Unsere Kollegin Hanka Kliese sprach für die einbringende SPD-Fraktion. Die weitere Rednerreihe: DIE LINKE, AfD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und Frau Dr. Muster. Jetzt spricht für die Fraktion DIE LINKE Herr Kollege Gebhardt.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vielen Dank an die Koalition, dass wir uns heute mit diesem Thema beschäftigen können. Ich glaube, Frau Springer, wir sind uns alle darüber einig, dass das nicht nur eine Herzensangelegenheit der CDU-Fraktion bzw. der Koalition ist, an den 9. November 1938 zu erinnern.
Wir wissen, dass die Nacht vom 9. zum 10. November 1938 das Ergebnis von Geschichte gewesen ist, das Ergebnis einer Geschichte, die nicht erst 1933 begonnen hat, sondern viel früher, aber gerade und besonders mit der Machtübernahme Adolf Hitlers und seiner NSDAP: nämlich die Ausgrenzung einer Menschengruppe und einer Religion. Das Ergebnis war Auschwitz. Das Ergebnis war auch, dass die Menschen – Frau Kliese hat es gerade gesagt – geschwiegen, zugeschaut, weggeschaut und letztendlich toleriert und akzeptiert haben. Nur deswegen konnte es Auschwitz geben.
Den aktuellen Bezug herzustellen, fällt dem einen mehr oder anderen weniger schwer oder leicht. Wir erinnern uns alle an den Überfall auf das Chemnitzer Restaurant vor wenigen Wochen. Die Polizei war relativ schnell vor Ort. Dann passierte wieder etwas, wo ich sage: Genau das ist es, wo wir hinschauen müssen, wo wir nicht wegschauen dürfen und wo wir uns selbst immer wieder daran erinnern müssen, dass ein Überfall auf ein jüdisches Restaurant nichts Normales sein darf. Dass es einige Tage gedauert hat, bis es öffentlich geworden ist und man darauf hingewiesen hat, ist ein bisschen das, wo ich denke, dass wir aufpassen müssen, Antisemitismus nicht als etwas Normales, als etwas, das uns alle nicht betrifft, anzusehen.
Deswegen hatte meine Fraktion bereits Anfang dieses Jahres im Sächsischen Landtag einen Antrag gestellt, der die Errichtung eines sächsischen Antisemitismusbeauftragten – in dem Falle nach dem Modell der Bundesregierung – vorsieht. Wir haben vorgeschlagen, diesen Antisemitismusbeauftragten bei der Staatsregierung in der Staatskanzlei anzusiedeln. Dazu gab es vor wenigen Wochen im Sächsischen Landtag eine Anhörung. Ich darf Ihnen von einer Sachverständigen ein Zitat vorlesen. Den meisten hier im Saal ist sie sicherlich bekannt: Frau Dr. Nora Goldenbogen, die auch die Vorsitzende des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden in Sachsen ist. Sie sagte Folgendes: „Da wir müssen feststellen, dass die Hemmschwelle, antisemitische Klischees und offenen Antisemitismus auszusprechen, gesunken ist – sie ist eindeutig gesunken –, denke ich, reichen die bisherigen Maßnahmen nicht aus, so viel in den letzten Jahren in Sachsen auch gemacht wurde.“
Weiter heißt es – wieder Zitat Frau Goldenbogen –: „Wir befürworten das Amt eines oder einer Antisemitismusbeauftragten für den Freistaat Sachsen einzurichten oder eine adäquate Stelle.“ Ich denke, dass das Thema konzentriert angegangen werden muss.
Wir nehmen als Fraktion zur Kenntnis, dass die Staatsregierung, nachdem sie uns damals geantwortet hat, keinen
Bedarf für einen solchen Beauftragten sieht. Nach dem Besuch des Ministerpräsidenten in der jüdischen Gemeinde in Chemnitz, bei dem er hoffentlich nicht nur laut gedacht hat, sondern auch seinen Kolleginnen und Kollegen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vielleicht einen ordentlichen Auftrag erteilt – nämlich angesichts der Situation, die er in Chemnitz im Nachhinein persönlich erlebt hat – und in Aussicht gestellt hat, dass er prüft, ob es im Freistaat Sachsen einen Antisemitismusbeauftragten geben könnte.
Wir haben zur Kenntnis genommen: Auf Bitte haben wir unseren Antrag im Innenausschuss, davor im Verfassungs- und Rechtsausschuss von der Tagesordnung genommen. Ich kann mein Angebot nur erneuern. Uns geht es weder darum, die Ersten gewesen zu sein, noch darum, dass unser Antrag beschlossen wird. Es geht uns darum, dass wir als sächsisches Parlament gemeinsam mit allen demokratischen Kräften ein Zeichen setzen und die Stelle für einen solchen Antisemitismusbeauftragten – wo immer die Stelle dann auch angesiedelt sein mag; ob in der Staatskanzlei oder im Sächsischen Landtag oder als gemeinsames Gremium – einrichten wollen.
Wir sollten gelernt haben, nicht wegzuschauen, nicht wegzuhören, zu tolerieren, ja nicht zu akzeptieren. Die Ausgrenzung von bestimmten Bevölkerungsgruppen kann wieder zu Auschwitz führen. Das kann niemals unser gemeinsames Ziel sein.
Herr Kollege Gebhardt sprach für die Fraktion DIE LINKE. Jetzt spricht für die AfD Herr Kollege Wippel.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Am 9. November 1938 fand in Deutschland die sogenannte Reichspogromnacht oder Reichskristallnacht statt. 400 Deutsche jüdischen Glaubens wurden ermordet oder in den Suizid getrieben. 1 400 Synagogen, Betstuben und Versammlungsräume wurden angegriffen und verwüstet. Es wurden Tausende Geschäfte und Wohnungen verwüstet. Jüdische Friedhöfe wurden geschändet. Ab dem
10. November wurden ungefähr 30 000 Menschen in Konzentrationslagern inhaftiert, wovon später Tausende ermordet wurden. Zynischerweise wurden die entstandenen Schäden den deutschen Juden dann noch in Rechnung gestellt.
Die Reichskristallnacht markierte den vorläufigen Höhepunkt der Diskriminierung der deutschen Juden auf dem Weg zu ihrer systematisch physischen Verfolgung. Nur wenige Deutsche fanden sich, um sich unter großer Gefahr schützend vor ihre Landsleute zu stellen. Auch nach diesem Tag wurden nur wenige Juden von den späteren Siegermächten in deren Länder gelassen. Noch
weitaus weniger Juden überlebten bis zum Kriegsende die gegen sie gerichtete Vernichtungsmaschinerie. Diese traurige Geschichte wird immer in unserem Gedächtnis bleiben. Antisemitismus darf es in Deutschland nie wieder geben!
In diesem Zusammenhang stellt sich mir auch die Frage, wer heute in Deutschland Antisemitismus praktiziert. Wie stellt er sich dar? Wie drückt er sich aus? Laut der BKAStatistik Politisch motivierte Kriminalität wurden im Berichtsjahr 2016 1 468 antisemitische Straftaten begangen. 94 % davon ordneten die Statistikersteller Tätern mit politisch rechter Motivation zu. Da aber nicht klar ist, von welchen Personengruppen welche Straftaten im Einzelnen begangen werden, fordern wir als AfD die Ausweisung eines Migrationshintergrundes in der PMK-Statitstik bei der Erfassung von antisemitischen Straftaten. Ohne diese Erfassung müssen wir immer noch mit Studien arbeiten, um uns des Phänomens anzunehmen. Die Studie „Jüdische Perspektiven auf Antisemitismus in Deutschland“ vom Institut für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Uni Bielefeld fand heraus, dass antisemitische Gewaltdelikte zu 81 % von muslimischen Tätern begangen werden.
Deidre Berger und Fabian Weißbarth vom American Jewish Committee in Berlin kritisierten im „Tagesspiegel“ – ich zitiere –: „Eine Parole wie ,Juden raus‘ wird in dieser Betrachtung fast ausschließlich dem Rechtsextremismus zugeordnet, obgleich man über die Hintergründe nur wenig weiß. Auch andere Vorfälle mit NS-Bezug sind in der Statistik meistens ‚rechts‘. Das führt selbst dazu, dass in der Vergangenheit ein Hitlergruß von HisbollahAnhängern auf der islamistischen Al-Quds-Demo als rechtsextrem eingruppiert wurde.“ Selbst der jüdische Historiker Michael Wolffsohn erklärte Ende Februar in der „Neuen Zürcher Zeitung“: „Der alte Jean-Marie Le Pen, so grässlich er war und ist, hat keine Gewalt an Juden verübt und sie auch nicht gefordert.“ Gleiches gelte auch für Deutschland. Der gewalttätige Antisemitismus komme heute nicht von rechts, auch wenn die irreführenden Statistiken etwas anderes sagen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt viele Juden, die heute wieder aus Deutschland auswandern wollen. Ich verweise dabei auf den ARD-Antisemitismusreport vom 05.11.2018, bei dem 78 % der befragten Juden in Deutschland angaben, auswandern zu wollen. Diese wollen ihrer Kinder wegen nach Israel ziehen, aus Angst vor Prügel und Mobbing an deutschen Schulen. Die Bedrohung kommt jedoch nicht von Deutschen, sondern von prügelnden Muslimen.
Man kann diese Fakten nicht ausblenden, meine Damen und Herren, deshalb wird genau diese Seite, die maßgebliche Seite des Antisemitismus in Deutschland, heute maßgeblich thematisiert. Damit zeigen wir als AfD, dass wir die Partei sind, deren Politik geeignet ist, die Juden in Deutschland auch in Zukunft zu schützen.
Das war Herr Wippel für die AfD-Fraktion. Nun spricht für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Frau Kollegin Zais.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Wippel, ich glaube nicht, dass Ihre Partei dazu geeignet ist, das Leben der Juden in Deutschland sicherer und friedlicher zu machen. Ich möchte nur kurz zitieren, was Franziska Schreiber, die ehemalige Vorsitzende der Jungen Alternativen in Sachsen, in ihrem Buch „Inside AfD“ über Sie geschrieben hat: „In keiner Partei in Deutschland wird Antisemitismus so offen gelebt wie in der AfD.“
Ich glaube nicht, dass die Juden Sie brauchen, um ihre Rechte und ihr Leben in Deutschland zu verteidigen.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist wichtig, dass diese Debatte heute im Sächsischen Landtag stattfindet. Es ist der zentrale Ort der Demokratie in Sachsen, und ich möchte meinen ausdrücklichen Dank an die einreichenden Fraktionen für die Gelegenheit zur heutigen Aktuellen Debatte geben.
Es ist unsere feste Überzeugung, dass Exekutive und Legislative es nicht allein den jüdischen Gemeinden und der Zivilgesellschaft überlassen dürfen, an den Beginn der Novemberpogrome in Sachsen zu erinnern: die offene Gewalt gegen Juden, staatlich inszeniert, aber nicht nur von fanatischen Nationalsozialisten verübt, sondern auch von Menschen, die vordem Nachbarn und friedliche Bürgerinnen und Bürger waren.
Das, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, sind auch die Parallelen zu heute. Ich erinnere daran, dass morgen, Freitag, am Gedenktag in Chemnitz, Nazis gemeinsam mit sogenannten friedlichen Bürgern gegen Minderheiten und damit gegen die Demokratie auf die Straße gehen.
Daniel Ristau, Historiker und Macher der Ausstellung „Bruchstücke, die Novemberpogrome in Sachsen 1938“, sagt über die historischen Parallelen: „Doch gerade die Pogromgewalt sagt uns heute etwas über das Zusammenleben von Menschen und bleibt deshalb in vielfacher Weise auch in der modernen Gesellschaft anschlussfähig. Sie markiert den Verlust ethisch-moralischer Grundlagen des Miteinanders, stellt einen Höhepunkt der fortschreitenden Ausgrenzung einer Gruppe von Menschen dar und berührt die aktuelle und gesellschaftliche Wertedebatte in vielen Punkten.“
In diesem Kontext stellen wir fest, dass es unerträglich ist, dass im Jahr 2018 in unserem Land, auch in Sachsen, Synagogen, jüdische Kindergärten, jüdische Restaurants, wie das „Schalom“ in Chemnitz, und Gemeindehäuser
von Sicherheitskräften beschützt werden müssen. Es ist unerträglich für uns, dass offen antisemitische Parolen auf Demonstrationen skandiert werden und gegen Israel gehetzt wird.
Zur Antwort auf die Frage, was wir heute tun müssen, gehört deshalb zuallererst, auch jüdisches Leben in seiner Vielfalt zu stärken. Sachsen braucht vielfältiges jüdisches Leben und starke jüdische Gemeinden und Vereine. Wer es ernst damit meint, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, muss auch die entsprechende Unterstützung sichern.
Bereits bei den Debatten zum Staatsvertrag hat unsere Fraktion darauf verwiesen, dass die Finanzierung jüdischer Gemeinden nicht ausreichend ist und jährliche Anpassungsschritte fehlen. Hier hoffen wir, dass den Worten endlich Taten folgen. Gleiches gilt für die Einführung des jüdischen Religionsunterrichts sowie die Umsetzung der Empfehlungen der Deutsch-Israelischen Schulbuchkommission.
Antisemitismus, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, hat viele Gesichter. Genauso vielfältig müssen die Ansätze zu seiner Bekämpfung sein. Das Thema stärker in den Schulen aufzugreifen ist richtig und wichtig, aber genauso wichtig ist es, das Thema in der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern, bei der Polizei und der Justiz zu setzen.
Oft fällt es schwer, Antisemitismus als solchen zu erkennen, zumal dann, wenn er sich gegen den Staat Israel richtet. Ein Beispiel dafür ist die Boykottbewegung BDS. Aus „Kauft nicht bei Juden!“ ist ein „Boykottiert Israel und kauft keine israelischen Waren!“ geworden. Das, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist die gleiche Diffamierung, die gleiche hässliche Sprache, es ist die Sprache des Antisemitismus, und das dürfen wir nicht ignorieren.
Wir GRÜNE, der Landesverband BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, hat sich gerade zum Thema BDS und Boykott gegen Israel mit einem Beschluss unseres Landesparteitags im Frühjahr dazu positioniert. Ich finde, es würde jeder demokratischen Partei in Sachsen gut zu Gesicht stehen, sich mit dieser aktuellen Form des Antisemitismus auseinanderzusetzen.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Als die Dresdner Synagoge brannte, wurde die Feuerwehr an Löscharbeiten gehindert. Dem Feuerwehrmann Alfred Neugebauer gelang es
dennoch, den Davidstern zu retten. Dieser Stern hat heute im Eingangsbereich der Neuen Dresdner Synagoge einen würdigen Platz gefunden.
Leider kommt es in Deutschland immer wieder zu antisemitischen Vorfällen. Die Abgeordneten der blauen Partei verurteilen dies aufs Schärfste. Es gibt aber auch gute Beispiele zur Stärkung jüdischen Lebens in Sachsen. Zwei Männer – Friedrich-Wilhelm Junge und Michael Simpfendörfer – setzten sich gleichzeitig für den Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche und der Dresdner Synagoge ein. Für die Dresdner Synagoge hat ihr Förderverein insgesamt 4 Millionen DM eingesammelt – ein gutes Ergebnis.
Unsere Landeszentrale für politische Bildung bietet jedes Jahr eine Studienreise nach Israel an. Solide Kenntnisse über Israel, das Judentum und den Holocaust sind das beste Bollwerk gegen Antisemitismus. Dieser Antisemitismus ist leider immer noch latent in unserer Gesellschaft vorhanden und wird zusätzlich von muslimischen Migranten unter Verletzung des Gastrechts ausgeübt. Auch die anti-israelische Propaganda zu SED-Zeiten wirkt immer noch nach.
Letzter Satz, Herr Präsident. – Das Judentum gehört zu Deutschland, verfassungstreue Muslime ebenso, der politische Islam nicht.