Letzter Satz, Herr Präsident. – Das Judentum gehört zu Deutschland, verfassungstreue Muslime ebenso, der politische Islam nicht.
Das war Frau Dr. Muster. Wir sind am Ende der ersten Redereihe angekommen und eröffnen eine weitere. Zunächst hätten die einbringenden Fraktionen das Wort. Für die CDUFraktion spricht Kollege Modschiedler.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es eignen sich Bilder, und so lassen Sie mich auch einmal mit einem Buchauszug beginnen: „Im März 1942 kam ein neues Gesetz heraus. Juden dürfen überhaupt nicht mehr mit der Bahn fahren, sofern sie nicht mehr als 7 Kilometer von der Arbeit entfernt leben. Ich fuhr also mit meinem Fahrrad zur Arbeit. Einmal geriet ich auf der Carolabrücke in die Straßenbahnschienen, konnte mein wackliges Rad nicht mehr halten und stürzte. Ein junger Mann sah mich blutend neben meinem Fahrrad, half mir anfänglich auf, als er jedoch den Stern sah, ließ er mich fallen wie eine heiße Kartoffel und machte sich davon wie vor einer Aussätzigen.“
Das war Henny Brenner, geboren 1924, gebürtige Dresdnerin und Holocaust-Überlebende. Ich durfte sie mehrfach persönlich treffen. Sie hat 2001 ein Buch herausgegeben: „Das Lied ist aus. Ein jüdisches Schicksal in Dresden“. Dort schildert sie ganz eindringlich die Unmenschlichkeit
Individuelle Schicksale, Erzählungen, Berichte von Zeitzeugen halten die Erinnerung der Verbrechen des NSRegimes in uns immer wieder wach. Vor dem Hintergrund der erschütternden Erfahrungen, die sie sehr anschaulich schildert, müssen wir uns heute in ganz besonderer Weise dem Antisemitismus entgegenstellen, denn – das wurde schon mehrfach gesagt – die Zahl der antisemitischen Taten hat zugenommen.
Es gibt unterschiedliche Quellen und Motive für den Antisemitismus. Es gibt rassistisch begründeten Antisemitismus von rechtsextremer Seite, aber es gibt ihn auch von linksextremer Seite. Und es ist, das muss man wohl sagen, antisemitisch, um an der Stelle ausnahmsweise einmal Gregor Gysi zu zitieren, „wenn man das Existenzrecht des Staates Israels infrage stellt“; darüber müssen wir auch sprechen. Hinzu kommt, dass der Antisemitismus von radikaler Seite bzw. vom fundamentalistischen Islam ausgeht. Er ist rassistisch – das hatten wir angesprochen –, und er ist auch religiös begründet und leider Gottes in allen Schichten unserer Bevölkerung zu beobachten. Es gibt diese Gewaltfantasien und NSVergleiche, die werden ganz breit im Netz geäußert. Der Antisemitismus zeigt sich in unserer Gesellschaft in vielerlei Gestalt. Dabei denke ich an den Fall Chemnitz. Dort sind Juden auf offener Straße angegriffen worden. Es gab Schmähungen, und Hassnachrichten wurden in den sozialen Netzwerken verbreitet.
Wir – das hat Ines Springer für die CDU-Fraktion und das haben auch alle anderen Fraktionen gesagt – verurteilen Antisemitismus, egal welcher Gesinnung, und wir müssen ihm entgegentreten, und zwar sehr entschieden.
Es ist wichtig, dass wir uns zu unserer historischen Verantwortung bekennen. Der Kampf gegen den Antisemitismus ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Nicht couchpotato-mäßig zusehen, sondern wir müssen alle etwas tun. Vor dem Hintergrund der schwindenden Zahl der Zeitzeugen – wir reden von 80 Jahren – müssen wir uns wirklich die Frage stellen, wie wir unsere Bemühungen weiter intensivieren können.
Wir müssen auch an die Schulen gehen. Die Schüler müssen informiert werden. Die Vermittlung dieser jüdisch-christlichen Tradition und die Gefährdung durch den Nationalsozialismus muss weiterhin ein fester Bestandteil in den Lehrplänen bleiben.
Wir haben mehrere Projekte, das Projekt „Starke Lehrer – starke Schüler“ ist bekannt. Wir haben unser Förderprogramm „Weltoffenes Sachsen für Demokratie und Toleranz“, wir haben die Stiftung Sächsische Gedenkstätten und all unsere zivilgesellschaftlichen Vereine und Initiati
ven. Was können wir also persönlich in unserem Umfeld tun? Denken wir nach, entwickeln wir Empathie, hinterfragen wir! Wir müssen uns nämlich der Diskriminierung und der Pauschalisierung, die auch heute wieder stattgefunden hat, entgegenstellen. Das geht so nicht. Für die CDU-Fraktion sind die jüdisch-christlichen Werte die Grundlage unserer Programmatik und auch unseres Handelns. Wir lehnen jede Form von Antisemitismus ab, egal aus welcher politischen oder religiösen Richtung er kommt. Aber auch die Menschen, die zu uns kommen und hier Zuflucht finden – und das ist wichtig –, haben diesen Grundsatz zu akzeptieren.
Das Judentum gehört zu Deutschland, das hatten wir gesagt, dazu stehen wir auch. Es gehört auch zu Sachsen, und das soll auch so bleiben, aber die Zivilgesellschaft, Bund, Länder und auch die Kommunen, stehen hier gemeinsam in der Verantwortung. Tun wir also alles, damit sich so etwas nie wiederholt.
Das war Kollege Modschiedler, CDU-Fraktion. Jetzt ergreift erneut für die SPD-Fraktion Kollegin Kliese das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer dem Kollegen Wippel, auch wenn es schwer war, aufmerksam von Anfang bis Ende zugehört hat, der hat genau wahrgenommen, dass er stets und ganz bewusst von deutschen Juden gesprochen hat. Frau Springer hat in ihrem Redebeitrag angesprochen, dass es letztlich um die Juden in ganz Europa geht, die verfolgt wurden und umgebracht worden sind.
Das ist eine Aufkündigung eines Verfassungsgrundsatzes. Natürlich sind europäische Juden zu betrauern, auch an diesem historischen Datum, denn auch in anderen europäischen Ländern wurden sie verfolgt. Es geht uns überhaupt nicht darum, an dieser Stelle eine Wertigkeit aufzumachen. Genau das tun Sie immer und immer wieder. Sie rühren immer und immer wieder an der fundamentalen Gleichheit der Menschen, und das lassen wir Ihnen nicht durchgehen!
(Beifall bei der SPD, der CDU, den LINKEN und den GRÜNEN – Jörg Urban, AfD: Das ist billige Hetze! Schämen Sie sich! Ist das ein Gedenktag oder ein Hetztag? – Unruhe)
Charlotte Knobloch sprach in einer besonderen Rede vor diesem Haus, der übrigens nicht alle Mitglieder dieses Hauses bereit waren, bis zum Ende zuzuhören, weil ihnen nicht jedes ihrer Worte gefallen hat, wichtige Worte. Sie sagte, dass sie auch wegen Zuwanderern aus muslimischen Hintergründen Sorgen hätte. Diese Sorgen nehmen wir natürlich ernst, denn wir wissen, dass es auch dieses Phänomen gibt. Was Sie tun, ist aber nicht Ernst nehmen, was Sie tun, ist, die Verantwortung abwälzen. Es sind Politiker Ihrer Partei, die stetig und immer wieder mit kleinen und großen Sticheleien, Zitaten und besonderen Redewendungen an dem Großen und Ganzen, an dem Konsens des „Nie-wieder“ in diesem Hause rühren, der uns allen ein Gebot sein sollte.
Die Statistiken, bei denen Sie nun Quellenkritik üben, weil sie ausnahmsweise nicht das gewünschte Ergebnis für Sie bringen, zeigen vor allem eines: Antisemitismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Und genau von dieser Warte aus sollten wir uns dem Thema in der Bekämpfung nähern.
Kollegin Kliese sprach für die SPD-Fraktion. Es geht in unserer Rederunde zwei weiter. Es spricht jetzt für die Fraktion DIE LINKE Frau Kollegin Köditz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Modschiedler hat verschiedene Aspekte von Antisemitismus angesprochen. Es gibt aber weitere Aspekte, wie zum Beispiel den geschichtsrevisionistisch definierten Antisemitismus. Wer hier in diesem Zusammenhang immer noch den Mut hat, von einer „Reichskristallnacht“ zu sprechen und damit diese Pogromnacht im Grunde mit diesem Begriff „Kristall“ zu verharmlosen, hat es immer noch nicht verstanden. Wer immer noch in einer Partei ist, dessen Vorsitzender davon gesprochen hat, dass die NS-Zeit ein „Fliegenschiss“, später: „Vogelschiss“ der Geschichte sei, der verharmlost
(Sebastian Wippel, AfD: Jetzt klatschen alle! – Beifall bei der CDU, den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)
Mein Kollege Herr Gebhardt hat bereits aus der Anhörung zu unserem Antrag „Antisemitismusbeauftragte“ zitiert. Ich möchte noch ein Zitat in diesem Zusammenhang nachschieben, ebenfalls von Nora Goldenbogen: Am Montag bin ich abends während der montäglichen PegidaDemo über den Altmarkt gegangen und sehe an der rechten Seite einen großen Stand ‚Freiheit für Ursula Haverbeck‘. Ursula Haverbeck ist eine mehrfach verurteilte Holocaust-Leugnerin. Sie ist zwar 90 Jahre alt, aber sie sagt es immer noch. Auf ihrer Homepage und anderen Medien kann man das nachlesen. An diesem Stand war ganz groß das Thema Lüge. Da ging es um das Leugnen des Holocausts, auch wenn das nicht dabei stand. Ich habe mir den Stand angesehen, ein Flugblatt mitgebracht und habe gesehen, es gab eine Genehmigung der Stadtverwaltung Dresden, der Ordnungsbehörde. Ich habe nachgefragt. Dort wurde mir gesagt, das ist mit der Meinungsfreiheit gedeckt. Sie haben nicht geschrieben, das hat den Holocaust nicht in der Losung gehabt. Damit war das Problem weg.“ Das ist Antisemitismus, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen, dass ich regelmäßig nach Straftaten hier in Sachsen frage und nicht beim BKA. Wenn ich dort sehe, dass es bei uns in Sachsen im Jahre 2017 insgesamt 118 Straftaten mit antisemitischem Bezug gegeben hat und davon nur zwei nicht rechtsmotiviert waren, sprich: 116 waren rechtsmotiviert, dann haben wir ein Problem mit rechtsmotiviertem Antisemitismus, wenn es um Straftaten geht.
Der Vollständigkeit halber, damit es keine Debatten gibt, wird eine dem Phänomenbereich ausländische Ideologie und eine dem Phänomenbereich religiöse Ideologie zugeordnet.
Wir hatten im Jahr 2017 – wie gesagt – 118 Straftaten. Mit Nachmeldungen bis zu den letzten Anfragen meinerseits sind wir zahlenmäßig im ersten Halbjahr 2018 bereits bei 72 Straftaten. Was mir immer wieder auffällt: Wir haben alljährlich einen Peak bei diesen Straftaten; der liegt im November. Im letzten Jahr waren es im November allein über 40 Straftaten.
Ich habe Angst davor, dass die Zahlen weiter steigen, und ich habe Angst davor, dass wir immer nur darüber diskutieren, dass es auch anders motivierten Antisemitismus gibt. Das Hauptproblem in Sachsen ist der rechtsmotivierte Antisemitismus. Dazu müssen wir uns positionieren.