU, hat sich verweigert, dieses Seenotrettungsprogramm mitzufinanzieren. Erste Schuld.
Zweite Sache. Blicken wir zurück zum Juni auf das Drama mit der Mission Lifeline. Wer hat die Bedingungen gestellt, dass das Schiff festgesetzt wird, und wer hat sich verweigert, auch nur eine Person der 234 eine Woche auf dem Mittelmeer herumirrenden bzw. eingesperrten Menschen aufzunehmen? Das war Deutschland. Das war Ihr Bundesinnenminister, der sich dem verweigert hat. Das ist ein Drama. Das ist eine Katastrophe.
Die dritte Sache. Wir waren letztes Jahr mit dem Innenausschuss in Italien. Vielleicht erinnern sich manche Akteure daran. Was haben wir in jeder Gesprächsrunde gehört? Das Dublin-Abkommen ist das Problem und muss abgeschafft werden. Das waren die klaren Statements der italienischen Verantwortlichen, egal, ob Zivilgesellschaft oder staatliche Akteure. Genau das muss angepackt werden. Schauen wir uns die Verhandlungen auf EUEbene an. Wer genau behindert eine Lösung für die Verteilung von Geflüchteten und einen fairen finanziellen Ausgleich?
Das ist vor allem Deutschland. Deutschland ist der Player in der Europäischen Union und versperrt sich tatsächlichen Lösungen für die Aufnahme und für die Verteilung Geflüchteter.
Wir als LINKE meinen, Dublin muss versenkt werden.
Um das Sterben auf dem Mittelmeer zu stoppen, braucht es sichere Fluchtwege, zum Beispiel durch die Aufnahme
von bestimmten Kontingenten von Geflüchteten. Dabei kann sich Deutschland auch selbst verantworten. Das Aufenthaltsgesetz gibt es her. Oder es bedarf eines staatlichen Fährdienstes nach Europa, und das ist keine Idee von mir. Das ist eine Idee von Klaus Bader, einem renommierten Migrationsforscher, und genau solche Ideen unterstützen wir als LINKE ausdrücklich.
Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatten über den Datenschutz waren in den letzten Monaten vor allem mit der europäischen Grundverordnung verbunden. Kollege Anton hat es schon aufs Tableau gehoben. Das hat in diesem Zusammenhang zumindest bei denjenigen, die zahlreiche Newsletter oder sonstige Onlinenachrichtendienste nutzen, zu einigem Unmut geführt. Auch aus diesem Haus, aus Reihen der größeren Regierungsfraktion, wurden unsachliche datenschutz- und EU-feindliche
Statements in die Öffentlichkeit geblasen. Umso erfreulicher war gerade der Beitrag von Herrn Anton.
Dabei ist der Datenschutz in Zeiten fortschreitender Digitalisierung von zentraler Wichtigkeit. Diesbezüglich erzähle ich nichts Neues.
Denn es geht um die Daten von Personen und damit um Informationen über Personen. Genau diese zu verarbeiten, auszuwerten und Persönlichkeitsprofile zu erstellen ist das Geschäftsmodell zahlreicher Unternehmen und nicht allein von Facebook und Co.
Doch auch der Staat – diese Debatte will ich jetzt hier nicht ins Zentrum stellen, aber sie wird uns noch erreichen – hat großes Interesse am Sammeln von Daten seiner Bürgerinnen und Bürger. Im Zeichen des hysterisch aufgeplusterten Diskurses – man konnte es gerade hören – um Terrorismus- und Kriminalitätsbekämpfung wurden und werden insbesondere für die Sicherheitsbehörden immer mehr Zugriffsmöglichkeiten geschaffen, die sich, gelinde gesagt, am Rande der Verfassungsmäßigkeit bewegen. Wir werden ja noch erfahren, was die Klage gegen das bayerische Polizeiaufgabengesetz denn tatsächlich bringt. Stichworte sind außerdem das BKA-Gesetz, die Polizeigesetzreformen – die ja nicht nur in Sachsen eine Rolle spielen –, die Onlinedurchsuchung oder die Quellentelekommunikationsüberwachung.
Der Blick auf das vor geraumer Zeit eingestellte Verfahren gegen Fußballfans der BSG Chemie Leipzig wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung – ein Verfahren, das ergebnislos eingestellt wurde – zeigt, dass diese Themen aber nicht nur abstrakt oder auf Bundesebene diskutiert werden, sondern auch mit den hiesigen Behörden verknüpft sind. Im Vorgängerverfahren – wie Sie sicher wissen, gab es vorher schon eines im Bereich BSG Chemie, das im Oktober 2016 ebenfalls ergebnislos eingestellt wurde – hat der Datenschutzbeauftragte Beanstandungen sowohl gegenüber dem LKA Sachsen als auch gegenüber der Staatsanwaltschaft Dresden ausgesprochen. Beide Behörden haben Betroffenenrechte missachtet und damit die Grundrechte angetastet.
Das möchte ich noch einmal zentral unterstreichen: Wir reden hier nicht über irgendetwas, sondern wir reden beim Datenschutz über ein Grundrecht. Dieses Grundrecht gewährleistet jeder Bürgerin und jedem Bürger das Recht, über Verwendung und Preisgabe seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung – das kennen Sie – ist ein Ausfluss des Volkszählungsurteils des Bundesverfassungsgerichtes von 1983.
Geschützt werden nicht nur Daten, sondern auch die Freiheit der Menschen, selbst zu entscheiden, wer was, wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß. Es ist wichtig, das im Hinterkopf zu behalten. Es ist verankert in der Grundrechtecharta der EU, in der Datenschutz-Grundverordnung und in der sächsischen Landesverfassung.
Heute liegt uns der 18. Tätigkeitsbericht des Sächsischen Datenschutzbeauftragten im öffentlichen Bereich und der
8. Tätigkeitsbericht im nicht öffentlichen Bereich vor und damit der letzte seiner Art, denn mit der DatenschutzGrundverordnung haben wir praktisch einen Systemwechsel vollzogen. Der Datenschutzbeauftragte handelt nun völlig unabhängig. Auch in Sachsen haben wir im Ausfluss dessen eine oberste Landesbehörde geschaffen, was auch im Hinblick auf die anstehenden Haushaltsverhandlungen – darauf komme ich noch zurück – wichtig wird. Auch das Berichtswesen wird sich ändern; wir haben es schon gehört. Es wird jährlich einen Bericht und keine Trennung der Bereiche mehr geben.
Schauen wir nun auf die vorliegenden Berichte, die von der Realität überholt sind. Der Berichtszeitraum betrifft 2015 bis 2017. Wir sehen wiederum eine Bandbreite von Themen und Problemlagen. Hierbei habe ich einen Dissens mit Herrn Anton. Die Bandbreite der Themen im öffentlichen Bereich ist recht groß, zum Beispiel im Bereich der Polizei.
Der Datenschutzbeauftragte beanstandete im Jahr 2015 die Veröffentlichung personenbezogener Daten aus einem laufenden Ermittlungsverfahren durch die Polizei auf dem Facebook-Profil der Polizei in Sachsen. Durch die dort publizierten Hintergründe des Tatverdächtigen für eine Diebstahlserie – dabei durfte natürlich die nicht deutsche Herkunft nicht fehlen – ließ sich durch eine kurze Recherche die Identität der Person herausfinden. Immerhin teilte das SMI die Auffassung des Datenschutzbeauftragten. Der Beitrag wurde gelöscht und eine Sensibilisierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Polizei versprochen.
Dass es um die datenschutzrechtlichen Kompetenzen der Polizei auch sonst nicht so gut bestellt ist, zeigen die massenhaft gespeicherten personenbezogenen Daten in diversen polizeilichen Datenbanken oder der Umgang in dem eingangs erwähnten Ermittlungsverfahren.
Kurz erwähnt sei auch das Landesamt für Verfassungsschutz. Der vorliegende Bericht enthält einen skandalösen Fall, in dem ein Mensch wegen rechtswidriger Datenübermittlung durch das LfV zweimal seinen Job verloren hat. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Das Schlimme an diesem Einzelfall war, dass sich die oberste Aufsichtsbehörde für das LfV, das SMI, nicht wirklich einsichtig zeigte.
Ein weiteres Thema im öffentlichen Bereich wird in Sachen Datenschutz als Teil der Medienbildung und Digitalisierung an Schulen aufgerufen. Wir teilen die Auffassung des Datenschutzbeauftragten: Medienpädagogik ist bei der Aus- und Fortbildung von Lehrpersonal unbedingt zu stärken. Sie muss verpflichtender Bestandteil der Studiengänge und Fortbildungsprogramme werden.
Der Blick auf die Arbeit des Datenschutzbeauftragten im nicht öffentlichen Bereich fällt auch im aktuellen Berichtszeitraum ernüchternd aus. Sowohl die Bearbeitung von Eingaben Betroffener, Anlass- und Regelkontrollen
als auch Beratung konnten durch den Datenschutzbeauftragten und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht ausgeübt werden, wie es eigentlich nötig gewesen wäre.