Protokoll der Sitzung vom 30.01.2019

Ich frage nicht nur rhetorisch: Als der Gesetzentwurf in dieser Fassung bearbeitet worden ist, Herr Staatsminister,

gab es denn da einen Blick auf die Arrestgesetzgebung der anderen Länder?

Nehmen wir einen Rechtsvergleich vor. Niedersachen: Videoüberwachung nur in besonderen Arresträumen, Toilettenüberwachung immer unzulässig. Bremen: keine Videoüberwachung, keine Videoaufzeichnung von Arresträumen. Nordrhein-Westfalen: Videoüberwachung nur im Außengelände und im allgemeinen Gebäude, nicht in Arrest- und Sanitärzellen. Rheinland-Pfalz: Videoüberwachung nur als besondere Sicherungsmaßnahme bei Unterbringung im gesondert gesicherten Arrestraum, Maßnahme maximal 24 Stunden. Brandenburg: keine Videoüberwachung und keine Videoaufzeichnung von Arresträumen. Usw. usf.

(Martin Modschiedler, CDU: Und so weiter – das ist das Problem, Bayern hat nämlich mehr!)

Es sind doch schon sieben Bundesländer, Herr Kollege Modschiedler. Müssen wir uns denn unbedingt in die Reihe derer begeben, die es anders sehen? Und warum, mit welcher Begründung? Das ist auch im Maßstab der Ansichten des Datenschutzbeauftragten zu sehen, sorry!

Unabhängig davon gibt es keine wissenschaftlichen Erkenntnisse, die belegen, dass jugendliche Straftäter sich durch eine scheinbar harte Strafe und/oder harte Behandlung von weiteren Delikten abschrecken lassen. Das Gegenteil ist der Fall. Kriminologen, Pädagogen und Sozialpädagogen sind sich seit Langem darin einig, dass der Jugendarrest im günstigsten Fall nichts bewirkt und im Zweifelsfall die Gefährdungssituation noch verschärft.

Wenn wir das alles in den Skat drücken, selbst wenn wir an die Wirksamkeit des Jugendarrestes glauben, dann frage ich: Welcher Zweck, welcher erwartete Effekt soll denn derart intensive Grundrechtseingriffe gegen Arrestantinnen und Arrestanten rechtfertigen?

Was die weiteren im Artikelgesetz vorgenommenen Änderungen von diversen anderen Strafvollzugsvorschriften des Freistaates Sachsen angeht, die zwischen 2007 und 2015 entstanden sind, sind diese nach unserem Eindruck von der Absicht beherrscht, mit teils ebenso überbordenden Eingriffsmaßnahmen die offensichtlich in Gefahr gesehene Ordnung und Sicherheit in den sächsischen Straf- und Jugendstrafvollzugsanstalten und Maßregelvollzugsanstalten zu beherrschen und mittels Einsatz des allgegenwärtigen technischen Fortschritts den bestehenden flagranten Personalmangel pragmatisch zu kompensieren.

Die Rolle rückwärts ist zum Teil soft, wenn zum Beispiel das in § 7 des Sächsischen Strafvollzugsgesetzes geregelte Diagnoseverfahren bei Kurzstraflern bis zu drei Monaten im Regelfall auf die Erhebung der Feststellung zur Person und die Lebensverhältnisse von Gefangenen reduziert wird. Das heißt also: Wir sorgen nicht dafür, dass die Ersatzfreiheitsstrafenpraxis endlich verschwindet und nicht mehr angewandt wird, sondern wir sorgen dafür, dass Ersatzfreiheitsstrafler und Kurzstrafler, orientiert am Resozialisierungsgedanken, als Gefangene

unterschiedlicher Kategorien betrachtet werden. Es sind also Gefangene zweiter Klasse.

Schon unter diesem Aspekt ist für uns dieses Gesetz viel zu herb. Wir bitten darum, die Änderungsanträge, die wir heute aus diesem Grund eingebracht haben, wirklich noch einmal zu bedenken unter dem Aspekt, dass, wenn wir Gesetze machen, die jungen Leuten helfen sollen, auf dem richtigen Weg in der Gesellschaft zu bleiben, es nichts bringt, wenn wir dort über Gebühr hinlangen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den LINKEN und den GRÜNEN)

Amt. Präsident Thomas Colditz: Vielen Dank. Es folgt die SPD-Fraktion mit Herrn Baumann-Hasske.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bartl, ich kann ja verstehen, dass Sie eine ganze Reihe von Bedenken, auch verfassungsrechtlicher Art, hier vorgetragen haben, und diese sind natürlich auch erwägenswert. Nur haben Sie ein wenig den Eindruck erweckt, als sollten alle diese Regelungen für den Jugendarrestvollzug gegen jede Jugendarrestantin und jeden Jugendarrestanten angewendet werden.

Wir haben diese Ausnahmetatbestände nur dann, wenn die Voraussetzungen tatsächlich vorliegen. Wenn wir für bestimmte Fälle einen Richtervorbehalt einbauen, dann sollten wir, so weit es geht, Grundrechtsverletzungen verfahrenstechnisch ausschließen. Ich bete auch nicht den Richtervorbehalt an als die Musterlösung für alle Grundrechtseingriffe, aber wir sollten uns klarmachen, dass hierfür schon viel getan worden ist.

Wenn Sie sagen, Ihnen gehen die möglichen Grundrechtseingriffe zu weit, dann ist das akzeptabel. Aber sagen Sie bitte nicht, dass wir keine verfahrenstechnischen Voraussetzungen geschaffen hätten.

(Klaus Bartl, DIE LINKE, steht am Mikrofon.)

Amt. Präsident Thomas Colditz: Herr BaumannHasske, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ich gestatte eine Zwischenfrage.

Amt. Präsident Thomas Colditz: Bitte schön, Herr Bartl.

Herr Kollege, geben Sie mir darin recht, dass die Restriktionen, Eingriffsermächtigungen, die in Rechtsvorschriften enthalten sind, immer nur zur Anwendung kommen, wenn vermeintlich eine der Zielpersonen in irgendeiner Form Anlass gibt, und dass das im Grunde genommen keine Rechtfertigung dafür sein kann, dass ich das ganze Kompendium von Eingriffen, das es bei Erwachsenen gibt, auch bei Jugendarrestanten vorhabe?

Da haben Sie recht. Ich wollte auch nur klarmachen, dass nicht jeder Jugendarrestant einer solchen Maßnahme unterzogen wird, sondern nur dann, wenn er einen Anlass dafür bietet.

Meine Damen und Herren! Mit diesem Gesetz wird der Jugendarrestvollzug in Sachsen endlich auf eine Grundlage gestellt. Dazu sind viele Ausführungen gemacht worden und ich möchte das nicht alles wiederholen. Lassen Sie mich einige Aspekte herausgreifen, die uns als SPD-Fraktion besonders wichtig erscheinen.

Uns als Sozialdemokraten war es ein besonderes Anliegen, dass im Vollzug im Jugendarrest, aber auch im Strafvollzug, im Jugendstrafvollzug und im U-Haftvollzug immer dann, wenn zusätzlich in Grundrechte von Inhaftierten eingegriffen wird, nach einer gewissen Frist nicht nur die Aufsichtsbehörde, sondern auch der Verteidiger informiert wird. Das ist jetzt überall eingeführt worden.

Das Jugendarrestvollzugsgesetz will dem Umstand Rechnung tragen, dass es sich beim Jugendarrest nicht um Strafvollzug handelt, sondern um eine Strafdrohung, die erzieherisch wirken soll. Man mache sich klar, dass die meisten Betroffenen notorische Schulverweigerer sind und in der Regel nicht länger als zwei Wochen, meist kürzer, im Vollzug verbleiben. Im Zuge der Diskussion habe ich feststellen können, dass die Jugendarrestvollzugseinrichtungen ohnehin häufiger leer stehen und dort überhaupt nicht vollzogen wird.

Meiner Fraktion war es deshalb besonders wichtig, als eines der Vollzugsziele zu formulieren, die Betroffenen mögen zum künftigen Schulbesuch motiviert werden. Sind Schäden verursacht worden, soll die Motivation zur Wiedergutmachung ein wichtiges Ziel sein.

Insgesamt soll sich der Jugendarrestvollzug am Entwicklungsstand orientieren und nicht nur am Alter der Jugendlichen ausgerichtet sein. Der Jugendarrestvollzug wird Trennungen innerhalb der Anstalt kennen; das haben Sie gerade kritisiert. Sie sollen in der Regel acht Stunden nicht überschreiten und anderenfalls der Aufsichtsbehörde und dem Verteidiger mitgeteilt werden. Auch im Regelvollzug für Erwachsene, Jugendliche und in der U-Haft wird es disziplinarische Trennungen geben. Hier wird die Frist der Benachrichtigung auf 24 Stunden gesetzt.

Wir führen in der Erfahrung mit dem U-Häftling al-Bakr die Videoüberwachung in besonderen Zellen ein. Sie dient wesentlich dem Schutz der Betroffenen vor sich selbst, also der Suizidprävention, aber auch der Vermeidung von Fremdgefährdung. Dabei haben wir ausführlich diskutiert, ob eine Stuhlwache in der Zelle durch Bedienstete oder die Videoüberwachung der geringere Eingriff in die Privatsphäre des Betroffenen sei. Darüber kann man sich unter Rechtsgelehrten trefflich streiten. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass die Videoüberwachung die geringere, für den Betroffenen weniger empfindliche Möglichkeit ist; denn in die Privatsphäre wird so oder so eingegriffen.

Wir halten es auch für sinnvoll, die Überwachung kurzzeitig – bis zu 72 Stunden – aufzuzeichnen, um so eine Begutachtung nicht nur durch den Vollzugsdienst, sondern gegebenenfalls auch durch Psychologen und Ärzte zu ermöglichen. Danach sind die Aufzeichnungen zu löschen. Ich wüsste nicht, warum eine Aufbewahrung von 72 Stunden verfassungsrechtlich deutlich bedenklicher sein sollte als die Aufbewahrung von 48 Stunden. Man kann sich darüber streiten, ob überhaupt aufgezeichnet werden muss. Aber wenn Auffälligkeiten vorhanden sind, dann ist es für eine ordentliche psychologisch-medizinische Begutachtung einfach notwendig, dass ein Facharzt, ein Psychologe die Möglichkeit hat, sich das nachträglich anzuschauen.

(Beifall des Abg. Martin Modschiedler, CDU)

Eine Meldung an die Aufsichtsbehörde und an den Verteidiger soll erfolgen, wenn die Videoüberwachung länger als 24 Stunden andauert. Hierzu hatte es im Ausschuss Diskussionen gegeben. Wir gehen davon aus, dass die Videoüberwachung im Regelfall so lange andauern sollte, bis eine Suizidgefahr mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann. Dazu wird eine Übernachtung sinnvollerweise einbezogen werden müssen. Wenn das nicht ausreicht, sollten Aufsichtsbehörde und Verteidiger verständigt werden.

Meine Damen und Herren! Insgesamt scheint mir dieses Gesetz ein gelungener Kompromiss zu sein, um die Ziele des Strafvollzuges bzw. des Jugendarrestvollzuges weiterhin im Sinne der Resozialisierung zu verfolgen. Ich bitte Sie um Zustimmung.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Amt. Präsident Thomas Colditz: Vielen Dank, Herr Baumann-Hasske. Ich erteile Herrn Barth von der AfDFraktion das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Dem vorliegenden Gesetzentwurf kann meine Fraktion sowohl positive als auch negative Aspekte abgewinnen. Fangen wir damit an: Was ist gut an diesem Gesetz?

Positiv ist in jedem Fall, dass Sachsen mit diesem Entwurf endlich versucht, Anschluss an jene Bundesländer zu finden, die uns schon einen oder mehrere Schritte voraus sind. Um dies zu verdeutlichen: Bis auf Thüringen und Sachsen-Anhalt haben alle anderen Bundesländer den Jugendarrestvollzug auf Landesebene längst geregelt. Ich erinnere mich dabei an den Breitbandausbau. Ähnlich langsam wird hier das Föderalismuskonzept beim Jugendarrestvollzug in Sachsen umgesetzt.

(Zurufe der Abg. Martin Modschiedler, CDU, und Valentin Lippmann, GRÜNE)

Aber positiv ist – das sage ich auch ganz klar –, dass der Gesetzentwurf zukünftig Videoüberwachung der Hafträume ermöglichen soll. Damit könnten zukünftig Selbstmorde in sächsischen Zellen verhindert, unter

Umständen Terrorverdächtige durch den Staatsschutz schneller befragt und gegebenenfalls sogar Terrornetzwerke früher erkannt werden. Auch die Idee, den Disziplinararrest wieder einzuführen, stimmt meine Fraktion positiv.

Aber es gibt auch Negatives an Ihrem Gesetzentwurf. Negativ ist, dass dieses Gesetz einen bunten, teuren Strauß von Fördermaßnahmen etablieren will und dabei nicht zuerst über die Zweckmäßigkeit von vier Wochen Maximalarrestdauer nachdenkt. Jede auch noch so gut gemeinte pädagogische Maßnahme bringt nämlich nichts, wenn sie nach maximal vier Wochen abgebrochen werden muss. Wie soll in vier Wochen eine nachhaltige und erfolgreiche erzieherische Einwirkung auf Arrestanten erfolgen, meine Damen und Herren? Das ist meiner Fraktion schleierhaft. Eine Überfrachtung des Jugendarrests droht uns darüber hinaus ohnehin schon. Entsprechend äußerte sich auch der Sächsische Städte- und Gemeindetag im Anhörungsverfahren.

Zum Thema Rückfallquoten. Die Rückfallquoten sprechen eine deutliche Sprache: Über 60 % der Arrestanten werden rückfällig. An dieser Quote hat sich auch nach vielen Jahren nahezu nichts geändert. Meine Fraktion fordert daher: Entweder wird der Jugendarrest abgeschafft oder die derzeitige Arrestdauer von vier Wochen wird endlich erhöht, sodass eine Veränderung des JGG angestrebt werden sollte. So wie es von Ihnen geregelt wird, bleibt es jedenfalls aus der Sicht unserer Fraktion nahezu wirkungslos.

Negativ ist weiterhin, dass zusätzliches Geld für Fördermaßnahmen ausgegeben wird,

(Lachen der Abg. Katja Meier, GRÜNE)

und zwar ohne dass Ergebnisse dieser Fördermaßnahmen evaluiert oder geprüft werden: zusätzliche 210 000 Euro jährlich für spezifisch soziales Training, durchgeführt von externen Trägern – belastbare Ergebnisse der sozialen Trainingskurse: Fehlanzeige! –, außerdem 170 000 Euro für zwei weitere beschäftigte Psychologen. Meine Fraktion fordert: Wenn Sie schon zusätzliches Geld ausgeben, dann bitte endlich verbunden mit einer Ergebnisprüfung, was der Geldmitteleinsatz bewirkt. Auch das sind wir unseren sächsischen Steuerzahlern schuldig.

Negativ ist weiterhin: Der freie Vollzug soll weiter ausgebaut werden. Freier Vollzug – dazu hatten wir bereits eine Debatte – bringt kaum etwas, da Ihre Konzepte nicht wirken. Es arbeiten zum Beispiel bei Seehaus e. V. in Leipzig Jugendstrafgefangene auf dem Grundstück der GmbH eines Multimillionärs, mehren dessen Profit, lernen in einem klerikalen Tagesablauf mit Andacht und Beten, statt resozialisiert zu werden.

Meine Fraktion sieht durchaus die Notwendigkeit, die Strafvollzugsgesetze zu optimieren. Wir kritisieren aber an Ihrem Entwurf, dass darin zusätzliches Geld ausgegeben wird, ohne Ergebnisse zu prüfen, und der freie Vollzug weiter ausgebaut wird. Wir werden uns daher bei diesem Gesetz der Stimme enthalten.

(Beifall bei der AfD – Kerstin Nicolaus, CDU: Das war so klar!)

Amt. Präsident Thomas Colditz: Vielen Dank. Ich bitte Frau Meier von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN um ihren Redebeitrag. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 2006 ging bereits die Regelungskompetenz des Strafvollzugs und damit auch des Jugendarrests auf die Länder über. Jetzt haben wir 2019, und nun liegt das Jugendarrestgesetz auch endlich diesem Sächsischen Landtag vor. Aber Gesetze kann man natürlich so oder so ausgestalten, und die Sächsische Staatsregierung und die Koalition haben sich für den Weg der Repression entschieden. Dabei frage ich mich schon, ob die Staatsregierung wirklich verstanden hat, worum es eigentlich beim Jugendarrest geht. Es geht um erzieherische Maßnahmen statt bloßes Strafen, und es geht um soziale Hilfen statt um Repression. Aber das vorgelegte Jugendarrestgesetz liest sich an einigen Stellen leider ganz anders. Dass es im Jugendarrest nicht völlig störungsfrei ablaufen wird, dürfte schon allein aufgrund des Zwangscharakters der Totalinstitution Jugendarrest völlig klar sein, auch, wenn ich mir die Problemlagen der dort untergebrachten Jugendlichen anschaue.